Die Gründe des Wahnsinns römischer Kaiser

Das und nichts anderes schreibt auch Heuss.

Zum einen ist ja Heuss nicht unbedingt eine unumstrittene Figur.

Zum anderen ändern auch deine Ausführungen nichts daran, sondern bestätigen, dass er eben mit weiten Teilen des Senats verfeindet war. Wir, die wir nur über senatorische Quellen verfügen, also mit diesen Quellen äußerst vorsichtig umgehen müssen.
All das erwähnte kann zutreffen, kann aber auch völlig aus der Luft gegriffen sein, die einseitigen Quellen helfen da nicht wirklich weiter.
 
Was genau passierte in Hadrians letzten Jahren? Nach dem Bar-Kochba-Aufstand erkrankte er schwer und schottete sich ab jetzt in seiner Tivoli-Villa ab. Er adoptierte den jungen Senator (L. Ceionus Commodus), 3 eigene Verwandte wurden dafür "aus dem Weg geräumt" (was bedeuten kann, dass sie ihre Ämter verloren oder ihr Leben, doch das kann ich nicht beurteilen). Aber sein Favorit starb bald, daher favorisierte Hadrian den erst 17j Marcus Aurelius, nahm aber den Antoninus Pius als Nachfolger und zwang diesen, Marc Aurel und Lucius Verus (Sohn des Commodus) zu adoptieren.
Hadrian hatte also seine Nachkommenschaft geregelt - wie sich herausstellte, sehr vorausschauend - und hatte dabei, was mögliche Gegenkandidaten betrifft, genausowenig Skrupel walten lassen wie zu der Zeit, als er an die Macht kam.
Ich nenne das Machtpolitik und keineswegs "Cäsarenwahn". (Auch sein heute noch bestehendes Grabmal zeigt dieses Gefühl für Macht.)
 
Folgt man Wiedemeister wurde der französische Begriff "manie imperiale" zuerst von dem französischen Historiker Franz de Champagny 1841 verwendet.
 
Bei der Römischen Geschichte von Heuss muss man aber noch berücksichtigen, dass seit 1983 nur der Forschungsüberblick verändert, bzw. ergänzt wurde, während die Darstellung von Bleicken, Dalheim und Gehrke übernommen wurde. Zwar lohnt es immer noch, die Darstellung zu lesen, wie ja auch viele andere Römische Geschichten ikonisch sind, aber der eigentliche Star ist eben heutzutage der Forschungsüberblick. Ja, auch die großen Linien bleiben und die betrachteten Verbindungen können sowieso nur eine Auswahl sein, was es in gewisser Weise zeitlos macht. Während das Werk also schon wegen des Forschungsüberblick Pflichtlektüre bleibt*, ist es bei Einzelfragen nolens volens doch etwas veraltet.

Wie auch immer dies für Hadrian beurteilt wird, zeigt die Konfrontation Hadrians mit dem Senat gegen Ende seiner Herrschaft doch die Funktionsweise des Mechanismus. Und er betrachtet die einzelnen Kaiser ja ausdrücklich unter dem "Thema 'Entwicklung des Prinzipates' ".

Allerdings geht er bezüglich des Threadthemas noch davon aus, "dass in jener, politisch sonst recht ungestörten Zeit und beim Fehlen einer monarchischen Tradition die Macht, welche das römische Kaisertum einem einzelnen verlieh, eben viel zu groß war, als dass ein Durchschnittsmensch oder noch weniger sich beiihrem Besitze im geistigen und seelischen Gleichgewicht halten konnte" und spricht noch vom Cäsarenwahn. Bezüglich "der Psychopathologie verweist er auf Albert Esser, Caesar und die Julisch-Claudischen Kaiser im biologisch-ärztlichen Blickfeld, Leiden 1958. Er sieht dies trotz aller Quellenkritik gegeben, schreibt hier also schon damals konservativ.

Dass Macht korrumpiert gehört nun zum Repertoire des 20. Jahrhunderts und wird auch heute trotz aller Gegenbeispiele noch gleichsam als Naturgesetz gewichtet nachgeplappert und seit 1958 sind über 60 Jahre vergangen.

Heute sehen wir doch wieder, dass die Kaiser individuell zu beurteilen sind, was Dahlheim auch in seiner Ergänzung des Forschungsüberblicks zur Kaiserzeit ausdrückt. Hinzu kommt, dass die Funktionsweise der senatorischen Geschichtsschreibung nicht mehr so einfach von der Hand zu weisen ist.

Und auch Heuss beurteilt die Kaiser ja letztendlich individuell, folgt aber mehr den Geschichtsschreibern als es heute üblich sein dürfte.

Und da ist es wieder, das alte Problem der Einschätzung. Da müssen wir heute auch zugeben, dass wir mehr auf Kritik hin getrimmt sind als die Generation, der Heuss (*1909) angehörte. Aber es sind eben auch die Mängel und Möglichkeiten der antiken Geschichtsschreibung weiter untersucht worden. Wenn wir heute 'wissen', das Propaganda weitgehend unkritisch übernommen wurde, müssen wir uns von Autoritäten lösen, für die dies so klar noch nicht feststand.

Mitunter werden auch die anderen Quellen zu wenig gegenüber den Geschichtsschreibern gewertet. Wir haben ja durchaus Inschriftlich überlieferte Äußerungen, etwa Reden von Hadrian und Claudius. Des Claudius Worte etwa entsprechen zwar tatsächlich nicht antiker Redekunst, dafür aber in etwa modernen professoralen Vorträgen und eben nicht dem unzusammenhängenden Gestammel eines Verrückten. Wir sehen klar, dass er einfach anders dachte und sprach als seine mit Stilübungen verbildeten Zeitgenossen. Sie werden ihn entsprechend schlecht verstanden haben. Nachdem Nero die Ablehnung seines Stiefvaters deutlich gemacht hatte, war die Art der Kritik vorgezeichnet, zumal zwar am Grad der körperlichen Unzulänglichkeiten des Kaisers gezweifelt werden kann, aber nicht an ihrer Existenz. Bis heute sind ja Vorurteile gegen die geistige Gesundheit körperlich Eingeschränkter geradezu endemisch vorhanden. Wir kennen das zudem aus unserer eigenen Zeit, wenn jemand jenseits üblicher politischer Redekunst und Worthülsen agiert. Da zeigt auch unsere angeblich so aufgeklärte Zeit eine Ablehnung der ratio zu Gunsten der Form. Heute kann es auch nicht mehr als grundsätzlich verdächtig gelten, Frauen Verantwortung zu übertragen, insbesondere für Claudius, dessen Bildung von Frauen statt wie üblich von Männern organisiert wurde. All das vor Augen müssen wir Claudius einfach anders beurteilen als Heuss, ohne dass diesen wirkliche Kritik treffen muss: Er arbeitete auf anderer Grundlage und schuf damit auch selbst neue Grundlagen.

Ich würde also weder sagen, dass er unkritisch wiederhohlt, noch dass er die Quellen richtig einschätzte.

* Für die, die ihn nicht gelesen haben: Er schrieb die Römische Geschichte samt Forschungsüberblick ausdrücklich (auch) für Laien und Studenten. Dadurch vermittelt er einen Überblick zur Forschungsdiskussion, der in solchen Geschichten schon zu seiner Zeit nicht mehr gegeben wurde, früher aber selbstverständlich war. So kann die Darstellung dem Zeitgeist entsprechend erfolgen, ohne dass bloß eine Geschichte erzählt wird. Durch die Ergänzungen zur Forschung wird dem Einsteiger immer noch eine erstklassige Hilfestellung gegeben.

P.S.: Oh, ich sehe gerade, dass es '83 nur ein Nachdruck der 5. Auflage war.
 
Zuletzt bearbeitet:
Eigentlich schrieb Quidde jedoch über den deutschen Kaiser Wilhelm II.
Eben deswegen hat er vor allem Negatives über bestimmte römische Kaiser betont und Positives unter den Tisch fallen lassen oder in einer Nebenbemerkung als nicht wirklich relevant abgetan.

Der Einfluss des Zeitgeistes und der persönlichen Positionierung des Historikers auf die Vergangenheit wie Gegenwart war und ist ein nicht zu unterschätzendes Problem. Zeugnisse davon gibt es auch in diesem Forum, in dem die gleichen Fakten mal mehr und mal weniger bis gar nicht beachtet und/oder gewichtet werden. Die sich teilweise diametral stehenden Beurteilungen der Geschichte sind so zu erklären, wie auch die Tatsache, dass mal die eine Seite Oberwasser bekommt und zur Lehrmeinung gerinnt, bis sich die Stimmung ändert und die andere Seite zu bestimmender wird.
 
Während das Werk also schon wegen des Forschungsüberblick Pflichtlektüre bleibt*, ist es bei Einzelfragen nolens volens doch etwas veraltet.
Ich finde das eine spannende Bemerkung. Welche Quellen zu den röm. Kaisern haben sich seitdem geändert? Vielleicht ein paar Münzfunde, eine Säuleninschrift o.ä., aber Wesentliches kam doch nicht hinzu.
Dann kann es doch nur die Interpretation sein, sprich: die Selektion der Quellen und ihre Bewertung, die heute als nicht mehr up-to-date empfunden wird.
Aber muss sich wissenschaftliche Geschichtsschreibung nicht einfach nur an die Fakten halten?
Der Einfluss des Zeitgeistes und der persönlichen Positionierung des Historikers auf die Vergangenheit wie Gegenwart war und ist ein nicht zu unterschätzendes Problem.
Ja, das scheint die Antwort zu sein. Ich finde das etwas traurig, vielleicht aber unvermeidbar.
Trotzdem, und da bin ich irgendwie stur, denke ich: man hat die Quellen vor sich, z.B. von Nero. So wahnsinnig viel gibt es ja nun auch nicht. Man kennt ihre Schwachstellen - oder ahnt sie wenigstens - und versucht nun, hieraus eine "Geschichte" zu basteln. Der eine mag Nero nicht und lässt gewissen Fakten unter den Tisch fallen, der andere mag ihn und stellt anderes heraus. Aber das hat doch eigentlich nichts mit wissenschaftlichem Vorgehen zu tun, eher mit Journalismus, denn der darf und soll ja seine Sicht vorbringen, der Wissenschaftler aber darf nicht seine Sicht darstellen, sondern die Tatsachen. Und die Bewertung überlässt er dann anderen.
 
Eben deswegen hat er vor allem Negatives über bestimmte römische Kaiser betont und Positives unter den Tisch fallen lassen oder in einer Nebenbemerkung als nicht wirklich relevant abgetan.

Der Einfluss des Zeitgeistes und der persönlichen Positionierung des Historikers auf die Vergangenheit wie Gegenwart war und ist ein nicht zu unterschätzendes Problem. Zeugnisse davon gibt es auch in diesem Forum, in dem die gleichen Fakten mal mehr und mal weniger bis gar nicht beachtet und/oder gewichtet werden. Die sich teilweise diametral stehenden Beurteilungen der Geschichte sind so zu erklären, wie auch die Tatsache, dass mal die eine Seite Oberwasser bekommt und zur Lehrmeinung gerinnt, bis sich die Stimmung ändert und die andere Seite zu bestimmender wird.

Ja, das scheint die Antwort zu sein. Ich finde das etwas traurig, vielleicht aber unvermeidbar.


Quiddes Schrift ist eine geniale politische Satire über Wilhelm II, die "wissenschaftliche Studie über Caligula" ist hier Maskerade.

Dieses Forum, in dem so gut wie keine Beiträge mit wissenschaftlichem Anspruch verfasst werden (es gibt einige Beitragsschreiber, die zumindest in der Argumentation versuchen, sich an wissenschaftliche Mindeststandards zu halten, während andere fröhlich darauf pfeifen) ist ebenfalls nicht mit Geschichtswissenschaft zu verwechseln.


Trotzdem, und da bin ich irgendwie stur, denke ich: man hat die Quellen vor sich, z.B. von Nero. So wahnsinnig viel gibt es ja nun auch nicht. Man kennt ihre Schwachstellen - oder ahnt sie wenigstens - und versucht nun, hieraus eine "Geschichte" zu basteln. Der eine mag Nero nicht und lässt gewissen Fakten unter den Tisch fallen, der andere mag ihn und stellt anderes heraus. Aber das hat doch eigentlich nichts mit wissenschaftlichem Vorgehen zu tun, eher mit Journalismus, denn der darf und soll ja seine Sicht vorbringen, der Wissenschaftler aber darf nicht seine Sicht darstellen, sondern die Tatsachen. Und die Bewertung überlässt er dann anderen.

Da hier Nero als Beispiel genommen wird: Mich würde interessieren, welche Historiker bezüglich Nero in wesentlichen Punkten gegensätzliche Standpunkte vertreten.
 
Dieses Forum, in dem so gut wie keine Beiträge mit wissenschaftlichem Anspruch verfasst werden (es gibt einige Beitragsschreiber, die zumindest in der Argumentation versuchen, sich an wissenschaftliche Mindeststandards zu halten, während andere fröhlich darauf pfeifen) ist ebenfalls nicht mit Geschichtswissenschaft zu verwechseln.
Das ist richtig. Aber was ich oben in #28 zu grundsätzlicher Problematik in Geschichtswissenschaft schrieb – Zitat:
Der Einfluss des Zeitgeistes und der persönlichen Positionierung des Historikers auf die Vergangenheit wie Gegenwart war und ist ein nicht zu unterschätzendes Problem.
(…)
Die sich teilweise diametral stehenden Beurteilungen der Geschichte sind so zu erklären, wie auch die Tatsache, dass mal die eine Seite Oberwasser bekommt und zur Lehrmeinung gerinnt, bis sich die Stimmung ändert und die andere Seite zu bestimmender wird.
– willst du doch nicht in Abrede stellen wollen? Oder doch?
 
Das ist richtig. Aber was ich oben in #28 zu grundsätzlicher Problematik in Geschichtswissenschaft schrieb – Zitat:– willst du doch nicht in Abrede stellen wollen? Oder doch?

Bring doch bitte einfach mal Beispiele von diametral stehenden Beurteilungen Neros (oder meinetwegen Caligulas). Dann können wir eventuell sehen, wie diese zustandekommen.
 
Ich finde das eine spannende Bemerkung. (...)

Die Forschungsdiskussion hat sich geändert und damit die für die Darstellung verantwortlichen Interpretationen.

Der Forschungsüberblick für die Vergangenheit bleibt davon unberührt, da sich eine vergangene Diskussion nicht mehr ändert. Zudem wurde genau der fortgeführt.

Im Grunde ist das eher trivial als spannend.

Natürlich ändern sich die Quellen eher wenig. Aber die Diskussion derselben tut es. Ansonsten wäre die Geschichte doch mit der ersten Darstellung abgehandelt und dieses Forum würde nicht existieren. Und damit ändert sich die Darstellung aufgrund der Fortführung der wissenschaftlichen Diskussion.

Gerade das habe ich doch zu Claudius erwähnt, bzw. angedeutet.

Der Forschungsüberblick, im Gegensatz zur Darstellung der Geschichte bleibt gleich, weil er ja historisch ist. Daher kann er ja so schön fortgeführt werden. Es geht hier ja um eine praktische Hilfe und nicht um Wissenschaftsgeschichte.

Zur Frage von Quellen und 'Tatsachen':

Quellen erzählen nicht automatisch Tatsachen. Darum gerade ist ja die Quellenkritik entwickelt worden. Der Nachteil ist, dass sie oft kein endgültiges Bild ergeben kann und viele Autoritäten sich unsinnigerweise gegen Fallunterscheidungen aussprechen. Entsprechend ergeben Quellen je nach Interpretation unterschiedliche 'Tatsachen'.
 
Bring doch bitte einfach mal Beispiele von diametral stehenden Beurteilungen Neros (oder meinetwegen Caligulas). Dann können wir eventuell sehen, wie diese zustandekommen.
Als Beispiel nenne ich die Brandstiftung Roms im Jahr 64, die Nero angestiftet und zu der er Kithara gespielt und gesungen haben soll. Früher haben Historiker das gesagt und damit ein falsches Bild eines Kaisers verbreitet, heutige Lehrmeinung aber sagt, dass das nicht stimme. Warum, wenn den alten und den neuen das gleiche historische Material zur Verfügung stand bzw. steht?

Aber es ist ohnehin sinnlos, an einem Beispiel die Richtigkeit oder die Falschheit einer Behauptung beweisen zu wollen. Mir geht es darum aufzuzeigen, dass auch Wissenschaftler Menschen sind, die zu allen Zeiten Zwängen ihrer Zeit unterworfen wurden und werden.
 
Ich kenne keinen Historiker, aber ich schließe aus meinem Schulunterricht, in dem gelehrt wurde, dass Nero zum Brand angestiftet hatte, dass das damals die herrschende Meinung war.
 
Nicht alles, was im Schulunterricht erzählt wird, entspricht dem wissenschaftlichen Forschungsstand.
Dem damaligen Forschungsstand – oder dem davor oder meinetwegen dem vor einhundert Jahren – entsprach der Unterricht schon.

Seit es Schulen gibt, gibt es auch immer eine Lehrmeinung. Diese gilt so lange, bis eine neue kommt. Und die neue kommt erst dann, wenn Professoren, die die „alte“ Meinung vertreten, pensioniert worden sind oder sich sonst in klarer Minderheit befinden.

Natürlich spielen auch politische Ansichten eine Rolle – das ist das, was ich weiter oben unter Zwängen gemeint habe, denen, wie alle Menschen, auch Wissenschaftler unterworfen sind.
 
Die meisten Geschichtslehrer kommen eher aus der Neuzeitgeschichte. D.h., die haben sich mal oberflächlich im Pro-Seminar mit der attischen Demokratie befasst und im Hauptseminar vielleicht das Ende der römischen Republik behandelt (natürlich gibt es an den Unis sehr heterogene Seminare, ich übertreibe ein wenig, weil ich in meinem Studium tatsächlich Leute kennengelernt habe, die im Lehramtsstudium Geschichte in ihren Pflichtseminaren in Antike und Mittelalter tatsächlich nur Themen gewählt haben, die schultypisch sind). Nero gehört nicht zu den klassischen Themen des Schulgeschichtsunterrichts. Schulgeschichtsunterricht sucht sich immer Themen, die exemplarisch für gesellschaftliche Entwicklungen stehen.
Da muss man einfach davon ausgehen, dass auch viele (aus der Neuzeitgeschichte kommende) Geschichtslehrer ihr Nero-Bild von Sienkiewicz ableiten und wahrscheinlich den jungen Peter Ustinov vor Augen haben.
 
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