Zu den Kernfragen:
...
Es geht um die Frage, was die Garantiererklärung auslöste und durch welche Momente und Strategie sie zustande kam und nicht um eine epische Debatte um die Geschichte der rumänischen Außenpolitik. Hier wäre wesentlich interessanter, wer die Fehlinformation des deutschen Vorgehens gegen Rumänien in die Welt gesetzt wurde und mit welcher Zieldefinition? [1]
...sondern das Faktum, daß die hysterische Nachricht vom deutschen Vorgehen gegen Rumänien schon wenige Tage später aufgeklärt war und die Geschichte trotzdem ihr Momentum eintwickelt hatte, die dann nicht mehr gestoppt wurde. [2]
Im Zentrum der britischen Strategie stand aber eindeutig eine allgemeine und breite Rumänien-Garantie und eben nicht eine Polen-Garantie, ... [3]
...Was ist eigentlich dran an der These, daß das nach dem I. Weltkrieg wiedererstandene Polen bereits Monate vor dem 1. September 1939 mobil gemacht hat? [4]
Zu 1:
Der deutsche Einmarsch in Prag ist der zeitlich unmittelbare
Auslöser. Im weiteren Sinn relevant ist
a) Desillusionierung über eine Mäßigung der aggressiven Politik Hitlers durch das Scheitern des französischen Appeasements (Dez38/Jan39) in Form eines Abkommens nach der Sudetenkrise
b) von brit.-frz. Geheimdiensten und den Stäben vorgelegte Bedrohungslage Polens und der südosteuropäischen Länder Feb39
c) zwischenzeitlicher „Holland-Scare“ vom Februar 1939
d) Die deutschen Aktivitäten Richtung Slowakei und Ungarn bzgl. Eingliederung in die Machtsphäre durch ökonomische Penetration, dokumentiert durch die politischen Aktivitäten vom Januar und Februar 1939, und abgeschlossen durch die quasi-Unterwerfungen im März 1939
e) derselbe Versuch in Bezug auf Rumänien, ausreichend dokumentiert durch die diplomatischen Aktivitäten und die deutsche Hetzpresse vom Januar 1939 (nachdem Carol nicht so reagierte wie von Hitler gewünscht)
Kumuliert wurde daraus die Überlegung des Garantie-Systems kreiert, zunächst ohne Zielbestimmung auf ein oder mehrere Länder, zugleich mit der politischen Vorgabe, Hitler ein Stopp-Signal zu setzen, und die politischen Aktivitäten zugleich nicht als Einkreisungsaktion so weit vorzutreiben, dass eine Kurzschluss-Reaktion Hitlers erfolgen könnte.
Für die Frage der
Urheberschaft der Tilea-Krise kann man bei Newman und Wehner 5 Theorien nachlesen:
- Tilea handelte eigenmächtig (Hillgruber)
- Tilea handelt unter Einfluss einer antideutschen Gruppe im britischen AA (Vansittart-These)
- Verschwörungs-These (aus dem deutschen Diplomatischen Dienst in Bukarest seien den Westmächten Informationen über ein Ultimatum zugespielt worden)
- Tilea handelte auf Weisung seiner Regierung (am verbreitetsten vertreten)
- Tilea handelte aufgrund einer internen Anweisung aus dem Kreis um König Carol (Newman)
Zu 2:
Die Nachricht war nicht „hysterisch“, sondern hatte ihre Begründung in den Ereignissen des Januar 1939, als deutscherseits diplomatisch und ökonomisch
massiver Druck auf Rumänien ausgeübt wurde, um die kriegswichtigen Ressourcen in den deutschen Machtbereich zu ziehen. Die Brisanz dieses Vorganges wurde von den westalliierten Stäben erkannt: würde dieser Coup Hitler gelingen, bestände eine weitreichende Versorgungssicherheit für das Deutsche Reich im Kriegsfall, so wie später in der Realität bestätigt. Diese „Autonomie“ würde – so die Befürchtung - Hitlers Aggressionen noch anfeuern.
Das „Momentum“ der Rumänien-Garantie war Ende März/Anfang April 1939 zu keiner Zeit vom Tisch, sondern wurde schließlich ebenfalls in eine Garantie gegossen (inzwischen hatten sich Ungarn und die Slowakei positioniert, und wenig später marschierte Italien in Albanien ein, was die Bedrohungslage für den Balkan verschärfte)
Zu 3:
Falsch. Beides wurde erörtert, und die jeweilige Priorität richtete sich nur nach der Prognose, welches Land als nächstes von Hitlers Aggression getroffen werden würde. Die Prioritäten wechselten: nach den diplomatischen Klarstellungen vom 18.3.39 abends war das nicht mehr Rumänien, Mitte April war es dann wieder Rumänien.
Zu 4:
Siehe oben.
Zwischenergebnis: wenn man sich nicht bzgl. der Abläufe zwischen Sudetenkrise und brit-frz. Garantieerklärungen 1938/39 mit allen Handlungsebenen beschäftigt, d.h.
- restliche Tschechei (die von Paris und London anfang 1939 nicht mehr als haltbar eingeschätzt wurde, tatsächlich hatte Hitler den Einmarschplan bereits ein paar Tage nach München zur Ausarbeitung angeordnet)
- deutsche Aktivitäten in der Slowakei, Ungarn
- "Holland-Scare"
- deutsche Aktivitäten bzgl. Rumänien und Polen
- Einschätzung der westallierten Generalstäbe
- Stand der brit.-frz. Rüstung und den finanziellen Restriktionen "im Frieden"
kommt dabei nur ein unvollständiges Bild der Ursachen heraus. Mit @thanepower sind schließlich die Aktivitäten der Sowjetunion noch zu ergänzen. Den Spanischen Bürgerkrieg und die italienischen Aktivitäten habe ich jetzt mal vernachlässigt, man könnte das ebenfalls hinzuziehen.
Alles aus einem Guß scheint übrigens eine brandneue, recht umfangreiche Publikation zu präsentieren -> Hinweis auf Zara Steiner, The Triumph of the Dark - European International History 1933-1939, erschienen 2011. Sie verwendet übrigens nur kurze Passagen auf die Garantieerklärung, geht allerdings auf den Dissens zwischen inhaltlicher Reichweite der Garantieerklärung und weitergehender (falscher) Perzeption der britischen Presse bzw. Öffentlichkeit ein. Ich könnte mir denken, dass auch Weizsäcker sich an diese zu weit gehende Interpretation angeschlossen hat, mangels besserer Erkenntnisse. Mit den internen Abläufen - siehe oben zu den drafts und Verhandlungsständen, zum Wortlaut und Umfang der Absprachen - hat das allerdings nichts zu tun. Zu diesem speziellen Thema bieten Prazmowska, Newman und Wehner die aussagekräftigen Monographien.