Der Umgang mit einem Tabu-Thema

HattoriH schrieb:
Ich möchte nochmal auf einen wesentlichen Punkt zu sprechen kommen, der bis jetzt weitestgehend vernachlässigt wurde. Natürlich bin ich dankbar über alle Antworten, sie werden auch alle in meine Auswertung mit einfließen. Aber mich interessiert jetzt speziell wie ihr den Umgang mit dem Dritten Reich zur Zeit beurteilt. Ist es sinnvoll alles zu vergessen oder sollte man die Welle der Medien weiterführen, die zur Zeit auf uns schwappt?

Danke schonmal im Vorraus, Hatto

Wie so oft, liegt der goldene Weg meines Erachtens in der Mitte:
Verschweigen ist völlig falsch, überfrachten aber aber auch.
 
Nun, die mediale Welle, wie Du es nennst, hängt wohl v.a. mit zwei Dingen zusammen: es ist 60jähriges Jubiläum des Kriegsendes, und im Rhythmus von zehn Jahren wird halt immer besonders an die Ereignisse erinnert, und die Zeitzeugen sterben langsam aus, ein Grund - bei aller wissenschaftspropädeutischen ;) Quellenkritik - noch einmal möglichst viele Stimmen und Erinnerungen zu sammeln.

Unabhängig davon besteht ein ungebrochenes Interesse am Thema, auch bei den Medienkonsumenten, was man am Markt für Bücher über den Nationalsozialismus ((Poplär-)Wissenschaftliches wie Romane) gut sehen kann.
 
die "mediale welle" stoppen wollen? komische idee, klingt so ähnlich wie "wetter abschaffen". diese mediale welle dauert nun schon seit 60 jahren an und wird vorläufig auch nicht verebben. das ist halt bis auf weiteres DAS thema der deutschen.
 
ponzelar schrieb:
die "mediale welle" stoppen wollen? komische idee, klingt so ähnlich wie "wetter abschaffen". diese mediale welle dauert nun schon seit 60 jahren an und wird vorläufig auch nicht verebben. das ist halt bis auf weiteres DAS thema der deutschen.

Hmm, der Vergleich mit dem Wetter oder einer Naturkatastrophe hinkt, da die "mediale Welle" von Menschen gemacht ist, also beeinflußt werden kann. HatoriH´s Überlegegung, bzw. Frage zielt ja gerade darauf ob sich hier die Öffentlichkeit, d.h. die Menschen ändern sollten.
Es geht nicht um eine unäbänderliche, unausweichliche Naturerscheinung sondern um gelenktes Handeln.
 
ponzelar schrieb:
die "mediale welle" stoppen wollen? komische idee, klingt so ähnlich wie "wetter abschaffen". diese mediale welle dauert nun schon seit 60 jahren an und wird vorläufig auch nicht verebben. das ist halt bis auf weiteres DAS thema der deutschen.

Naja, also das die Welle seit 60 Jahren andauert ist leider grundlegend falsch. Gerade in den 50er/60er Jahren hat kein Mensch daran gedacht alles, was auch nur ansatzweise mit Nationalsozialismus/Dem Dritten Reich zu tun hat irgendwie zu vermarkten. Die "mediale Welle", wie ich sie mal salopp genannt habe verbinde ich mit der "Vermarktung des Dritten Reichs" - Jeden Tag kann man mindestens eine Sendung zu diesem Thema im Fernsehn anschauen... Ganz zu schweigen von den ganzen Romanen, Biographien und Reportagen in Zeitungen und Zeitschriften...
 
Hätte eine Gegenfrage an Dich, HattoriH, da Du Dich damit vielleicht näher beschäftigt hast:

Kommt es mir nur so vor, oder ist das Thema "3.Reich" in den ÖR-Fernsehanstalten bei weitem dominanter/präsenter, als bei den Privaten?

Gäbe es überhaupt diese große "Sensibilität" für das 3.Reich, wenn es keine öffentlichen Sendeanstalten gäbe samt politisch motiviertem Bildungsauftrag?
 
Zuletzt bearbeitet:
Den Umgang mit dem 3. Reich heutzutage? Nun wirds aber langsam Politisch.

Kleiner Tip: Schau dir den neuen §130 StGB an, glaube Abs. III oder IV. Oder den Kulturalismus als Rassismus ohne Rassen. Ich denke, das macht doch deutlich, dass man heute noch mit den Auswirkungen des 3. Reichs zu kämpfen hat.

Zum Thema 3. Reich in den Medien:
Ich glaube, jedem ist aufgefallen, wie das 3. Reich in den Medien, vorallem den öR, aufbereitet werden. Sogar Doku-Spielfilme wie "Der Untergang" oder "Speer und er" im öR, die privaten bringen das Thema auch in Spiegel TV/what ever (zwar mit geringerem Stellenwert) doch stehen hier die Kriegs- Spielfilme im Vordergrund, wie z.B. "Band of Brothers" oder auch "Hitler-Der Aufstieg des Bösen"

Es geht sogar so weit, dass in Diskussionen in Foren bezgl. des dt. Patriotismus, der Leitkulturdebatte und der Diskussionen über die Kampagne "Du bist Deutschland", weiter in der Diskussion über straffällig gewordene Ausländer ab einem gewissen Punkt bei den meisten Teilnehmern die Rechtfertigung kommt "... ich bin aber kein Nazi". Zeigt doch, wie aktuell das Thema doch ist, auch wenn man damit schon gesättigt ist.
 
Seres schrieb:
Es geht sogar so weit, dass in Diskussionen in Foren bezgl. des dt. Patriotismus, der Leitkulturdebatte und der Diskussionen über die Kampagne "Du bist Deutschland", weiter in der Diskussion über straffällig gewordene Ausländer ab einem gewissen Punkt bei den meisten Teilnehmern die Rechtfertigung kommt "... ich bin aber kein Nazi". Zeigt doch, wie aktuell das Thema doch ist, auch wenn man damit schon gesättigt ist.

Ein Beispiel aus diesem Forum, genauer aus dem Bilderrätsel: ein Bild mit Steinhaus, Stacheldraht und Eingangstor musste ein KZ sein. Es wurde gemeldet, angemahnt und verbannt, weil in einem deutschen Forum nur KZs Barracken, Stacheldraht und Eingangstor haben dürfen. Und KZ-Fotos haben im Quizbereich nichts zu suchen (ist ja auch richtig!).

Es war aber kein KZ, sondern das Weltkulturerbe von Robben Island.

Man entdeckt durchaus Pawlow'sche Reaktions-Muster.

Das erinnert mich an meinen Vater. Er hat sich spasseshalber mal in eine Hypnose-Sitzung begeben, die einem das Rauchen austreiben sollte. Ihm wurde eine Assoziation "eingeimpft". (Ich glaube, irgendetwas mit einer häßlichen Hexe). Er kam daraufhin nach Hause, zündete sich eine Zigarette anzünden und musste dabei erbrechen. Jedesmal, wenn er eine Zigarette in die Hand nahm, kam dieses Bild von der Hexe und ihm wurde speiübel. Bei der intellektuellen Linken - zu der ich mich auch zähle - stelle ich solche Assoziationen durchaus fest...

Eine weitere Parallele könnte man zum Holocaust-Mahnmal in Berlin ziehen. Ob ehemalige IG-Farben-Firmen sich am Bau des Mahnmals beteiligen dürfen oder nicht. Die symbolische Assoziation ist bei einigen immer noch stärker als die objektive Sicht der Dinge, die natürlich eine Distanz erfordert. Und das will man hier in Deutschland um alles in der Welt vermeiden: dass man sich niemals von Auschwitz gedanklich distanziert.

In der Schule hatten wir in der 12 oder 13 einen Holocaustüberlebenden eingeladen gehabt. Es war das erste mal gewesen, dass dieser Mann seine Erlebnisse deutschen Schülern erzählte (er war Belgier). Diese zwei Stunden saßen wir alle wie hypnotisiert da, und als er mit seiner Geschichte zuende war, herrschte Stille. Wir Schüler saßen - sofern wir nicht Tränen in den Augen hatten - regungslos da. Dann kam ein Satz, der mir - uns allen - tief ins Mark fuhr: "Es tut mir leid, aber ich kann euch Deutschen nicht vergeben."

Ich war damals schon rebellisch. Es gab nichts, was dieser Mann mir zu vergeben hatte. Aus seiner Sicht, war ich aber ein Produkt des Tätervolkes. Ich gehörte dazu.

Es mag jetzt zynisch klingen, aber die mediale Fixierung auf den Holocaust unterlegt für mich diese Tätervolkmentalität. Auch wenn ich als geschichtsinteressierter Mensch um jede gute 2.-WK-Doku dankbar bin und persönlich kein Problem mit einem noch größeren, hochwertigem Angebot an historischer Information hätte, bei der Mehrzahl der Menschen, mit denen ich bislang darüber geredet habe, kommen diese Dokumentationen nicht gut an. Es kommt ihnen vielleicht sogar als Strafe vor, am gemütlichen Feierabend Hitler auf dem Schirm haben zu müssen.

Subjektiv! schätze ich die Mehrzahl der Bevölkerung als mittlerweile Resistent gegenüber 3.Reichs-2.Weltkriegs-Dokus ein, bzw. sogar ablehnend. Am Stammtisch meine ich eine Sehnsucht nach Relativierung zu vernehmen. Nicht unbedingt die Relativierung des Ereignisses, sondern die Relativierung der Darstellungsintensität. Die "Eliten" sehen das i.d.R. anders. Jede Relativierung scheidet aus... ich wüsste in dieser Hinsicht sehr gerne die output-impact-Beziehung. Output ist X Sendungen pro Woche. Was ist die Wirkung? Bleibt mehr "hängen", als wenn es nur die Hälfte wäre? Ist die Gefahr von Rechts höher bei steigendem Ausstoß von Information?

Viel Schrieb, hoffentlich macht's Sinn.
 
Leopold Bloom schrieb:
Angriffskriege sind verboten! Selbst die Vorbereitung eines Angriffskriegs ist anzeigepflichtig, d.h. derjenige, der nicht anzeigt, macht sich strafbar. Und? Wer hat nun die Bundesregierung damals angezeigt als der Krieg gegen Jugoslawien losging?

Lieber Leopold,
daran kann man leider wieder einmal sehen. Wie doch Anspruch und Wirklichkeit meilenweit von einander entfernt sind.:rolleyes:
 
Pope schrieb:
Hätte eine Gegenfrage an Dich, HattoriH, da Du Dich damit vielleicht näher beschäftigt hast:

Kommt es mir nur so vor, oder ist das Thema "3.Reich" in den ÖR-Fernsehanstalten bei weitem dominanter/präsenter, als bei den Privaten?

Gäbe es überhaupt diese große "Sensibilität" für das 3.Reich, wenn es keine öffentlichen Sendeanstalten gäbe samt politisch motiviertem Bildungsauftrag?

Ich denke auf jeden Fall, dass die Beiträge bei den öffentlich rechtlichen auf jeden Fall bei weitem "ausgewählter" sind. Meist handelt es sich dabei um Dokumentarfilme oder Reportagen, wobei die Privaten auf nacherzählte Geschichten setzen, wie zB Biografien o.ä. Über die Qualität brauchen wir hier nicht zu diskutieren...
Deine zweite Frage beschäftigt mich z.Z. und wird mich weiterhin beschäftigen, näheres werde ich auf jeden Fall demnächst hier posten.
Entschuldige meine verspätete Antwort, aber ich kam in letzter Zeit wenig zum Schreiben :(

mfg hatto
 
HattoriH schrieb:
Naja, also das die Welle seit 60 Jahren andauert ist leider grundlegend falsch. Gerade in den 50er/60er Jahren hat kein Mensch daran gedacht alles, was auch nur ansatzweise mit Nationalsozialismus/Dem Dritten Reich zu tun hat irgendwie zu vermarkten. Die "mediale Welle", wie ich sie mal salopp genannt habe verbinde ich mit der "Vermarktung des Dritten Reichs"

Vermarktung hängt ja auch von der jeweiligen Marktsituation ab. In den Printmedien - Stern, Quick u.a. - war das Thema Nationalsozialismus auch schon in den 50er Jahren virulent.
Die Fischer-Taschenbücher z.B. erreichten mit dem Thema in den 50er Jahren viele Jugendliche. Mein Interesse wurde damals geweckt und hat mich bis heute nicht losgelassen.
 
Mercy schrieb:
Vermarktung hängt ja auch von der jeweiligen Marktsituation ab. In den Printmedien - Stern, Quick u.a. - war das Thema Nationalsozialismus auch schon in den 50er Jahren virulent.
Die Fischer-Taschenbücher z.B. erreichten mit dem Thema in den 50er Jahren viele Jugendliche. Mein Interesse wurde damals geweckt und hat mich bis heute nicht losgelassen.
Wobei da die Erinnerungen der einzelnen Landser im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses standen und man die Geschichten durchaus bereitwillig den Reaktionen der Leserschaft anpasste. (In der Publikation zur "Wehrmachtsaustellung" war ein sehr interessanter Artikel dazu.)
 
El Quijote schrieb:
Wobei da die Erinnerungen der einzelnen Landser im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses standen und man die Geschichten durchaus bereitwillig den Reaktionen der Leserschaft anpasste. (In der Publikation zur "Wehrmachtsaustellung" war ein sehr interessanter Artikel dazu.)

Ganz so war das nicht. Tabu waren sicher die Verbrechen der Wehrmacht ebenso wie der Justizapparat.
Der Rundfunk - damals noch alles öffentlich-rechtlich - griff ebenfalls "Tabu-Themen" auf. Eugen Kogon und Alfred Andersch fallen mir auf Anhieb ein.
 
Seres schrieb:
Den Umgang mit dem 3. Reich heutzutage? Nun wirds aber langsam Politisch.

Kleiner Tip: Schau dir den neuen §130 StGB an, glaube Abs. III oder IV. Oder den Kulturalismus als Rassismus ohne Rassen. Ich denke, das macht doch deutlich, dass man heute noch mit den Auswirkungen des 3. Reichs zu kämpfen hat.

Zum Thema 3. Reich in den Medien:
Ich glaube, jedem ist aufgefallen, wie das 3. Reich in den Medien, vorallem den öR, aufbereitet werden. Sogar Doku-Spielfilme wie "Der Untergang" oder "Speer und er" im öR, die privaten bringen das Thema auch in Spiegel TV/what ever (zwar mit geringerem Stellenwert) doch stehen hier die Kriegs- Spielfilme im Vordergrund, wie z.B. "Band of Brothers" oder auch "Hitler-Der Aufstieg des Bösen"

Es geht sogar so weit, dass in Diskussionen in Foren bezgl. des dt. Patriotismus, der Leitkulturdebatte und der Diskussionen über die Kampagne "Du bist Deutschland", weiter in der Diskussion über straffällig gewordene Ausländer ab einem gewissen Punkt bei den meisten Teilnehmern die Rechtfertigung kommt "... ich bin aber kein Nazi". Zeigt doch, wie aktuell das Thema doch ist, auch wenn man damit schon gesättigt ist.

Gesättigt ist gar kein Ausdruck! Bis zum "Spucken" haben wir inder Schule das Thema durchgekaut damals - Schulabgang 1992. Bei einigen Schülern habe ich sogar eine Trotzreaktion bemerkt. Eine andere Art Vergangenheitsbewältigung fand damals in der DDR statt. Aber auch das blosse Ignorieren hat nicht gefruchtet. Trotz sozialistischer Brüderlichkeit wurden die Schwarzen und Viatnamesen diskreminiert. Man hatte also nichts dazugelernt.
 
Seldschuk schrieb:
Eine andere Art Vergangenheitsbewältigung fand damals in der DDR statt. Aber auch das blosse Ignorieren hat nicht gefruchtet.
Fällt das Anbieten von Gedenkstättenbesuchen wie z.B. Buchenwald (was durch die meisten auch wahrgenommen wurde) für dich auch unter Ignorieren?
 
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