Freislers Rente

Scorpio

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. Und über die Qualität der Entnazifizierung läßt sich trefflich streiten. Dort wurde so einiges übersehen. Um nur ein prominentes Beispiel zu erwähnen nenne ich Albert Speer. Es gibt zahlreiche andere.

Speer war der nette Kriegsverbrecher, und der Einzige (?), der sich zu einigen Worten des Bedauerns durchringen konnte und eigene Schuld einräumte.

Hätten die Richter in Nürnberg das Wissen gehabt, was wir heute über Speer wissen, dann wäre er vermutlich hingerichtet worden. Speer hatte vermutlich mehr auf dem Kerbholz, als Freisler, der politisch kaltgestellt war. Man könnte sagen, dass er ein eiskalter Schwindler war, der dem Gericht eine Geschichte verkaufte und mit dem Leben davonkam.

Es ist aber eine Spielregel vor Gericht, dass Reue, selbst wenn sie geheuchelt ist sich im Urteil positiv bemerkbar macht.

Und 20 Jahre hat Speer ja auch abgesessen. Es heißt zwar, dass nur die ersten 15 Jahre schlimm sind, aber 20 Jahre das ist schon ein ganz ordentliches Brett. Und mit was für gruseligen Mitgefangenen! Intellektuell auch nicht unbedingt ein Publikum, mit dem du 20 Jahre absitzen willst.

Die 20 Jahre hat er auch ganz gut verarbeitet. Er hatte zweifellos Chancen, die ein "normaler" Gefangener nicht hat, aber 20 Jahre muss man auch erst mal wegstecken- Stahl, Beton und Stacheldraht schlägt auf die Dauer aufs Gemüt, mancher kriegt da einen Knacks weg.

Speer war dann ein gern gesehener Talkshowgast, hat Bücher veröffentlicht. Ob man ihm, was er gesagt hat, alles glauben kann, ist eine ganz andere Frage.

Speer ist im Gegensatz zu manch anderen verurteilten Kriegsverbrechern aber am Ende doch in der Bundesrepublik und im Nachkriegsdeutschland angekommen. Irgendjemand sagte mal, dass er auch in jedem anderen System hätte Karriere machen können.
Speer konnte sich anpassen, er war kein verbohrter Ideologe, wirkte bei öffentlichen Auftritten durchaus eloquent, und das war dann wohl auch der Grund, weshalb Speer dann als Autor durchaus so etwas wie eine zweite Karriere nach der Haft in Spandau gemacht hat.

Das kann man bedauern, man kann sicher auch die Ansicht vertreten, dass er als Opportunist durchgekommen und vielleicht zu glimpflich davongekommen ist.

20 Jahre sind aber ein Brett, und die hat Speer auch abgesessen. Seinen medialen Erfolg mag man bedauern, den hatte Speer aber auch, weil er die 20 Jahre wegstecken konnte, weil er nicht mehr im NS-Leitartikelstil geschrieben hat, weil er sich anpassen konnte und weil er eben auch in der Demokratie angekommen war, die Chancen einer freien, pluralistischen Presse, von freien Medien erkannte und nutzte, um sein Narrativ zu verbreiten.

Das mag man bedauern oder vielleicht auch ein Stück weit die Vitalität und Zähigkeit von Speer nicht gerade bewundern, aber doch respektieren, denn 20 Jahre am Stück sind ein Brett, und das wegzustecken keine Kleinigkeit.
 
Den Vergleich mit Freisler verstehe ich nicht, der hat das Kriegsende nicht erlebt. Meinst Du vielleicht Streicher?

Ja, ein Verschreiber- keine Ahnung wie ich auf Freisler kam. ich meinte natürlich Streicher! Freisler wurde in Nürnberg ja gar nicht angeklagt. Er kam bei einem Luftangriff auf Berlin ums Leben, statt sich in den Luftschutzkeller zurückzuziehen, wollte er Akten retten und bekam etwas auf den Hut.

Seine Witwe bezog Beamtenpension, Freisler war durch kriegerische Einwirkung ums Leben gekommen er war nie verurteilt, hätte vermutlich auch die Karriere fortgesetzt.

Streicher hätte Juden wohl am liebsten eigenhändig umgebracht, ihm war das Massaker, das seit 1941 lief noch viel zu lasch. Er hatte aber keine Kommandogewalt, außerdem war er in unzählige Fehden mit Nazi-Gewaltigen verstrickt.
 
Freisler war durch kriegerische Einwirkung ums Leben gekommen er war nie verurteilt, hätte vermutlich auch die Karriere fortgesetzt.

Das glaube ich nicht. Im "Juristenprozess" kamen 16 hochrangige Juristen vor Gericht, sechs davon waren am Volksgerichtshof tätig. Von diesen sechs wurden zwei verurteilt, drei freigesprochen, gegen einen erging wegen Verhandlungsunfähigkeit kein Urteil.
M. W. kehrte keiner der sechs in den Staatsdienst zurück.
Juristenprozess – Wikipedia
 
Das glaube ich nicht. Im "Juristenprozess" kamen 16 hochrangige Juristen vor Gericht, sechs davon waren am Volksgerichtshof tätig. Von diesen sechs wurden zwei verurteilt, drei freigesprochen, gegen einen erging wegen Verhandlungsunfähigkeit kein Urteil.
M. W. kehrte keiner der sechs in den Staatsdienst zurück.
Juristenprozess – Wikipedia

Ich glaube es auch nicht, der Mann hat wegen seiner Prozessführung selbst unter Blutrichterkollegen Kopfschütteln erregt, und Freisler war schon ein bisschen arg belastet, den Präsidenten vom Volksgerichtshof konnte man nicht mehr unterbringen, und Freislers Rechtsbeugung war selbst noch für den größten Rechtspositivisten untragbar.
Freisler hatte gleich am Anfang schon mal den Grundsatz nulla poena sine lege verstoßen. Er hatte mal einen Delinquenten verknackt wegen eines § den es zur Tatzeit noch gar nicht gab, und nachträglich exekutieren lassen.

Es regte sich in den 1980er Protest, als herauskam, dass Freislers Witwe Beamtenpension bekam wie Lina Heydrich. Die Gatten waren im Kriegseinsatz gefallen, auch Heydrich galt als Kriegsopfer, beide waren nicht verurteilt.

Im Falle von Freislers Witwe war die Begründung, dass Freisler nicht verurteilt war, im Krieg gefallen war, und er voraussichtlich seine Karriere hätte fortsetzen können.

Das mag skandalös erscheinen, zumal NS-Opfer oft jahrelang um Entschädigungszahlungen kämpfen mussten. Andererseits galten für Kriegerwitwen bestimmte Regularien und Regelungen, und formal waren Freisler und Heydrich eben Kriegsopfer.

Ich glaube auch nicht, dass man Freisler der wirklich die abenteuerlichsten Rechtsbeugungen begangen hat, irgendwo in der Rechtspflege wieder beschäftigt werden konnte- das wäre zu krass gewesen.
 
Im Falle von Freislers Witwe war die Begründung, dass Freisler nicht verurteilt war, im Krieg gefallen war, und er voraussichtlich seine Karriere hätte fortsetzen können.

Auch im Fall des zu zehn Jahren Haft (von denen er nur sechs absitzen musste) verurteilten Oberreichsanwalts Ernst Lautz gab es einen Skandal um seine Pension, denn ihm wurde jahrelang seine volle Oberreichsanwalt ausbezahlt, bis man endlich auf die Idee kam, ihn einem Disziplinarverfahren zu untersuchen. In diesem Verfahren wurde festgestellt, dass Lautz wegen Amtsmissbrauchs seine Pensionsansprüche verloren habe.

Sozusagen Gnade
 
Etwas Kontext zur „Freisler-Rente“
Ortner, Der Hinrichter Roland Freisler –Mörder im Dienste Hitlers


Vierzig Jahre, nachdem Freisler mit dem Dritten Reich zugrunde ging, polarisierte der Fall um die Freislersche Rentenzahlung exemplarisch die Meinungen über den Umgang mit der NS-Vergangenheit. In einem Leserbrief in der Süddeutschen Zeitung hieß es, es sei beschämend, »daß es Leute gibt, die nichts anderes zu tun haben, als vierzig Jahre nach Kriegsende in alten Rentenbescheiden zu wühlen«. Mit seiner Meinung stand der Mann keinesfalls allein.
Robert M. W. Kempner, nach dem Krieg amerikanischer Anklagevertreter in den Nürnberger Prozessen, meldete sich in derselben Zeitung ebenfalls zu Wort: »Die Witwe erhält außer der Kriegsopferversorgung und der Schadensausgleichsrente noch eine Witwenrente aus der Sozialversicherung«, schrieb er und brachte in seinem ausführlichen Leserbrief weitere brisante Details an die Öffentlichkeit: »Freisler«, so fuhr er fort, »hat jedoch niemals Sozialversicherungsbeiträge gezahlt, denn er erhielt ja sein hohes Richtergehalt. Eine Witwenpension konnte sie offensichtlich nicht erhalten, da eine solche nicht gewährt wird, wenn ein Beamter sich unmenschlich verhalten hat. Dies ergibt sich aus den Bestimmungen über Artikel 131 des Grundgesetzes. In solchen Fällen aber wird eine Versorgung nur dann gewährt, wenn der Arbeitgeber, also der Staat, für den Betroffenen nachzahlt. Für Freisler müssen, da die Witwe Sozialversicherung erhält, also erhebliche Summen vom Staat nachgezahlt worden sein.« Am Ende seines Leserbriefes kritisierte Kempner die Tatsache, daß Freisler in der Rentenfrage seiner Witwe als Gerichtspräsident eingestuft wurde, und schrieb, seiner Meinung nach hätte dieser »nur als Totengräber der deutschen Justiz, also mit dem normalen Gehalt eines auf Friedhöfen beschäftigten Totengräbers eingestuft werden müssen«.
Durch die heftigen öffentlichen Reaktionen aufgeschreckt, wies der damalige bayerische Arbeits- und Sozialminister Franz Neubauer (CSU) seine Beamten an, die Rentenentscheidung zu korrigieren. Eine Rücknahme des zweifelhaften Bescheids sei jedoch »aus rechtlichen Gründen nicht mehr möglich«, teilte er später auf einer Pressekonferenz mit. Dafür, so ordnete der Minister an, solle die Kriegsopferrente so lange von Erhöhungen ausgeschlossen werden, bis der umstrittene Schadensausgleich aufgezehrt sei.
Trotz Schlagzeilen, Leserbriefen und heftiger Debatten – so ungewöhnlich war die Affäre um die Rentenzahlungen an die Witwe Freislers keineswegs.
Daß sich Hinterbliebene von NS-Größen nach dem Krieg Versorgungsansprüche und Entschädigungen beschafften, mochte vielen grotesk, ja geradezu zynisch vorkommen, doch die Regularien des Bundesversorgungsgesetzes hatten auch für diese Angehörigen eine bürokratische Nische. Davon profitierten schon in den fünfziger Jahren Lina Heydrich, die Witwe des SS-Obergruppenführers und »Endlösungs«-Strategen Reinhard Heydrich, die Töchter von Hermann Göring und Heinrich Himmler und die Witwe des Franken-Gauleiters Julius Streicher, die ihren Mann für dessen frühere selbständige Tätigkeit als Herausgeber des NS-Hetzblattes Der Stürmer rentennachversichern ließ – und 46.000 DM herausholte. Dr. Ernst Lautz, Oberreichsanwalt am Volksgerichtshof und verantwortlich für unzählige Todesurteile, erhielt nach dem Krieg zu seiner Pension eine Nachzahlung von 125.000 DM, dem Staatssekretär in Hitlers Justizministerium, Dr. Curt Rothenberger, in Nürnberg zu sieben Jahren Haft verurteilt, wurden neben seiner ansehnlichen Pension von monatlich über 2000 DM gar 190.726 DM nachgezahlt.
Neuartig am Fall Freisler aber war, daß dabei nicht nur die grundsätzlichen Kriegsopferrechte und früheren »Verdienste« geltend gemacht wurden, sondern ein bis zum Rentenalter künstlich verlängertes Berufsleben eines Nazi-Verbrechers. Die Argumentation mochte absurd sein – und dennoch: Vieles, beinahe alles sprach für die Richtigkeit der Auffassung der Münchner Beamten. Zwar gehörte Freisler unzweifelhaft zu den herausragenden Massenmördern des NS-Systems. In der Zeit seiner Präsidentschaft – von 1942 bis 1945 – und zum Teil unter seinem persönlichen Vorsitz verkündete der Volksgerichtshof durchschnittlich zehn Todesurteile pro Tag. Freilich: Nur wenn Freisler nach Kriegsende den Alliierten in die Hände gefallen und unter die Hauptverbrecher in Nürnberg geraten wäre, hätte die Chance für ein gerechtes Urteil über ihn bestanden.
Doch selbst im Nürnberger Juristenprozeß wurden die Angeklagten lediglich zu überschaubaren Freiheitsstrafen verurteilt, die dank einer großzügigen Begnadigungspraxis keiner der Verurteilten voll absitzen mußte. Von der bundesdeutschen Justiz war sühnende Gerechtigkeit gegenüber den früheren Richterkollegen ohnehin nicht zu erhoffen. Bereits in den fünfziger Jahren hatte der Bundesgerichtshof mit einer zweifelhaften Rechtsprechung einen Schlußstrich unter die Vergangenheit gezogen, indem er allen NS-Richtern ein doppeltes »Rechtsbeugungs-Privileg« zuerkannte: Ein Richter darf danach wegen Mordes oder anderer schwerer Verbrechen nur verurteilt werden, wenn er zugleich der Rechtsbeugung für schuldig befunden wird. Dafür war bei den NS-Juristen der Nachweis des »direkten Vorsatzes« erforderlich – und dieser war kaum zu erbringen. Der Täter mußte bewußt oder gewollt gegen die damals geltende Rechtsordnung verstoßen haben. Eine absurde Begründung. Fast alle Richter im Dritten Reich, besonders aber die Roben-Mörder des Volksgerichtshofs, befanden sich in völliger Übereinstimmung mit den Terror-Gesetzen des NS-Staates. Im Falle Freislers wäre der Nachweis solcher Rechtsbeugungsabsicht noch viel schwieriger gewesen als bei irgendeinem seiner braunen Richterkollegen, die das Kriegsende überlebt und in aller Regel im Adenauer-Staat ihre Justizkarriere fortgesetzt hatten.
Eine Statistik der Berliner Justizbehörde über noch lebende Mitglieder des Volksgerichtshofs spricht eine deutliche Sprache. Unter den bei der Erhebung im Jahre 1984 noch lebenden Juristen waren nach dem Krieg: zwei Amtsrichter, ein Amtsgerichtsdirektor, zwei Landgerichtsräte, vier Landgerichtsdirektoren, vier Oberlandesgerichtsräte, sechs Staatsanwälte, drei Oberstaatsanwälte und sogar zwei Senatspräsidenten. Die Ausnahme blieb es, daß einer der VGH-Juristen nach dem Krieg nicht in den Staatsdienst übernommen wurde. Warum also sollte nicht auch Freisler vor der Strafverfolgung sicher gewesen sein und eine zweite Karriere gemacht haben können? Insofern entbehrte die Argumentation der Münchner Sozialbürokraten nicht einer bestimmten Logik. Freisler – eine deutsche Karriere.
 
Bereits in den fünfziger Jahren hatte der Bundesgerichtshof mit einer zweifelhaften Rechtsprechung einen Schlußstrich unter die Vergangenheit gezogen, indem er allen NS-Richtern ein doppeltes »Rechtsbeugungs-Privileg« zuerkannte: Ein Richter darf danach wegen Mordes oder anderer schwerer Verbrechen nur verurteilt werden, wenn er zugleich der Rechtsbeugung für schuldig befunden wird. Dafür war bei den NS-Juristen der Nachweis des »direkten Vorsatzes« erforderlich – und dieser war kaum zu erbringen.
...auf die Frage, wie Leo Naphta so herrschaftlich logieren könne, bemerkt Ludovico Settembrini maliziös: " der Teufel versorgt die seinen gut von hinten bei Nacht" (womit Freimaurer Settembrini die Jesuiten meint) Th. Mann, der Zauberberg, 1924 --- irgendwie passt, willkürlich losgelöst vom Kontext, dieses Zitat auch auf die "entnazifizierte" Juristenzunft von 1945 bis gut in die 80er (ggf auch darüber hinaus), die bzgl ihrer Versorgung sehr gewieft vorzugehen (gerne hinter den Kulissen) für opportun hielt...
 
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