dekumatland
Aktives Mitglied
Hallo,(...)Die Berichte von Militärbeobachtern wären natürlich besonders wertvoll, insonderheit die Einschätzung von "modernen" Infanteriewaffen (z.B. des MG). Ich glaube gelesen zu haben, daß die deutschen Militärbeobachter entsetzt waren über die Wirkung.
M. :winke:
wiederum - pardon - nur eher am Rande: an der Entwicklung einer Schnellfeuerwaffe wurde von mehreren Militärmächten im letzten Drittel des 19. Jh. geforscht. So weit mir bekannt, wurden MGs bzw. deren Vorläufer schon Ende des 19. Jh. sowohl zur Vorfeldbestreichung als auch in den Grabenwehren im Festungsbau (nach der Brisanzkrise) eingesetzt. Die russ. Armee soll zu Beginn des 20. Jh. mit dänischen MGs (bzw. solchen ähnlichen Vorläufern) ausgestattet gewesen sein. In Port Arthur waren nicht allzu viele solcher Art auf russ. Seite einsetzbar, denn die abgeschnittene (keine Versorgung über See, kein Entsatz über Land) Festung hat - wie jede in so einer Situation - ein Munitionsproblem.
Weniger bekannt dürfte bzgl. Port Arthur sein, dass (bei geeignetem Gelände) im unterirdischen Minenkrieg Gas bzw. Abgase eingesetzt wurden, um Hohlräume (Grabenwehren bzw. Kaponieren) auszuschalten.
Durch maritime Rüstung, moderne Waffentechnik wie auch Festungsbau war die finanzielle Lage (Finanzierung der monströsen Militärausgaben) überall recht angespannt, so war z.B. das dt. Kaiserreich finanziell nicht in der Lage, sämtliche relevante Festungen mit so genannten Panzerbatterien und Panzerforts auszustatten (vgl. Tagungsband "Nutzung und Erhalt historischer Großfestungen", darin der Aufsatz von V. Kupka) - und in dieser Situation erwies sich, dass sogar eine "Baustelle" unerwartet zäh sein konnte! Tatsächlich hatte der russ. Zar die Mittel für den Ausbau von Port Artur zusammengestrichen, da er keine Millionen Rubel im fernen Osten im Boden verbuddeln wollte (vielleicht konnte er auch nicht?) - eine ähnliche Reduzierung betraf das Großprojekt des Festungsverbunds Nowo-Georgiewsk=Zegrze=Warszawa, welches ab 1912 zusammengestrichen war auf die Groß-Festung Nowo-Georgiewsk und den mit zwei Betonforts gesicherten Brückenkopf Zegrze (und die russ. Militärs waren darüber keinesfalls glücklich...)
zu den Folgen:
Bzgl. Port Artur als militärisch allseits mit Interesse verfolgter Testwirkung über modernen Festungsbau kontra moderner Artillerie:
1. einer mit modernster Artillerie und zahlenmäßiger Überlegenheit ausgestatteten Armee ist es nicht möglich, eine Groß-Festung (doppelter Fortgürtel, Befestigunsgruppen etc.) durch "förmliche Belagerung" innerhalb eines tolerablen Zeitrahmens zur Aufgabe zu zwingen: immerhin dauerte diese Auseinandersetzung vom 1.8.1904 bis zum 2.1.1905
2. als Konsequenz daraus wurde der Festungsbau bei den großen Militärmächten noch einmal massiv und unter immensem Einsatz finanzieller Mittel vorangetrieben:
dt. Kaiserreich
Befestigungsgruppen (Metz, Mainz, Graudenz u.a.)
Panzerfortifikation (Thorn, Helgoland, Wesermündung u.a.)
Österreich
Przemysl, Krakau, Pola, Bucht von Kotor
Russland
Nowo-Georgiewsk (Modlin), Zegrze, Osowiec, Brzesz, Kaunas, Wladiwostok
bzgl. Frankreich ist Verdun bekannt genug
Damit ist - ob im Vorfeld diplomatisch vorangetrieben oder nicht - nachvollziehbar, dass an einem russ.-jap. Konflikt ein gleichsam hinter verschlossenen Türen befindliches großes Interesse auf jeden Fall bei den hohen Militärs vorhanden war - - und die hatten in dieser Zeit keinen geringen Stellenwert. Militärische Stärke (Flotte, Heer, Rüstungsindustrie, Festungsbau) war ja gleichsam auch eine Art Rückversicherung bei diplomatischen Entscheidungen, und jeder militär. Konflikt bei potenziellen Gegnern stieß auf reges Interesse.
Der russ.-jap. Krieg brachte also für das Militär recht zwiespältige Ergebnisse: trotz Verlusts der Pazifikflotte bestand das russ. Imperium weiter als Großmacht, und die fernöstliche Baustelle ließ Rückschlüsse auf die Stärke der "Aufmarschstellung" (im heutigen Polen) zu. Ich erinnere nochmals daran, dass auf drei Seiten dieses heikle Gebiet zu wirklich monströsen Ausgaben und Baumaßnahmen geführt hatte (all die gigantischen Festungsanlagen des dt. Kaiserreichs, der Österreicher und der Russen in Polen etc - kurzum die Westgrenze des russ. Imperiums)
Ärgerlich hierbei ist teilweise die Quellenlage, da sehr viel russ. Militärquellen heute noch unter Verschluß sind, obwohl sie Angelegenheiten des späten 19. und frühen 20. Jh. betreffen. Damals, z.B. nach dem russ.-jap. Krieg wusste man nicht, wie stark und modern z.B. Nowo-Georgiewsk (heute Modlin) und Osowiec waren, weshalb eine rege Spionagetätigkeit entfaltet wurde - dennoch bekam man nicht heraus, ob sich an der Narewmündung schwer zu knackende Panzerfortifikation befand oder nicht.
Ich weiß: all diese entlegenen Militaria sind nicht der Gegenstand der hier gestellten Frage - aber vielleicht sind sie teils indirekt, teils als Kuriosa nicht völlig uninteressant. Es ist vielleicht nicht ganz abwegig, zu fragen, ob und welche militärischen Interessen womöglich Einfluß auf die diplomatischen Tätigkeiten hatten.
Gruß,
dekumatland
bzgl. der Situation von 1885 bis zum Ende es ersten Weltkriegs an der Westgrenze des russ. Imperiums gibt es viel polnische Literatur, leider ist diese aber nicht ins deutsche übersetzt.