Seres schrieb:
Es geht sogar so weit, dass in Diskussionen in Foren bezgl. des dt. Patriotismus, der Leitkulturdebatte und der Diskussionen über die Kampagne "Du bist Deutschland", weiter in der Diskussion über straffällig gewordene Ausländer ab einem gewissen Punkt bei den meisten Teilnehmern die Rechtfertigung kommt "... ich bin aber kein Nazi". Zeigt doch, wie aktuell das Thema doch ist, auch wenn man damit schon gesättigt ist.
Ein Beispiel aus diesem Forum, genauer aus dem Bilderrätsel: ein Bild mit Steinhaus, Stacheldraht und Eingangstor musste ein KZ sein. Es wurde gemeldet, angemahnt und verbannt, weil in einem deutschen Forum nur KZs Barracken, Stacheldraht und Eingangstor haben dürfen. Und KZ-Fotos haben im Quizbereich nichts zu suchen (ist ja auch richtig!).
Es war aber kein KZ, sondern das Weltkulturerbe von Robben Island.
Man entdeckt durchaus Pawlow'sche Reaktions-Muster.
Das erinnert mich an meinen Vater. Er hat sich spasseshalber mal in eine Hypnose-Sitzung begeben, die einem das Rauchen austreiben sollte. Ihm wurde eine Assoziation "eingeimpft". (Ich glaube, irgendetwas mit einer häßlichen Hexe). Er kam daraufhin nach Hause, zündete sich eine Zigarette anzünden und musste dabei erbrechen. Jedesmal, wenn er eine Zigarette in die Hand nahm, kam dieses Bild von der Hexe und ihm wurde speiübel. Bei der intellektuellen Linken - zu der ich mich auch zähle - stelle ich solche Assoziationen durchaus fest...
Eine weitere Parallele könnte man zum Holocaust-Mahnmal in Berlin ziehen. Ob ehemalige IG-Farben-Firmen sich am Bau des Mahnmals beteiligen dürfen oder nicht. Die symbolische Assoziation ist bei einigen immer noch stärker als die objektive Sicht der Dinge, die natürlich eine Distanz erfordert. Und das will man hier in Deutschland um alles in der Welt vermeiden: dass man sich niemals von Auschwitz gedanklich distanziert.
In der Schule hatten wir in der 12 oder 13 einen Holocaustüberlebenden eingeladen gehabt. Es war das erste mal gewesen, dass dieser Mann seine Erlebnisse deutschen Schülern erzählte (er war Belgier). Diese zwei Stunden saßen wir alle wie hypnotisiert da, und als er mit seiner Geschichte zuende war, herrschte Stille. Wir Schüler saßen - sofern wir nicht Tränen in den Augen hatten - regungslos da. Dann kam ein Satz, der mir - uns allen - tief ins Mark fuhr: "Es tut mir leid, aber ich kann euch Deutschen nicht vergeben."
Ich war damals schon rebellisch. Es gab nichts, was dieser Mann mir zu vergeben hatte. Aus seiner Sicht, war ich aber ein Produkt des Tätervolkes. Ich gehörte dazu.
Es mag jetzt zynisch klingen, aber die mediale Fixierung auf den Holocaust unterlegt für mich diese Tätervolkmentalität. Auch wenn ich als geschichtsinteressierter Mensch um jede gute 2.-WK-Doku dankbar bin und persönlich kein Problem mit einem noch größeren, hochwertigem Angebot an historischer Information hätte, bei der Mehrzahl der Menschen, mit denen ich bislang darüber geredet habe, kommen diese Dokumentationen nicht gut an. Es kommt ihnen vielleicht sogar als Strafe vor, am gemütlichen Feierabend Hitler auf dem Schirm haben zu müssen.
Subjektiv! schätze ich die Mehrzahl der Bevölkerung als mittlerweile Resistent gegenüber 3.Reichs-2.Weltkriegs-Dokus ein, bzw. sogar ablehnend. Am Stammtisch meine ich eine Sehnsucht nach Relativierung zu vernehmen. Nicht unbedingt die Relativierung des Ereignisses, sondern die Relativierung der Darstellungsintensität. Die "Eliten" sehen das i.d.R. anders. Jede Relativierung scheidet aus... ich wüsste in dieser Hinsicht sehr gerne die output-impact-Beziehung. Output ist X Sendungen pro Woche. Was ist die Wirkung? Bleibt mehr "hängen", als wenn es nur die Hälfte wäre? Ist die Gefahr von Rechts höher bei steigendem Ausstoß von Information?
Viel Schrieb, hoffentlich macht's Sinn.