Eine negative Bewertung hat mich nachdenklich gemacht, nicht der Inhalt dieser Bewertung, der leider nicht angibt, ob sich die Bewertung auf alle Behauptungen in meinem Post (#15) bezieht, sondern eher die provokative These zu überdenken bzw. zu präzisieren, worauf ich hier eigentlich hinaus will.
Es wäre möglich möglich, daß mein anonymer Kritiker mit "Schmarn" meine Erfahrung mit der historischen und archäologischen Literatur meint. Das würde ich als Beleidigung empfinden. Ich denke hier weniger an das erste Beispiel, dessen Bezug zur Chronologiefrage ich letztendlich sehr im Unklaren gelassen habe, als an das zweite, wo ich meine verzweifelte Suche nach einer Einordnung eines norddeutschen Drehscheibengefäßes anspreche. Die Frage, ob dieses nun ins 4. oder ins 2. Jh. zu datieren ist, mag demjenigen, der sich damit nicht beschäftigt hat oder den solche Datierungsprobleme nicht interessieren, schnuppe sein, für mich macht es einen nicht unerheblichen Unterschied aus, weil daran besiedlungsgeschichtliche Fragestellungen anhängen - ganz abgesehen davon, daß auf niedersächsischen Gräberfeldern überall sog. Nachbestattungen entdeckt wurden; die Spärlichkeit der Gräberfelder aber für die Jahrhunderte von der Steinzeit bis ins frühe Mittelalter, erheischt leider meine Zweifel - ich kann diesen leider nicht verdrängen - an der Chronologie, wie sie verwendet wird. Was mein erstes Beispiel hingegen betrifft, würde ich freilich meinem Kritiker zustimmen: Es ist schlecht oder zumindest sehr unpräzise dargestellt und ob es die Probleme der Chronologiearbeit, die ich im Sinn habe, überhaupt beleuchtet, bezweifel ich im Moment bzw. könnte ich zumindest im Augenblick nicht genauer erläutern.
Es geht mir explizit nicht darum zu sagen, Chronologiekritiker hätten recht; denn die gleichen Probleme hat auch die Chronologiekritik, wie beispielsweise FINGALO am Beispiel Illigs These angesprochen hat. Es geht mir eher darum, zu überprüfen, ob die Chronologie, wie wir sie kennen, eine gewissermaßene Fragilität nicht entbehrt bzw. ob sie tatsächlich robust, nicht nur ein valides, sondern ein validiertes Konzept ist. Deswegen hatte ich auch die Dendrochronologie angesprochen, von der zu erwarten ist, daß sie die Chronologie bestätigt. Man geht davon aus, daß sie absolutchronologische Ergebnisse liefert, „unter günstigen Bedingungen exakte Jahreszahlen“ (Jahnkuhn in RGA IV, S.607).
Und was meine ich mit
Komplexität der Chronologie? Ohne Zweifel ist die von uns verwendete Chronologie ein historisches gewachsenen Konstrukt und hat sich anscheinend diskontinuierlich durchgesetzt.
Es wurde behauptet, jeder Histriker sei bis zu einem gewissen Maß Chronologiekritiker ist; dieser Auffassung bin ich eben nicht. Für das Alte Mesopotamien etwa gibt es mittlerweile glaube ich vier chronologische Systeme – das evidenzarchäologische von Illig & Heinsohn noch nicht mitgezählt, da ja nicht anerkannt. Es wird sich meiner Vermutung gemäß höchstens ein Historiker – nach langer Suche – finden lassen, vielleicht einer, der über Hammurapi eine Studie veröffentlicht hat, der für alle vier Systeme einander abgewägt hat. Wenn ich mit dieser Vermutung daneben liege, müßte sich diese Behauptung von mir ja leichterdings widerlegen lassen, indem man z. B. zwei Historiker, die aktuell publizieren und eine neuere Studie rezipieren, in der eine angesprochene Chronologiearbeit rezipiert wird, angeben kann.
Tela schrieb:
Die Chronologie entsteht nicht im luftleeren Raum, sondern ist besser abgesichert, als es jeder CK'er wahrhaben will.
Das wünsche ich mir; nur um es zu wiederholen – und ich werde das gleich noch einmal wiederholen, ich hätte gerne ein Beispiel, z. B. aus der Völkerwanderungszeit, wo eine mehrfach chronlogische Absicherung vorliegt. Und danke übrigens für deinem netten Hinweis, daß Xanten vom Limes weit entfernt sei; da war ich mit der Terminologie nicht so ganz genau, da man darunter im Nordwesten eher den obergermamisch-rätischen Limes versteht. Freilich spricht aber auch Schallmayer von einem niedergermanischen Limes. Deinen weiteren Hinweisen (Danke!) werde ich jedenfalls folgen. Ich wäre natürlich auch sehr froh, wenn auch noch wer anders etwas dazu beisteurn könnte.
Die Kalendersysteme der verschiedenen Kulturen in ihren jeweiligen Zeitaltern können nur relativ sein. Wenn man diese aber kennt, nebeneinanderlegt und Anfangs- und Endpunkt bestimmt, sollte es theoretisch möglich sein, diese relativen Systeme an einem absoluten System zu eichen. (Wahrscheinlich hat man das bereits getan und ich weiß nur nicht, wo es steht.)
Ich denke sogar, daß die Chronologie eben auch so entstanden ist, indem sukzessiv verschiedene Systeme aufeinander abgestimmt wurden. Und ich würde es gerne in einer Publikation nachlesen können.
Hier wäre z. B. meine Frage: Welche Bedeutung der Chronologiearbeit im Zuge der Gregorianischen Kalenderreform bei der Festschreibung des europäischen Chronologiesystems dabei zukommt?. So kenne ich zwar wenige Hinweise aus chronologiekritischen Kreisen, aber da diese Diskussion außerhalb der herrschenden Meinung kursiert, sind diese Behauptungen schwerlich zu überprüfen. Deswegen steht im Threadtitel - freilich nicht weiter expliziert:
Rekonstruktion der Chronologie - und nicht, wie mißverstanden wurde, und es steht auch nicht die Rekonstruktion in der Geschichtschreibung zur Diskussion. Wie dem auch sei, wäre also zu klären, ob die Chronologiekritiker etwa die besagte Reform überbewerten; das mag so sein, aber welche Argumente kann man dafür liefern? Meinetwegen auch anhand einer Negativargumentation, im Sinne ein Chronologiekritiker behauptet das und das und das ist absurd, weil ...
Die Dendrochronologie scheint ein ideales absolutes Eichsystem zu sein, wenn man die Besonderheiten richtig berücksichtigt.
https://www.uni-hohenheim.de/palaeobotanik/dendro/index2.htm
Sie funktioniert scheinbar so ähnlich wie unsere modernen Barcodes. Die Abfolge der Ringbreiten bei den einzelnen Baumarten in einer Region läßt eine eindeutige Bestimmung der Wachstumszeit zu. Auf diese Weise wurden bereits absolute Kalender für Europa teilweise bis in die Nacheiszeit erstellt.
Mit C14 und anderen Isotopenmessungen kann man den Jahresringkalender noch zusätzlich absichern.
Für Europa und andere waldreiche Weltgegenden hat diese Methode den Charme, dass man manchmal auch die spärlichen Überreste der frühen Kulturen einordnen kann, etwa wenn Holzfragmente im Boden oder in Mooren gefunden werden.
Der oberflächlich negative Eindruck von der "Kulturlosigkeit" mancher Regionen ohne "alte Steine" könnte vielleicht dadurch korrigiert werden.
Das möchte ich ja auch vermuten, daß sich die verschiedenen Datierungen gewissermaßen bestätigen. Ich fände es nur schön, wenn es hier im Thread gelänge, ein solche Abstützung der Chronologie an einem konkreten Beispiel durchzugehen. Oder gibt es einen so optimalen Fall einfach nicht?
Um zum Thema zu kommen, mich personlich interessiert mehr die Abfolge von Generationen / Entwicklungen und die absolute Zeit, die diese brauchten, daher würden mich z.B. die "berühmten fehlenden 300 Illig-Jahre" einfach von der Abfolge her, doch sehr stören.
Gerade im Kirchenbau werden bei romanischen und gotischen Kirchen oft die Fundamente des Vorgängerbaus erwähnt, meist waren diese im norddeutschen Raum aus Holz. Holz war eben ein beliebtes germanisches Baumaterial.
Und diese Vorgängerbaufragmente werden doch auch gefunden und sicher dendrochronologisch untersucht, genauso wie Grabbeigaben und/oder Särge aus Holz.
Da wären fehlende Jahrhunderte, bes. im frühen Mittelalter doch längst aufgefallen?
Wenn ich den Link an anderer Stelle von PALENQUE (auf die Kritische Dendrochronologie) richtig verstanden habe, wird letztere Frage immerhin diskutiert. Was die hölzernen Kirchenbauten betrifft, ist zumindest in Literatur, die ich kenne, immer nur erwähnt, daß man solche vermute, was jetzt etwa Niedersachsen betrifft. Insofern bin ich dir für den Hinweis dankbar:
Ich habe mir die neue Geo-Epoche über die Germanen gekauft, viele schöne Bilder, als Einstieg ganz nett. Da wird für die
Stiftskirche in Enger das frühe 9. Jahrh. als Erstkirchenbau erwähnt, dort soll es Ausgrabungen geben.
Das ist die Zeit der Sachsenmission, die stattgefunden haben muß.
Da sollten doch dendrochronologisch eingeordnete Holzreste gefunden worden sein, mit denen man absolut belegen kann, dass die erste Kirche vor 1200 - 1300 Jahren gebaut wurde!
Enger ist mir ein Begriff und eine dendrochronologische Untersuchungen wäre natürlich ein wichtiger Ansatzpunkt. In deiner Zeitschrift war von Holzresten eines Kirchenbaus definitiv die Rede? Vielleicht macht man solche Untersuchungen ja tatsächlich doch häufig: bei einer kleinen Ausgrabung in Wunstorf läßt man gerade auch einen Holzfund untersuchen, um ein in mittelaterlicher Quelle erwähntes Haus mit dem Fund in Zusammenhang zu bringen.
Nicht sicher bin ich mir mit dem Verständnis, was die Generationenabfolge betrifft; du beziehst dich hier z. B. auf die karolingischen Dynastie? Für das Altsachsenland etwa gäbe es ein solches Problem nicht, da es dort eher nur hypothetische Generationsabfolgen gibt.
Schließlich noch @ BEORNA: Ich finde deinen Vergleich gut. Aber was ich mir wünschen würde, ist eine transparente Chronologie, daß heißt eine Chronologie, die als Konstrukt nachvollziehbar ist.