Die "legale Revolution" von 1933

Du hast recht, es ist ein fiktives Lehrbeispiel für Studenten.
Danke! Nun ist dieser Punkt zweifelsfrei geklärt.
Deine Argumente gegen die Legalität des Ermächtigungsgesetzes finde ich logisch und nachvollziehbar. Allerdings entstammen diese Argumente, wenn ich sie richtig einordne, aus der Sphäre des Naturrechts; etwa die Überlegung, dass jedem Menschen von Natur aus ein Recht auf pol. Partizipation zusteht. Zu fragen bleibt daher, inwieweit solche Argumente in den Diskursen rechtspositivistischer Rechtskulturen zum Zuge kommen bzw. ob und wie sie sich realiter juristisch Geltung verschaffen können.
Ob das erste Argument (Legitimität von Recht) zum "Naturrecht" zählt, kann man sich streiten. Dagegen spricht, dass die Weimarer Reichsverfassung die Legitimität staatlichen Rechts zwar nicht expressis verbis aus der Möglichkeit der Veränderbarkeit des Rechts ableitete. Sie enthielt keine Bestimmung, die diesen Zusammenhang ausdrücklich regelte. Aber sie atmete den Geist dieser Idee und stellte selbst in ihren positiven Bestimmungen zu Wahlen und Abstimmungen sowie zur Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit ein Abbild dieser Idee dar. Vor diesem Hintergrund lässt sich die Auffassung vertreten, dass die Befugnis des Parlaments zur Verfassungsänderung durch diese in bestimmten einzelnen Verfassungsbestimmungen zum Ausdruck kommende Wertung, dass das Recht prinzipiell vom Einzelnen beeinflussbar sein muss, im Wege der teleologischen Reduktion dahingehend eingeschränkt war, dass die mit dieser Wertung verbundenen Strukturprinzipien nicht grundsätzlich aus den Angeln gehoben werden durften.

Das zweite von mir genannte Argument (Vertretungsbefugnis) knüpft an die Funktion an, die Abgeordnete als "Vertreter des ganzen Volkes" haben. Dieses Argument gehört nicht zum Bereich des Naturrechts sondern lässt sich aus Artikel 21 der Weimarer Reichsverfassung ableiten.


Das dritte von mir genannte Argument (Ausübung von Zwang gegen Reichstagsabgeordnete) ist ebenfalls ein rechtspositivistisches Argument. Nach Artikel 21 der Weimarer Reichsverfassung sollten die Reichstagsabgeordneten "nur ihrem Gewissen unterworfen" sein und nicht den Schlägertrupps der NSDAP.


Quelle: Verfassung des Deutschen Reiches (11.08.1919), in: documentArchiv.de [Hrsg.], URL: http://www.documentArchiv.de/wr/wrv.html


PS: es lohnt sich einen Blick auf das Verhalten der Staatsrechtler nach dem Ermächtigungsgesetz zu werfen. Übereinstimmend waren diese nach dem März 1933 der Auffassung, dass die Weimarer Reichsverfassung nun nicht mehr gelten würde. Aber sie standen vor dem Problem, dass die alte Verfassung abgelöst wurde, ohne dass eine neue Verfassung existierte. Für die Gilde der Staatsrechtswissenschaftler war dies ein durchaus unbefriedigender Zustand. Denn wer benötigte noch Staatsrechtler, wenn der Staat keine Verfassung mehr hatte? Notgedrungen begannen diese mit Ersatzkonstruktionen zu arbeiten, wie zum Beispiel der These, dass es sich bei dem Ermächtigungsgesetz (1933) um eine "vorläufige Verfassung" handeln würde, die schon bald durch eine "echte" ersetzt werden würde. Carl Schmitt machte sich über seine Juristenkollegen lustig, weil diese das neue Wesen der "nationalsozialistischen Rechtsordnung" nicht verstehen würden.

Doch ganz offensichtlich, war selbst unter den regimetreuen Staatsrechtlern des Jahres 1933 die Auffassung vorhanden, dass eine Verfassungsänderung nicht so weit gehen dürfe, dass am Schluss gar keine Verfassung mehr existierte. Mit der bis 1933 entwickelten deutschen Rechtskultur war die mit dem Ermächtigungsgesetz verbundene Auflösung des Rechts nicht vereinbar.
 
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