Die Zeit nach Augustus und der Cäsarenwahnsinn in der julisch-claudischen Dynastie

Für mich nicht ganz verständlich. Ich ging davon aus, dass spätestens im Jahre 14 n.Chr. die Thronfolge des Augusuts geregelt war. Warum also noch dieses Drama um den Postumus? Inwiefern konnte dieser dem Tiberius noch gefährlich werden? Es war doch schon alles in Tüten. Man hätte Postumus auf Planasia (?) lassen können und alles wäre gut gewesen. Warum also diese Gewalttat? Habt Ihr eine gute Erklärung dafür?
Jein. Augustus hatte sie geregelt, aber damit war sie nicht in Stein gemeißelt. Er konnte nur darauf hoffen, dass sie nach seinem Tod klappen würde. Natürlich stand Tiberius als Erbe in den Startlöchern, und er hatte auch schon die "tribunicia potestas", aber das musste noch gar nichts heißen. Rom war weder eine Erbmonarchie noch konnte der "Kaiser" nach eigenem Gutdünken über den Staat verfügen. Augustus verfügte über ein Bündel an Vollmachten und setzte darauf, dass sie nach seinem Tod auf Tiberius übertragen würden, aber Garantie gab es keine.
Augustus war sich sehr wohl etwa der Bedeutung der Armee bewusst. Immerhin entstammte er noch selbst der Ära der Bürgerkriege. Wer die Unterstützung maßgeblicher Teile der Armee (und deren Bereitschaft, allenfalls auch gegen Rom zu marschieren) hatte, hatte gute Chancen, jegliche Ordnung auszuhebeln.
Seine Situation war auch nicht präzedenzlos: Sulla hatte sich einst ebenfalls zum Alleinherrscher aufgeschwungen, aber seine Neuordnung des Staates hatte seinen Tod nicht lange überdauert.
Die Möglichkeit, dass ein Rivale für Tiberius auftreten (oder aufgestellt werden) und die Unterstützung der Armee, des Volkes und des Senates gewinnen könnte, war durchaus real.

Hi Stradivari,
vielen Dank für die Aufklärung! Kann es sein, dass man über Agrippa Postumus außer seiner familiären Herkunft so gut wie gar nichts weiß. Person, Charakter, war er einfach nur eine Person der julisch-claudischen Familie? Hatte er irgendwelche Ämter inne oder irgendwelche Aufgaben? Er wurde ja nur 26 Jahre alt und hatte in der Zeit wohl noch keine große Karriere gemacht oder zumindest nichts, was bekannt gewesen wäre.
Der englische Wikipedia-Artikel über ihn gibt einiges her.

Seine Jugend war übrigens kein Grund für seine mangelnde Karriere. Für Angehörige des Kaiserhauses wurde häufig von den Mindestaltern für öffentliche Ämter abgesehen, und auch wenn unter Augustus die Magistrate noch vom Volk gewählt wurden, brauchten sich Angehörige des Kaiserhauses bei ihren Kandidaturen keine Sorgen zu machen. Tiberius etwa war mit 19 schon Quaestor, mit 26 Praetor und mit 29 erstmals Konsul.
 
Wenn Augustus sich dem Senat gegenüber noch als Primus inter Paris erklären musste, nahm dies bei seinen Nachfolger anscheinend kontinuierlich ab. Mehr Selbstverständnis einer autokratischen Herrschaft, mehr Selbstübersteigerung und immer weniger Kritikfähigkeit, weil die Notwendigkeit, seine Taten zu rechtfertigen, anscheinend nicht mehr erforderlich war.
Welches Leben führten die römischen Kaiser nach Augustus? Sie befanden sich in einer eigenen Resonanzkammer mit eingebauter Echoverstärkung. In einer ausschließlich sich selbst verstärkenden Blase, die keinerlei Kritik von außen zuläßt.
Wer sich ausschließlich nur noch mit Hofschranzen, bezahlten Jublern und Ja-Sagern umgibt, der fühlt sich darin natürlich bestärkt und bekommt eines Tages das Selbstverständnis, die Inkarnation eines Gottes zu sein. Ist das so abwegig?

Ich würde die Behauptung, dass die Notwendigkeit Taten zu rechtfertigen nicht mehr gegeben gewesen wäre anzweifeln wollen.
Die senatorischen Familien blieben auf Grund ihrer ökonomischen Macht ein Faktor, auf den in gewissem Maß Rücksicht genommen werden musste, die militärischen Führer ebenso, genau so das römische Stadtvolk, auf Grund seiner schieren Masse.

Was Augustus Nachfolgern maßgeblich genutzt haben dürfte, war dass Augustus den direkten eigenen Zugriff auf einen Teil der Provinzen des Reiches ("kaiserliche Provinzen" im Gegensatz zu nunmehr "senatorischen Provinzen") durchsetzen, seinem Nachfolger dadurch eine gewisse Hausmacht verschaffen konnte, die die Abhängigkeit des Systems von den senatorischen Familien reduzierte und wahrscheinlich das Kaisertum auf eine vorteilhaftere ökonomische Basis stellte.

Damit dürften die Nachfolger einen sehr viel größeren Spielraum für eigene Initiativen gehabt haben, insofern sie diese "aus eigener Tasche" bzw. aus dem Aufkommen aus den "kaiserlichen Provinzen", dem Verkauf von Ämtern etc. finanzieren konnten und niemanden benötigten, der ihnen Kredite bewilligte.

Überstigen aber Vorhaben der Nachfolger diese Möglichkeiten, kamen die senatorischen Familien und die römische Stadtbevölkerung als Faktoren wieder zum Tragen.
 
Na ja aber mir ging es eher um die Apotheose des Augustus, also um die Vergötterung, die Heiligsprechung sozusagen.
Pontifex maximus und dann selbst wie ein Gott verehrt? Und Caligula brachte später anscheinend noch orientalische Religionen ins Spiel.
Was ich sagen will ist, dass sich Augustus Nachfolger (vielleicht schon er selbst) irgendwann vielleicht wie Halbgötter, Götter fühlten, also allein schon durch diese überspitzte Verehrung, die ihnen entgegengebracht wurde.
Vielleicht war es bei Tiberius noch nicht so ausgeprägt, doch Caligula wuchs doch quasi in eine Stellung hinein, in der er sich als Statthalter der Welt und zumindest götternah fühlen musste. Das ist zumindest mein Erklärungsversuch. Wie weit diese Annahme von der Wahrheit entfernt ist, weiß ich nicht.

Also eine Art päpstliche Hybris, Statthalter Gottes, unfehlbar und noch weit darüber hinaus.
Jetzt ist die Frage kamen diese Entwicklungen aus Rom oder hatte Caligula dieses orientalisch-despotische Herrschaftsvorstellung von seinem Aufenthalt im Osten mitgebracht?

WP
Caligula stand einem orientalischen Herrschaftsverständnis nahe, was eine demonstrativ extravagante Lebensweise sowie die Verehrung im Staatskult schon zu Lebzeiten, nicht erst nach dem Ableben, mit einschloss (obwohl sich im Westen des Reiches heute keine Belege in Form von Tempelanlagen, Inschriften oder Münzen finden, die Caligula eindeutig in Zusammenhang mit einer persönlichen Verehrung bringen; siehe auch Cäsaropapismus). Die öffentliche Darstellung seiner Verbundenheit zu seinen Schwestern und besonders zu Drusilla könnte von ägyptischen Geschwisterherrschaften inspiriert sein.
Das aber nur für diejenigen, die der Darstellung des Lebenswandels des Caligula Glauben schenken.
 
Zuletzt bearbeitet:
Na ja aber mir ging es eher um die Apotheose des Augustus, also um die Vergötterung, die Heiligsprechung sozusagen.
Pontifex maximus und dann selbst wie ein Gott verehrt?

Da würde ich nicht so viel hinein interpretieren, einfach aus dem Grund dass in der antiken Welt Gottheiten nicht etwas vergleichbar fernes und entrücktes darstellten, wie später in der christlichen Vorstellung.

In der ägyptischen Tradition gab es Vorstellungen, die die Pharaonen sehr nah an die sakrale Sphäre heranrückten, und in der griechischen und römischen Mythologie sind verschiedene Gottheiten sehr stark mit der menschlichen Welt verzahnt gewesen und handelten mitunter ausgesprochen menschlich, auch die Vorstellung von Halbgöttern kam vor.

Insofern war in weiten Teilen des römischen Reiches die Vorstellung, dass ein Mensch von den Göttern abstammen, mithin also ein lebender Gott oder zumindest Halbgott sein könne grundsätzlich etwas durchaus akzeptiertes.

Alexander der Große scheint für sich göttliche Abstammung in Anspruch genommen zu haben und wahrscheinlich gefühlt die halbe römische Oberschicht behauptete über 5 Ecken von Aeneas oder Herakles abzustammen.

Von dem her war der Umstand, dass sich der Princeps später die Kaiser nach und nach zu lebenden Gottheiten stilisierten wahrscheinlich ein deutlich kleinerer Tabubruch, als es rückwirkend erscheint, im Besonderen, wenn man bedenkt, dass es in Teilen des Reiches durchaus zuvor bereits Herrscher gegeben hatte, die das ähnlich gehandhabt hatten.
 
Also eine Art päpstliche Hybris, Statthalter Gottes, unfehlbar und noch weit darüber hinaus.

OT (Disclaimer: natürlich ist das Unfehlbarkeitsdogma Schwachsinn, trotzdem): Das Unfehlbarkeitsdogma der Kath. Kirche ist wohl das bekannteste unbekannte Dogma der RKK. Jeder kennt es und doch kennt es offenbar niemand. Nicht alles, was der Papst von sich gibt, ist gleich mit dem Unfehlbarkeitsdogma behaftet, bevor eine päpstliche Äußerung vatikanischerseits als unfehlbar erachtet wird, müssen erst eine ganze Reihe an Kriterien zusammenkommen. Das Unfehlbarkeitsdogma ist irgendwann im 19. Jhdt. eingeführt und bisher äußerst überschaubar in Anspruch genommen worden. Es hat mehr der antikirchlichen Polemik gedient, als es von der Kirche jemals angewandt wurde.
 
Pontifex maximus und dann selbst wie ein Gott verehrt? Und Caligula brachte später anscheinend noch orientalische Religionen ins Spiel.
ein ganz anderer Gedanke dazu:
wie kommt es, dass römischen und byzantinischen Kaisern für uns heute absonderliche Verehrungsbräuche vorgeworfen/vorgehalten werden, wobei dieselben "Bräuche" andernorts (Makedonien, Ägypten, Persien u.a.) nicht voller Abscheu und Empörung gebrandmarkt werden?
...der jüngst anlässlich seiner Inthronisation umjubelte Charles ist formell Oberhaupt der anglikanischen Kirche ;)
https://de.wikipedia.org/wiki/Herrscherkult
https://de.wikipedia.org/wiki/Cäsaropapismus
 
Von dem her war der Umstand, dass sich der Princeps später die Kaiser nach und nach zu lebenden Gottheiten stilisierten wahrscheinlich ein deutlich kleinerer Tabubruch, als es rückwirkend erscheint, im Besonderen, wenn man bedenkt, dass es in Teilen des Reiches durchaus zuvor bereits Herrscher gegeben hatte, die das ähnlich gehandhabt hatten.

...der jüngst anlässlich seiner Inthronisation umjubelte Charles ist formell Oberhaupt der anglikanischen Kirche ;)
https://de.wikipedia.org/wiki/Herrscherkult
https://de.wikipedia.org/wiki/Cäsaropapismus

Interessant dabei auch, dass das mit der Vergöttlichung offenbar noch ging; der wirkliche Tabubruch für die Römer wäre wohl der Versuch eine Princeps gewesen, sich zu dem König zu erklären, der er faktisch war, und damit die Republik offiziell abzuschaffen, die es faktisch lange nicht mehr gab. Was ja auch i-wie religiöse Züge hat...
 
Die Verehrung als Divus in den Provinzen - häufig zusammen mit der Kapitolinischen Trias - wurde meines Wissens für alle Kaiser seit Augustus bis zur Christianisierung akzeptiert, ebenso eine formelle Divinisierung nach dem Tod durch Senatsbeschluss, die aber nur einigen Kaisern zuteil wurde. Bei Gaius/Caligula und Domitian wird meist eher kritisiert, dass sie solche Ehren auch schon zu Lebzeiten und in Rom und Italien für sich beanspruchten. Hier blieb vielleicht der Grundgedanke des Prinzipats bestimmend, nach dem der Kaiser eigentlich ein hervorgehobenes und besonders geehrtes Mitglied des Bürgerverbandes war. Wenigstens in den senatorischen und ritterlichen Kreisen, welche wir in den literarischen Quellen sprechen hören, könnte dies eine bedeutende Rolle gespielt haben.

Nach der Christianisierung und auch bei christlich oder humanistisch geprägten Historikern der Neuzeit dürfte eine göttliche Verehrung des Herrschers dann ohnehin als Hybris erschienen sein, und sei es auch nur als Werthaltung im Hinterkopf des Urteilenden.

Ein ägyptischer Pharao war damit vermutlich nicht zu vergleichen, weil er von vornherein weit über allen Untertanen stand und als absoluter Monarch galt. Wie Reinicke schon sagte, basierte die "offizielle" Selbstdarstellung des Princeps hingegen gerade darauf, dass die Republik fortbestand.
 
Zurück
Oben