Alle zeitgenössischen Autoren sehen im persönlichen Versagen des Varus die Haupt- Ursache für die Niederlage.
Das ist weder bei Ovid, noch Manilius, noch Strabon der Fall. Um 20 (18 wird Iulia Livilla geboren und mit Publius Quinctilius Varus verlobt. Dem Sohn des berühmteren Publius Quinctlius Varus) scheint die Stimmung zu kippen. Was Seneca über Cestius Pius und Varus Junior erzählt muss so um 19/20 passiert sein, denn der Junior trug noch die
toga praetexta, wird also um die 14 Jahre alt gewesen sein. Das Zeitfenster liegt zwischen der Geburt Iulia Livillas und dem 14. Geburtstag von Varus (zw. 18 u. 21 n Chr.). Vielleicht ist es der Tod des Germanicus, der es möglich machte, Varus die Schuld an allem zu geben.
Die ersten Jahre nach der Schlacht überwiegt das Bedauern über die Niederlage, die Schuld wird beim germanischen Vertragsbruch gesucht.
Vellius Paterculus‘
Historia Romana ist um 29/30, also 20 Jahre nach der Schlacht, die erste Quelle, die Varus die Schuld an der Niederlage gibt, da ist der Varus beschuldigende Narrativ schon zehn Jahre im Umlauf (Cestius Pius-Episode in den
Controversiae, die Seneca um 37 publizierte).
V.Paterculus war sogar Zeuge und Kriegsteilnehmer in Germanien. Er kritisiert Varus besonders scharf und beschreibt ihn als den Hauptverantwortlichen für die Niederlage, der mehr Mut zum Sterben als zum Kämpfen hatte. Das interssiert hier aber niemand.
Du hast doch angegeben Jurist zu sein.
Als Jurist solltest du doch wissen, dass Zeitzeugen keine Augenzeugen sind und selbst Augenzeugen manchmal Interessen haben, die nicht der Wahrheitsfindung dienlich sind.
Velleius Paterculus hat ein solches Interesse. Ihm geht es darum, bloß ja keinen Schatten auf Tiberius fallen zu lassen. Wie kann das sein, dass die Provinz, die Tiberius jahrelang erfolgreich erobert und befriedet hat, so plötzlich vom Reich abfällt?
Da bedarf es einer Erklärung, die Tiberius nicht wie einen Hochstapler aussehen lässt. Und da kommt der unglückliche Varus ins Spiel.