Wie ist das Fehlen von Iuvavum und Solva bei Ptolemaios zu erklären?
Eine gängige Hypothese besagt, das (sonst nirgends bekannte) "Claudivium" sei eine Verschreibung für "Claudium Iuvavum". In der Tat ist "Claudivium" eine sehr merkwürdige und (wenn man keine Verschreibung annimmt) schwer erklärbare Namenform.
Die Identifikation Claudivium=Iuvavum wird bei Kleineberg et al. hauptsächlich mit folgendem zirkelschlüssigen Argument abgelehnt:
"Gegen eine Gleichsetzung von Claudivium mit Iuvavum/Salzburg spricht jedoch vor allem die von Ptolemaios angegebene Lage dieses Ortes in unmittelbarer Donaunähe."
Kleineberg et al. bezweifeln, dass Iuvavum tatsächlich
Claudium Iuvavum geheißen hat, mit der Begründung, diese Form sei literarisch und inschriftlich nicht belegt. Das ist inzwischen widerlegt, es gibt einen Inschriftenfund, der die Form bezeugt:
"Die ersten vier Zeilen bieten keine Lese- und Verständnisschwierigkeiten. Der Grabstein ist an erster Stelle einem P. Seppius Severus gesetzt worden, der decurio und duumvir des Munizipiums Claudium Iuvavum war."
A. Krammer/B. Steidl, Ein neues Grabmonument für einen decurio et duumvir des municipium Claudium Iuvavum aus Chieming. Bayerische Vorgeschichtsblätter 82, 2017, 111-137
Da nun die Namenform gesichert ist, hat sich die gängige Hypothese bestätigt.
Ich gebe einen kurzen Gesamtüberblick über die norischen Siedlungsnamen. Zunächst nach der Sortierung bei Kleineberg et al. nach der Sicherheit der Identifkationen:
"unsicher"
6 Claudivium (Wallsee)
7 Gabavodurum (bei St. Pölten)
8 Gesodunum (bei Steyr)
9 Bedacum (bei Strass im Zillertal)
11 Vacorium (Treffen)
15 Idunum (Gurina)
"wahrscheinlich"
5 Arelate (bei Linz)
"sicher"
10 Aguntum (Dölsach)
12 Poedicum (Bruck an der Mur)
13 Virunum (Zollfeld)
14 Teurnia (St. Peter in Holz)
16 Sianticum (Villach)
17 Celeia (Celje)
18 Iulium Carnicum (Zuglio)
Wie bereits oben erwähnt, ist Bedacum sehr wahrscheinlich mit Bedaium gleichzusetzen (und damit bei Seebruck am Chiemsee zu lokalisieren). Außerdem Vacorium mit Vocarium (nicht genau lokalisierbar, aber gemäß der Peutingertafel nach Salzburg und Kuchl die nächste Station, also ca. 25 km südlich von Kuchl zu suchen.
Dass die Lokalisierung von Arelate auf der Peutingertafel (zwischen dem Ybbsübergang und Traismauer) von den Autoren schlichtweg unterschlagen wird, hatte ich auch bereits erwähnt.
Wenn ich die unsicheren Identifikationen ausklammere und das sicher identifizierte Claudium Iuvavum sowie die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu identifizierenden Orte Bedacum, Vacorium und Arelate berücksichtige, ergibt sich folgendes Bild
5 Arelate (Pöchlarn): von Ptolemaios falsch lokalisiert
6 Claudivium (Salzburg): von Ptolemaios falsch lokalisiert
9 Bedacum (Seebruck): von Ptolemaios falsch lokalisiert
11 Vacorium (ca. Pfarrwerfen): von Ptolemaios falsch lokalisiert
10 Aguntum (Dölsach): von Ptolemaios falsch lokalisiert
12 Poedicum (Bruck an der Mur)
13 Virunum (Zollfeld)
14 Teurnia (St. Peter in Holz): von Ptolemaios falsch lokalisiert
16 Sianticum (Villach)
17 Celeia (Celje): von Ptolemaios falsch lokalisiert
18 Iulium Carnicum (Zuglio)
Das heißt: In einem Gebiet, das von römischen Straßen mit Meilensteinen und Meilenangaben durchzogen war, hat Ptolemaios fast ein Drittel der Orte mit Sicherheit oder wahrscheinlich falsch lokalisiert.
Wie mag das auf dem Gebiet der Germania Magna aussehen, wo es keine römischen Meilensteine gab und wir keine einzige sicher identifizierbare Siedlung haben?