Die Weihnachtsgeschichte im Lichte der Geschichtschreibung

Lukas' Botschaft ist hier ganz klar: Jesus ist Gott, Jesus ist von legal königlicher Abstammung und trotzdem erniedrigt Gott sich, soweit man sich erniedrigen kann, indem er unter den widrigsten Umständen seine menschliche Gestalt annimmt.

Lukas stellt Maria und Josef als arme Schlucker dar. Das verdeutlicht er nochmal einige Verse später, wo die beiden zwei Tauben als Reinigungsopfer darbringen.
Als Reinigungsopfer war ein Schaf und eine Taube vorgeschrieben.
Nur wer zu arm war, um sich ein Schaf leisten zu können, konnte ersatzweise zwei Tauben opfern.
 
Zum Einen berichtet Tacitus, dass Archelaos, König der Kappadokier einen Zensus nach römischem Vorbild durchführte. (Annalen VI, 41) Ein Zensus in einem Klientelstaat ist also nicht von vornherein abzulehnen.
Allerdings führte Archelaos von Kappadokien den Zensus anscheinend auf eigenen Antrieb und im eigenen Interesse, lediglich nach römischem Vorbild, durch.
Wenn man aber Lukas folgt, wurde der von ihm erwähnte Zensus von Rom angeordnet. Auch Flavius Iosephus berichtet für die Schatzung, die Quirinius nach der Absetzung des Archelaos von Iudaea durchführen sollte, dass Quirinius von Augustus zu diesem Zweck gesandt worden sei.

Doch fällt auf, dass die Steuerschätzung in Ägypten alle 14 Jahre vorgenommen wurde
Allerdings sind gerade Rückschlüsse von Ägypten problematisch, weil dort auch unter römischer Herrschaft bis zu den Severern das ptolemäische Verwaltungssystem beibehalten wurde.

Da liegt die Vermutung nahe, dass tatsächlich 7 v.Chr. eine Steuerschätzung stattfand, die der Evangelist mit dem römischen Zensus vermengte.
Bleibt die Frage, welche Relevanz der römische Zensus für Lukas und Iudaea gehabt haben soll.

Als Prokonsul ist er somit wohl in mehreren Provinzen eingesetzt worden, um die Homonadenser zu schlagen. Wenn ihm zu diesem Zweck auch die syrischen Legionen vorübergehend unterstellt wurden, ist eine Verwechslung mit dem wahrscheinlichen damaligen Syrischen Statthalter Saturninus naheliegend.
Das verstehe ich jetzt nicht: Wieso sollte Lukas den syrischen Statthalter Saturninus mit Quirinius verwechseln, bloß weil dieser (hypothetischerweise) mit syrischen Truppen in Kilikien Krieg führte? Wenn Quirinius mit syrischen Truppen in Palästina operiert hätte, okay, aber wieso sollte sich Lukas für Kilikien interessieren?

Übrigens kann Quirinius nicht als "Proconsul" Statthalter von Galatien gewesen sein, da Galatien kaiserliche Provinz war.

Der durch den Titulus Tiburtinus geehrte Konsular muss dem Wortlaut der Inschrift nach nicht zwangsläufig zweimal Syrien vorgestanden haben; seine erste Statthalterschaft könnte er stattdessen auch in einer anderen kaiserlichen Provinz absolviert haben.
Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen: Meiner Meinung nach könnte das "iterum" durchaus auch so zu lesen sein, dass der Geehrte nach dem Prokonsulat in Asia erneut eine Provinz erhielt, diesmal Syrien als Legat. Für naheliegender halte ich allerdings schon die Deutung als zweite Statthalterschaft in Syrien.

oder dass Quirinius und Saturninus (od. Varus) die Provinz Syrien kollegial als kaiserliche Legaten verwalteten
Eine derartige Kollegialität wäre schon ein recht einmaliger Vorgang gewesen.

Eine ältere Überlegung ist, dass Quirinius Generalstatthalter des Ostens gewesen sein könnte (ähnlich wie Agrippa und Gaius Caesar?), unter dem in den einzelnen Provinzen, also auch in Syrien, weiterhin ordentliche Legaten amtierten.
Das halte ich auch für sehr unwahrscheinlich. Ein derartiges imperium maius erhielten eigentlich nur Verwandte und enge Vertraute des Kaisers, nicht jemand wie Quirinius.

Mir ist gerade aufgefallen, dass Quirinius in der Antiochischen Inschrift als Präfekt benannt wird. Das ist ein geringer Titel für einen gewesenen Konsul, der zudem einen Krieg führen soll.
Anscheinend wird diese Stelle aber eher so gelesen, dass es um den Präfekten des Quirinius ging. Quirinius als Präfekt zu bezeichnen wäre ohnehin problematisch, da normalerweise nur Männer aus dem Ritterstand zu "Präfekten" als militärischen Kommandeuren gemacht wurden.

Die überzeugendste Himmelserscheinung, die Gelehrte nach Juda hätte locken können, war die Konjunktion von Jupiter (symbolisierte auch im Osten Herrschaft), Uranus (stand für Israel) im Sternbild Fische (Stand für die Levante) 7 v.Chr.. Zufällig war Quirinius damals in Kilikien tätig, was teilweise zu Syrien gehörte.
So exakt kann man seinen Aufenthalt in Kilikien doch gar nicht datieren. Aus Tacitus ergibt sich nur, dass er irgendwann zwischen seinem Konsulat und seinem Job als Berater des Gaius Caesar die Homonadenser bekriegte. Konsul war er 12 v. Chr., Caesar wurde 1 v. Chr. in den Osten geschickt.
 
Der Text der Inschrift, Corpus-Nummer: CIL 14, 03613

[P(ublius) Sulpicius P(ubli) f(ilius) Quirinius co(n)s(ul)] / [6] / [6] / [6] / [legatus pr(o) pr(aetore) divi Augusti Syriam et Phoenicen optinens] / [bellum gessit cum gente Homonadensium] / [quae interfecerat Amyntam] / [r]egem qua redacta in pot[estatem Imperatoris Caesaris] / Augusti populique Romani senatu[s dis immortalibus] / supplicationes binas ob res prosp[ere ab eo gestas et] / ipsi ornamenta triump[halia decrevit] / proconsul Asiam provinciam opti[nuit legatus pro praetore] / divi Augusti iterum Syriam et Pho[enicen optinuit]
Provinz: Latium et Campania, Tivoli
 
Um Missverständnissen vorzubeugen wäre anzumerken, dass die Abschnitte in den eckigen Klammern hypothetische Ergänzungen sind, die schon auf der Annahme basieren, dass es in der Inschrift um Quirinius geht und er zweimal Legat für Syrien war. Wirklich steht in der Inschrift nur das außerhalb der Klammern.

Eben, Iosephus transkribiert anders. Daher mein Gedanke der pseudoetymologischen Herleitung bei Lukas.
Dazu mal ein anderer Gedanke: Im heutigen Griechisch wird das Eta doch als i ausgesprochen. Wann erfolgte eigentlich der Wechsel zwischen den Aussprachen? Wohl kaum schon im 1. Jhdt. n. Chr.?
 
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Es ist unterhaltsam anzusehen, mit welcher Akribie hier eine Episode aus dem erfolgreichsten Fantasy-Roman aller Zeiten diskutiert wird, ohne auch nur im geringsten das Problem der Historizität anzusprechen. Die historische Existenz der "Heiligen Familie" wird unhinterfragt vorausgesetzt, obwohl die Dokumente (Evangelien) erst ca. 180 Jahre nach den geschilderten Ereignissen historisch bezeugt sind und obwohl allgemein bekannt ist, wie wenig die damaligen religiösen Bewegungen Wert auf historische Genauigkeit legten, wie sehr sie im Gegenteil zu Übertreibungen und vor allem Erfindungen neigten (z.B. Moses-Geschichte). Anderswo (betreff paläoontologische Anthropologie) werden in diesem Forum Theorien als pure "Phantasie" u.ä. stürmisch weggefegt, die mit zahllosen archäologischen Indizien begründet werden können, hier aber (betreff Weihnachtsgeschichte) hat der kritische Geist Windstille; er ignoriert, dass es nicht den geringsten zuverlässigen Hinweis aus dem 1. Jahrhundert auf ein existierendes Christentum gibt, geschweige denn auf die Existenz einer "Heiligen Familie".

Die Bemühungen, die Widersprüche zwischen den nt. Geburtsberichten unter der Prämisse aufzulösen, dass die Berichte eine historische Grundlage haben, erinnern an die vergeblichen Versuche, den Gordischen Knoten manuell zu lösen. Als vernünftigste Maßnahme erscheint das Verfahren Alexanders des Großen: Der Knoten ist zu zerschlagen, d.h. die Berichte als reine Fiktion aufzufassen.

In Theologen- und (echten) Historikerkreisen hat sich das bereits herumgesprochen, siehe:

Weihnachtsgeschichte ? Wikipedia

(ein Artikel, auf den hier öfter Bezug genommen wird, die nachfolgend zitierte Passage wird aber ignoriert)

Aus all diesen Widersprüchen innerhalb der beiden biblischen Weihnachtsgeschichten und zwischen ihnen ziehen heute die meisten Historiker und Theologen den Schluss, dass es sich um literarische Fiktionen handelt, mit denen die Gottessohnschaft Christi und sein Kommen in die Welt historisch und prophetisch glaubhaft gemacht werden sollen. Es solle vermittelt werden, dass es sich bei dem Gottessohn auf Erden ihrer Ansicht nach nicht um eine mythische Gestalt, sondern um eine wahrhaftig historische Gestalt gehandelt habe. Zum Geburtsort wird eher angenommen, dass Jesus in Nazareth, dem Wohnort seiner Familie (Mk 6,1 ff. EU; Mt 13,54 EU), wo er „erzogen" wurde (Lk 4,16.22 EU), auch geboren wurde.

Man beachte, dass sogar jene Fachleute, die die Historizität von JC nicht anzweifeln, die Weihnachtsgeschichte als Fiktion einstufen.

Der promovierte Theologe Heinz-Werner Kubitzka bringt die Fiktionalität der Story so auf den Punkt:

(Der Jesuswahn – Wie die Christen sich ihren Gott erschufen, S. 88)

Das ganze Weihnachtsfest entbehrt jeglicher historischen Grundlage, die so bekannten Geschichten sind ein Konglomerat aus Geschichtsirrtümern, Wunschdenken und Dogmatik. Das Hauptfest der Christen gründet sich zur Gänze auf Legenden. Hier sind nicht einzelne Punkte verändert oder erfunden worden, hier ist ein ganzer Kranz von Legenden, historisch wertlos, jedoch von großer traditioneller Beständigkeit und weit reichender Wirkungsgeschichte, aus frommer Fantasie erfunden worden.
 
 
 
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Es ist unterhaltsam anzusehen, mit welcher Akribie hier eine Episode aus dem erfolgreichsten Fantasy-Roman aller Zeiten diskutiert wird,
Die Bibel ist q-kritisch genauso zu behandeln, wie alle anderen Quellen auch.

ohne auch nur im geringsten das Problem der Historizität anzusprechen.
Genau um dieses Problem geht es hier. Es geht hier nicht um die Existenz der Heiligen Familie sondern um die Probleme, die Lukas für den Historiker aufwirft. Wir sind ein Geschichtsforum und kein Theologieforum.

Die historische Existenz der "Heiligen Familie" wird unhinterfragt vorausgesetzt,
Dann hast du den Thread nicht verstanden.


obwohl die Dokumente (Evangelien) erst ca. 180 Jahre nach den geschilderten Ereignissen historisch bezeugt sind
Man kann sie wesentlich früher datieren. Ich halte nichts von evangelikalen Frühdatierungen vor dem großen jüdischen Aufstand, aber sie sind definitiv kurz danach und definitiv vor dem Bar Kokhba-Aufstand anzusetzen.

Anderswo (betreff paläoontologische Anthropologie) werden in diesem Forum Theorien als pure "Phantasie" u.ä. stürmisch weggefegt, die mit zahllosen archäologischen Indizien begründet werden können, hier aber (betreff Weihnachtsgeschichte) hat der kritische Geist Windstille;
Das ist ein Irrtum, weil du, ich muss es leider so sagen, auch wenn du gleich wieder über die "Ideologiekeule" lamentieren wirst, so ideologisch antichristlich aufgeladen bist, dass du diesen Thread als religiös motiviert liest, was er nicht ist.
Der Vergleich im Übrigen hinkt. Während du in anderen Threads immer wieder die wissenschaftlich längst ad acta gelegte Hypothese von der großen Göttin zitierst, die sich - im Gegensatz zu deinen Behauptungen eben nicht archäologisch belegen lässt (und die angeblichen Inidzien lösen sich bei näherer Betrachtung ins Nichts auf, bis auf ein paar Pin-Ups haben wir nichts und denen stehen auch noch die gern ignorierten steinzeitlichen Phalloi zur Seite), ist hier von den lukaischen Konstruktionen die Rede, die es Lukas ermöglichten, aus einem Galiläer, einem Nazaräer, einen Bethlehemer mit davidianischer Herkunft zu machen bzw. ist die Rede von den historischen-politischen Ereignissen, welche Lukas zur Datierung bzw. Begrüdung der Geburtsgeschichte benutzt. Keineswegs also Glaubensbekenntnisse der diskutierenden User hier - wenn man mal vom Threadersteller, der sich aber auffällig zurückhält absieht, der aber auch kein Glaubensbekenntnis an sich sondern viel mehr ein Bekenntnis dazu, dass er traditionelles Familienweihnachten feiert abgegeben hat.

er ignoriert, dass es nicht den geringsten zuverlässigen Hinweis aus dem 1. Jahrhundert auf ein existierendes Christentum gibt,
Auch das stimmt nicht und darum geht es gar nicht. Auch nicht um die Existenz der Heiligen Familie. Es geht um Lukas, seinen Text und seine chronologischen Widersprüche, nicht darum, die Geburtsgeschichte als historisches Faktum zu retten.


Aus all diesen Widersprüchen innerhalb der beiden biblischen Weihnachtsgeschichten und zwischen ihnen ziehen heute die meisten Historiker und Theologen den Schluss, dass es sich um literarische Fiktionen handelt, mit denen die Gottessohnschaft Christi und sein Kommen in die Welt historisch und prophetisch glaubhaft gemacht werden sollen. Es solle vermittelt werden, dass es sich bei dem Gottessohn auf Erden ihrer Ansicht nach nicht um eine mythische Gestalt, sondern um eine wahrhaftig historische Gestalt gehandelt habe. Zum Geburtsort wird eher angenommen, dass Jesus in Nazareth, dem Wohnort seiner Familie (Mk 6,1 ff. EU; Mt 13,54 EU), wo er „erzogen" wurde (Lk 4,16.22 EU), auch geboren wurde.
Ich behaupte, dass (fast) alle Mitdiskutanten diesen Passus so unterschreiben würden (genau das wurde im Übrigen auch in diesem Thread in Bezug auf die Weihnachtsgeschichte diskutiert, hast du offenbar überlesen).

Sorry, aber mich ärgern solche substanzlosen Anwürfe!
 
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Ein Foto der Inschrift hier: Foto
Da ist doch ein Punkt zwischen PRO und CONSUL. Demzufolge sollte man also eher "pro consul(e)" lesen.

Die historische Existenz der "Heiligen Familie" wird unhinterfragt vorausgesetzt
Keineswegs. Es geht hier nur um eine Untersuchung der Angaben, die Lukas zur Datierung und zu den Umständen von Jesu Geburt macht. Dass Lukas selbst die Existenz der "Heiligen Familie" voraussetzt, ist klar. Er hat versucht, Jesu Geburt zu datieren, und damit eine Fülle von Problemen aufgeworfen. Uns geht es hier darum, ob seine Angaben historisch möglich sind, z. B. ob es möglich ist, dass Quirinius bereits zur Zeit von Herodes Statthalter von Syrien war und dass in Iudaea bereits zur Zeit, als es noch unter Herodes' Herrschaft stand, auf Anweisung der Römer eine Steuerschätzung durchgeführt wurde.
Das ist etwas anderes als die historische Existenz der "Heiligen Familie" zu beweisen oder dergleichen.

Du behauptest ja gerne, Jesus sei im 2. Jhdt. n. Chr. bewusst erfunden worden. Also angenommen Du hättest recht und "Lukas" (also der angebliche Fälscher des Lukasevangeliums) hätte gewusst, dass es Jesus nie gab. Wenn er, wie Du es formulierst, einen "Fantasyroman" über dessen Leben schreiben wollte, konnte er trotzdem versuchen, Jesu Geburt zu datieren und plausible Angaben zu dessen Geburtszeitpunkt und -umständen zu machen. Also angenommen Lukas wollte Jesu Geburt auf einen bestimmten Zeitpunkt datieren und suchte nach Informationen über diese Zeit (ca. 4 v. Chr.?), um sie in sein Evangelium einzubauen. Auf den ersten Blick erscheinen seine Angaben nicht plausibel, allerdings wissen wir nicht, welche (für uns verlorene) Quellen er hatte oder ob er einfach einen Fehler machte. Es geht also, wie bereits oben geschrieben, darum zu untersuchen, ob es z. B. Hinweise darauf gibt, dass Quirinius bereits ca. 4 v. Chr. Statthalter von Syrien war, ob also Lukas entgegen dem ersten Anschein doch korrekte Angaben über Syrien und Iudaea gegen Ende der Herrschaft des Herodes gemacht haben könnte. Das zu untersuchen ist doch ein theologiefreier geschichtsorientierter Ansatz, mit dem eigentlich auch Du leben können solltest.

er ignoriert, dass es nicht den geringsten zuverlässigen Hinweis aus dem 1. Jahrhundert auf ein existierendes Christentum gibt
Abgesehen von Sueton und Tacitus ...
Aber das hatten wir doch alles schon.

Anderswo (betreff paläoontologische Anthropologie) werden in diesem Forum Theorien als pure "Phantasie" u.ä. stürmisch weggefegt, die mit zahllosen archäologischen Indizien begründet werden können
Schriftliche Quellen, die ausdrücklich über Jesus Auskunft geben und zumindest partiell auch durch nichtchristliche Zeugnisse bestätigt werden, sind wohl allemal beweiskräftiger als irgendwelche archäologische Funde, die für sich selbst gar nichts aussagen und erst durch fragwürdige Vergleiche mit heutigen Naturvölkern und Aufladungen mit vorgefassten Wunschvorstellungen überhaupt erst Indizcharakter für das gewünschte Ergebnis gewinnen.
 
Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen: Meiner Meinung nach könnte das "iterum" durchaus auch so zu lesen sein, dass der Geehrte nach dem Prokonsulat in Asia erneut eine Provinz erhielt, diesmal Syrien als Legat. Für naheliegender halte ich allerdings schon die Deutung als zweite Statthalterschaft in Syrien.
Durchaus eine interessante Interpretation. In den Fachpublikationen der letzten Jahrzehnte überwiegt klar die Ansicht, dass sich das „iterum“ auf die wiederholte proprätorische Legation des Anonymus in einer kaiserlichen Provinz bezieht ([… legatus pro praetore] divi Augusti iterum …), beim zweiten Mal halt in Syrien (beim ersten mal entweder auch in Syrien oder in einer andern kaiserlichen Provinz). Ich selbst kann das schlicht nicht angemessen beurteilen.
Übrigens danke an El Q. für den Inschrift-Text.

Eine derartige Kollegialität wäre schon ein recht einmaliger Vorgang gewesen.
Das stimmt. Unter Augustus ist mir aus den Quellen sonst auch kein Fall solch einer kollegialen Verwaltung ein und derselben Provinz bekannt. Mir ist nur ein Parallelbeispiel aus der Bürgerkriegszeit vor 40 v. Chr. bekannt: Cass. Dio 48, 21, 1+6.

Das halte ich auch für sehr unwahrscheinlich. Ein derartiges imperium maius erhielten eigentlich nur Verwandte und enge Vertraute des Kaisers, nicht jemand wie Quirinius.

Wenn ich das richtig verstanden habe, erhob das imperium proconsulare maius den Augustus zum übergeordneten Chef über ausnahmslos alle Provinzen, sogar über die des Volkes bzw. Senates. Dem Quirinius wird bei jener These hingegen nicht das imperium proconsulare maius zugesprochen, sondern „nur“ ein imperium proconsulare. Quirinius wäre damit Mitinhaber der höchsten Gewalt des Kaisers in seinen, d. h. den kaiserlichen Provinzen gewesen und nur für die kaiserlichen Provinzen im Orient zuständig gewesen. Aber wie ich oben schon andeutete, halte auch ich diese beiden Erklärungsversuche (Kollegialität u. Generalstatthalterschaft) für aus der Not geboren.

Vielleicht noch eine Erklärung der Generalstatthalterschaft-im-Osten-These:
Gewiss war Quirinius kein Angehöriger der kaiserlichen Familie wie etwa Agrippa oder Gaius, die zeitweilig zum „Orientchef“ gemacht wurden. Aber er war militärisch fähig und dem Augustus, der ihm seine Karriere erst eröffnet hatte, gegenüber vollends loyal, was wohl auch dazu beitrug, dass er 12 v. Chr. zum Konsul ernannt wurde. Nach seinem kriegerischen Erfolg gegen die Homonadenser erhielt er die Triumphinsignien. Und es ehrte ihn die durch seinen Sieg Erleichterung erfahrende Stadt Antiochia Pisidae mit der Wahl zum Duumvir (so ne Art „Ehren-Bürgermeister“- auf die entsprechende Inschrift hat Riothamos oben schon hingewiesen). Hermann Dessau („Zu den neuen Inschriften des Sulpicius Quirinius“, in Klio 17, S. 13ff) hat herausgestellt, dass das Kaiserhaus solche Ehrungen irgendwelcher Senatoren nur ganz eingeschränkt zuließ; sie blieben in der Regel den Angehörigen der kaiserlichen Familie vorbehalten. Dem loyalen Quirinius aber gönnte Augustus diese Ehre dennoch. Darüber hinaus vertraute Augustus dem erfahrenen Feldherrn und Verwaltungsbeamten sogar soweit, dass er ihm seinen Enkelsohn Gaius im Osten an die Hand gab. Und vermutlich hatte der Princeps auch seine einflussreichen Finger im Spiel, als Quirinius die begehrte Aemilia Lepida heirateten konnte. Immerhin hatte Augustus diese Lepida zuvor eigentlich als Gattin für seinen zu früh verstorbenen Enkel und Adoptivsohn Lucius Caesar bestimmt (siehe Tac.: ann. III 22f und 48).
Man kann also ein gewisses Vertrauensverhältnis zwischen dem Princeps und Quirinius annehmen. Das Prinzip des einen starken Mannes im Orient hatte Tradition (Pompeius Magnus, Cassius, M. Antonius, Agrippa). Falls Augustus ein Oberkommando im Osten im letzten Jahrzehnt vor der Zeitenwende für ratsam hielt – immerhin waren die Parther weiterhin gefährlich und die Armenier blieben wankelmütig –, hätte ihm nach dem Tod Agrippas kein geeigneter Verwandter für diesen Posten zur Verfügung gestanden. Seine Enkel Gaius und Lucius waren zu jung, Tiberius und Drusus versuchte der Princeps zu dieser Zeit noch, so gut es ging, aus dem Kader der Machtträger herauszuhalten. Augustus' Wahl hätte zwangsläufig auf einen Nichtangehörigen der Kaiserfamilie fallen müssen. Aber wie gesagt, halte ich diese Möglichkeit nicht für wahrscheinlich.
 
Ich möchte um Entschuldigung bitten, dass ich mich so unvermittelt aus der Diskussion ausgeklinkt habe, aber in den letzten Tagen ging es mir nicht gut und in den nächsten Tagen werde ich, auch wenn es mir wieder besser geht zu viel zu tun haben.

@Topic: Quellen sind nur dann nichts wert, wenn sie nicht kritisiert werden können. Und das kann man eben mit den Evangelien tun. Die katholische Kirche fordert sogar dazu auf. Wobei sie allerdings die theologische Aussage der Bibel unabhängig von der Historie sieht. Dennoch gibt es da für die meisten Christen keine Gründe mehr, in irgendeiner Art und Weise Geschichtsklitterung zu betreiben. Wenn ich denn wieder dazu komme kann ich, so gewünscht die katholische Haltung auch durch Zitat belegen.
 
Hier noch einmal die bisherige Diskussion: Die Schätzung für die Bewohner Judäas ist eine Steuerschätzung. Der Steuerpflichtige wird ermittelt durch seinen Wohnsitz oder Arbeitsplatz und nicht, wes Geschlechts er sei. Bei einer solchen Steuereinführung warten die einen zu, andere tauchen ab.Unüblich ist es, ein Meldebüro mutwillig aufzusuchen oder den Häschern entgegen zu gehen.
Dem wird widersprochen: Es gibt den archäologischen Fund der Steuerbescheinigung der Bathaba um 100 n.Chr., die sehr wohl ein entferntes Steuerbüro aufsucht. Was stört ist die Ausführlichkeit des Dokuments. Zu erwarten wäre ein Text "Steuerbescheinigung Magda Bathaba, 47. Grundbesitz 3 Haine zu 20 Dattelpalmen. Grundsteuer 60 Sesterzen. Erhalten Stadtkasse Alexandria. Datum, gez. Opiris, Stadtsekretär". Ist das gefundene Dokument mit den vielen Zeugen evtl. eine Erburkunde oder eine sonstige Überschreibung?
Varus als Steuerorganisator in Syrien erscheint als These interessant. Zum einen ist er im Jahre 6 v.Chr. also in der vermuteten Zeit von Jesu Geburt (7 bis 4 v.Chr.) Statthalter in Syrien. Dazu paßt, wie es sein Zeitgenosse Paterculus über ihn schreibt "Arm kam er in eine reiche Provinz, und reich ging er aus einer armen fort". Eben: Beim Steuerorganisator bleiben auch Steuern hängen. Zum anderen ist er es, der als Vertrauter des Augustus das Steuerwesen in Germanien einführt. Natürlich: Hat es in Syrien geklappt, so ist er der Richtige auch für eine andere Provinz. Sympathisch wäre Varus als Kandidat auch für den Vergleich Judäas gegenüber Germanien: Unterschiedliche Reaktionen auf die gleiche Zumutung, nämlich Steuern für Rom. Jedoch paßt sein Name nicht zur Weihnachtsgeschichte mit "Cyrenius Statthalter in Syrien". Allenfalls hat ein Vorname eine gewisse Lautähnlichkeit (Publius Quincitilius Varus).
In der Diskussion wird dieser These widersprochen: Bereits frühere Geschichtswissenschaftler wie Theodor Mommsen hätten Quirinius als Steuereinführenden ausgemacht. Für Quirinius spricht seine Namensähnlichkeit mit Cyrenius. Dagegen spricht, er ist erst 4 n.Chr. Statthalter in Syrien und führt nach Josephus Flavius dort einen Provinzialzensus durch. Die weitere These, er wäre evtl. zweimal Statthalter in Syrien gewesen hat sich nicht durchgesetzt. Obendrein ist Quirinius wiederholt als Kriegsheld aufgefallen, nicht als Verwaltungsfachmann.
 
Hier noch einmal die bisherige Diskussion: Die Schätzung für die Bewohner Judäas ist eine Steuerschätzung. Der Steuerpflichtige wird ermittelt durch seinen Wohnsitz oder Arbeitsplatz
Oder durch seinen Grundbesitz.

Bei einer solchen Steuereinführung warten die einen zu, andere tauchen ab.
Was soll das "Abtauchen" bringen? Das bedeutet:
- sich nicht mehr an seinem Wohnsitz blicken zu lassen
- sich nicht mehr an seinem Arbeitsplatz blicken zu lassen
- sich nicht mehr auf seinem Grundbesitz blicken zu lassen.

Unüblich ist es, ein Meldebüro mutwillig aufzusuchen
Wer hat das in dieser Diskussion behauptet, und wo gibt es dafür einen Beleg?

Varus als Steuerorganisator in Syrien erscheint als These interessant. Zum einen ist er im Jahre 6 v.Chr. also in der vermuteten Zeit von Jesu Geburt (7 bis 4 v.Chr.) Statthalter in Syrien.
Zum andern ist er als Steuereintreiber nicht für Judäa zuständig.

Ich habe zweimal gefragt (und keine Antwort erhalten) und frage gern zum dritten Mal:
Was hat also Varus mit Nazareth, Jerusalem oder Bethlehem am Hut?

Jedoch paßt sein Name nicht zur Weihnachtsgeschichte mit "Cyrenius Statthalter in Syrien".
Das kommt noch dazu.
Kyrenios ist eindeutig mit Quirinius zu identifizieren. Das ist vom Griechischen her gesehen nicht nur eine "Namensähnlichkeit":
"Kyrenios" (so im griechischen Originaltext des Lukasevangeliums) ist die gräzisierte Form von "Quirinius". Ich verweise auf Flavius Iosephus' "Jüdische Altertümer", wo mehrmals der syrische Statthalter "Kyrinios" genannt wird. Aus Iosephus geht klar hervor, dass dieser Kyrinios Statthalter von Syrien zu der Zeit wurde, als Archelaos als Ethnarch von Iudaea abgesetzt wurde, also 6 n. Chr.
Da es im Griechischen kein "qu" gab, musste man "Quirinius" irgendwie gräzisieren. Die gräzisierte Form von "Quinctilius Varus" lautet bei Flavius Iosephus "Uaros Kointilios" ("V" gab's im Griechischen auch keines).
 
Ich habe zweimal gefragt (und keine Antwort erhalten) und frage gern zum dritten Mal:
Was hat also Varus mit Nazareth, Jerusalem oder Bethlehem am Hut?

Bei dieser Gelegenheit fällt mir auf, dass ich Dir noch eine Antwort auf eine ganz ähnliche Frage schuldig bin:
Was die apographe/ Einschreibung bei Lukas betrifft, so halte ich es nicht für ausgeschlossen, dass sie unter dem röm. Klientelkönig Herodes durchgeführt worden sein kann.
Dann bleibt aber die Frage, warum Lukas in diesem Zusammenhang ausdrücklich Quirinius erwähnt.

Theodor Mommsen: Röm. Staatsrecht II/1 (3. Aufl.), S. 261 schreibt, dass dem Statthalter (auch dem der kaiserlichen Provinz) für seinen Sprengel Eponymie zukommt. Der Name des Statthalters kann Provinzialen also zur Datierung dienen (wie das ja auch antiochenische Münzen zeigen). Falls Lukas Antiochener oder wenigstens Syrer war, mag der Name desjenigen syrischen Statthalters, der nach Lukas' Recherchen zu jener Zeit amtierte, einfach nur zur Datierung der apographe-Vorgänge genannt worden sein, ohne dass Lukas die Durchführung der apographe im Herodes-Reich zwangsläufig persönlich durch Quirinius erledigt wissen wollte.
Der überwiegende Teil des Lukasevangeliums spielt ja in späterer Zeit, als Judäa mittlerweile selbst Provinz war und Lukas nun den Präfekten/ Prokurator von Judäa nennen konnte, und deshalb auch nicht mehr mittels syrischem Statthalter zu datieren brauchte.
Das wäre vor allem eine mögliche Erklärung für diejenigen, die den Quirinius zweimal Statthalter in Syrien sein lassen wollen, ebenso für diejenigen, die in ihm einen Generalstatthalter im Orient erblicken wollen, und für diejenigen, die eine kollegiale Verwaltung Syriens für diese Jahre annehmen möchten.

Diejenigen hingegen, die Quirinius als kaiserlichen Zensus-Legaten für den syrischen Raum mit Judäa begreifen wollen (während entweder Saturninus oder Varus das Statthalteramt in Syrien innehatte), können den Grund für die Nennung des Quirinius bei Lukas natürlich nicht in Eponymie und Datierung suchen, sondern müssten annehmen, dass Quirinius für die Betroffenen als Verantwortlicher für die Einschreibung erkennbar war, dass also etwa eine direkte Überwachung der apographe im Herodes-Reich durch Quirinius stattfand. Lukas hätte den Quirinius dann namentlich genannt, weil er beteiligt war.
(Das geht natürlich überhaupt nur, wenn man hegemoneuontos in Lk. 2, 2 - weil hegemon nicht griechischer Fachterminus für einen kaiserlichen Provinzstatthalter war - weiter fasst und somit den Quirinius als einen führenden kaiserlichen Beamten in Syrien, aber eben nicht als ordentlichen Statthalter beschrieben findet).


Mir ist aber natürlich klar, dass der Großteil der Fachleute weder die eine noch die andere Erklärung bemühen muss, da die meisten davon ausgehen, dass zu Herodes' Lebzeiten gar keine apographe in den jüdischen Ländern stattgefunden hat, sondern Lukas die Steuerschätzung des Quirinius im Jahre 6/7 n. Chr. nur fälschlicherweise vordatiert hat.
 
Theodor Mommsen: Röm. Staatsrecht II/1 (3. Aufl.), S. 261 schreibt, dass dem Statthalter (auch dem der kaiserlichen Provinz) für seinen Sprengel Eponymie zukommt. Der Name des Statthalters kann Provinzialen also zur Datierung dienen (wie das ja auch antiochenische Münzen zeigen). Falls Lukas Antiochener oder wenigstens Syrer war, mag der Name desjenigen syrischen Statthalters, der nach Lukas' Recherchen zu jener Zeit amtierte, einfach nur zur Datierung der apographe-Vorgänge genannt worden sein, ohne dass Lukas die Durchführung der apographe im Herodes-Reich zwangsläufig persönlich durch Quirinius erledigt wissen wollte.
Das finde ich nicht sehr überzeugend.
Die Datierung hat ja Lukas schon ganz an den Anfang gestellt: "Zur Zeit des Herodes, des Königs von Judäa".

sondern müssten annehmen, dass Quirinius für die Betroffenen als Verantwortlicher für die Einschreibung erkennbar war, dass also etwa eine direkte Überwachung der apographe im Herodes-Reich durch Quirinius stattfand.
Für diese Annahme gibt es aber keine Grundlage - außer dem Willen, die Angaben des Lukas zu "retten". Oder sehe ich das falsch?
 
An Sepiola, #56. Was soll ein "Abtauchen"? Das heißt begrenzt wegbleiben, bis sich die Lage geklärt hat.
Unüblich, ein Meldebüro mutwillig anzusteuern. Wer hätte das in der Diskussion behauptet? In der Diskussion nicht, aber so schildert es Lukas.
Varus in Judäa, bislang dreimalig nachgefragt: In einem selbständigen Land kann der Nachbar nicht einfach hineinregieren, ganz klar. Hier im Falle Syrien/Judäa unterstehen aber beide Rom. Wenn also "ein Gebot ausgeht vom Kaiser Augustus, daß (in Nahost) alle Welt geschätzet würde", so geschieht das auch, gleich ob Herodes der Große als Freund Roms oder sein Sohn Herodes Antipas in Judäa Regent ist. Beide würden sich glücklich preisen, wenn der Freund des Imperators und zugleich Verwaltungsfachmann diese Aufgabe übernimmt.
 
Eckart, sieh doch einfach ein, dass Quinctilius nicht Quirinius ist.
Du bist doch auch Eckart und nicht Erich. Fängt auch beides mit demselben Buchstaben an.
 
Unüblich, ein Meldebüro mutwillig anzusteuern. Wer hätte das in der Diskussion behauptet? In der Diskussion nicht, aber so schildert es Lukas.

Lukas schildert kein "Abtauchen".

Lukas lässt Joseph brav nach Bethlehem marschieren, um sich dort schätzen zu lassen.

Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die allererste und geschah zur Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war. Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeder in seine Stadt. Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, weil er aus dem Hause und Geschlechte Davids war, damit er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe; die war schwanger.

Hier im Falle Syrien/Judäa unterstehen aber beide Rom.
Für die Steuern in Syrien ist Varus zuständig.
Für die Steuern in Judäa ist Herodes zuständig. Dann Archelaos. Dann - als Judäa Syrien unterstellt wird - Quirinius.
 
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