Bene schrieb:
Wie ich schon in dem Titel erwähnte würde es mich interessieren ob es in der Zeit des/der Absolutismus/Aufklärung schon Gerichte gab und wenn ja in welcher Form sie existierten.
Gerichte gab es selbstverständlich schon - und zwar eine verwirrende Vielzahl von mit-, neben-, über- und gegeneinander arbeitenden Gerichten.
Generell kann für das Reich folgendes gelten: In jedem Territorium existierten auf lokaler Ebene Gerichtsbezirke, die je nach Region verschiedene Namen trugen (etwa Ämter oder Freigrafschaften o.ä.) und ganz grob mehrere Dörfer umfassten. Gerichtsherr dieser Bezirke konnten ganz unterschiedliche Herrschaftsträger sein: Beispielsweise ein vor Ort ansässiger Adeliger (das nannte sich dann zumeist Patrimonialgericht), der Klerus in Form eines Klosters oder einer Stiftsgemeinschaft oder natürlich auch der Landesherr. Letzterer versuchte im Zuge der frühmodernen Staatsbildung (also auf dem Weg, an dessen Ende irgendwo dieses vage Konstrukt "Absolutismus" stand) möglichst viele der Gerichtsbezirke seines Territoriums unter seinen Einfluss zu bekommen, denn Rechtsprechung ist ein entscheidender Aspekt von Herrschaft. Ganz vorsichtig formuliert befassten sich diese Gerichte mit dem, was man heute zivilrechtliche Fälle nennen würde (etwa Besitzstreitigkeiten, Weiderechte u.ä.). Die hohe oder Blutsgerichsbarkeit übten diese Gerichte selten aus. In diese Kategorie fallen auch die Städte, die ebenfalls in ihren Mauern Recht sprachen, und angesichts weit ausgebauter städtischer Autonomie dabei aber auch weitreichende jurisdiktionelle Befugnisse ausübten.
Die nächsthöhere Instanz bildeten die landesherrlichen Gerichte. Gerichtsherr war hier (wie der Name andeutet) der fürstliche Landesherr. Im Vergleich zu den Niedergerichten war hier professionelleres, meist unversitär gebildetes Personal mit juristischer Erfahrung tätig und verhandelte Kriminalfälle (mit dem Recht, körperliche Strafen inklusive der Todesstrafe zu verhängen) und Appellationen von unteren Gerichten, aber auch Fälle niederer Gerichtsbarkeit, die direkt hier und nicht auf lokaler Ebene anhängig gemacht wurden. Im Hinblick auf absolutistische Tendenzen ist das der Ort, den der Landesherr versucht, als endgültiges Entscheidungsorgan für alle Rechtsfragen im Territorium zu etablieren. Auf dieser Ebene fungieren daneben noch weit bis in die Neuzeit hinein fürstliche Räte ebenfalls als Gerichtsinstanz, man konnte sich also direkt an die Regierung wenden, die ebenfalls Urteile fällte.
Über diesen obersten Landesgerichten wirkten dann noch Reichskammergericht und Reichshofrat, an die ursprünglich tatsächlich jeder (jeder!) Untertan gegen ein Urteil anderer Gerichtsinstanzen appellieren konnte. Auch wurden hier die Konflikte der reichsunmittelbaren Stände juristisch ausgefochten. Das RKG (in Speyer, später Wetzlar) war mehr von den Reichsständen getragen und allgemein häufiger frequentiert, der RHR (in Wien) war eine kaiserliche Institution. Die großen Territorien des Reiches erlangten im Ausbau ihrer absolutistischen Herrschaft zumeist Appellationsprivilegien mit dem Recht, dass ihre landesherrlichen Gerichte oberste Instanz waren und eben nicht an RKG und RHR appelliert werden konnte. Diese oberste Reichsjustiz krankte nicht zuletzt an ihrer Beliebtheit, wegen permanenter Überlastung dauerte die Zeit bis zu einem Urteil gelegentlich Jahrzehnte.
Parallel zu dieser weltlichen Gerichtsbarkeit existierte aber noch die geistliche Gerichtsbarkeit: Vergehen gegen Kirchenrecht (z.B. Fluchen, Ehebruch, Trunkenheit u.ä.), Vergehen von und gegen Kleriker sowie Vergehen auf kirchlichen Immunitäten wurden von kirchlichen Gerichten bestraft. Auch hier staffelte sich das Justizwesen hierarchisch. Auf lokaler Ebene waren die Synodalgerichte tätig, auf territorialer Ebene (je nach Konfession) Offizialatgerichte oder Konsistorien. Im katholischen Raum bestand immer die Möglichkeit, direkt an die Kurie nach Rom zu appellieren. Beachtenswert ist, dass geistliche Gerichte (zumindest auf territorialer Ebene) auch weltliche Verbrechen ahndeten. Der Geschädigte konnte also neben dem landesherrlichen weltlichen Hofgericht sein Recht durchaus auch vor dem Offizial suchen. Wiederum im Hinblick auf absolutistische Herrschaftsausübung sei gesagt, dass die Landesherren hier eine strenge Trennung von weltlichen und geistlichen Fällen anstrebten, was aber nicht überall gelang.
Und als wäre das jetzt noch nicht alles kompliziert genug, existierten noch Gerichte, die sich auf lokaler Ebene bestimmter Rechtsbereiche annahmen (z.B. Markengerichte oder Holzgerichte, die exklusiv so etwas wie Waldfrevel straften), Appellationsinstanzen, die historisch gewachsen waren und Appellationen beispielsweise in andere Territorien führen konnten (insbesondere bei Stadtrechten: die Stadt, deren Stadtrecht galt, konnte lange als juristischer Oberhof fungieren; Appellationsinstanz der Stadt Münster beispielsweise war lange die Stadt Dortmund), und Personengruppen, die Immunität genossen und nur von Standesgenossen verurteilt werden durften (der Klerus ist der schon genannte prominenteste Fall, aber beispielsweise existierte im Militär eine eigene Gerichtsbarkeit oder auch im Zunftwesen).
Diese bunte Mannigfaltigkeit der Rechsprechung versuchte eine absolutistische Herrschaftsform auf eine Person, eben den absolutistischen Herrscher, zu konzentrieren - der Erfolg darf aber als eher gering eingeschätzt werden. Andere Gerichtsherren, seien sie von Adel, Klerus oder aus dem städtischen Magistrat, beharrten natürlich auf ihren angestammten Rechten, denn (wie oben schon gesagt) Rechtsprechung ist ein Mittel zur Herrschaft und das gab keiner freiwillig auf.