Ich bin anderer Ansicht. Varus war ein erfahrener Statthalter ( Africa und Syrien) und Verwaltungsfachmann, aber kein kampferfahrener Feldherr.
Das ist Varus‘ Problem, er wird immer von seiner Niederlage aus gesehen, der
clades Variana. (Der Bruder des Marcus Caelius ließ noch
bello variano schreiben. Dass er aber da schon auf etliche Jahrzehnte Karriere zurückschauen konnte, wird leicht übersehen, zumal Velleius ihn ja so negativ charakterisiert.
Der
cursus honorum hatte in der Kaiserzeit das Militärtribunat als Bestandteil.
Was Varus‘ Karriere anbelangt wissen wir, dass er oft Ämter parallel mit Tiberius innehatte:
(Tiberius hatte das Militärtribunat 25 v. Chr. inne, kantabrischer Krieg)
Quästur mit Tiberius 21/20
Legionslegat 15 v. Chr. (unter Tiberius‘ Kommando)
Konsulat mit Tiberius (13 v. Chr.)
In Africa befehligte Varus vermutlich die dritte Legion.
In Syrien befehligte Varus vier Legionen, mit zweien davon fiel er Judäa ein. Syrien (wie Germanien) war eine kaiserliche Provinz, d.h. eine, die als nicht vollständig befriedet galt oder militärischen Schutz benötigte.
In Germanien (7-9) befehligte er fünf Legionen.
Er hat gleich mehrere militärische Fehler gemacht und die Niederlage selber verschuldet. Es gab ja- wenn auch wenige- überlebende Tatzeugen. .Entkommene und Freigekaufte. Noch 40 Jahre später.
Von den Augenzeugen der Varusschlacht wird folgendes berichtet: Sie zeigten Germanicus den Weg zum Schlachtfeld, wo die Adlerträger, wo die Legaten fielen und wo Varus sich ins Schwert stürzte. Tac. ann. I, 61, 4. hier wird von Fehlern des Varus nicht berichtet. Die 40 Jahre später durch Truppen des P. Pomponius befreiten Kriegsgefangenen werden auch nicht weiter erwähnt, lediglich der Fakt ihrer Befreiung wird übermittelt. Bei Tacitus finden wir die negative Varus-Darstellung, wie wir sie von Velleius Paterculus und Florus kennen,
nicht.
Erstens hat er trotz eindringlicher Warnung jegliche Vorsicht vermissen lassen
Wie gesagt, die Warnung hat schon Tacitus Segestes nicht abgenommen, der berichtet, dass nur jene Nacht Zeuge war (
testis illa nox - wer hätte also der Darstellung Segestes‘ widersprechen sollen? - Nun, Tacitus berichtet auch, dass man bei Segestes
spolia Varianae cladis (Beute der Varusniederlage) fand.
hat er sich trotz Warnung mit seinem schwerfälligen Heer vom offenen Weg in die dichten und sumpfigen Wälder locken lassen, statt Kundschafter voraus schicken und die Lage erkunden.
Da die angebliche Warnung wohl eher die innercheruskischen Verhältnisse des Jahres 15 als tatsächliche Ereignisse des Jahres 9 (
testis illa nox; spolia Varianae cladis) widerspiegelt: Diese Aufgaben dürften tatsächlich die Truppen von Arminius übernommen haben, also die Verschwörer.
Drittens hat er trotz Anraten seiner Stellvertreter versäumt, rechtzeitig um zu kehren, als es noch möglich war.
Dafür hätte ich jetzt tatsächlich gerne eine Quelle. Bei Velleius Paterculus, Tacitus, Frontinus, Sueton, Florus und nicht einmal bei Cassius Dio lese ich davon nichts.
Viertens hat er gegen die Warnung seines Stabes seinen Tross mit allen Lebensmitel und Waffen ( Artellerie-Katapulte ) vernichten lassen, statt in einem Lager aus zu harren, bis Hilfe kam.
Dass er
einen Teil der Wagen vernichten ließ, ist Sondergut von Cassius Dio (200 Jahre nach der Schlacht). Dass Varus Waffen vernichten ließ, davon steht in keiner Quelle etwas. Ebensowenig, dass sein Stab ihm da widersprochen hätte. Cassius Dio, der die Wagen einige Sätze zuvor eher als Problem beschreibt (Hist. Rom. LXVI, 20, 2: ἦγον δὲ καὶ ἁμάξας πολλὰς καὶ νωτοφόρα πολλὰὡς ἐν εἰρήνῃ: παῖδές τε οὐκ ὀλίγοι καὶ γυναῖκες ἥ τεἄλλη θεραπεία συχνὴ αὐτοῖς συνείπετο, ὥστε καὶ κατὰτοῦτ᾽ ἐσκεδασμένῃ τῇ ὁδοιπορίᾳ), sagt sogar, dass es nach dem Zurücklassen des Trosses die Marschordnung insgesamt besser gewesen sein (Hist. Rom. LXVI, 21, 1: αὐτοῦ τε οὖν ἐστρατοπεδεύσαντο, χωρίου τινὸςἐπιτηδείου, ὥς γε ἐν ὄρει ὑλώδει ἐνεδέχετο, λαβόμενοι, καὶ μετὰ τοῦτο τάς τε πλείους ἁμάξας καὶτἆλλα τὰ μὴ πάνυ σφίσιν ἀναγκαῖα τὰ μὲνκατακαύσαντες τὰ δὲ καὶ καταλιπόντες, συντεταγμένοιμέν πῃ μᾶλλον τῇ ὑστεραίᾳ ἐπορεύθησαν, ὥστε καὶ ἐςψιλόν τι χωρίον προχωρῆσαι,)
Aufgabe oder Selbstmord galt als ehrenrührig.
Hans Ulrich Nuber:
P. Quinctilius Varus siegte... als legatus Augusti in Süddeutschland, in:
Imperium - Konflikt - Mythos, Bd. I (
Imperium), S. 106 - 113:
Der Selbstmord eines 55-jährigem in einer ausweglosen Situation, römischem Ehrenkodex folgend die Norm, ist als solcher kein erinnerungswertes Ereignis...
Gottfried Schiemann:
Suizid. In: DNP:
Der
Ruhm des stoischen Selbstmörders und Caesar-Gegners M.
Porcius [I 7] Cato war so groß, daß er sogar in das prinzipiell entschieden selbstmordfeindliche ma. Christentum hinüberstrahlte, so in Dantes Purgatorium. Ein nicht weniger prominenter röm. Selbstmörder,
Seneca [2] (1. Jh. n. Chr.), befaßte sich als Philosoph der jüngeren Stoa intensiv mit dem S. und fragte z. B. nüchtern, ob man nicht die Seele aus einem Körper hinausführen dürfe, der untauglich geworden sei für seine Dienste (Sen. epist. 58,32-36).
Diese positiven Einstellungen zum S. fanden verm. Widerhall in der Differenzierung des röm. Juristen
Neratius [5] um 100 n. Chr. (Dig. 3,2,11,3): Während der S. aus Lebensüberdruß (taedium vitae) und - wie wohl hinzugedacht werden muß - in ehrenhafter Ausführung rechtlich und gesellschaftlich akzeptiert ist, gilt der Selbstmörder aus schlechtem Gewissen (mala conscientia) und derjenige, der sich erhängt hat, als ehrlos. An dieser
infamia eines Selbstmörders hat seine Witwe teil. Er selbst erhält kein ehrenhaftes Begräbnis (
Totenkult).
Als “ehrenhaft” galt v. a. der S. durch das Schwert.
[…]
Nur wenige Jahre später hat Arminius die Römer wieder eingekesselt, aber der fähige Stellvetreter von Germanicus, Caecena, war kein Varus, sondern hat sich den Weg unter grossen Verlusten frei gekämpft. Nur Augustus hielt an der Theorie fest, Wetter und Verrat wären schuld gewesen . Weil er den Ruf der Armee schützen wollte, ihn ernannt und mit ihm verwandt war. Dabei war er bei jeder Schlachtmit Migräne jammernd im Bett. Gut, dass er einen Agrippa hatte. Der für ihn die Schlachten gewonnen hat.
Als Germanicus und Caecina (14-16) gegen Arminius ins Feld zogen, war
Augustus bereits verstorben. Erst nach Augustus‘ Tod erreichte Germanicus die Rheinlegionen und musste diese mit Geldgeschenken besänftigen und Feldzügen ins Innere Germaniens beschäftigen und disziplinieren, erst 15 entsetzte er den belagerten Segestes, der ihm die Geschichte von der Warnung vor Arminius‘ Verrat auftischte. Dass das
Wetter bei der Schlacht eine spielte, lesen wir erstmals
200 Jahre nach der Schlacht bei
Cassius Dio. Sueton, der Augustus‘ angeblichen nächtlichen Ruf
legiones redde populär machte, weiß nichts vom Wetter.