Ich bin da wirklich gespannt auf die Argumentation und die entsprechenden Nachweise, welche Kräfte in London "für einen Krieg gearbeitet haben" und welche Ziele damit verfolgt worden sind.
Wie Teile der britischen Presse schon vor der Jahrhundertwende für einen Krieg gegen Deutschland plädiert haben ist schon an anderer Stelle aufgeführt worden.
Der Führer der Tories, Lord Balfour argumentierte schon 1909 vor amerikanischen Diplomaten für die Notwendigkeit einen Kriegsgrund gegen das DR zu finden, bevor Dieses zu stark würde. Er wird bei Allan Nevis (Henry White, Thirty years of american diplomacy" mit folgenden Worten zitiert, die die "verfolgten Ziele" gut zusammenfassen:
"
Wir sind wahrscheinlich töricht, daß wir keinen Grund finden, um Deutschland den Krieg zu erklären, ehe es zu viele schiffe baut und uns unseren Handel wegnimmt"
...
"Ist das eine Frage von Recht oder Unrecht? Vielleicht ist das eine Frage der Erhaltung unserer Vorherrschaft"
Der US-Genralkonsul in München Gaffney notierte vor dem Krieg:
"
Bei meinen jährlichen Besuchen stellte ich erstaunt und amüsiert fest, wie die Feindschaft gegen Deutschland wuchs. Meine englischen Freunde zögerten nicht, mir mit völliger Offenheit und der üblichen englischen Anmaßung zu erklären, daß es nötig sei, Deutschland zu zerstören oder Großbritannien würde seine wirtschaftliche Vormachtstellung auf den Weltmärkten verlieren." (John Gaffney, Breaking the Silence)
Über das Agieren von Eyre Crowe ist hier schon Vieles geschrieben worden.
Ab der ersten Marokkokrise 1904 gab es bereits ein Abkommen zwischen Frankreich und GB um im Kriegsfall vier, später sechs britische Divisionen nach Frankreich zu schicken, ab 1906 wird von britischer Seite sondiert, ob Belgien sich in die Entente gegen Deutschland einreihen würde oder ob man zumindest durch belgisches Territorium marschieren dürfte und der Chef der Belgischen Armee, General Ducarne stimmte diesen Vorschlag zu.
1912 teilte der britische Militärattache dem neuen Belgischen Oberkommandierenden General Jungbluth mit, dass GB notfalls seine Truppen auch ohne belgische Erlaubnis an dessen Küsten landen würde. Man hat also damals bereits aktiv eine Landkriegsführung gegen das DR geplant.
Wie schrieb Peter (Britische Kriegsziele und Friedensvorstellungen in: Der Erste Weltkrieg, Michalka Hg., S. 98): " Konfliktabwehr, aber nicht Konfliktscheu war das Grundziel der britischen Außenpolitik im 20. Jahrhundert."
Konfliktabwehr? GB hat von 1814 bis 1914 ca. fünfzig (50!) Kriege geführt, davon die überwiegende Mehrheit selber angefangen. Zu behaupten, dass die agressivste Kolonialmacht der Neuzeit, die sich ca. einen Viertel der Erdoberfläche zum Untertan gemacht hatte, "konfliktabwehrend" agieren würde, ist ein schlechter Witz. Das waren sie nicht einmal, als sie eigentlich schon zu schwach für solche Abenteuer waren, wie z.B. 1954.
Ich kritisiere durchaus auch andere Positionen, mache mir aber wenigstens die Mühe, eine fakten bzw. literaturorientierte Erwiderung zu schreiben.
Fakten sind interpretationsfähig und nicht jede Schlussfolgerung aus der Literatur muss man folgen.
Ansonsten befinde ich mich mit meiner "kontrafaktischen" Naivität zumindest teilweise in der Nähe der Kritikpunkte von Bülow an Bethmann Hollweg. Eine Kritik, die zumindest Röhl aus einem anderen Grunde - wegen der Verkennung der Interessen des DR in SO-Europa - als nicht durchdacht kritisiert.
Ich möchte nicht in Frage stellen, dass man grobe Fehler begangen hat. Der Durchmarsch durch Belgien war ein solcher, so wie Frankreich den Krieg zu erklären und nicht drauf zu warten dass die Franzosen es täten, was sie früher oder später sowieso getan hätten.
Gegenüber Frankreich wäre es jedoch sinnlos gewesen, sich auf das rechte Rheinufer zurück zu ziehen. Bismark hat bereits 1871 über den Botschafter in London der Britischen Regierung erklären lassen, dass die Anexion des Elsasses und Lothringens für die Verteidigung Deutschlands erforderlich sei, angesichts der stategischen Situation und der vielen Male in der Geschichte, in denen Französische Truppen auf deutschen Boden eingedrungen seien.
Als Argument gegen eine Zurückhaltung führte er an, dass man 1815 Frankreich keine Territorien abnommen habe, die Französische agressive Haltung sich dadurch jedoch nicht geändert hätte und diese sogar Rache für die Niederlage eines anderen Landes forderten ("Rache für Sadowa"). 1914 hatte sich diese Einstellung nicht geändert und man hätte sich militärisch in eine missliche Lage gebracht, wenn man das leichter zu verteidigende Terrain links des Rheins aufgegeben hätte. Großbritannien hätte das m.E. auch nicht von einem Eingreifen abgehalten, ohne Belgien hätte es natürlich eine andere Ausrede finden müssen.
Das ist ein Irrtum, da sich die außenpolitische Bewertung der europäischen Poltik, wie beispielsweise ein Chamberlain es 1938 (z.B. in München) vorgenommen hat, in einen ähnlichen Kontext zum Commonwealth befand, wie vor dem WW1.
Man hatte aber nun völlig andere Erfahrungen die selbstverständlich in die Bewertungen einfliessen mussten. 1914 ahnte kaum jemand, was für ein Blutbad sich anbahnte, nach dem Krieg wusste man das sehr gut. Die globale Situation hatte sich zudem durch die Entstehung der SU und dem Aufstieg Japans grundlegend geändert.
In beiden Fällen mußte man sich mit Europa beschäftigen, aber nicht weil man es wollte, sondern weil man durch die politische Dynamik auf dem Kontinent gezwungen wurde.
1914 war man nicht gezwungen (Deutschland war faktisch eingekreist und bildete keine reale Gefahr für GB, im Rest der Welt war es mehr eine eingebildete Bedrohung da die deutsche Flotte nicht einmal annähernd eine Stärke hatte bei der sie ein tatsächliches Risiko dargestellt hätte und das Potential von U-Booten war noch völlig unbekannt).
Bezeichnend ist das Thema der Baghdad-Bahn, was von den Briten als Herausforderung ihrer Interessen in Nahost angesehen wurde: Die Anexion eines Teiles des Osmanischen Reiches (Kuweit), bedroht duch eine Bahnlinie die nicht einmal an die Küste reichte!
Und das man "wollte" geht aus Zitaten britische Politiker und Presse m.M.n. doch sehr deutlich hervor.
In in beiden Fällen liegt eine ähnlich globale Sicht zugrunde und in beiden Fällen auch eine ähnliche Bewertung der Bedeutung der europäischen Machtbalance. Wie beispielsweise bei Darwin in der Dynamik und auch Kontinuität beschrieben.
Unfinished Empire: The Global Expansion of Britain - John Darwin - Google Books
Du stellst die Erhaltung der "Machtbalance" als einen statische Angelegenheit dar. Tatsächlich war es jedoch ein dynamischer Prozess, bei den Großbritannien nie zögerte in einen Krieg einzugreifen wenn es darum ging, eine aufstrebende Macht niederzukämpfen oder eine im Niedergang befindenden den Rest zu geben.
1858 hatte man zusammen mit Frankreich und dem OR gegen Russland gekämpft, zur Zeit der Koalitionskriege mit verschiedenen Alliierten gegen Frankreich, im 7-Jahrigen Krieg mit Preussen gegen Frankreich, davor mit Holland gegen Spanien etc.
Das Thema des "Festlanddegens und die Niederhaltung der jeweils führenden Kontinentalmacht ist deshalb eine Konstante in der Britischen Geschichte seit dem 18. Jahrhundert und wurde auch bereits im Vorfeld des 1 WKs von britischer Presse und Politikern bemüht.