Das ist juristisch irrelevant und deshalb sogar irreführend, weil mit den "Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Menschheit)" ein ergänzender zweiter Straftatbestand aus geltendem Völkerrecht konstatiert wurde, der die systematischen, mordenden Angriffe gegen die Zivilbevölkerung erfasst.

Der zweite Tatbestand ist weiter als der der Völkermords, wobei das landläufig gern entweder in einer Soße vermischt wird oder aus juristisch nicht nachvollziehbaren Gründen in Diskussionen auf die Begrenztheit des völkerrechtlichen Straftatbestandes "Völkermord" hingewiesen wird, ohne den zweiten Straftatbestand zu erwähnen.

Danke für die Verdeutlichung. Wahrscheinlich hängt das auch mit der vergleichsweise harmloser klingenden Formulierung 'Verbrechen gegen die Menschlichkeit' zusammen, 'Verbrechen gegen die Menschheit' hört sich schon schwerwiegender an. Und die vermeintliche Begrenztheit wird tatsächlich gerne diskutiert, wie selbst eine oberflächliche Durchsicht im Netz nahelegt.

Beide Texte waren noch weitgehend an dem weiten Völkermordverständnis Lemkins ausgerichtet. Die anschließenden Beratungen im 6. Ausschuss der Generalversammlung der VN führten zum Wegfall der kulturellen Völkermordkomponente(*)
Lemkin hatte anscheinend neben der kulturellen Völkermordkomponente, die auch von der französischen wie britischen Administration im Vorfeld nicht akzeptiert worden sein soll, die 'politische', welche wiederum von der sowjetischen Seite nicht angenommen worden sein soll.
 
Und welchen Sinn macht das zwischen Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu unterscheiden?
Gefühlsmäße Zustimmung. Doch Silesas Beitrag hat zurecht nochmals verdeutlicht, dass die (zwangläufige) Begrenztheit der Völkermorddefinition im juristischen Sinne - und irgendeine klare, einigermaßen anerkannte juristische Grundlage braucht es ja für eine juristisch (anerkannte) Ahndung - damals zur Ergänzung mit dem Straftatbestand des 'Verbrechens gegen die Menschlichkeit' geführt hatte. Und Kompromisse mit und zwischen den sehr unterschiedlichen politischen Akteuren/Regierungen waren damals wie heute unvermeidlich, um die UN-Konventionen überhaupt verabschieden zu können und später Instanzen zu schaffen, welche die Verbrechen juristisch ahnden konnten.
 
Genau.

Im Übrigen muss man ergänzen, bei der Frage von Ralf das Problem in der historisch korrekten Reihenfolge zu sehen:

"Verbrechen gegen die Menschlichkeit" waren als Grundtatbestand gegeben, als man sachlich die Ergänzung (inhaltlich z.T. sogar Abspaltung) des Tatbestands "Völkermord" vornahm.

Hier die schlicht gegebene rechtshistorische "Reihenfolge", der Einfachheit halber wieder aus dem Münchener Kommentar zum StGB, Tz 4 bis 9 zu § 7 VStGB:

"Vor der Schaffung des Völkerstrafgesetzbuches war der Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit kein Bestandteil des deutschen Strafrechts. Der bundesdeutsche Gesetzgeber hatte sich zu Beginn der fünfziger Jahre bewusst gegen die Aufnahme des Tatbestands in das Strafgesetzbuch entschieden. Die §§ 234a und 241a StGB betreffen lediglich Teilaspekte des Menschlichkeitsverbrechens. So konnten Menschlichkeitsverbrechen nur mit den gewöhnlichen Straftatbeständen erfasst werden, etwa als Tötungs-, Körperverletzungs- oder Sexualdelikte. Damit kam der völkerrechtliche Unrechtskern, die systematische Tatbegehung, in der tatbestandlichen Unrechtsbeschreibung nicht zur Geltung.

Erste Vorläufer hatte der Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit in den Präambeln der Haager Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs von 1899 und 1907. Diese Präambeln verpflichteten die Krieg führenden Parteien in einer Auffangregel dazu, die „Gesetze der Menschlichkeit“ zu beachten. 1915 bezeichneten Frankreich, das Vereinigte Königreich und Russland die in der Türkei an den Armeniern verübten Massaker als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ und prägten damit diesen Begriff. Zu einer gerichtlichen Verfolgung dieser und anderer Verbrechen des Ersten Weltkriegs kam es indes nicht.

Eine erste Kodifikation erfuhr der Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Art. 6 Buchst. c IMG-Statut. Anders als der Tatbestand der Kriegsverbrechen ermöglichte es dieser Tatbestand dem Internationalen Militärgerichtshof, erstmals auch Massenverbrechen gegen die eigene Zivilbevölkerung zu verfolgen. Eine gleichartige Regelung ist in Art. 5 Buchst. c des Statuts des Internationalen Militärgerichtshofs für den Fernen Osten von Tokio enthalten. Während es in Nürnberg zu Verurteilungen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit kam, war dies in Tokio allerdings nicht der Fall. Das Kontrollratsgesetz Nr. 10 übernahm den Tatbestand mit gewissen Ergänzungen und einer richtungweisenden Veränderung:
Während die Gerichtshöfe von Nürnberg und Tokio Verbrechen gegen die Menschlichkeit nur dann verfolgen konnten, wenn sie im Zusammenhang mit einem Angriffskrieg oder einem Kriegsverbrechen verübt worden waren, entfiel in Art. II Abs. 1 Buchst. c dieses Akzessorietätserfordernis.

Dennoch wurden auch in den Nürnberger Nachfolgeprozessen, die auf Grundlage dieses Gesetzes stattfanden, keine Menschlichkeitsverbrechen verfolgt, die vor Beginn des Zweiten Weltkriegs begangen worden waren. Einzig der Oberste Gerichtshof für die Britische Zone verfolgte auch außerhalb des Kriegszusammenhangs begangene Menschlichkeitsverbrechen. Der Verzicht auf das Akzessorietätserfordernis war folgerichtig. Ihre völkerstrafrechtliche Dimension erreichen Menschlichkeitsverbrechen durch die Intensität der Verletzung menschenrechtlich geschützter Individualrechte, nicht dagegen durch die Begehung im Kontext kriegerischer Handlungen. Dennoch blieb die Erforderlichkeit eines Zusammenhangs mit einem bewaffneten Konflikt noch lange Zeit umstritten.

Die völkergewohnheitsrechtliche Strafbarkeit von Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurde vielfach anerkannt. So fand der Tatbestand Eingang in den Draft Code of Offences against the Peace and Security of Mankind von 1954 und war auch in allen nachfolgenden Entwürfen der Völkerrechtskommission bis zum Draft Code of Crimes against the Peace and Security of Mankind von 1996 enthalten. Die Strafbarkeit von Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurde auch in völkerrechtlichen Verträgen vorausgesetzt, welche die Unverjährbarkeit dieser Taten verfügten oder neue Begehungsformen erfassten.

Keiner dieser Verträge setzte eine Begehung im Zusammenhang mit einem bewaffneten Konflikt voraus.

Weiterhin haben die Statuten der internationalen Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda die völkergewohnheitsrechtliche Strafbarkeit der Verbrechen gegen die Menschlichkeit bekräftigt. Dabei bestehen erhebliche Abweichungen zwischen den Texten der verschiedenen einschlägigen Normen. Dies ist aber nicht Ausdruck einer Unsicherheit über die Reichweite der Verbrechenstatbestände, sondern erklärt sich aus der Situationsgebundenheit der Statuten. Wenn Art. 5 JStGH-Statut eine Tatbegehung „in internationalen oder inneren bewaffneten Konflikten“ verlangt, so stellt die Norm damit nur eine Verbindung zeitlicher und räumlicher Art mit dem Jugoslawien-Konflikt her. Keinesfalls sollte hier das bereits überwundene Akzessoritätserfordernis des Nürnberger Statuts wieder eingeführt werden. Art. 3 RStGH-Statut erfasst auch dem Wortlaut nach Verbrechen gegen die Menschlichkeit unabhängig vom Vorliegen eines bewaffneten Konflikts. Das RStGH-Statut verlangt allerdings nicht nur für das Menschlichkeitsverbrechen der Verfolgung, sondern für sämtliche Tathandlungen, dass diese aus „nationalen, politischen, ethnischen, rassischen oder religiösen Gründen verübt“ worden sind. Auch hierin ist indes kein den Tatbestand einschränkendes Erfordernis zu sehen, sondern eine Beschränkung der Zuständigkeit des Gerichtshofs auf die im Falle Ruanda typischen Erscheinungsformen der Menschlichkeitsverbrechen. Art. 7 IStGH-Statut, auf den § 7 zurückgeht, stellt eine Synthese der bisher entwickelten Definitionen unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Jugoslawien-Strafgerichtshofs dar.

Abgesehen von den Verfahren vor den internationalen Strafgerichtshöfen fanden auch vor staatlichen Gerichten vereinzelt Verfahren wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit statt. Zu verweisen ist etwa auf das in Israel gegen Adolf Eichmann durchgeführte Strafverfahren oder auf die in Frankreich erfolgte Verurteilung von Klaus Barbie. Auch in den Niederlanden, der DDR und Kanada kam es zu Strafverfahren wegen Menschlichkeitsverbrechen. Verfolgt wurden dabei – ungeachtet zahlreicher anderer Fälle von schweren Menschenrechtsverletzungen – ausschließlich NS-Verbrechen.
 
Danke für die Hinweise!

Mich interessierte mal wie denn nun der Kambodschaner ins Jenseits gekommen ist.

Also so einig scheint man sich da im Netz nicht zu sein.

Bei Wiki -> Beim „Fausthieb“ – Name seines Nachfolgers – liest man:
„Pol Pot starb 1998 unter ungeklärten Umständen im Arrest. Ein Suizid wird nicht ausgeschlossen“

Und bei Wiki -> Pol Pot liest man:
„... Am selben Tag (hier ist vom 15.04.1998 die Rede) gegen 22:15 Uhr und bevor der Wagen eintraf, der ihn zum Rote-Khmer-Tribunal transportieren sollte, fand ihn seine Frau tot im Bett liegend auf. Als Todesursache wurde von offizieller Seite Herzinsuffizienz angegeben.“
 
Bei den Cham ist vielleicht noch erwähnenswert, dass sie überwiegend Moslems sind. Auch das macht sie zu einer Minderheit im äußerst buddhistischen Kambodscha. Jegliche Religiosität war ebenfalls ein Grund für die Roten Khmer, Menschen in Kambodscha zu verfolgen.
Die Massenmorde an den Cham sowie an der vietnamesischen und chinesischen Minderheit im Kabodscha wurden juristisch als Völkermord eingeordnet und verschiedene "Genossen" der Roten Khmer wurde deswegen vom Rote-Khmer-Tribunal auch wegen Völkermordes verurteilt. Ich bin mir jetzt aber nicht sicher, ob der Prozess schon endgültig abgeschlossen.
Der Unterschied ist, dass es den Roten Khmer hier um die Vernichtung ethnischer, nationaler und religiöser Gruppen ging.

Als die Roten Khmer entschieden die kambodschanische Stadtbevölkerung und die Klassenfeinde mit Brille zu vernichten, fehlt diese Komponente. Ob dies jetzt auch als Völkermord gewertet wurde, ist mir jetzt nicht ganz klar.

Bundeszentrale für politische Bildung schrieb:
Problematisch ist die rechtliche Grundlage, da die Völkermordkonvention bei Verbrechen gegen das eigene Volk nur bedingt greift. Als Hilfskonstruktionen sprechen Wissenschaftler von "Auto-Genozid" oder plädieren dafür, die gezielte Vernichtung sozialer und politischer Gruppen (Soziozid bzw. Politizid) mit einzubeziehen.

https://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/54786/kambodscha
 
Als die Roten Khmer entschieden die kambodschanische Stadtbevölkerung und die Klassenfeinde mit Brille zu vernichten, fehlt diese Komponente. Ob dies jetzt auch als Völkermord gewertet wurde, ist mir jetzt nicht ganz klar.
Nein, siehe u.a. Silesias Beiträge weiter oben - Anklagen wg. Verbrechen gegen die Menschlichkeit
Die Verfolgung/Vernichtung der Cham, der chinesischen Minderheit usw. wie von Dir notiert: Völkermord

Die Süddt. Zeitung beispielsweise notierte am 16.11.2018 (online-Version):

Rote Khmer erstmals wegen Völkermordes verurteilt
  • In Kambodscha ist ein wichtiges Urteil gegen zwei zentrale Figuren der Roten Khmer gefallen.
  • Nuon Chea und Khieu Samphan haben demnach Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und einen Genozid zu verantworten.
 
Das ergibt sich schon daraus, dass Laos diesen Weg nicht erdulden musste.
Ich nehme an, dass damit der radikale Agrarkommunismus gemeint ist, denn was in Laos 1975 und danach mit den Hmong und anderen wirklich geschah, ist noch nicht abschließend geklärt. Bis heute gibt es Genozid Vorwürfe.
Anders als in Kambodscha ist ja in Laos die Laotische Revolutionäre Volkspartei, wenn auch in einer wenig kommunistischen Form, immer noch an der Macht. Es gibt zwar viel zu lesen über die Geschichte Laos', meist aus externer Sicht, doch eine wirkliche Aufarbeitung hat in Laos noch nicht stattgefunden.
2006 beklagte sich Martin Stuart-Fox noch über das dilemma of historiography in post-socialist Laos in The challenge for Lao historiography

Vermutlich hat sich da seither nicht viel verändert. Ich jedenfalls fühle mich trotz der vielen Literatur über Laos noch nicht ausreichend und objektiv informiert. Das gilt auch für das Ausmaß und die Methoden der Kollektivierung der Landwirtschaft zwischen 1975 und 1986, für die es sehr unterschiedliche Angaben gibt.
Ich will das Thema nicht entführen.
Ich auch nicht. Und darum zurück zum Thema. Wie steht es denn mit der Aufarbeitung und allenfalls Aussöhnung in Kambodscha? Da gibt es auch ein Dilemma: Pol Pot hatte zu viele Helfer, als dass man sie alle vor Gericht stellen könnte. Sonst aber scheint Kambodscha diesbezüglich einen gangbaren Weg eingeschlagen zu haben.
Erinnerung und Aussöhnung in Kambodscha | DW | 02.10.2014
Die Royal Academy of Cambodia hat im November letzten Jahres beschlossen eine umfangreiche Geschichte der Khmer bis in die Gegenwart schreiben zu wollen.
Diep Sophal, a history professor at the Royal University of Phnom Penh, said on November 9 that to be acceptable to everyone, history must be written in a respectful manner and within a scientific context.
Scholars to write full Khmer history
Ich freue mich und hoffe auf gutes Gelingen.
 
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