dekumatland
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@Turgot ich habe drei Markierungen zur Orientierung in deinen Text eingefügt - und ich warne gleich, weil der Festungsfreak dazu ein paar Überlegungen anstellt. (wem Festungen auf den Keks gehen, der sollte ab hier nicht weiterlesen)Meines Erachtens nach wäre nur die (1) Defensive in Frage gekommen. Mit den beachtlichen personellen Verstärkungen für die Front in Frankreich, wäre es für die Alliierten nicht leicht und vor allem verlustreich geworden, diese Front zu durchbrechen. (2) Und der U-Bootkrieg war den Alliierten auch ziemlich unangenehm. (3) Es wäre möglicherweise, ist natürlich rein spekulativ, mehr drinnen gewesen, als die bedingungslose Kapitulation.
zu (1)
Mit einem Blick auf die Karte kann man sich einen Überblick zu den massiven Verteidigungsanlagen verschaffen - und diese waren massiv (!)
- a) an der Nordseeküste, die wegen Tiden, Außensänden, Flachwasser, wenigen Fahrrinnen und Watt ohnehin für Landungstruppen ungünstig - also zur Verteidigung günstig - beschaffen ist, drohte eigentlich nichts. Der etwas ins Meer vorgeschobene Außenposten "Gibraltar des Nordens", die "Hochseefestung" Helgoland samt Düne sichert und dient zugleich als Flottenstützpunkt. Die Küstenverteidigung selber (Festungen Borkum, Norderney, Wangerooge, Festungsviereck Langjüten, Fort Kugelbake (Cuxhaven), Festung Sylt) reichte völlig aus.
- b) an der Ostfront herrschte erstmal Ruhe (? wenn ich das noch richtig erinnere), und falls nicht, bieten die Festungen Swinemünde, Boyen/Lützen (Schumannsches Festungsarreal), Graudenz, Thorn, Posen eine günstige Verteidigungsposition (Kontrolle der Verkehrsknoten etc)
- c) Exkurs in die Alpen, wo in Sachen Gelände ganz eigene Bedingungen herrschen: den Militärs blieb nicht verborgen, wie widerstandsfähig die Betonforts/Panzerforts auch bei heftigem Beschuss waren (dass vereinzelt Sperrforts älterer Bauweise, die nur halbherzig modernisiert waren, zusammengeschossen wurden sagt nichts über die vielen anderen, die nach schwerstem Beschuss innerhalb kurzer Zeit wieder verteidigungsfähig waren)
- d) "im Westen nichts neues", sondern bewährtes und für enorme Ausgaben ungeheuer stark ausgebautes! Man muss sich vor Augen halten, dass Anlagen wie Festung Istein, "Feste Kaiser Wilhelm II" (heute "Position de Moutzig" im Elsass) zusammen mit Festung Strassbourg/Kehl, die gigantische "Selztalstellung" (Festung Mainz), die Rheinbatterien bei Germersheim und Breisach, Festung Köln, Festung Metz, Festung Diedenhofen/Thionville zu Beginn des ersten Weltkriegs die modernsten und am stärksten befestigten Verteidigungsstellungen waren. Man erinnere, welche prominente/relevante Rolle Metz und Mainz im Schlieffenplan*) spielten. Und man erinnere: die russ. Festungen Osowiec (kleine, moderne Festung, konnte nicht erobert werden), Zegrze (wurde kampflos "übergeben"/geräumt) und Modlin (keine nennenswerten Schäden durch Artilleriebeschuss zum erstaunen der Militärs) waren zwar dem deutschen Festungsbau nachempfunden, aber nicht ganz so stark ausgebaut wie das Vorbild Metz und "KW II" - sie zeigten, dass moderne Befestigungen sehr wohl schwerstem Beschuss mindestens zeitweilig standhielten. Der französische "eiserne Riegel" (eine Kette von Sperrforts und einzelnen größeren Festungen) war teilweise modernisiert worden, die integrierte Festung Verdun war - wie die meisten Großfestungen nach der Brisanzkrise 1885 - teilweise modernisiert (Beton-, Stahlbetondeckungen, Panzerfortifikation) und teilweise mit neuen "modernen" Panzerforts/Zwischenwerken (Ouvrage) / Panzerbatterien versehen (vergleichbar dem Ausbau der Festung Köln um 1914) - die Materialschlacht "Hölle von Verdun" war prinzipiell nichts anderes als eine Belagerung, und obendrein eine ziemlich ungeschickte, denn die Festung Verdun konnte nicht eingeschlossen werden. Der "beschleunigte Angriff", eingeleitet von punktuellem schwerstem Artilleriebeschuss auf einen Festungsbereich gefolgt vom Sturm, hatte bei der veralteten (!) Festung Antwerpen Erfolg**) hier bei Verdun, das doch einiges stärker befestigt und von rückwärts stets versorgt war (weil nicht umschlossen), klappte das nicht. Auch das Projekt "ausbluten" (Materialschlacht) führte nicht zur Eroberung, auch wenn einige Ouvrages und Forts in Trümmer gelegt waren.
==> das alles war den verantwortlichen Militärs nicht unbekannt! Man hatte in den teils monströsen, in ihrer Zeit stärksten (!!) Festungen an der Westgrenze die damals besten Voraussetzungen für eine Defensive, und man hatte im Festungskrieg gegen Betonfestungen und lineare Stellungen ("Grabenkrieg") mehr als genug Erfahrungen gesammelt.
Das führt jetzt
zu (3)
Das sollte man meinen, dass mehr hätte möglich sein können als die bedingungslose Kapitulation: wie oben ausgeführt, hätte sich eine Defensive auf die eigenen mächtigen Festungsanlagen stützen können***) - - aber jetzt kommen zwei Hindernisse ins Spiel:
1. Material-, Nachschub- und Kommunikationsprobleme großflächiger Art nach über drei Jahren Krieg
2. Der lange Bewegungs- und dann Stellungskrieg außerhalb des eigenen Territoriums (!) hatte es nötig gemacht, die eigenen Festungen ihrer Artillerie und Munition weitenteils zu entledigen, um diese Mittel weit weg im Fronteinsatz zu verwenden! Die Festungsartillerie war überwiegend salopp gesagt im Außendienst. Eine Rückwärtsbewegung, um die Kampfmittel in den Festungen zu konzentrieren und auf diese gestützt eine lineare Verteidigung zu organisieren, hätte für die Dauer der "Umgruppierung" die kompletten Truppen schutzlos gemacht - und das wegen kriegsbedingt teilweise zerstörter Wege und Bahnlinien für einen recht langen Zeitraum. Dieser hätte den gegnerischen Truppen Zeit genug gewährt, um die in Rückzug und "Umgruppierung" befindlichen Truppen/Armeen fürchterlich zu beuteln.
...aus der Perspektive des Festungsfreaks: da hatte man im euphorischen Vorwärts- und Siegesdrang die eigene Rückendeckung sträflich vernachlässigt, das rächte sich nun. Denn Festungen ohne Besatzung, ohne Bewaffnung, ohne Munition, ohne Vorräte sind nur eine bestenfalls architektonische Drohgebärde ohne jeden Nutzen.
zu (2)
nur eine kurze Anmerkung: trotz Helgoland als Stützpunkt (es gibt Fotos aus der Zeit des ersten Weltkriegs mit Ubooten im Festungshafen von Helgoland) und der Tatsache, dass der Ausbau Helgolands massiv war und offenbar dem Kaiser Wilhelm II ein quasi persönliches Anliegen war, das eher flache Randmeer Nordsee war und ist kein sonderlich geeignetes "Terrain" für Uboote.
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*) das hatten wir vor ein paar Jahren mal ausführlich diskutiert, vielleicht weiß @silesia welcher Faden das war
**) einer der Gründe, weshalb Festungsbau zeitweilig in Misskredit kam
***) als kuriose scheinbare Parallele: der idiotische Irrsinn am Ende des Zweiten Weltkriegs, Berlin zur Festung zu erklären... die Militärs wollten sich in die nur sehr schwer eroberbaren Allgäu- & Alpenstellungen retirieren, und von dort aus dann in der Position von einiger Stärke zu verhandeln (ein Angriff bzw niederringen dieser Stellungen wäre äußerst aufwändig und verlustreich ausgefallen) - aber nein, diese Okkasion blieb ungenutzt, stattdessen der Irrsinn in Berlin.