Vor allem ist interessant, dass die Sowjetunion sich nicht darauf verlassen hat, dass sie ihre Industriezentren in der Ukraine und in Westrussland verteidigen zu können, sondern dass man die strategischen Industrien auch schon in den 30er Jahren hinter dem Ural angesiedelt hat. Man war sich also durchaus der Tatsache bewusst, dass man Land aufgeben musste um den Sieg zu erringen.
Dieser Eindruck ist m.E. nicht ganz korrekt, aus einer Reihe von Gründen. Selbst in den kühnsten Träumen hat man sich Anfang 1941 im Kreml nicht vorstellen können, welche militärischen und industriellen Verluste man bis 1941 wird hinnehmen müssen.
Die Gründe im einzelnen:
1. Im westlichen Teil der UdSSR (westlich der Linie Leningrad, Moskau, Stalingrad) konzentrierte sich das relevante Landwirtschafts-, Rohstoff- und Industriepotential der UdSSR. Namentlich Leningrad, Moskau und Kiew (inklusive das s-o anschließende Donezk-Becken) waren die wichtigsten Wirtschafts- bzw. auch Rüstungszentren.
Im östlichen Bereich (östlich von Moskau bzw. des Urals) waren höchsten 10 Prozent der Produktionskapazitäten vorhanden. Aber es ist richtig, dass bei der Planung von Standorten zunehmend auch die strategische Diversifikation von Industriestandorten (Bedrohung durch Luftwaffe etc.) eine Rolle gespielt hat. Allerdings auch durch eine mangelhafte Infrastruktur eingeschränkt wurde.
2. Bei der Frage der Ausrichtung der RKKA bei der Landesverteidigung sollte man zwei Aspekte unterscheiden. Zum einen die politische Zielsetzung, die Stalin bzw. das Politbüro mit einem Konflikt verband.
Und zum anderen, unterhalb dieser für die RKKA zwingenden politischen Vorgabe ergab sich die strategische Konzeption für die Armee. Und an diesem Punkt kann man eine offensiv ausgerichtete Doktrin erkennen.
Diese Doktrin ging davon aus, dass sie im Falle eines "Angriffs" kurzfristig zur Defensive übergeht, um dann die Initiative an einzelnen Fronten zu ergreifen. Die militärische Zielsetzung war in jedem Fall, den Konflikt vom sowjetischen Territorium fernzuhalten und den Krieg in das Land des "Aggressors" zu tragen. So die offizielle Vorstellung zur Rolle der RKKA.
An diesem Punkt tritt deutlich das Vermächtnis von Tukhachevski in Erscheinung. Dessen Schriften 1941 zwar aufgrund der Säuberungen aus allen militärischen Akademien sehr gründlich entfernt worden waren, dessen Ideen aber in den Köpfen führender Militärs virulent waren.
Die Bedeutung dieses Denkens kann man teilweise an der Vorgehensweise von Zhukov in Fernost ablesen, der Teile dieser Denkweise in seine operativen-taktischen Überlegungen integriert hatte.
Japanisch-Sowjetischer Grenzkonflikt ? Wikipedia
@YoungArcas: Die Idee, die Du thematisierst war bis Ende der zwanziger Jahre im Rahmen der Defensiv-Doktrin von Svechin eine wichtige Alternative für die offensive Ausrichtung. Allerdings ging Svechin noch von einer Situation aus, die vor der Industrialisierung (1929) durch die folgenden Fünfjahres-Pläne lag und er betonte den ländlichen Charakter der sowjetischen Gesellschaft. Svechin wollte ähnlich wie Kutusow gegen Napoleon sich in die Tiefe der Sowjetunion zurückziehen und die zunehmenden logistischen Probleme ausnutzen, um den Eindringling militärisch zu besiegen.
Michail Illarionowitsch Kutusow ? Wikipedia
Die einseitige offensive Betonung soll Tukhachevski wohl ca. 1936/1937 erkannt haben und es soll einen Artikel von ihm geben, in dem er konzeptionell sich mit dem Potential der Defensive beschäftigt haben soll (Isserson hat wohl derartiges behauptet). Die Säuberung der Archive von seinen Schriften hat diesen Artikel ebenfalls entsorgt.
@Solwac: Die Konzeption der Planwirtschaft ist eine Form der Organisation von Wirtschaft, die bereits im Frieden die Erfordernisse des Krieges vorwegnimmt. So zumindest die Sichtweise der Planer in den dreißiger Jahren in der UdSSR (und sie hatten insofern Recht, als die Westallierten in der Folge der Arcadia-Konferenz zu einer "perfekten Planwirtschaft" übergingen, um die komplexen Anforderungen einer Kriegswirtschaft (Rohstoffbewirtschaftung und Abstimmung bei der Produktion etc.) meistern zu können).
Arcadia-Konferenz ? Wikipedia
Mit der Industrilalisierung im Rahmen der Fünfjahrespläne ging man in den großen neuen Produktionsstätten zu einer geplanten "Fließbandproduktion" über. Teilweise wurden aus dem Ausland (auch wesentlich aus der USA) 1:1-Industrieanlagen in der UdSSR mit Hilfe von ausländischen Spezialisten aufgebaut, jedoch teilweise in einem deutlich größeren Umfang (Skalenvorteile)
Diese Industrien waren zum einen sowohl für die zivile Produktion geeignet, aber konnten auch für die militärische Produktion herangezogen werden. Insofern ist es völlig korrekt auf den deutlichen Anstieg bei der Tiefenrüstung hinzuweisen.
Dieses kommt auch zum Ausruck bei den geplanten Produktionsziffern für Panzer und Flugzeuge im Kriegsfall, die als Konsequenz der Indstrialisierung in der UdSSR deutlich anstieg.