Beim Homo Sapiens z.B würde ich, wen jemand mich fragen würde ob er einen Bezug zu seiner Vergangenheit hat, antworten das er Gräber, Denkmäler, Inschriften und Zeitmesser hatte und somit seiner Vergangenheit voll bewusst war (In diesem Fall ist es ja die Fähigkeit der Erinnerungen, die uns befähigt unsere Vergangenheit wahrzunehmen). Also Ihr würdet es verneinen das es eine evolutionäre Entwicklung der Zeitwahrnehmung gibt.
Sozialanthropologen sähen das mit der evolutionären Entwicklung der Zeit etwas relativer. Claude Lévi-Strauss in 'La Pensée sauvage' (1962) unterscheidet zum Beispiel zwischen 'heißen' und 'kalten' Gesellschaften. Die 'heißen' Gesellschaften, wie die westlichen Gesellschaften sehen Zeit linear und sind auf Fortschritt aus, wohingegen 'kalte' Gesellschaften, Zeit als einen Zirkel auffassen, sich außerhalb des westlichen Geschichtsverständnisses positionieren, und statt Geschichte 'Mythen' haben. Das bedeutet nicht, daß 'kalte' Gesellschaften kein Zeitverständnis haben, sondern das dieses Zeitverständnis anders ausgeprägt ist.
Mythen in diesem Zusammenhang sind nicht als 'Geschichtsschreibung' zu verstehen, sondern als Geschichten die das zeitliche Geschehen der Gegenwart in einen Kanon bringen. Diese Theorie wurde unter anderem von Maurice Bloch in 'Prey into Hunter' (1992) aufgegriffen, als er Mythen in Madagaskar untersuchte. In einem von ihm beschriebenen Fall war es so, daß ein historisch nachweisbar und belegter Vorfall, von der von ihm untersuchten Gesellschaft mythologisiert wurde, wodurch der bisher nicht dagewesene Vorfall im Grunde aus der linearen Zeit genommen wurde, und durch die Mythologisierung in Einklang mit dem Kanon der Dinge gebracht wurde.
Das bedeutet nicht, daß sich niemand erinnern kann, oder das Zeitverständnis der Menschen kein Anfang und kein Ende kennt, sondern, daß es eine andere Auffassung der Zeitmessung gibt, wenn man Zeitmessung als Ordnungsprinzip sozialer Gegenwart betrachtet. Nur um zu versuchen es etwas verständlicher zu machen: Eine meiner Bekannten hat in einem afrikanischen Land einen religiösen Schrein untersucht. Die dortigen Priester, anlässlich eines Festes, haben wieder einmal betont, wie sehr sie die schulische Bildung von Frauen unterstützen und das dass schon immer im Sinne der Götter gewesen sei, von Anbeginn der Zeiten. Im Bewusstsein der Gläubigen war dies auch durchaus der Fall.
Eine alte Priesterin jedoch hat meiner Bekannten mitgeteilt, daß es sich dabei eigentlich um eine neuere Erkenntnis handelt, die erst seit einigen Jahrzehnten der Fall ist. Der springende Punkt daran ist jedoch nicht, daß hier 'gelogen' wurde, sondern das es um die Legitimität geht und so Änderungen ins Althergebrachte eingeflochten werden. Also im Grunde bestimmt die Gegenwart die Vergangenheit genau so wie die Vergangenheit die Gegenwart bestimmt. Es gibt keine klaren 'Brüche' oder erkennbare, offizielle wichtige Daten, an denen Änderungen stattgefunden haben, sondern die Änderungen werden in Einklang mit dem Selbstverständnis gebracht, wozu ihnen die datierte Komponente entzogen wird.
Natürlich gibt es auch genug Kritiker der Theorien Claude Lévi-Strauss', aber das nur mal als Einwurf zur Betrachtung des 'Zeitkonzeptes' von sozialanthropologischer Warte. Es wäre durchaus möglich, daß der frühe Homo Sapiens wiederum ein ganz anderes Zeitkonzept hatte und verstand, aber mit sozialanthropologischen Forschungsmethoden stößt man hier an Grenzen, da sich die Befragung der Studiengruppe schwierig gestaltet.