Der christliche Kanon

@sepiola:
Besten Dank für die instruktiven Hinweise und Klarstellungen zu Papias' Quellen.

Die wesentlichen Aspekte oben sind so auch in der Analyse von MacDonald (2012) * enthalten, der die Text- und Quellenanalysen auf Norellis Edition (2005)** abstützt.

Ohne jetzt seine Q+/Papias-Hypothese zum Gegenstand der Diskussion machen zu wollen, der Hinweis auf die Darstellung hier:
https://en.wikipedia.org/wiki/Q+/Papias_Hypothesis
Anhang anzeigen 16167


* MacDonald, Dennis Ronald, Two Shipwrecked Gospels
**Enrico Norelli: Papia di Hierapolis, Esposizione degli oracoli del Signore (so von MacDonald als Edition zitiert)
 
Ohne jetzt seine Q+/Papias-Hypothese zum Gegenstand der Diskussion machen zu wollen, der Hinweis auf die Darstellung hier:
https://en.wikipedia.org/wiki/Q+/Papias_Hypothesis
Anhang anzeigen 16167

Lost written sources: Did any of the gospels draw from some earlier document that has not been preserved (e.g., the hypothetical "Q", or an earlier edition of another gospel)?

Die Logienquelle Q (von griechisch logion „Ausspruch“; auch Redequelle oder kurz Q für „Quelle“) ist ein hypothetischer, griechischer, handschriftlicher Text, der gemäß der Zweiquellentheorie den Autoren des Matthäus- und des Lukasevangeliums neben dem Text des Markusevangeliums als zweite Quelle vorgelegen haben soll. Er habe vor allem Aussprüche, sog. Logien, Jesu enthalten und sei im Umfeld frühchristlicher Wanderprediger entstanden. Es sind keine Abschriften von Q oder von Teilen dieser vermuteten Quelle bekannt.

The Q+/Papias Hypothesis, on the other hand, dramatically reduces the number of independent sources. Q and Mark are not independent sources for the Historical Jesus because the Q+/PapH claims that Mark used Q. John also cannot be a source of independent attestation because the Q+/PapH holds that John redacted Mark and/or Luke. By MacDonald's assessment, the Q+/PapH leaves scholars with two only independent sources for reconstructing the Historical Jesus: the Logoi of Jesus (Q+) and the undisputed Pauline epistles.


Wohl von den meisten Forschern als echte Paulusbriefe anerkannt:
1. Brief des Paulus an die Thessalonicher
Brief des Paulus an die Galater
1. Brief des Paulus an die Korinther
2. Brief des Paulus an die Korinther
Brief des Paulus an die Philipper
Brief des Paulus an Philemon
Brief des Paulus an die Römer

Die Einführung der Logienquelle Q erinnert an die Annahmen, zu denen Wissenschaftler greifen müssen, um bestimmte Vorgänge in der Physik und grundsätzliche Fragen des Universums in ein logisches und nachvollziehbares Konzept zu gießen. Nur dank dieser hypotetischen Annahmen kommt man zu einem aktuellen Erkenntnisstand.

Am Ende bleiben erst einmal die Paulusbriefe übrig - die eigentlich an den Anfang des Kanons gehören - und aus deren Gebrauch in den Gemeinden die Sehnsucht nach „authentischen" Lebensbeschreibungen dieses Christus/Jesus folgte. Und da „wußten“ die späteren Schreiber immer noch etwas mehr als die, von denen sie ja abschrieben.
 
Die Einführung der Logienquelle Q erinnert an die Annahmen, zu denen Wissenschaftler greifen müssen, um bestimmte Vorgänge in der Physik und grundsätzliche Fragen des Universums in ein logisches und nachvollziehbares Konzept zu gießen. Nur dank dieser hypotetischen Annahmen kommt man zu einem aktuellen Erkenntnisstand.

Obwohl hier nicht thematisiert, kann man den Unsinn nicht so stehen lassen.

Es geht um die simple Frage, ob verschiedene Texte aufgrund ihrer Ähnlichkeiten und/oder Abweichungen auf eine (einzige) vorgehende textliche Quelle zurückzuführen sind:

ein Aspekt der Textanalyse und - soweit dabei Datierungen eine Rolle spielen - paläographischer Analysen. Dazu gibt es eine Reihe von Theorien.

Mit Physik und Universum hat das nichts zu tun.

Der Hinweis auf MacDonald sollte eher zum Lesen (außerhalb von google und Wikipedia) anregen, da er detaillierte Analysen einiger Papias-Fragmente vornimmt, die nun oben wieder Thema waren. Das wäre zweckmäßig, bevor irgendwelche Behauptungen herausgehauen werden.
 
... die eigentlich an den Anfang des Kanons gehören ...
Warum?

... und aus deren Gebrauch in den Gemeinden die Sehnsucht nach „authentischen" Lebensbeschreibungen dieses Christus/Jesus folgte.
Warum?

Und da „wußten“ die späteren Schreiber immer noch etwas mehr als die, von denen sie ja abschrieben.
Das ist ja erstmal normal. Die älteste Überlieferung war mündlich, die ersten Schreiber kannten einen Teil dieser Überlieferung, die ersten Bearbeiter einen anderen Teil. Da ist es zunächst nicht nötig, Anführungszeichen bei "wussten" zu setzen.
Ebenso normal ist, dass der historische Kern des Überlieferten im Lauf der Generationen von Legenden überwuchert wird. Wo wir es mit nachträglichen "Ausschmückungen" zu tun haben, ist das Anführungszeichen dann schon angebracht.

Zur Zeit Papias (dessen Wirken in die Regierungszeit Trajans bzw. Hadrians datiert wird) konnte die mündliche Überlieferung noch mit der schriftlichen konkurrieren, jedenfalls nach Meinung des Papias. Tatsächlich war aber von den Zeugen der ersten Generation niemand mehr am Leben, und es wurde schon schwierig, Gewährsleute der zweiten Generation aufzutreiben.
Am Ende des zweiten Jahrhunderts kursierten Evangelien, Briefe und Offenbarungen bereits in großer Zahl.
Für Irenäus (um 180) ist klar, dass es nicht mehr und nicht weniger als die vier (kanonischen) Evangelien geben kann. Er kritisiert diejenigen Gruppen, die nur jeweils eines dieser Evangelien benutzen bzw. favorisieren, die Ebioniten (Matthäus), Markioniten (Lukas), Valentinianer (Johannes). Das Evangelium des Judas lehnt er ab.
 
Reihenfolge des NT-Kanons

Den heutigen NT-Kanon kann man in drei Gruppen teilen:
- die vier Evangelien
- die dreizehn Paulus-Briefe
- die sieben "katholischen" Briefe (Jakobus, Petrus, Johannes, Judas)

Dazu kommen drei Schriften, die in keine der Kategorien passen:
- die Apostelgeschichte des Lukas
- der anonyme Hebräerbrief (die gelegentliche Zuschreibung an Paulus ist wenig stichhaltig)
- die Offenbarung des Johannes

Anordnung der Gruppen

Dass die Evangelien, die die Worte und Taten Jesu beschreiben, den ersten Rang einnehmen, ist wohl ohne weiteres nachvollziehbar.

Die zweite Gruppe ist dann in einigen alten Listen die der katholischen Briefe, während die Paulus-Briefe (Paulus als der "späteste" Apostel) an den Schluss rücken. So z. B.:
Cyrill von Jerusalem: The Development of the Canon of the New Testament - The Canon of Cyril of Jerusalem
Synode von Laodicäa: The Development of the Canon of the New Testament - The Canon approved by the Synod of Laodicea
Dasselbe gilt von den meisten alten griechischen Bibelhandschriften.

Oft werden jedoch die Paulus-Briefe den katholischen vorangestellt; diese Reihenfolge hat sich letztlich auch durchgesetzt.

Der Hebräerbrief wird oft bei den Paulusbriefen mitgezählt oder ihnen angehängt.

Die Apostelgeschichte wird meist den vier Evangelien angehängt, aber es gibt auch andere Lösungen. Der Codex Sinaiticus aus dem 4. Jahrhundert ordnet sie zwischen den Paulusbriefen und den katholischen Briefen ein:
Codex Sinaiticus - Inhalt

Die Offenbarung (die häufig ganz fehlt oder zu den zweifelhaften Schriften gerechnet wird) rückt gerne an den Schluss, aber auch hier gibt es andere Lösungen. Der Cheltenham-Kanon setzt sie zwischen die Apostelgeschichte und die Johannesbriefe: The Development of the Canon of the New Testament - The Cheltenham Canon


Anordnung innerhalb der Gruppen

Die häufigste (und auch eine der ältesten) Anordnung der Evangelien ist (wie heute üblich) Matthäus - Markus - Lukas - Johannes.

Aber es gibt eine Reihe von Abweichungen. Der Codex Claromontanus hat z. B. Matthäus - Johannes - Markus - Lukas:
The Development of the Canon of the New Testament - Catalogue inserted in Codex Claromontanus

Lukas steht nie am Anfang, Matthäus steht nie am Schluss. Ansonsten sind alle Kombinationen irgendwann mal belegt.

Eine der ältesten Auflistungen der Paulus-Briefe (Muratori-Kanon) zeigt folgende Reihenfolge:
- Korinther (2)
- Epheser
- Philipper
- Kolosser
- Galater
- Thessalonicher (2)
- Römer
- Philemon
- Titus
- Timotheus (2)

Abgesehen davon, dass die Briefe an Einzelpersonen an den Schluss gerückt sind, hat sich diese Anordnung nicht durchgesetzt. Üblicherweise beginnen die Listen mit dem Römerbrief. Offensichtlich spielte die Länge der Briefe eine Rolle beim Sortieren - der längste Brief (Römer) steht am Anfang, der kürzeste (Philemon) am Schluss.

Auch die Anordnung der katholischen Briefe (von denen einige in ihrer Kanonizität umstritten waren) ist variabel. Durchgesetzt hat sich die Reihenfolge, die schon im Altertum sehr beliebt war:
Jakobus - Petrus - Johannes - Judas

Auch hier gibt es viele Varianten. Mal steht Petrus am Anfang, mal Johannes machen. Nur Judas kommt nie am Anfang, sondern häufig am Schluss.
 
Die Diskussion vernachlässigt aus meiner Sicht völlig die große politische Einfluss Name beginnend und weiter im Mittelalter ins Kirchenrecht ungesetzte Glaubensdogmen.

Die Nag-Hammadi-Schriften fehlen bspw. völlig im Alten und Neuen Testament, weil sie eben vorwiegend politisch am Konzil von Nicäa übernommen wurden.

Auch nach dem Konzil, war bspw. die Reinkarnation ein Kernglaube des Christentums, der nur zuerst durch Vernichtung der Arianer und später Katharer bzw. Albingenser gänzlich ausgetrieben werden konnte.
 
Die Diskussion vernachlässigt aus meiner Sicht völlig die große politische Einfluss Name beginnend und weiter im Mittelalter ins Kirchenrecht ungesetzte Glaubensdogmen.

Viele der Glaubensdogmen lassen sich sowieso nicht aus der Bibel herausnehmen, aber wurden auch nicht mit Gewalt dort reingepresst. Wir haben Bibelfragmente aus dieser Zeit und die unterscheiden sich von den heutigen kaum.

Die Nag-Hammadi-Schriften fehlen bspw. völlig im Alten und Neuen Testament, weil sie eben vorwiegend politisch am Konzil von Nicäa übernommen wurden.

Die Gnosis wurde schon lange vor Nicäa abgelehnt, warum sollte man gnostische Texte in den Kanon aufnehmen?

Auch nach dem Konzil, war bspw. die Reinkarnation ein Kernglaube des Christentums, der nur zuerst durch Vernichtung der Arianer und später Katharer bzw. Albingenser gänzlich ausgetrieben werden konnte.

Glauben kannst es gerne, aber nirgends in den ältesten Quellen (den vier kanonischen Evangelien). Außerdem die Pharisäer welche den Christen am ähnlichsten sind, haben auch keine Reinkarnationsglauben, sondern glauben an die Auferstehung.
 
Glauben kannst es gerne, aber nirgends in den ältesten Quellen (den vier kanonischen Evangelien). Außerdem die Pharisäer welche den Christen am ähnlichsten sind, haben auch keine Reinkarnationsglauben, sondern glauben an die Auferstehung.

Laut Josephus hatten die Phärisäer sehr wohl einen Reinkarnationsglauben (hebr.´gilgul neshamot´= גִלְגּוּל נְשָמוֹת ), der sich nicht im Tanach, aber im Talmud manifestiert:

Josephus, Jüdischer Krieg

162 Um auf die zwei anderen Secten zurückzukommen, so bringen die einen, die Pharisäer, welche als die genauesten Ausleger der gesetzlichen Vorschriften gelten und überhaupt die erste Secte im Judenthum eingeführt haben, alles in Abhängigkeit von dem Verhängnis und von Gott,

163 so dass nach ihrer Meinung das Verhängnis selbst auf das rechtschaffene Leben, wie auch auf sein Gegentheil einen Einfluss ausübe, wenn auch beides hauptsächlich in der Hand des Menschen liege. Von den Seelen lehren sie, dass sie zwar alle unsterblich seien, dass aber nur die Seelen der Guten in einen anderen Leib wandern dürfen, während die der Schlechten mit ewiger Qual gezüchtigt werden.
Eine Diskussion über die Frage, ob, wie Mari-Luz meint, Reinkarnation in den ersten Jahrhunderte "ein Kernglaube des Christentums" gewesen sei, setzt eine Definition von Christentum voraus. Es ist - wenn auch in diesem Forum gang und gäbe - sicher zu einseitig, nur den Katholizismus für die Zeit bis Konstantin als repräsentativ für das Christentum anzusehen und den christlichen (halb-gnostischen) Marcionismus sowie eine Reihe bedeutender gnostisch-christlicher Schulen per definitionem als ´häretisch´ und damit nicht-christlich auszugrenzen. Dieses Thema wurde hier aber schon öfters verhandelt, deswegen will ich es an dieser Stelle und auch weiterhin in diesem Thread gar nicht vertiefen.

Versteht man - im antiken Kontext - unter "Christentum" nur das katholische Christentum (wie die allermeisten in diesem Forum), so ist die oben angesprochene Frage sicher zu verneinen, wobei aber auf eine Ausnahme hingewiesen werden muss, nämlich auf Origenes, der in seinem frühen Werk "Peri archon" (um 213 CE) eindeutig einen Reinkarnationsglauben vertritt, wie z.B. hier:

1,5,3

Alle (...) Geschöpfe gleiten, wenn sie in Nachlässigkeit verfallen, allmählich auf niedere Stufen herab und nehmen Körper an je nach Art der Orte ...und wenn sie in die Nähe der Erde kommen, umgeben sie sich mit noch dichteren Körpern, um schließlich an menschliches Fleisch gefesselt zu werden (...) Dabei wechselt er seinen Körper ebenso oft, wie er seinen Wohnsitz beim Abstieg vom Himmel zur Erde wechselt.
(Das ursprünglich griechisch verfasste Werk ´Peri archon´ ist weitgehend verschollen und nur in einer lateinischen Übersetzung von Rufinus ("De principii") erhalten, von welchem allerdings alle den Reinkarnationsglauben betreffenden Passagen herausgestrichen wurden. Görgemanns/Karp haben obige Stelle aus einer Hieronymus-Schrift ("Contra Joh.") rekonstruiert, wo Hieronymus Origenes mit Quellenangabe zitiert.

Im anti-origenistischen Edikt (543 CE) von Kaiser Justinian, welches den Reinkarnationsglauben der auch im 6. Jh. noch weit verbreiteten Anhänger des origenistischen Reinkarnationsglauben als Häresie verbietet, heißt es:
Von den geistigen Wesen ist ein Teil, wie er (= Origenes, Anm. Chan) meint, in Sünde gefallen und zur Strafe in Leiber gebannt. Nach dem Maß ihrer Sünden werden sie sogar zum zweiten und dritten Male und noch öfter in einem Leibe eingekerkert, um nach vollendeter Reinigung in ihren früheren sünde- und leiblosen Zustand zurückzukehren.
Im einzelnen sind bei den Anathematismen (Gegenreden gegen Origenes´ Lehre) aber umstritten, ob sie sich eher gegen zeitgenössische Ausformungen ursprünglicher Lehren des Origenes richten als gegen die ursprüngliche Lehre selbst.

In seinem späteren Werk hat Origenes dem Reinkarnationsglauben allerdings widersprochen, so z.B. in seinem Matthäuskommentar:
XIII,1

Dabei scheint mir nicht die Seele Elias genannt zu werden; ich möchte nämlich nicht in die Lehrmeinung von der Wiedereinkörperung verfallen, welche der Kirche Gottes fremd ist und weder von den Aposteln überliefert ist, noch irgendwo in den Schriften erscheint.
Dieser Widerspruch ist religionsgeschichtlich ungeklärt. Fakt ist, dass viele Origenisten späterer Jahrhunderte an der Reinkarnationslehre des Origenes festhielten, auch noch nachdem Justinian sie mit Bann belegt hatte.
 
Zuletzt bearbeitet:
Für mich klinkt dies eher, dass mit dem neuen Leib der Körper nach der Auferstehung gemeint ist???

Natürlich kann man den Text anders interpretieren.
 
Für mich klinkt dies eher, dass mit dem neuen Leib der Körper nach der Auferstehung gemeint ist???

Natürlich kann man den Text anders interpretieren.

Dass Origenes eine Reihe von Inkarnationen in immer wieder neuen Leibern meint und nicht einen singulären neuen Leib im paulinischen Sinne, ist in Bezug auf seine frühe Lehre unumstritten.
 
Für mich klinkt dies eher, dass mit dem neuen Leib der Körper nach der Auferstehung gemeint ist???

Natürlich kann man den Text anders interpretieren.

Du beziehst dich damit, wie ich zu spät gesehen habe, auf das Josephus-Zitat und nicht auf Origenes. Daher ein weiteres Zitat über die Pharisäer:

Josephus, Ant. 18,12-6:

Sie glauben auch, daß die Seelen unsterblich sind und daß dieselben, je nachdem der Mensch tugendhaft oder lasterhaft gewesen, unter der Erde Lohn oder Strafe erhalten, so daß die Lasterhaften in ewiger Kerkerhaft schmachten müssen, während die Tugendhaften die Macht erhalten, ins Leben zurückzukehren.
Siehe dazu auch "Reinkarnation - Weltgeschichte einer Idee" von Prof. Helmut Obst, protestantischer Theologe, der die Stelle als Beleg für pharisäischen Reinkarnationsglauben zitiert.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Nag-Hammadi-Schriften fehlen bspw. völlig im Alten und Neuen Testament, weil sie eben vorwiegend politisch am Konzil von Nicäa übernommen wurden.

Ich verstehe nicht, was das Konzil von Nicäa mit dem Kanon zu tun haben soll.


Die Beiträge ab #50 haben mit dem Kanon jedenfalls gar nichts mehr zu tun. Könnte man daraus nicht eine eigene Diskussion über Reinkarnation machen?
 
Ich verstehe nicht, was das Konzil von Nicäa mit dem Kanon zu tun haben soll.

Direkt sicher nichts; dafür hat die Reinkarnationslehre mit der Kanonisierung insofern eine Menge zu tun, als sie möglicherweise tatsächlich ein Element des - wie ansonsten auch immer gearteten - ursprünglichen Christenglaubens war. Sehr wahrscheinlich ist, dass der Kanonisierungsprozess mit einer Unterdrückung dieses Elements durch die Aussortierung von Schriften einherging, welche die Lehre positiv vertraten. Bekanntlich soll es mindestens 60 verschiedene Evangelien gegeben haben, von denen eine Vielzahl vermutlich in jene nicht erwünschte Kategorie fielen. Hier sind einige Gründe für die (hypothetische, aber wahrscheinliche) Aussortierung reinkarnationsaffiner Schriften :

+ die ´Dringlichkeit´ der individuellen ´Erlösung´ durch Christus wird durch eine Reinkarnationenreihe abgeschwächt

+ das ´Endgericht´ verliert aus dem gleichen Grund an Bedeutung

+ Reinkarnation konkurriert mit der ´Auferstehung des Herrn´, d.h. sie relativiert deren Einmaligkeit

+ der Reinkarnationsglaube verstärkt den Glauben an den Wert ´guter Werke´ (im jüdischen Sinne), was die paulinische Idee der Überlegenheit des ´Glaubens´ an Christus über das jüdisch-gesetzestreue ´Werk´ abschwächt

Im Matthäus- und Johannes-Evangelium finden sich dennoch Stellen, die einen - womöglich aus dem Pharisäertum übernommenen - Reinkarnationsglauben verraten:

Mt 16

(in der Stadt Cäsaräa Philippi wird JC gefragt, ob er u.a. Elia oder Jeremia sei, d.h. eine Reinkarnation dieser Propheten)

14 Sie sprachen: Etliche sagen, du seist Johannes der Täufer; die andern, du seist Elia; etliche du seist Jeremia oder der Propheten einer.
Sowie:

Mt 17

(hier sagt JC, dass Elia schon gekommen (also reinkarniert) sei / damit wird auf eine AT-´Prophezeiung´ (Malachi 4,5) Bezug genommen, nach welcher das Wiedererscheinen des Elia dem Erscheinen des Messias vorausgeht)

10 Und seine Jünger fragten ihn und sprachen: Was sagen denn die Schriftgelehrten, Elia müsse zuvor kommen? 11 Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Elia soll ja zuvor kommen und alles zurechtbringen. 12 Doch ich sage euch: Es ist Elia schon gekommen, und sie haben ihn nicht erkannt, sondern haben an ihm getan, was sie wollten. Also wird auch des Menschen Sohn leiden müssen von ihnen. 13 Da verstanden die Jünger, daß er von Johannes dem Täufer zu ihnen geredet hatte.
Die Frage, ob JC der wiedergekommene Elia sei, erscheint auch im JohEv.

Joh 1

19 Und dies ist das Zeugnis des Johannes, als die Juden aus Jerusalem Priester und Leviten zu ihm sandten, damit sie ihn fragen sollten: Wer bist du?
20 Und er bekannte und leugnete nicht, und er bekannte: Ich bin nicht der Christus.
21 Und sie fragten ihn: Was denn? Bist du Elia? Und er sagt: Ich bin es nicht. Bist du der Prophet? Und er antwortete: Nein.
Ich will übrigens nicht dahingehend missverstanden werden, als wolle ich hier oder überhaupt die Reinkarnationslehre ´propagieren´ (was einige User gewiss argwöhnen würden...).
 
Zuletzt bearbeitet:
... dafür hat die Reinkarnationslehre mit der Kanonisierung insofern eine Menge zu tun, als sie möglicherweise tatsächlich ein Element des - wie ansonsten auch immer gearteten - ursprünglichen Christenglaubens war.
Bei christlichen Autoren findet man dazu wenig. So schreibt z.B. Gerhard Adler, die Lehre von der Präexistenz der Seele sei
auch im christlichen Einzugsbereich aufgetaucht, bei Origenes und östlichen Kirchenvätern. Das kirchliche Lehramt hat diese Vorstellungen zwar wohl erst im sechsten Jahrhundert ausdrücklich (aber nicht im Sinne einer ex-chathedra-Entscheidung) verurteilt, das darf aber nicht zu der Meinung führen, vor dieser Zeit sei die Reinkarnationslehre eine selbstverständliche christliche Lehre gewesen. Die patristische Literatur und Theologie lassen den gegenteiligen Eindruck entstehen.
Worum es im 6. Jh. ging, ist unklar. Adolf von Harnack erwähnt den Begriff Seelenwanderung nur in Fußnoten; dogmengeschichtlich scheint es keinen "offiziellen" Streit darum gegeben zu haben. Dass viele Menschen sich darüber Gedanken gemacht haben, bleibt davon unberührt. Siehe Goethe [2]:
Ach, du warst in abgelebten Zeiten
Meine Schwester oder meine Frau.
[1] Seelenwanderung und Wiedergeburt Leben wir nicht nur einmal? (Herderbücherei Bd. 806), S. 48
[2] Johann Wolfgang Goethe: Gedichte von Johann Wolfgang von Goethe - Text im Projekt Gutenberg
 
Kanonisierung

Direkt sicher nichts; dafür hat die Reinkarnationslehre mit der Kanonisierung insofern eine Menge zu tun, als sie möglicherweise tatsächlich ein Element des - wie ansonsten auch immer gearteten - ursprünglichen Christenglaubens war.

Insofern hätten alle im Frühchristentum angeschnittenen Themen mit der Kanonisierung irgendwas zu tun - da wäre dann aber eine Diskussion wenig sinnvoll...

Sehr wahrscheinlich ist, dass der Kanonisierungsprozess mit einer Unterdrückung dieses Elements durch die Aussortierung von Schriften einherging, welche die Lehre positiv vertraten. Bekanntlich soll es mindestens 60 verschiedene Evangelien gegeben haben, von denen eine Vielzahl vermutlich in jene nicht erwünschte Kategorie fielen.
Kann es sein, dass wir sehr verschiedene Vorstellungen von "Kanonisierung" haben? Im Christentum wurden schon seit frühester Zeit alle möglichen Schriften verfasst und gelesen, ohne dass irgendjemand daran dachte, die zu "kanonisieren".
Was Du schreibst, liest sich ja fast so, als ob die 60 Evangelien (und Hunderte weiterer Schriften, die Evangelien machen ja nur einen kleinen Prozentsatz der kanonischen Schriften aus) alle auf einer Kanon-Nominierungs-Liste gestanden hätten und als ob irgend jemand da angefangen hätte zu sortieren.

Statt hypothetische Szenarien in die Welt zu setzen, wäre es doch sinnvoller, erst mal nach Belegen für Kanonisierungsprozesse Ausschau zu halten.
 
Zuletzt bearbeitet:
Reinkarnation

"Reinkarnation" ist ein dehnbarer Begriff. Nach Steve Mason (Flavius Josephus on the Pharisees) kann man jede Auferstehungslehre, bei der die Seele im Tod den Leib verlässt und irgendwann später in denselben (oder einen anderen) Körper gelangt, als "Reinkarnation oder palingenesia im weitesten Sinne" bezeichnen.
Die Vorstellung einer Seelenwanderung muss damit aber noch nicht verbunden sein.

(hier sagt JC, dass Elia schon gekommen (also reinkarniert) sei / damit wird auf eine AT-´Prophezeiung´ (Malachi 4,5) Bezug genommen, nach welcher das Wiedererscheinen des Elia dem Erscheinen des Messias vorausgeht)

Die Frage, ob JC der wiedergekommene Elia sei, erscheint auch im JohEv.
Du weißt doch sicher ganz genau, dass Elia nach jüdischem Glauben gar nicht gestorben, sondern direkt zum Himmel entrückt wurde. Ausgerechnet Elia hier eine "Reinkarnation" anzuhängen, finde ich doch etwas schwach.

Nach 2 Kön 2,1–18 EU wird Elija durch einen feurigen Wagen mit feurigen Rossen von seinem Nachfolger Elischa getrennt und in einem Sturmwind zum Himmel entrückt, ohne dass sein Tod oder die Trauer seines Nachfolgers Elischa erwähnt wird. Zuvor hatte Elija dem König Joram von Juda einen Brief mit einer Gerichtsbotschaft geschrieben. Darum entstand im Judentum früh der Glaube, Elija sei nicht gestorben, sondern lebend in den Himmel aufgenommen worden. Er gilt seither als der wichtigste Prophet nach Mose. Der Prophet Maleachi kündigt die Wiederkunft Elias als Wegbereiter des Messias an. Nach Mal 3,23–24 EU wird Elias noch vor dem kommenden Gerichtstag Gottes ganz Israel zur Umkehr zu Gott und seinen Geboten sowie zur Versöhnung untereinander bewegen.

https://de.wikipedia.org/wiki/Elija

Eine Diskussion über die Frage, ob, wie Mari-Luz meint, Reinkarnation in den ersten Jahrhunderte "ein Kernglaube des Christentums" gewesen sei, setzt eine Definition von Christentum voraus. Es ist - wenn auch in diesem Forum gang und gäbe - sicher zu einseitig, nur den Katholizismus für die Zeit bis Konstantin als repräsentativ für das Christentum anzusehen und den christlichen (halb-gnostischen) Marcionismus sowie eine Reihe bedeutender gnostisch-christlicher Schulen per definitionem als ´häretisch´ und damit nicht-christlich auszugrenzen.

Auch das gegenteilige Verfahren, die Reinkarnation als "Kernglaube des Christentums" erstmal zu behaupten und sich dann zur Begründung diejenigen Strömungen oder auch nur Textschnipsel herauszupicken, die diese Behauptung scheinbar belegen, ist wenig sinnvoll.

Zwei grundsätzliche Fragen hätte ich in diesem Zusammenhang aber schon:

1. Wie definierst Du "Katholizismus" für die Zeit bis Konstantin?

2. Welche User in diesem Forum grenzen den Marcionismus sowie eine Reihe bedeutender gnostisch-christlicher Schulen per definitionem als ´häretisch´ und damit nicht-christlich aus?

Ich will übrigens nicht dahingehend missverstanden werden, als wolle ich hier oder überhaupt die Reinkarnationslehre ´propagieren´ (was einige User gewiss argwöhnen würden...).
Der einzige, der hier einen Argwohn über andere User in die Welt setzt (und diesen dann auch gleich als "Gewissheit" darstellt) bist bisher Du. ;)
 
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