@ Berona:
Ich hatte gehofft, daß du bald mal wieder mitmischst. Du sprichst berechtigter Weise von den verschiendensten Untergruppen, wobei ich fast den Überblick verliere. Ich beginne daher mit deinen allgemeinen Feststellung bezüglich der Franken:
Wir haben (wenigstens) zweierlei Franken. Sollte man nicht richtiger Weise sagen, die eigentlichen Franken im Reich (als Föderaten) und die sogenannten Franken am und östlich vom Rhein?! Genau dies ist das Problem! Wir haben es folgedessen nicht mit einer zielgerichteten gradlinigen Ethnogenese zu tun, sondern mit einem komplexen Vorgang. [...] Wie Muspili sagt, es gibt zweierlei Franken oder besser vielerlei. Doch ist das möglich? Bezeichnen wir dann nicht unterschiedliche Gruppen mit dem selben Namen, obwohl wir sie nicht so bezeichnen dürften?
Zur zielgerichteten gradlinigen Ethnogenese erst einmal eine Analogie:
Wenn man in der Psychologie beispielsweise von „Genese“ spricht, kann man zwar in der strukturellen Betrachtung gewissen Finalitäten identifzieren, worauf die Entwicklung hinauslaufen soll, beispielsweise Ausbildung der Großhirnrinde und ihrer Verschaltung, oder Überwindung des kindlichen Egizentrismus, oder auch Aufgabe des Ödipuskomplexes. Aber inhaltlich werden diese Entwicklungsstufen niemals gradlinig erreicht.
Ich denke, daß es nur komplexe Ethnogenesen geben kann und aufgrund der Komplexität des Vorganges bin ich auch der Auffassung, daß man vielleicht doch nach einem Stammeskern suchen sollte und diesen sehe ich vorläufig in einem postulierten Zusammenschluß der Sugambrer mit den Usipiern und Tenkterern: Wohl nicht alle Fachleute scheinen sich darüber geeingt zu haben, daß sich das Schicksal der Sugambrer in nachaugusteischer Zeit erübrigt, nachdem sie noch unter Augustus von Tiberius als Cugerner im linksrheinischen Gebiet angesiedelt wurden - entsprechend stufen z. B. Pohl (2004) und Geary (1988/1986) den Stammesnamen als Reminiszenz ein -, während man im Rechtsrheinischen noch von Usipiern und Tenkterern in nachteciteischer Zeit. hört, was als ein negativer Nachweis meine Hypothese widerlegen würde. Allerdings habe ich Périn – wie selbstverständlich - gelesen, daß die Sugambrer zu den den Stämmen gehörten, die im 3. Jahrhundert die fränkische Konföderation bildeten; zudem erwähnt Pohl beiläufig – leider ohne Quellenangabe – daß man Franken im 4. Jahrhundert eben auch „in antikisierender Weise“ als Sugambrer bezeichnete.
Da ich gerade diese Hypothese erwähne:
@ MEROWECH, der sie ähnlich vertritt; während ich nach tatsächlicher Stammestradition suchen möchte, zäumst du meiner Ansicht nach das „trojanische“ Pferd von hinten auf. Ich kam auch über die Titulierung Chlodwigs als Sigambrer auf die Überlegung, daß die Franken von ihnen irgend abstammen müssen. Du scheinst dich aber dann in deiner Argumentation auf den Artikel in der Wikipedia „Sugambrer“ zu beziehen, der mir in bezug auf den dort angeführten kursiven Einschub mit der Erwähnung Francios (Vater Genobauds - und demnach Großvater Pharamonds?) als sehr unzuverlässig erscheint. Es ist eine Darstellung, die Angaben der sowieso schon suspekten Fredegar-Chronik, deren Verfasser dort als „burgundischer Mönch“ (!) vorgestellt wird, mit denen mindestens einer namentlichen nicht genannten Quelle kompiliert.
Wieder @ BEORNA:
Ich stelle einfach mal erst noch eine Frage zu einem Beitrag aus einem Thread über die Merowinger: Wie kamst du eigentlich auf die Idee, daß die Vorfahren der Merowinger möglicherweise in eine angesehene sugambrische Familie einheirateten und dadurch das Namenssuffix –mer(o)- erbten?
Aber zurück zu deinem Beitrag:
Ich denke, daß wir auf jeden Fall von den Franken sprechen können oder vorläufig müssen; dazu müssen wir natürlich klären, ab wann wir welche Gruppen als Franken bezeichnen können. Schon allein diese Frage bereitet Probleme, weil es anscheinend die unterschiedlichsten Überlieferungen gibt, die den Frankennamen erwähnen, aber zugleich auch Stammesnamen, von deren fränkischer Zugehörigkeit wir heute ausgehen.
Über Ammianus Marcellinus habe ich beispielsweise gelesen, daß er sowohl Franken als auch Chamaven erwähnt und die Hattuarier schon den Franken zuschlägt. Im Anschluß an Sulpicius Alexander erwähnt Gregor von Tours neben den Chamaven noch die Amsivarier, Brukterer und Chatten. Die Vermutungen bezüglich der anderen Stämme – neben den weiter oben schon genannten z. B. die Tubanten und Chauken - scheinen meist moderne und mehr oder weniger plausible Überlegungen zu sein. Die Mattiaker wurden hier im Thread ja auch mal erwähnt. Ich finde es mittlerweile spannend doch auch über die Marser oder sogar Cherusker nachzudenken, auch wenn sie schon sehr viel früher aus den Überlieferungen verschwinden, denn nach antiker Überlieferung – wenn ich das richtig verstehe – wurden die Brukterer von Nachbarstämmen (Chamaven u. Angrivarier), bis zum beginnenden 2. Jahrhunderts aufgerieben. In diesem Zusammenhang erwäge ich, daß sich die protofränkischen Stammesverbände auch immer schon verschiedene Gaue splittete, analog zur keltischen Volksstammorganisation, die die Germanen sowieso am Niederrhein kennenlernten:
Alexander Demandt (Die Kelten):
„Das unklare Verhältnis zwischen Stamm und Gau beruht darauf, daß der Volksbegriff in der Antike mehrschichtig, der Volksname mehrdeutig sein konnte. [...] Großstämme werden teils mit geographischen Namen [...] bezeichnet, teils nach den vorherrschenden Einzelstämmen [...], teils nach einer Variante des Volksnamens [...]. Eine derartige Mehrschichtigkeit kennen wir ebenso von den Germanen, wo die [...] Franken zur Zeit Ammians derartige Stammesverbände mit eigenen Teilstämmen bilden. Gelingt es einem von diesen, die Vorherrschaft zu erringen, sinken die anderen zu Gauen herab.“
Die Chamaven wurden schon von Tacitus erwähnt; und bildeten ihre Vorherrschaft im östlichen Gelderland und westlichen Münsterland gegenüber den Brukterern aus, bevor sie zu Franken wurden; bewahrten vielleicht zunächst ihren Namen als fränkischer Gau - weiß jemand von euch, wann das sog. Lex Francorum Chamavorum kodifiziert wurde? - und übertrugen ihn zudem auf die von ihnen besiedelte Landschaft (Hamaland um Deventer an der Yssel). Ähnlich konnte sich dabei vielleicht auch ein Reststamm der Brukterer erhalten und als Gau im fränkischen Stammeverbund aufgehen.
Allerdings ist das kein großer Fortschritt, geben aber vielleicht etwas Aufschluß über BEORNAs Aussage:
Erst nach dem Einfall ins linksrheinische verschwinden die Völkernamen vieler gentes. Zudem ist ihre gentile Zuordnung nicht mehr zu erkennen. Zudem werden fränkische Gruppen immer wieder geschlagen, umgesiedelt und erneut zu Eroberern, so daß der ursprüngliche gentile Hintergrund völlig zu verschwinden scheint.
Wir haben zum einen die toxandrischen Föderaten, die Salier. Sie scheinen in Verbindung zu stehen mit den Chamaven, was letztlich aber nicht sicher ist. Dann haben wir die rechtrheinischen "Franken". Sie erscheinen in den Quellen lange unter eigenen Namen (übrigends wie bei den "sächsischen" Seeräubern). [...] Zur Zeit Chlodwigs haben wir dann mehrere fränkische Blöcke. Unter ihm und unter seinen "Verwandten" die salischen Franken, dann die unter diesem Namen erst später erwähnten Ripuarier, besser rheinischen Franken und dann noch die Rhein-Mosel-Franken. Dazu halt noch die rechtsrheinischen "Frankenreste" der Borachtrer, der Chatten? und ganz vergessen, die niederrheinischen Hetware.
Ich würde gerne wissen, wer diese „Hetware“ sind und würde übrigens immer noch gerne erfahren, warum niemand die Frage beantworten kann, in welcher Quelle überhaupt die Hasuarier genannt werden. Und wo ich schon dabei bin, @ BEORNA: wer sind eigentlich die „Hugonen“?
Immer noch @ BEORNA: Was hälst du eigentlich von der Springerthese der Nichtexistenz eines salischen Teilstammes? Außerdem betrachtet man die Bezeichnung „Ribuarier“ – hier folge ich Geary & Périn – als anachronistisch, die ja erst nach Gregor von Tours in den Quellen erscheint. Da übrigens @ Ashigaru: auch der Begriff der „Francia Rhinensis“ ist späteren Datums – das habe ich bei Pohl gelesen. Wie dem auch sei, hiermit beende ich meinen Beitrag.