Zur gleichen Zeit wurde der humanistische Germanenbegriff mit dem
romantischen Volksbegriff zusammengebracht und führte über die „
Volksgeistlehre“ zur Vorstellung einer Kontinuität zwischen antiken Germanen und neuzeitlichen Deutschen.
[23] Der Fortschritt der
Sprachwissenschaft im frühen 19. Jahrhundert erlaubte es, diesen Volksbegriff mit der nun
als „germanisch“ titulierten Sprachfamilie zu verknüpfen. Auch der modern-archäologische Germanenbegriff ging von diesem sprachwissenschaftlichen Germanenbegriff aus: Weil sich der „Volksgeist“ auch in seinen materiellen Schöpfungen ausdrücke, wurden archäologische Fundtypen dann bestimmten Kulturgruppen zugeordnet, wenn eine durchgehende Besiedlung nachgewiesen werden konnte und diese mit den antiken Quellen vereinbar war, wie insbesondere
Gustaf Kossinna festhielt.
[24]Im späten 19. Jahrhundert erlebte die Germanenforschung dank dem Bedürfnis nach einer nationalkulturellen Identitätsbestimmung einen weiteren Aufschwung, führte so zu wichtigen Erkenntnissen, aber auch zu einem verstärkten Rekurs auf die angenommene Geschichtskontinuität von den Germanen bis zum deutschen Kaiserreich des 19. Jahrhunderts, die schließlich in den
Germanenmythos völkischer Bewegungen und dann des
Nationalsozialismus münden konnte.
[25] Zahlreiche Aussagen und Begriffsbildungen dieser älteren Germanenforschung sind daher inzwischen fragwürdig geworden.
[26]
In jüngerer Zeit löste sich der einheitliche Germanenbegriff teils in verschiedene Germanenbegriffe auf. Dafür gab es mehrere Ursachen: Zum einen war die Identifikation von archäologischen Fundtypen mit einheitlichen Volksgruppen nicht mehr aufrechtzuerhalten. Auch der durchaus berechtigte Sprachstammbaum begründet noch keine wesensmäßige Einheit „germanischer Völker“. Die den unterschiedlichen Fachrichtungen (historische Forschung, Linguistik, Archäologie) eigentümlichen Germanenbegriffe sind daher heute nicht mehr unbedingt deckungsgleich, auch wenn eine engere Zusammenarbeit beispielsweise zwischen Archäologie und Linguistik, besonders im Zeichen der
Topo- und
Hydronymie, durchaus als
Desiderat angesehen wird.
[27] So sind die
Skandinavier nur im Bereich der germanischen
Philologie Germanen, nicht aber in der historischen Forschung zum Römischen Reich. Andererseits handelt es sich beim einzigen Volk, das sich nach antiker Überlieferung selbst als Germanen bezeichnete, nämlich den caesarischen
Germani cisrhenani, vielleicht gerade nicht um Germanen, sondern um keltisch assimilierte
Belger.
[28] Wenn auch die Vertreter der prähistorischen
Jastorfkultur als Germanen benannt werden, dann wird der ethnographische Germanenbegriff auf Zeiträume übertragen, in denen es ihn – in antiker ebenso wie in moderner Ausprägung – noch nicht gab.