Die Erben von Byzanz heute

Ja, nicht »zwingend«. Doch verallgemeinern lässt sich die frühere Vorliebe für Moscheen ohne Kuppel nicht.

"Nicht zwingend" ist quasi das Ggt. von einer Verallgemeinerung.
Noch mal zu Erinnerung: Carolus und du spracht über Zentralkuppelbauten wie wir sie in Europa für Moscheen als natürlich ansehen. (Eine Madrasa ist im Übrigen keine Moschee.) Daher auch meine Hinweise zur Herkunft des Wortes, es geht einfach nur darum, einen Raum, der geeignte fürs Gebet ist zu schaffen.
 
"Gekauft"? Es wurde tatsächlich dafür bezahlt?
Und im 6. Jhdt. stand Damaskus noch unter byzantinischer Herrschaft. Die Umwandlung erfolgte im frühen 8. Jhdt.

Da hast Du recht, ich habe mich beim Jahrhundert vertippt (6 und 8 liegen gewissermassen gegenüber) :red:. Aber auch nach der islamischen Eroberung von Damaskus wurde das Gebäude weiter als Kirche benutzt. Als al Walid die Kirche zur Moschee umbaute, hat er die Christen aber nicht einfach enteignet sondern sie entschädigt (abgekauft).
U.a. auch gemäss Wikipedia soll die Moschee (eine der ältesten überhaupt) als Vorbild für Moscheen des Baustils "Basilika" gedient haben.
 
Es stellt sich die Frage, was du mit "wohl weitgehend islamisiert und turkisiert" genau meinst. Man darf nicht vergessen, dass die heutige demografische Lage Kleinasiens erst Ergebnis von Ereignissen der letzten Jahrhunderte ist und bei der Eroberung Konstantinopels 1453 die Situation wohl eine andere war.

Im 15. Jh. - also etwa 300 Jahre nach der Besetzung Kleinasiens durch Turkstämme - gab es abgesehen von wenigen Enklaven keine byzantinisch-christliche Bevölkerung mehr. Komversion zum Islam und Assimlierung hatten zu einer Turkisierung der altansässigen Bevölkerung geführt.

Ausgenommen davon waren griechischsprachige Gebiete an der Ägäis- und Schwarzmeerküste sowie anderssprachige Völker im Südosten Kleinasins wie z.B. Armenier oder Kurden.
 
Im 15. Jh. - also etwa 300 Jahre nach der Besetzung Kleinasiens durch Turkstämme - gab es abgesehen von wenigen Enklaven keine byzantinisch-christliche Bevölkerung mehr. Komversion zum Islam und Assimlierung hatten zu einer Turkisierung der altansässigen Bevölkerung geführt.

Dann müsste sich die Turkisierung in ihrer letzten Phase sehr rapide vollzogen haben, denn im 14. Jahrhundert bildeten die muslimischen Türken noch eine Minderheit.
 
Schätzungen zur Folge wurden zwischen 1908 und 1923 600'000 Griechen vertrieben. Nach dem Sieg der modernen Türkei über Griechenland 1923 wurden im Rahmen des im Vertrag von Lausanne festgeschriebenen "Völkeraustausch" 1,2 bis 1,5 Millionen Griechen ausgesiedelt. Mit "Griechen" waren griechisch-sprachige orthodoxe Christen gemeint - eine kleine Minderheit bestand aus türkisch-sprachigen orthodoxen Christen.
Die betroffenen Griechen stammten nicht nur von der Ägais-Küste sondern auch zu einem nicht geringen Teil aus Zentralanatolien.
Man darf also getrost davon ausgehen, dass unmittelbar vor dem Ausbruch des 1. Weltkriegs noch rund 2 Millionen Griechen im Gebiet der heutigen Türkei lebten. Ich kann mir jetzt nicht so recht vorstellen, dass der Anteil der Griechen bereits im 15. Jahrhundert im Gebiet der heutigen Türkei (im Verhältnis) ähnlich niedrig oder noch niedriger gewesen sein soll.
 
Dann müsste sich die Turkisierung in ihrer letzten Phase sehr rapide vollzogen haben, denn im 14. Jahrhundert bildeten die muslimischen Türken noch eine Minderheit.

Das von mir sehr geschätzte Lesikon des Mittelalters vermutet unter dem Schlagwort Turkmenen, dass im 11. Jh. 500 000-700 000 Turkmenen nach Kleinasien wanderten und sich deren Zahl im 12. Jh. auf etwa 1 Million erhöhte.

Angenommen, diese Zahlen sind in etwa korrekt. Das bedeutet, dass sich diese Turkmenen nach Maßgabe aller Osmanisten ausschließlich in Anatolien ansiedelten. Dieses Gebiet war nicht nur siedlungsarm, sondern kam der Lebensweise der nomadischen Turkmenen sehr entgegen.

Kleinasien besteht allerdings nicht nur aus Anatolien. Und noch im 13. Jh. nahm das byzantinische Kaiserreich Nikaia nahezu die ganze Westhälfte Kleinasiens ein und war - anders als Anatolien - dicht besiedelt. Auch das byzantinische Kaiserreich Trapezunt existierte noch im 13. Jh. in einem schmalen Streifen an der Nordküste des Schwarzen Meers, auch wenn es wenig politische Bedeutung besaß.

Man kann nun eine ganz einfache Rechnung aufmachen. Nach dem allseits bekannten Ploetz "Raum und Bevölkerung in der Weltgeschichte" hatte Kleinasien im 15. Jh. 6 Millionen Einwohner. Mag es also im 12. Jh. 3 Millionen Einwohner gezählt haben, so machten die 1 Million Turkmenen rund 1/3 der kleinasiatischen Bevölkerung aus.

Diese altbyzantinische christliche Bevökerungsmehrheit wurde im Lauf einiger Generationen turkisiert. Zurück blieben Minderheiten, die ihre sprachliche und kulturelle Identität wahrten: Armenier, Griechen, Kurden und viellicht noch einige andere kleine nichttürkische Splitter.

Wann genau die altansässige Bevölkerung Kleinasiens turkisiert war, lässt sich heute nicht mehr genau sagen.
 
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Kleinasien besteht allerdings nicht nur aus Anatolien.

Anatolia (from Greek Ἀνατολή, Anatolḗ – "east" or "(sun)rise"; in modern Turkish: Anadolu), in geography known as Asia Minor (from Greek: Μικρὰ Ἀσία Mīkrá Asía – "small Asia"; in modern Turkish: Küçük Asya), Asian Turkey, Anatolian peninsula, or Anatolian plateau, is the westernmost protrusion of Asia, which makes up the majority of modern-day Turkey.
 
Ich kann mir jetzt nicht so recht vorstellen, dass der Anteil der Griechen bereits im 15. Jahrhundert im Gebiet der heutigen Türkei (im Verhältnis) ähnlich niedrig oder noch niedriger gewesen sein soll.

Wikipedia zitiert die amtliche osmanische Statistik von 1910, demnach betrug der Anteil der Griechen 18,45%.

https://de.wikipedia.org/wiki/Griechenverfolgungen_im_Osmanischen_Reich_1914–1923

Im 16. Jahrhundert muss der Anteil der (christlichen) Griechen aber tatsächlich schon ziemlich niedrig gewesen sein. Speros Vryonis* kommt anhand der osmanischen Steuerregister auf 92% Muslime und 7,9% Christen, dazu eine sehr kleine jüdische Minderheit.

Zu beachten ist, dass Sklaven in den Steuerregistern nicht erfasst wurden.


* The Decline of Medieval Hellenism in Asia Minor and the Process of Islamization from the Eleventh trhough the Fifteenth Century, Berkeley 1971, S. 445
 
Wikipedia zitiert die amtliche osmanische Statistik von 1910, demnach betrug der Anteil der Griechen 18,45%.

https://de.wikipedia.org/wiki/Griechenverfolgungen_im_Osmanischen_Reich_1914–1923

Im 16. Jahrhundert muss der Anteil der (christlichen) Griechen aber tatsächlich schon ziemlich niedrig gewesen sein. Speros Vryonis* kommt anhand der osmanischen Steuerregister auf 92% Muslime und 7,9% Christen, dazu eine sehr kleine jüdische Minderheit.

Zu beachten ist, dass Sklaven in den Steuerregistern nicht erfasst wurden.


* The Decline of Medieval Hellenism in Asia Minor and the Process of Islamization from the Eleventh trhough the Fifteenth Century, Berkeley 1971, S. 445

Das ist natürlich ein Argument. Allerdings müsste man sich Christen wahrscheinlich zusammengesetzt aus Griechen und Armeniern vorstellen, was dann noch einmal eine kleiner Bevölkerungsanzahl für die Griechen erägbe. Die 0,1 Steuern wären dann wohl bei den Juden zu suchen ?

Andererseits: Wenn die Steuerregister nicht räumlich selektiv - d.h. beschränkt auf das Gebiet der heutigen Türkei - ausgewertet worden sind, wäre die Zahl weniger aussagekräftig. Im 16. Jahrundert bestand das Osmanische Reich in etwa aus der heutigen Türkei, dem Balkan (der wurde bei der Untersuchung wohl ausgepart, denn das hätte sicher einen grösseren Christenanteil gegeben), Mesopotamien, Irak, Palästina, Ägypten und Nordafrika.

Zudem: Zwar wurde m.W. die "Knabenlese" am intensivsten auf dem Balkan betrieben, aber eben auch z.B. in Anatolien. D.h. es müsste also noch eine relevante Anzahl von Christen dort gelebt haben. Sonst wäre in Anatolien kaum ein Knabenzins erhoben worden.
 
Andererseits: Wenn die Steuerregister nicht räumlich selektiv - d.h. beschränkt auf das Gebiet der heutigen Türkei - ausgewertet worden sind

Das hatte ich nicht eigens geschrieben, aber die ausgewerteten Steuerregister beziehen sich natürlich auf die anatolischen Provinzen.

Den höchsten christlichen (griechischen und armenischen) Anteil hatte die Provinz Rum: https://en.wikipedia.org/wiki/Rûm_Eyalet

In der Stadt Sivas gab es noch eine christliche Bevölkerungsmehrheit, in Tokat war der christliche und muslimische Bevölkerungsanteil etwa gleich.
 
Das hatte ich nicht eigens geschrieben, aber die ausgewerteten Steuerregister beziehen sich natürlich auf die anatolischen Provinzen.

Den höchsten christlichen (griechischen und armenischen) Anteil hatte die Provinz Rum: https://en.wikipedia.org/wiki/Rûm_Eyalet

In der Stadt Sivas gab es noch eine christliche Bevölkerungsmehrheit, in Tokat war der christliche und muslimische Bevölkerungsanteil etwa gleich.

Es wollte mir nicht einleuchten, weshalb der griechische Bevölkerungsanteil bereits im 16. oder sogar im 15. Jahrhundert so klein gewesen sein soll - aber Steuerregister lügen meist nicht (trotz Manipulationsversuche der Besteuerten) Als Erklärung hierfür eine massenweise Konversion und die Knabenlese heranziehen, überzeugen aber (mich) nicht.

Ich stand jetzt aber tatsächlich auf der Leitung: Die Rum-Seldschuken haben Anatolien ja bereits nach Manzikert im 11. Jahrhundert erobert und das römische Sultanat gegründet. Eine Abnahme der griechischen Bevölkerung dürfte bereits damals - rund 300 Jahren vor den Osmanen - eingesetzt haben. Das würde die Sache jedenfalls befriedigend erklären.
 
Es wollte mir nicht einleuchten, weshalb der griechische Bevölkerungsanteil bereits im 16. oder sogar im 15. Jahrhundert so klein gewesen sein soll

Im Verlauf von rund 300 Jahren waren große Teile der altansässigen Bevölkerung Kleinasiens vom Christentum zum Islam konvertiert. Das brachte eine Menge von Vorteilen, denn damit waren sie nicht mehr Bürger zweiter Klasse: besserer Gerichtsstand, Fortfall der Kopfsteuer, problemloser Aufstieg in höchste Positionen in der Verwaltung und im Militär.

Mit der Konversion zum Islam erlosch im Verlauf mehrerer Generationen die griechische Identität. Wie Sepiola oben schon schrieb, waren nach den Steuerlisten im 16. Jh. nur noch rund 7% der Bevölkerung Griechen.

Anders sah das auf dem Balkan aus, den das Osmanische Reich im 14./15. Jh. erobert hatte. Die Balkanvölker blieben in ihrer überwiegenden Mehrheit sowohl beim Christentum als auch bei ihrer Sprache und ethnischen Identität. Muslimisch wurden lediglich Bosniaken und der größte Teil der Albaner.
 
...aber Steuerregister lügen meist nicht ...

Die Frage ist jedoch, worüber sie Auskunft geben (Steuerzahler ./. Gesamtbevölkerung) und wie verlässlich Steuerregister aus dem 16. Jh. sind, wenn selbst amtliche Statistiken des 21. Jh. nicht genau sind (s. Zensus 2011: Deutschland hatte plötzlich 1,5 Mio Einwohner weniger). Leider liegt mir das von Sepiola zitierte Buch nicht vor. Die grundsätzliche Aussage, dass Anatolien bereits früh mehrheitlich muslimisch war, bestreite ich nicht. Darum ging es auch nicht, sondern um das "wohl weitgehend islamisiert und turkisiert". Ob jeder Muslim türkisch war, ist eine weitere Frage.
 
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Da Ethnische Punkte, wie in diesem Thread schon beschrieben völlig ausgeschlossen sind, bleiben somit nur noch kulturelle, religiöse, sprachliche und Gesichtspunkte der Eigenwahrnehmung. Lässt man zusätzlich noch politische Gründe weg, leuchtet es mir beim besten Willen nicht ein, dass es einen legitimeren Erben als den Staat Griechenlands geben soll.

Mir ist kein anderes Volk bekannt, welches sich selbst mehr als Nachfahren des Oströmischen Reiches wahrnimmt. Es ist mir nicht bekannt, dass in einem anderen Land am Tage des Falles von Konstantinopel die Kirchenglocken geläutet werden. Kein anderer Staat führt die offizielle Amtssprache weiter. Auch die religiösen Bräuche werden dort noch am stärksten ausgetragen.

Russland könnte mit Biegen und Brechen noch als nächstmöglicher Erbe angesehen werden. Da hört es dann ehrlicherweise aber auch schon auf. Vor allem die Türken bzw. die Osmanen als möglichen Erben anzusehen ist ein Affront an allem für was das Oströmische Reich überhaupt einst gestanden hat.
 
Natürlich muss es keinen geben. Ich bin nun aber davon ausgegangen, dass wir das naheliegendste suchen.

Du hast Recht der Name knüpft ganz bewusst nicht an dieses Thema an. Das war so aber nicht von allen Verantwortlichen gedacht. Ein großer aber nicht einziger Faktor dafür waren letztendlich auch die Siegermächte, welche kein Interesse daran hatten ein solches Konstrukt wie es Ostrom war in Zeiten des Nationalismus wieder aufkeimen zu lassen. Dss änderte lange Zeit trotzdem nichts an der Selbstwahrnehmung. Viele Griechen nannten sich bis ins 20. Jahrhundert noch Ρομαιοι (Romaioi). Meines Wissens tun dies sogar noch einige kleinere Gemeinden.

Die Türkei nennt sich ja auch nicht mehr Osmanisches Reich. Seinen "Erben" würden wir aber wohl zurecht eher dort suchen.
 
Hat die Form der Hagia Sophia nicht den osmanischen Moscheenbau nachhaltig beeinflusst?
Ein großer Anteil der Türkeitürken dürfte eine eine Bevölkerung zurückgehen, die wir als byzantinisch bezeichnen würden. Sogar mehr “byzantinische“ als „türkische“ Vorfahren haben. Sie sind Muslime, sprechen Türkisch und fühlen sich als Türken (und wären mitunter vielleicht sogar beleidigt, wenn sie hörten, sie gingen auf „Byzantiner“ zurück). So setzen sich in der türkeitürkischen Kultur byzantinische Traditionen fort. Und insofern sind die Türken, auch wenn sie sich als Eroberer des byzantinischen Reiches fühlen, auch ein Erbe des byzantinischen Reiches. Unabhängig davon, ob das Türken oder Griechen in den Kram passt, oder nicht. Das ist nationalchauvinistische Blödheit.
 
Hat die Form der Hagia Sophia nicht den osmanischen Moscheenbau nachhaltig beeinflusst?
Ein großer Anteil der Türkeitürken dürfte eine eine Bevölkerung zurückgehen, die wir als byzantinisch bezeichnen würden. Sogar mehr “byzantinische“ als „türkische“ Vorfahren haben. Sie sind Muslime, sprechen Türkisch und fühlen sich als Türken (und wären mitunter vielleicht sogar beleidigt, wenn sie hörten, sie gingen auf „Byzantiner“ zurück). So setzen sich in der türkeitürkischen Kultur byzantinische Traditionen fort. Und insofern sind die Türken, auch wenn sie sich als Eroberer des byzantinischen Reiches fühlen, auch ein Erbe des byzantinischen Reiches. Unabhängig davon, ob das Türken oder Griechen in den Kram passt, oder nicht. Das ist nationalchauvinistische Blödheit.

Das hat nichts mit "Nationalchauvinismus" sondern mit einfachem Bewerten von Kriterien zu tun.
 
Hat die Form der Hagia Sophia nicht den osmanischen Moscheenbau nachhaltig beeinflusst?


In der Tat:

Die typische osmanische Kuppelmoschee geht auf die Hagia Sophia, also auf byzantinische Architektur zurück. Das war eigentlich nie bezweifelt worden. Aber daneben gibt es ja noch zich andere Moscheetypen in der islamischen Welt. Oder verstehe ich nicht ganz, worauf Deine Frage abzielt? :grübel:
 
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