Erhielten Freigelassene das römische Bürgerrecht?
Im Prinzip ja.
Aber:
"Reibungen zwischen den freigeborenen Bürgern, den ingenui, und den freigelassenen, den liberti, resultierten schon in der klassischen Republik daraus, daß der Freigelassene mit dem Akt der Freilassung auch automatisch zum römischen Bürgerrecht kam. Während des 2. und 1. Jahrhunderts v. Chr. stiegen nun die Zahlen der Freigelassenen entsprechend der Zunahme der Sklavenzahlen sprunghaft an. Nach modernen Schätzungen erreichte der Anteil der Freigelassenen und deren Nachkommen gegen Ende der Republik in einzelnen Regionen Italiens bereits 75% der ingenui.
Bei diesem Stand der Entwicklung setzte die restriktive Gesetzgebung des Augustus ein. Die lex Fufia Caninia ( 2 v. Chr. ) legte fest, daß ein freier Erblasser testamentarisch nur noch einen bestimmten Prozentsatz seiner Sklaven in Freiheit mit vollem römischem Bürgerrecht entlassen konnte. Die lex Aelia Sentia (4 n. Chr.) verfügte, daß grundsätzlich nur freie Eigentümer von über 20 Jahren Sklaven freilassen durften und daß die Freilassung nur für Sklaven von über 30 Jahren galt. Die entgegen diesen Bestimmungen freigelassenen Sklaven sollten wohl frei bleiben, jedoch lediglich das latinische, nicht das volle römische Bürgerrecht besitzen. Sie wurden als sogenannte Latini Aeliani eingestuft. Gleichzeitig bestimmte die lex Aelia Sentia, daß Sklaven, die mit schweren körperlichen Strafen belegt worden waren, künftig nicht mehr das volle römische Bürgerrecht erlangen konnten."
Geschichte der römischen Kaiserzeit (Karl Christ, Geschichte der römischen Kaiserzeit)
Die Praxis bürgerte sich am Ausgang der Republik ein, als die Aushebung ohnehin nicht mehr auf soziale Rangstufen achtete. Damals wurden Freigelassene beinahe unbeschränkt ins Heer aufgenommen. Augustus fühlte sich auch hier alter Tradition verpflichtet und stellte nur in Notfällen Freigelassene ein. Aber keine Rechtsnorm hinderte den ersten Prinzeps und seine Nachfolger, dieses Prinzip nach Belieben zu handhaben. Jedenfalls hat MOMMSEN beobachtet, daß im Laufe der Zeit immer mehr Freigelassene zum Heer gingen. Ob dies auf „Schleichwegen" geschah, wie MOMMSEN sich ausdrückt, hängt davon ab, ob den Freigelassenen rechtlich der Zugang zum Heer versagt war oder ob hier nicht vielmehr das freie Handeln der Behörde signifikant zum Vorschein tritt.
In den Juristenschriften finden wir jedenfalls kein Verbot für die Aufnahme Freigelassener, wie es Marcian für die Sklaven festgehalten hat.
Recht (Materien [Forts.]) || Die Rechtsstellung der römischen Soldaten Ihre Entwicklung von den Anfängen Roms bis auf Diokletian | Temporini, Hildegard | download (Jost Henrich Jung, Die Rechtsstellung der römischen Soldaten)