Entlassung aus Kriegsgefangenschaft aus humanitären Gründen: Wie häufig im Zweiten Weltkrieg?

muck

Aktives Mitglied
Guten Abend,

prinzipiell erlaubt ja das Völkerrecht Kriegsgefangenen, einen Antrag auf Entlassung aus humanitären Gründen zu stellen (z.B. wegen familiären Todesfällen).

Ebenfalls prinzipiell möglich, aber heute wohl kaum mehr relevant*, ist die Freilassung auf das Ehrenwort hin, nicht wieder gegen den Feind zu kämpfen.

Die Kriegspartei, die die Person gefangen hält, hat ein zumindest logistisches Interesse daran, solchen Bitten zu entsprechen, denn jeder Kriegsgefangene weniger bedeutet einen Mitesser weniger.

Weiß einer unserer hiesigen Weltkriegs-Aficionados, wie häufig solche Entlassungen zwischen 1939 und 1945 vorkamen? Ich meine, über die Jahre hinweg von einer Handvoll Fälle gelesen zu haben, aber aufgrund der ideologischen Feindschaft der Kriegsparteien können es schwerlich viele gewesen sein?

Besten Dank!

*) Allerdings: Offenbar wurden die Angehörigen des Azow-Regiments nach der Kapitulation von Mariupol auf ihr Ehrenwort hin in die Türkei entlassen. (Ausnahmen bestätigen die Regel.)
 
Zuletzt bearbeitet:
Hab gerade (für mich überraschend) das hier gefunden, for what it's worth:
In summer 1940, the German Wehrmacht had captured 2 million Dutch, Belgian and French soldiers. All of the Dutch and Flemish and about a third of the French POWs were released on parole because the Germans coulnd't supply them and already had half a million Polish POWs as workforce (de facto: slaves). Mark Mazower, Hitlers Imperium: Europa unter der Herrschaft des Nationalsozialismus. C.H.Beck, Munich 2009. Page 152
Zitiert nach https://history.stackexchange.com/q...arole-of-prisoners-of-war-become-unacceptable

Wenn das denn korrekt zitiert ist, wäre das spät, großzügig und ggf. sehr pragmatisch. Habe allerdings zuvor noch nie davon gehört. C. H. Beck gilt immerhin, vom ein oder anderen Plagiat abgesehen, als seriös.

Aus meiner Zeit lenne ich Freilassung "on parole" ausschließlich für Offiziere und in zwei Ausprägungsgraden: Aufenthalts- und Bewegungsfreiheiten am Ort der Gefangensetzung gegen das Ehrenwort, keinen Fluchtversuch zu unternehmen, sowie Repatriierung mit der Auflage, sich am Konfliktgeschehen nicht zu beteiligen "until properly exchanged".
 
*) Allerdings: Offenbar wurden die Angehörigen des Azow-Regiments nach der Kapitulation von Mariupol auf ihr Ehrenwort hin in die Türkei entlassen. (Ausnahmen bestätigen die Regel.)
Schwierig. Das war wohl Teil eines Gefangenenaustausches. Inzwischen sind die fünf(!) Offiziere wieder in Ukraine. Sehr zum Mißfallen Russlands. Ob sie wieder kämpfen und ob sie ein Ehrenwort gegeben haben, ist (mir) unklar. Möglicherweise war ihr Status eher "in der Türkei interniert" denn "auf Ehrenwort auf freiem Fuß"?
https://www.politico.eu/article/russia-accused-turkey-and-ukraine-of-violating-prisoners-deal-war/
 
Zumindest gab es meiner Erinnerung nach einen Austausch von verwundeten Soldaten zwischen Deutschland und Großbritannien.

Einer der Überlebenden des Massakers von Le Paradis gelangte auf diesem Weg zurück nach Hause:

The Allies received no information about the massacre until the summer of 1943, when Pooley, who had spent the previous three years in a German hospital due to the injuries he had suffered in the massacre, was declared medically unfit and repatriated.​

Le Paradis massacre - Wikipedia

Ansonsten haben wir auch schon diesen Thread: Gab es während des Krieges in größerem Ausmaß einen Austausch von Kriegsgefangenen?
 
Im "Forum der Wehrmacht" gefunden:

Fischer, Hubert: Der deutsche Sanitätsdienst 1921-1945. Organisation, Dokumente und persönliche Erfahrungen. Bd. 5: Teil C: Der Sanitätsdienst der Wehrmacht im 2. Weltkrieg (1939-1945). Osnabrück 1988, S. 4038:
Im Oktober 1943 erfolgte unter Verantwortung des Internationalen Roten Kreuzes ein Gefangenenaustausch zwischen England und Deutschland. Dabei wurden in Göteborg 4.159 Engländer gegen 832 Deutsche, in Barcelona 1.057 Deutsche gegen 1.036 Engländer ausgetauscht und in Oran (Algerien) 3.876 Deutsche (342 Invalide und 3.534 Angehörige des Sanitätspersonals) freigelassen.


Bringmann, Karl: Kriegsgefangenen-Sanitätsdienst. Ärztliche Versorgung in deutschen Kriegsgefangenenlazaretten und Kriegsgefangenenaustausch während des Zweiten Weltkrieges. Bonn 1992 (Beiträge Wehrmedizin und Wehrpharmazie 6), S. 14:
Von Oran aus wurde ein großer Teil des in Afrika in Gefangenschaft geratenen Sanitätspersonals sowie schwerverletzte Soldaten des Afrika-Korps mit einem Freigeleit-Schiff und einem Sanitätsschiff nach Marseille gebracht.
 
Gerade durchgelesen:

Im Schlussbericht des IKRK zum 2. WK gibt es detaillierte Zahlen zu den einzelnen offiziellen Kriegsgefangenenaustauschen.
Report of the International Committee of the Red Cross on its activities during the Second World War (September 1, 1939 - June 30, 1947) / International Committee of the Red Cross - CICR Vol. 1, Kapitel Repatriation of Prisoners of War for Reasons of Health, Seite 373-382.
Ab und zu wird darin auch "release on parole", also Freilassung unter Auflagen, erwähnt, aber ohne Zahlen.
Soviel ich weiß, wurde die Möglichkeit für eine Freilassung unter Auflagen oder Ehrenwort erst nach dem Krieg aus den Haager Abkommen in die Genfer Konvention (Art. 21) übernommen. Das IKRK sah 1949 offenbar Handlungsbedarf, wohl auch wegen der Erfahrungen im Krieg. Allfällige Erfolge, die seine Vertreter diesbezüglich außerhalb der offiziellen Kanäle gehabt haben, gab und gibt das neutrale IKRK verständlicherweise ungern bekannt, so wie auch der Schlussbericht sehr vorsichtig geschrieben erscheint.
 
Die Kriegspartei, die die Person gefangen hält, hat ein zumindest logistisches Interesse daran, solchen Bitten zu entsprechen, denn jeder Kriegsgefangene weniger bedeutet einen Mitesser weniger.
Warum sollte man einen Kriegsgefangenen aus logistischen Gründen freilassen? Grundsätzlich mussten Kriegsgefangene für den Feind arbeiten. Nur die Offiziere waren von Arbeit freigestellt. Ein Onkel von mir kam April 1941 in Sollum in Kriegsgefangenschaft.

https://de.wikipedia.org/wiki/Sallum

Der wurde über Südafrika nach Kanada verfrachtet. Dort hat er dann bis 1948 (?) in abgelegenen Gebieten im Norden Kanadas mit zig anderen deutschen Kriegsgefangenen als Holzfäller arbeiten müssen.

Einer meiner Englischlehrer wurde als junger Fallschirmjäger nach der Landung in der Normandie von den Briten gefangen genommen. Danach musste er auf einer Farm in der englischen Provinz arbeiten. Das reichte dann immerhin um nach der Repatriierung mehr als 40 Jahre als Englischlehrer arbeiten zu können.

Einer meiner Deutschlehrer war Bordschütze auf einem deutschen Bomber im Luftkrieg um England. Der wurde 1940 abgeschossen und war danach auch auf einer Farm als Farmarbeiter tätig.
 
Warum sollte man einen Kriegsgefangenen aus logistischen Gründen freilassen? Grundsätzlich mussten Kriegsgefangene für den Feind arbeiten. Nur die Offiziere waren von Arbeit freigestellt. Ein Onkel von mir kam April 1941 in Sollum in Kriegsgefangenschaft.

https://de.wikipedia.org/wiki/Sallum

Der wurde über Südafrika nach Kanada verfrachtet. Dort hat er dann bis 1948 (?) in abgelegenen Gebieten im Norden Kanadas mit zig anderen deutschen Kriegsgefangenen als Holzfäller arbeiten müssen.

Einer meiner Englischlehrer wurde als junger Fallschirmjäger nach der Landung in der Normandie von den Briten gefangen genommen. Danach musste er auf einer Farm in der englischen Provinz arbeiten. Das reichte dann immerhin um nach der Repatriierung mehr als 40 Jahre als Englischlehrer arbeiten zu können.

Einer meiner Deutschlehrer war Bordschütze auf einem deutschen Bomber im Luftkrieg um England. Der wurde 1940 abgeschossen und war danach auch auf einer Farm als Farmarbeiter tätig.

Ein Kriegskamerad meines Opas, ein Stalingrad-Veteran erzählte mal, dass ein Vorgesetzter zwei Rotarmisten laufen ließ.
Die Szene ereignete sich im Häuserkampf von Stalingrad. Es fehlten Leute, die man zur Bewachung hätte abkommandieren müssen, es gab auch keine Möglichkeit, die Kriegsgefangenen bei einem rückwärtigen Stab oder Sammelplatz abzuliefern, und noch weniger war man in der Lage und auch nicht willens, die ohnehin schon knappen Rationen mit sowjetischen Kriegsgefangenen zu teilen. Andererseits wollte man aber die sowjetischen Gefangenen auch nicht einfach niedermachen (wie es häufig vorkam).

Solche Entscheidungen waren Eigenmächtigkeiten, wer sich auf so etwas einließ, konnte nicht sicher sein, von Vorgesetzten gedeckt zu werden. Dennoch kam so etwas auch an der Ostfront vor.
 
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