Geschichtswissenschaft bloß Literaturwissenschaft?

Wie sollen Kaufverträge, Steuerverzeichnisse, Testamente, Gesetzeserlasse, Bauvorschriften, Wechsel, Zahlungsanweisungen, Lehrverträge, Soldverträge, Ablassurkunden, etc. literaturwissenschaftlich untersucht werden? Oder handelt es sich dabei um Überrestquellen?
Genau, das sind Überrestquellen. Quellen, die nicht dazu geschaffen wurden, die Zeiten zu überdauern, anders als Traditionsquellen (wie Historiographie), sie sind Dokumente von Ereignissen, sie sind unmittelbar zur Geschichte, Historiographie ist mittelbar.

Historiographie ist gewissermaßen eine Literaturgattung. Wir gehen nur davon aus, dass Literatur fiktonal ist, wohingegen Historiograhie nonfiktional ist. Aber so einfach ist es eben nicht.

Der Historiograph wählt bewusst aus, was er erzählt und was er nicht erzählt. Er kann sich falsch erinnern oder falsch informiert sein, die Wahrheit frisieren oder sogar glatt lügen. Haben wir dann einen fiktionalen Text?
Der literarische Text kann auf historischen Begebenheiten basieren, die aber nicht - weil Historiographie in unserem Zeitalter eben keine übliche Literaturgattung mehr ist - unter Historiographie zählt. Günter Eichs Inventur ist ein Gedicht, das aber direkt aus seiner Erfahrung als kriegsgefangener in einem der Rheinwiesenlager gespeist ist. Es ist definitiv eine historische Quelle. Bei einem autobiographischen Roman wird das schon schwieriger.
Was ist Isabell Allendes Geisterhaus (Casa de los Espíritus)? Es ist definitiv ein Roman, sogar mit phantastischen Elementen (magischer Realismus) und dennoch berichtet er vom Militärputsch in Chile und seiner Vorgeschichte und Folgen. Sollen wir den als Historiker ganz ad acta legen?


Beschäftigt sich die Literaturwissenschaft mit Preislisten?
Nchts ist unmöglich. Aber nein, normalerweise nicht.

Hinzu kommt: Gilt "Erdgeschichte" / Historische Geologie und Paläontologie nicht mehr als Geschichte ?
Nein. Geschichte ist eine Kulturwissenschaft.
Im Prinzip beginnt die Geschichte erst mit den erzählenden Quellen. Deshalb nennen wir die Prähistorie Prähistorie/Vorgeschichte, eben weil das vor der Geschichte liegt.
Paläontologie und Geologe ist keine historischen Wissenschaften, auch wenn sie die Geohistorie oder Erdgeschichte berühren (Paläontologie) oder direkt betreffen (Geologie). Aber es sind Natur- nicht Kulturwissenschaften. ("Geologie ist KEINE Wissenschaft", schreit Sheldon Cooper empört aus dem Hintergrund)

Zeitgenössische Textquellen zu diesem Bereich der Geschichte gibt naturgemäss nicht - also keine Literaturwissenschaft. Und was ist mit "Kunstgeschichte." Bezeichnungen und Begriffe wie Romanik und Gotik sind ja wohl nicht durch literaturwissenschaftlichen Methoden entstanden.
Kunstwerke sind geschichtswissenschaftlich betrachtet - zumindest bis ins 19. und frühe 20. Jhdt. - Traditionsquellen/Monumente. Heute ist Kunst ja oft bewusst als vergänglich gestaltet. Kunstwissenschaft und Literaturwissenschaft haben viel gemeinsam, stellen oft dieselben Fragen. Literatur ist eine Form der Kunst, die eben mit dem Wort arbeitet (obgleich es auch literarische Werke gibt, die versuchen, die Grenze zwischen darstellender und literarischer Kunst zu durchbrechen, im 17. Jhdt. waren Figurengedichte populär, im frühen 20. Jhdt. wurde diese Idee noch mal aufgegriffen und in der arabischen Kalligraphie ist es auch heute üblich - allerdings in der Regel sehr kurze Texte - in Bildform zu bringen. Allerdings gibt es zwischen den barocken Figurengedichten und der arabischen Kaligraphie einen bedeutenden Unterschied: bei den barocken Figurengedichten hatb man oft versucht, dem Block eine gewisse Figur zu geben, die am besten thematisch zum Inhalt passte, wohingegen in der arabischen Kalligraphie die Buchstaben selber Elemente des Bildes sind.
 
An den Minoern und Mykenern kann man jedenfalls sehen was Geschichtswissenschaft ohne Literatur ist, vor allem Beschreibungen der Hinterlassenschaften und eine ganze Menge Vermutungen.

Hervorgegangen sind die Klassischen Altertumswissenschaften ja aus den Humanisten der Rennaissance und es war in erster Linie Altphilologie, besonders mit dem Buchdruck begann eine systematische Erfassung der erhaltenen Werke. Geschichtsschreibung wurde ja definiert durch Herodot und Thukydides und bloß weiterentwickelt in dem Sinne ist die erzählte Geschichte schon in erster Linie Philologie. Die vielen anderen Bereiche der Geschichtswissenschaften sind ja schon erwähnt worden. Die systematische Behandlung der Kunst und Architektur begann ebenfalls mit den Humanisten.
 
Ich meine, dass die Schwerpunkte in der Geschichtswissenschaft bedingt im philologisch/literaturwissenschaftlich grundierten Vergleich von 'Texten' liegt. Man kann gewiss mit De bello galico einen Ausschnitt der römischer Geschichte oder Julius' damalige Intensionen, Rechtfertigungsstrategien oder Selbstverständnis im Verhältnis zu den 'Galliern' illustrieren oder gar belegen, die Basis werden aber gewisse harte Fakten sein, Truppenstärken, Bewegungsmöglichkeiten, militärtechnische Ausstattungen, organisatorische Fähigkeiten, die innen- und machtpolitische Situation usw. usw.

Gehen wir in die westeuropäische Neuzeit ab 1500, so wird die 'europäische Moderne' weniger mit der philologisch-literaturwissenschaftlich geübten Rezeption von Texten fundiert und substanziell greifbar, eher mit dem Nachweis der maritimen und wirtschaftlichen Expansion, technischer Entwicklungen, Verwaltungsentwicklung usw. usw.
 
Hinzu kommt: Gilt "Erdgeschichte" / Historische Geologie und Paläontologie nicht mehr als Geschichte ?

Im ursprünglichen Sinne ja nicht. Man sprach (und spricht teilweise immer noch) von "Vorgeschichte" im Gegensatz zu Geschichte.

Zumindest im deutschen Sprachraum hat sich die Geschichtswissenschaft direkt aus der Philologie entwickelt. Patrick Geary spricht hier vom "Giftmüll der nationalistischen Philologie", da damals Konzepte eingeführt wurden, die die Geschichtsforschung noch lange dominierten.
Man fixierte sich frühzeitig auf Begriffe wie "Volk", "Ethnie" und "Nation", sah diese als grundlegend für die weitere Erforschung des historischen Verlaufs. Diese sind auch in der heutigen geschichtlichen Gedankenwelt noch deutlich überrepräsentiert.

Diese Begriffe versuchte man mit Hilfe der klassischen Autoren in eine Schematik zu bringen, welche letztendlich den aufkommenden deutschen Nationalismus untermauern und begründen sollte. Da musste dann eben der ur-deutsche Hermann der Cherusker herhalten.
Und was nicht von klassischen Autoren stammte, das waren "Hilfswissenschaften" wie die Archäologie, die zunächst vorwiegend im Kontext griechische Antike, Ägypten und Babylon eingesetzt wurde. Mehr Schatzgrabungen für Museen als historische Forschung.

All das geschilderte ist aber seit Jahrzehnten überholt. Im Großen und Ganzen hat sich die Geschichtswissenschaft seit 1945 von ihren Wurzeln etabliert und zur in den obigen Beiträgen geschilderten universalen Wissenschaft der Vergangenheit entwickelt.
 
Ich meine, dass die Schwerpunkte in der Geschichtswissenschaft bedingt im philologisch/literaturwissenschaftlich grundierten Vergleich von 'Texten' liegt. Man kann gewiss mit De bello galico einen Ausschnitt der römischer Geschichte oder Julius' damalige Intensionen, Rechtfertigungsstrategien oder Selbstverständnis im Verhältnis zu den 'Galliern' illustrieren oder gar belegen, die Basis werden aber gewisse harte Fakten sein, Truppenstärken, Bewegungsmöglichkeiten, militärtechnische Ausstattungen, organisatorische Fähigkeiten, die innen- und machtpolitische Situation usw. usw.

Gehen wir in die westeuropäische Neuzeit ab 1500, so wird die 'europäische Moderne' weniger mit der philologisch-literaturwissenschaftlich geübten Rezeption von Texten fundiert und substanziell greifbar, eher mit dem Nachweis der maritimen und wirtschaftlichen Expansion, technischer Entwicklungen, Verwaltungsentwicklung usw. usw.
Die maritime und wirtschaftliche Expansion ist nicht in literarischen Quellen festgehalten?
 
Natürlich ist Geschichtswissenschaft auch eine Disziplin der Schreiberlinge. Historiker sind im Jahr 2025 nicht weniger wetterwendisch als sie es 1860, 1900, 1930 oder 1968 waren. Das Märchen von Hermann dem Cheruskerfürst wurde lediglich durch Regenbogenmärchen ersetzt. Geschichte ist heutzutage ein Konstrukt, so wie Identitäten ein Konstrukt sind. Logischerweise kann es daher z.B. keine kulturellen Unterschiede geben. Die heutige Geschichtswissenschaft ist eigentlich nicht universal und schon gar nicht bürgerlich, sondern ideologisch getrieben, staatsorientiert und eurozentristisch wie eh und je. Liegt ja auch in der Natur der Sache. Die eigene Herkunft und Geschichte können auch die meisten Historiker des 20. Jahrhunderts nicht verleugnen.
Die Giftmülldeponien sind nur andere geworden. Das Scheitern der deutschen Bildungspolitik oder deutschen Afghanistanpolitik hat z.B. sehr viel damit zu tun, dass kulturelle Differenzen bestenfalls als Ausfluss irgendwelcher Ungerechtigkeiten gesehen werden. Schuld sind Großerzählungen, wie sie Historiker allzu gerne mitgestalten. Als ob Menschen keine Herkunft und keine kulturellen Wurzeln haben.
 
Mal abgesehen davon, dass das Thema offensichtlich verfehlt wurde:
Natürlich ist Geschichtswissenschaft auch eine Disziplin der Schreiberlinge.
Das Wort Schreiberlinge ist negativ besetzt. Wie überhaupt alles, was mit auf -ling endet klein macht und oft - wie im Fall Schreiberling - herabsetzend ist. Jemand der an anderer Stelle de Saussure paraphrasiert, weiß das. Wenn man einen einzelnen Autor, der Unsinn schreibt, als Schreiberling bezeichnet, ist das licit. Wenn man aber eine ganze Berufszunft mit Pauschalisierungen, wie denen, die hierauf folgten, herabsetzt, nicht. Das grenzt an Demagogie.

Historiker sind im Jahr 2025 nicht weniger wetterwendisch als sie es 1860, 1900, 1930 oder 1968 waren. Das Märchen von Hermann dem Cheruskerfürst wurde lediglich durch Regenbogenmärchen ersetzt.
Richtig ist, dass wir alle einen Standpunkt haben und dass dieser Standpunkt natürlich bei Wissenschaftlern - bei Geistes- und Kulturwissenschaftlern eher als bei Naturwissenschaftlern - das Forschungsinteresse mitlenkt.
Ein grüner Historiker wird sich eher für Umweltgeschichte interessieren, als ein liberaler, ein sozialdemokratischer oder ein christdemokratischer. Ein liberaler Historiker interessiert sich vielleicht mehr für die 1848er Revolution und ein sozialdemokratische eher für die Geschichte der Arbeiterbewegung, sein christsozialer Kollege wird sich da eher dür die christliche Soziallehre eines Franz Hitze, das Kolpingwerk oder die Von Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel interessieren.

Es gehört zur geisteswissenschaftlichen Arbeit, eine Reflexion der eigenen Position vorzunehmen, um eben den Researcher Bias (vor 25 Jahren sprachen wir im Studium weniger von Bias, als von subjektiver Voreingenommenheit, aber gemeint ist dasselbe) auf ein Rudiment zu minimieren. In der Wissenschaftstheorie können wir die Subjektivität nie ganz ablegen, nie ganz objektiv sein, aber wir können uns dem Ideal-Zustand der Objektvität annähern, in der Wissenschaftstheorie nennt man das Intersubjektivität.


Geschichte ist heutzutage ein Konstrukt, so wie Identitäten ein Konstrukt sind.
Geschichte ist nicht nur heutzutage ein Konstrukt, sondern immer. Es ist der betrachtete Ausschnitt der historischen Wirklichkeit.


Logischerweise kann es daher z.B. keine kulturellen Unterschiede geben.
Diese Logik erschließt sich mir nicht. Ist aber auch egal, weil führt uns vom eigentlichen Thema - Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Geschichtswissesnchaft mit der Philologie und insbesondere Literaturwissenschaft - nur weiter weg.
 
@El Quijote Man darf bei alledem nicht vergessen, dass es im Wesentlichen der Staat ist, der Historiker finanziert hat und finanziert. Im Prinzip ist die Polemik natürlich überzogen.

In gewisser Weise hast du schon recht. Wenn man sich mit Zeitzeugen unterhält, hört man des Öfteren: "Das ist Wissen aus Büchern. Die Wirklichkeit war anders." Geschichte ist nicht nur Konstrukt, sondern Teil der gelebten Wirklichkeit. Die Existenz zweier Geschlechter ist z.B. Folge evolutionsgeschichtlicher Entwicklungen. Was geschieht? Man sieht Geschlechter als "Konstrukte" an. Der Hang, alles als konstruktivistisch anzusehen, lässt sich auch in den Geschichtswissenschaften beobachten. Ich halte es für eine Verirrung, eine reale nicht selbst definierte Identität auf eine solche Art und Weise wegzudefinieren. Der Konstruktivismus beschreibt die Wahrnehmung der Menschen als aktiven Konstruktionsprozess. Sie nehmen also nicht die objektive Wirklichkeit wahr, sondern erschaffen sich aus dieser ihre eigene Realität. Zumindest im Heimatverein wird man damit keine Pluspunkte sammeln.

Der Unterschied zu den Sprach- und Literaturwissenschaften ist interessanterseise dadurch gegeben, dass in den Geschichtswissenschaften kulturelle Unterschiede weit mehr als "Konstrukt" angesehen werden. In den Sprachwissenschaften akzeptiert man kulturelle Besonderheiten als gegebene Wirklichkeiten. Wenn Deutsche direkter im Gespräch sind oder Italiener mit den Händen sprechen, hat das nichts mit Sebstzuweisungen zu tun, sondern ist einfach historisch so gewachsen. Es ist Teil der Identität, aber kein Bestandteil irgendwelcher Selbstdefinitionen. Die moderne Geschichtswissenschaft ist elfenbeinturmartiger als die Sprachwissenschaft. Ist auch logisch, da man Sprachen zu 80% studiert, um in einer realen Umwelt klar zu kommen. Der Sprachwissenschaftler will kommunizieren, der Historiker analysiert tote Objekte.

Die Geschichtswissenschaft ist mehr als Literaturwissenschaft. Schon aus dem Grund, weil sie zu einem sehr großen Teil mit nichtliterarischen Quellen hantiert. Sie steht sich selbstkritisch gegenüber, um sich selbst ständig zu hinterfragen. Per se ist das positiv zu bewerten.
 
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Im ursprünglichen Sinne ja nicht. Man sprach (und spricht teilweise immer noch) von "Vorgeschichte" im Gegensatz zu Geschichte.

Zumindest im deutschen Sprachraum hat sich die Geschichtswissenschaft direkt aus der Philologie entwickelt. Patrick Geary spricht hier vom "Giftmüll der nationalistischen Philologie", da damals Konzepte eingeführt wurden, die die Geschichtsforschung noch lange dominierten.
Man fixierte sich frühzeitig auf Begriffe wie "Volk", "Ethnie" und "Nation", sah diese als grundlegend für die weitere Erforschung des historischen Verlaufs. Diese sind auch in der heutigen geschichtlichen Gedankenwelt noch deutlich überrepräsentiert.
Das war mir, so merke ich - zum Mindesten in dieser Absolutheit - tatsächlich nicht bewusst.

Ich hatte den Ursprung der Geschichte aus der Philologie eigentlich immer mit "vergangene Politik" übersetzt. Aussgehend von meiner Schulzeit (60er/70er Jahre) - in der Grundschule begannen wir das "Fach Geschichte" mit den "Höhlenbewohnern" und in der Mittel- und Oberstufe (wenn auch nur kurz) mit Urknall, Vulkanismus, Plattentetonik u.ä. - war meine Definition von "Geschichte" vereinfacht gesagt alles "Vergangene" resp. die Gesamtheit vergangener Ereignisse.
 
Wenn man sich mit Zeitzeugen unterhält, hört man des Öfteren: "Das ist Wissen aus Büchern. Die Wirklichkeit war anders."
Der Zeitzeuge ist der größte Feind des Historikers. Denn der Historiker ist kritisch mit der Erinnerung des Zeitzeugen und seinem Anspruch auf die Deutungshoheit. Und nicht jeder Zeitzeuge ist ehrlich, Zeitzeugenschaft ist für Historiker genauso wenig sakrosankt wie andere Quellen. Und was die Kritik von Zeitzeugen an Historikern oft vergisst: Auch Historiker sind mitunter Zeitzeugen!!!

Es gibt zahlreiche Untersuchungen dazu, wie Erinnerung bewusst oder unbewusst manipuliert werden kann. Der ehrlichste Zeitzeuge mit dem geringsten Anlass, seine Deutungshoheit zu behaupten kann vollkommen unbewusst seine Erinnerung mit Gelesenem und Gesehenem vermengen. (False Memory Syndrome)
Es gibt da einen berühmten Fall von einem in Auschwitz-Monowitz Inhaftierten, der auf seinen Bildern immer wieder das Tor von Auschwitz-Birkenau malte. Weil das Bild vom Tor von Birkenau eine Medienikone darstellt und seine Erinnerung überlagert hat.
Ich selber war wenige Wochen vor dem Mauerfall in Berlin, ich war mir jahrelang sicher, dass meine Eltern mit mir am 40. Jahrestag der DDR rüber in die DDR wollten, aber an der Friedrichsstraße nicht gelassen wurden. Dass wir an der Friedrichsstraße nicht gelassen wurde, ist korrekte Erinnerung: Es wurde abgezählt 1-2-3 ihr dürft rein, 1-2-3 ihr dürft nicht rein. Mein Vater und ich waren 2 und 3 und hätten reingedruft, meine Mutter war 1 und durfte nicht rein. Dass das aber zum 40. Jahrestag der DDR gewesen wäre, war Konfabulation, resultierend daraus, dass der gerade vorbei war und daraus, dass meine Eltern zu einem früheren Zeitpunkt in Berlin Bekannte während eines Jahrestages getroffen hatten, da diese der Meinung waren, dass sie zum Jahrestag der DDR besonders unauffällig nach Berlin fahren und sich mit Westbekanntschaft treffen konnten.
Ich habe diese Geschichte sicher 25 Jahre lang falsch erzählt, ohne zu lügen - ich war ja dabei.

Geschichte ist nicht nur Konstrukt, sondern Teil der gelebten Wirklichkeit. Die Existenz zweier Geschlechter ist z.B. Folge evolutionsgeschichtlicher Entwicklungen. Was geschieht? Man sieht Geschlechter als "Konstrukte" an. Der Hang, alles als konstruktivistisch anzusehen, lässt sich auch in den Geschichtswissenschaften beobachten. Ich halte es für eine Verirrung, eine reale nicht selbst definierte Identität auf eine solche Art und Weise wegzudefinieren. Der Konstruktivismus beschreibt die Wahrnehmung der Menschen als aktiven Konstruktionsprozess. Sie nehmen also nicht die objektive Wirklichkeit wahr, sondern erschaffen sich aus dieser ihre eigene Realität. Zumindest im Heimatverein wird man damit keine Pluspunkte sammeln.
Wissenschaft ist kein Beliebtheitswettbewerb. Der Wissenschaftler sollte zwar einerseits demokratisch agieren, in dem Sinne, dass er verständlich für sein Publikum schreibt, aber er sollte nicht seinem Publikum nach dem Mund reden.
 
@Armer Konrad Das ist auch so richtig. Speziell die Germanistik hat sich hier vorgetan. Fachleute aus dem Bereich der Rechtswissenschaft, die in der Lektüre mittelalterlicher deutscher Rechtsquellen geschult waren, hatten als erste die Expertise, das Corpus der Nationalliteratur zu sichern und quellenkritisch zu edieren. Hier ist klarer nationaler Bezug gegeben. Allerdings muss gesagt werden, dass die Orientalistik, die griechische und lateinische Philologie, die Anglizistik und die Romanistik, die in Deutschland wesentliche Impulse empfing, eine andere Richtung gingen.
Der ethische Nationalismus wird von Geary falsch verstanden. Nicht allein die Historiker und Literaten haben die moderne Nation geschaffen, sondern ebenso Ökonomen und Politiker. Die Schaffung eines Wirtschaftsraumes, eines einheitlichen Sprachraumes und einer Nation als Bollwerk gegen andere aufstrebende Mächte wurde im 19. Jahrhundert als notwendig erachtet, auch um bürgerliche und konstitutionelle Freiheiten durchsetzen zu können. Der Nationalismus war damals die Speerspitze der Modernisierung auf allen Ebenen. "Giftmüll" wurde das damit verbundene, konstriuierte Gemeinschaftsgefühl erst dadurch, dass die Klassengesellschaft der wilhelminischen Zeit einen kleinsten gemeinsamen Nenner suchte, nämlich die "Volksgemeinschaft". Hätte man einen Berliner um 1890 gefragt, ob er Preuße ist oder Deutscher, hätte er vermutlich gesagt: "Erst Preuße und dann Deutscher". Wäre er besonders modern gewesen, wäre die Antwort wohl umgekehrt ausgefallen.

Die deutsche Geschichtsforschung hätte auch zu einer vielgliedrigen Landesgeschichtsschreibung mutieren können, ohne sonderliche Konnexitäten. Das war ja auch z.T. der Fall.
 
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@El Quijote Grundsätzlich stimme ich Dir zu. Allerdings bleibe ich bei Meinung, dass auch Historiker nicht frei sind von äußeren Maniplationen. Es gibt auch einen demokratischen Populismus. Der tut der Wissenschaft nicht immer gut, z.B. weil sich die Vergabe von Fördermitteln durchaus an Themen orientiert, die man als tagesaktuell empfindet.
Zum anderen Punkt: Zeitzeugen sind selbstverständlich nicht neutral. Allerdings gibt es auch Berichte, die ohne jede Wertung sind. Da wird eben erzählt, dass ein Offizier, der Material für die Front "verschob" kurzerhand von seinen Kameraden "bearbeitet" wurde, was dann die Opferzahl in der Rubrik "Fahrzeugunfall" erhöhte. Der Historiker würde in so einem Fall die falschen Schlüsse ziehen. In Monte Cassino mussten Soldaten unterschrieben, nicht zu desertieren, da andernfalls Repressalien gegenüber den Familienmitgliedern drohten. Der Historiker weiß davon nichts und zieht es daher in Zweifel. Wem soll man eher glauben? Auch Quellen sind nicht zwingend "neutral". Z.B. durften Wehrmachtssoldaten nicht so ohne Weiteres alles fotographieren. Viele Dinge wurden an der Front unter der Hand geregelt, um Bürokratie zu vermeiden. Wie will ein Historiker hier objektiv urteilen, wenn er sich ausschließlich auf Dokumente beruft? Oder soll man Zeugenberichte nicht ernst nehmen, die davon berichten, dass die deutschen Soldaten von ehedem das Wirtschaftswunder als Ersatzendsieg betrachteten und im Auslandsurlaub weiterhin herrisch auftraten?
 
Zum anderen Punkt: Zeitzeugen sind selbstverständlich nicht neutral. Allerdings gibt es auch Berichte, die ohne jede Wertung sind. Da wird eben erzählt, dass ein Offizier, der Material für die Front "verschob" kurzerhand von seinen Kameraden "bearbeitet" wurde, was dann die Opferzahl in der Rubrik "Fahrzeugunfall" erhöhte. Der Historiker würde in so einem Fall die falschen Schlüsse ziehen.
Warum?


In Monte Cassino mussten Soldaten unterschreiben, nicht zu desertieren, da andernfalls Repressalien gegenüber den Familienmitgliedern drohten. Der Historiker weiß davon nichts und zieht es daher in Zweifel.
Ganz so einfach ist das nicht. Niemand behauptet, dass Zeitzeugen per se unglaubwürdig seien. Und wie gesagt: Auch Historiker selbst sind Zeitzeugen!

Wem soll man eher glauben? Auch Quellen sind nicht zwingend "neutral".
Deshalb ist das A und O historischer Forschung die Quellenkritik, die äußere Quellenkritik, die sich um Zustand und Überlieferung der Quelle dreht und die innere Quellenkritik, welche ihre Glaubwürdigkeit beurteilt. Die Quellen - ein pharaonisches Relieph, eine mittelalterliche Schenkungsurkunde oder ein Zeitzeugenbericht - mögen sich physisch unterscheiden, die Quellenkritik wird auf alle gleichermaßen angewandt.


Wie will ein Historiker hier objektiv urteilen, wenn er sich ausschließlich auf Dokumente beruft? Oder soll man Zeugenberichte nicht ernst nehmen, die davon berichten, dass die deutschen Soldaten von ehedem das Wirtschaftswunder als Ersatzendsieg betrachteten und im Auslandsurlaub weiterhin herrisch auftraten?
Wie gesagt, das ist eine Scheinproblematik. Zeitzeugenberichte werden idealerweise behandelt wie alle Quellen: Mit dem gebührenden kritischen Abstand. Du tust so, als würden Historiker Zeitzeugen per se in Zweifel ziehen. Das ist Unsinn. Oft gibt es sogar das Phänomen, dass Historker sich mit den Zeitzeugen solidarisieren. Harald Welzer hat darüber geschrieben, dass seine Studierenden, als diese Zeitzeugen des WKII befragten, oft ein solch enges Verhältnis zu den Zeitzeugen aufbauten, dass sie gerne mal überhörten, wenn die Zeitzeugen sich selbst belasteten, teilweise auch versuchten Brücken zu bauen, dass die Zeitzeugen sich selbst belastende Aussagen relativieren oder zurücknehmen könnten.
 
Grundsätzlich stimme ich Dir zu. Allerdings bleibe ich bei Meinung, dass auch Historiker nicht frei sind von äußeren Maniplationen. Es gibt auch einen demokratischen Populismus. Der tut der Wissenschaft nicht immer gut, z.B. weil sich die Vergabe von Fördermitteln durchaus an Themen orientiert, die man als tagesaktuell empfindet.
Ja, aber das Problem relativeriert sich etwas, wenn man betrachtet, dass das nicht gleich bleibt, zumindest in the long run.
Tagesaktuell sind häufig gerade vorhandene Probleme und Dinge werden in der Regel vor allem dann zu Problemen, wenn man sie zu lange ignoriert, bzw. relativ wenig Aufmerksamkeit geschenkt hat.

Wenn man sich einzelne historische Ereignisse mal forschungshistorisch anschaut, wird man feststellen, dass es eigentlich nicht vorkommt, dass Forschung weitesgehend zu einem früher schonmal dagewesenen Paradigma zurückkehrt.

Auch verändern sich natürlich die staatlichen Strukturen und Institutionen selbst, so wie die persönlichen Hintergründe der Historiker im Laufe der Zeit recht starkt. Das führt langfristig ja durchaus zu einem gewissen Maß an Multiperspektivität.

Zum anderen Punkt: Zeitzeugen sind selbstverständlich nicht neutral. Allerdings gibt es auch Berichte, die ohne jede Wertung sind. Da wird eben erzählt, dass ein Offizier, der Material für die Front "verschob" kurzerhand von seinen Kameraden "bearbeitet" wurde, was dann die Opferzahl in der Rubrik "Fahrzeugunfall" erhöhte. Der Historiker würde in so einem Fall die falschen Schlüsse ziehen.
Würde er das? Dem Historiker könnte z.B. von vorn herein klar sein, dass die Kategroie "Fahrzeugunfall"im Zusammenhang mit Kriegszustand möglicherweise Opfer durch Dritteinwirkung beeinhalten kann, sofern bekannt ist, dass es innerhalb des Krieges Partisanen-/Guerillaaktivität gab, wo dann vielleicht schonmal von Untergrundkämpfern versucht worden sein könnte, bei bestimmte Fahrzeugen, z.B. denen der Stabsoffiziere oder von nachschubtranspotierenden LKW auf der Feindseite, einfach mal die Bremsanlage zu sabotieren sofern es möglich war da heran zu kommen.

Der Historiker erfährt vielleicht nicht die Wahrheit, dass genau dieser Offizier von seinen eigenen Leuten erschlagen wurde, muss deswegen aber durchaus nicht unbedingt den falschen Schluss ziehen der Unfallstatistik 1:1 zu glauben.
Zumal selbst wenn wir Sabotageakte mal außen vor lassen, der Historiker der einigermaßen in der Materie drinn ist, bei einem größeren Krieg davon ausgehen muss, dass es dann und wann zu Reibereien zwischen Offizieren und Mannschaften kommt, die in Gewalttätigkeiten ausarten, weil das eben in den Prozessakten der Militärjustiz vorkommt.
Wenn das dort aber vorkommt, muss er auch davon ausgehen, dass es dabei eine gewisse Dunkelziffer gibt, die der Militärjustiz nie zur Kenntnis gebracht wurde. Entweder weil niemand dabei ums Leben kam und man sich innerhalb der Einheit darauf geeinigt hat das zu vergessen, weil es ein schlechtes Licht auf alle werfen würde, oder weil man einen getöteten irgendwie erfolgeich mit "Unfall/Partisanenangriff/whatever" ettikettieren konnte.

Die genaue Zahl von Unfallopfern bis auf die 2. Nachkommastelle, wäre für die Gesamtdarstellung des Historikers wegen statistischer Ungenauigkeiten und Fehler (z.B. mögliche Doppelmeldungen) ohnehin eher von sekundärem Interesse.

[mod: Monte Cassino-Diskussion abgespalten, weiter hier:
Anti-Desertations-Eid vor der Schlacht von Monte Cassino? ]
 
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Fragt sich, wer hier was falsch verstanden hat. Die negativen Folgen des übersteigerten Nationalismus sind ja nun offensichtlich, nicht erst zu wilhelminischer Zeit. Ihn als "Speerspitze der Modernisierung" zu sehen, klingt da etwas absurd. Vor allem auf dem Balkan führte die absolut nicht die Lebensrealitiät widerspiegelnde künstliche Schaffung von "Nationen" direkt in die Katastrophe.
Ich denke man kann das in etwa in die These zusammenfassen, dass Nationalismus da daerheblich zu Modernisierung beitrug, wo es darum ging kleinteilige Ordnungen zu einem größeren Ganzen zusammen zu führen und das ganze dadurch effizienter zu machen Mehrfachstrukturen (z.B. auf kleinem Raum nebeneinander existierende Rechtssysteme etc.) durch etwas gemeingültiges zu ersetzen, während in großräumigen Ordnungen Nationalismus von vorn herein keine besonderen Modernisierungswirkungen hat weil hier zur Verfwaltung und Modernieriung weniger Mobilisierung und Rationalisierung, als Flexibilität gefragt ist um mit den verschiedenen Erfordernissen des großen Raumes umgehen zu können.

Deswegen mag für die kleintielige Ordnung Deutschlands und Italiens im 19. Jahrhundert der Zusammenhang von Nationalismus und Modernisierung möglicherweise objektiv bestanden haben, im Fall der großräumigen Ordnungen des Habsburgerreiches, des Osmanischen Reiches und des Russischen Zarenreiches aber nicht, da wirkte er von vorn herein gegenteilig.
 
@Stilicho Ohne den Nationalismus gäbe es keine Demokratie, keinen modernen Rechtsstaat und keine Gleichheit der Bürger. Über die Opfer der Modernisierung lässt sich trefflich streiten. Trotzdem gibt es nicht die Berechtigung dazu, schwarz oder weiß zu sehen. Jeder Fortschritt ist eben schwarz und weiß. Ich denke, dass die zentrifugalen Tendenzen der Klassengesellschaft durch die zentripetale Kraft des Nationalismus aufgefangen werden konnten, solange man es verstand, ein Einheitsgefühl zu bewahren und Aggressionen nach außen zu lenken. Das war aber nicht allein die Folge einer Ideologie, sondern eines gesamtgesellschaftlichen Zustandes in wohl allen europäischen Ländern. Große Kriege hat es in Europa schon vor dem Zeitalter des Nationalismus gegeben. Deutschland wäre ohne den Nationalismus des 19. Jahrhunderts wahrscheinlich kein modernes Land. Sehr viele Global Player in der deutschen Wirtschaft und sogar die Mehrzahl der wissenschaftlichen Institute haben ihre Wurzeln im Kaiserreich.

@Shinigami Der Historiker bezieht sich am Ende immer auf Dokumente. Anders geht es auch nicht. Speziell bei der Beschäftigung mit dem 3. Reich kann das zum Problem werden. "Alles weitere mündlich" ist z.B. ein Standardsatz in Feldpostbriefen. Der 16jährige, der im Schützengraben schreit, wird von den eigenen Leuten getötet, weil er die Truppe demoralisiert, der Vierjährige, dem man eine Bombe um den Bauch gewickelt hat erschossen, das Dorf, das einen Offizier liquidieren wollte, platt gemacht. Kein Grund, das vor ein Gericht zu bringen. Auch der SS-Mann der bei einer Durchsuchungsaktion "wegschaut", wird das wohl kaum in den Akten schriftlich dokumentiert haben. Die Vorstellung, dass es in einem Krieg "ordentlich" zugeht, ist illusorisch, selbst wenn dieser Eindruck in den Akten erscheint. Die Kriegsrealität ist anders, schon weil Kommunikationslinien unterbrochen werden, Vorgesetzte überfordert sind, Mannschaften sinnlos "verheizt" werden usw. In diesem Fall sind Zeitzeugenberichte ein durchaus wichtiges Korrektiv.

Auch bei Korruptionsfällen und Missbrauchsfällen ist man auf Zeugenberichte angewiesen. Ist ja nicht so, dass jeder seine Missetat brav und penibel dokumentiert. Vor der Vorstellung, dass alles schön bürgerlich vor sich geht, sei gewarnt. Es ist wie mit Krankenakten. Klingt sehr objektiv bis der Patient merkt, dass er an Krankheiten leidet, die er nicht hat. Das kommt sehr viel öfter vor als man denkt, etwa bei Fehlbehandlungen.

[mod: Monte Cassino-Diskussion abgeteilt:
Anti-Desertations-Eid vor der Schlacht von Monte Cassino? ]

Jede Zunft deckt sich zunächst einmal selbst, das ist bei Soldaten, Theologen, Juristen, Ärzten nicht anders als bei Historikern. Die viel gepriesene Objektivität der eigenen Zunft sollten auch Geisteswissenschaftler ruhig kritisch sehen.
 
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Deswegen mag für die kleintielige Ordnung Deutschlands und Italiens im 19. Jahrhundert der Zusammenhang von Nationalismus und Modernisierung möglicherweise objektiv bestanden haben,

Nicht jede zeitgleiche Entwicklung beinhalted eine Kausalität. Die Modernisierung entstand vor allem durch die Aufklärung und als Folge der Französischen Revolution. Durch den deutschen Nationalismus versuchte man sich von Napoleons Frankreich abzugrenzen, versuchte aber gleichzeitig die Reformen nachzuahmen. Ein wenig Etikettenschwindel.

Ohne den Nationalismus gäbe es keine Demokratie, keinen modernen Rechtsstaat und keine Gleichheit der Bürger.

Sehr gewagte These. Sehr gewagt.
 
@Stilicho finde ich nicht. Eine moderne Demokratie braucht nationale Grundlagen: Eine Sprache, ein einheitliche (Grund-)Wertefundament, eine einheitliche Gesetzgebung, gleiche Rechte und Pflichten, bürgerliche Freiheiten. All das wurde erst 1789 möglich.

Mehrere offizielle und inoffizielle Sprachen und Dialekte, Religionsbindung, uneinheitliche Wertvorstellungen, hundert Grenzen, mehrere Währungen auf kleinstem Raum, Paralleljustiz, Ungleichheit bei Rechten und Pflichten, Rechtsenklaven, Leibeigenschaft, Kirchenherrschaft, Drangsalierung der wirtschaftlichen Freiheit und noch nicht einmal ein abgeschlossenes Staatsgebiet? Auf dieser Basis könnte eine moderne Massendemokratie nicht existieren, jedenfalls nicht in einem größeren Land. Ziel nationaler Bestrebungen war es, zersplitterte Territorien zu vereinigen, großräumige Handelszonen zu schaffen, Kultur, Administration und die Verkehrssprache im Interesse einer effektiven Volkswirtschaft zu vereinheitlichen. Auch die Mehrung bürgerlicher Freiheiten ("Demokratisierung", gleiches Wahlrecht) war ein nationales Anliegen. Die Nation im rechtlich-philosophischen Sinne ist das „Staatsvolk“. Zu diesem müssen nicht alle Bewohner eines Territoriums zählen; die Vereinigten Staaten von Amerika beispielsweise rechneten afrikanische Sklaven sowie indigene Indianervölker bis ins 20. Jahrhundert nicht dazu.
Das sind die Negativeffekte der Modernisierung. Es entbehrt nicht einer gewissen Widersprüchlichkeit, wenn das Gestrige abgelehnt wird, das Heutige im Kontrast dazu als positives Gegenbeispiel wahrgenommen wird, wenn das Letzteres gleichzeitig aus dem Gestrigen hervorgegangen ist. Ist aber nun einmal so.

Aufklärung und Fortschritt haben auch unmenschliche Seiten. Ist keine neue Erkenntnis.
 
Mehrere offizielle und inoffizielle Sprachen und Dialekte, Religionsbindung, uneinheitliche Wertvorstellungen, hundert Grenzen, mehrere Währungen auf kleinstem Raum, Paralleljustiz, Ungleichheit bei Rechten und Pflichten, Rechtsenklaven, Leibeigenschaft, Kirchenherrschaft, Drangsalierung der wirtschaftlichen Freiheit und noch nicht einmal ein abgeschlossenes Staatsgebiet? Auf dieser Basis könnte eine moderne Massendemokratie nicht existieren, jedenfalls nicht in einem größeren Land. Ziel nationaler Bestrebungen war es, zersplitterte Territorien zu vereinigen, großräumige Handelszonen zu schaffen, Kultur, Administration und die Verkehrssprache im Interesse einer effektiven Volkswirtschaft zu vereinheitlichen. Auch die Mehrung bürgerlicher Freiheiten ("Demokratisierung", gleiches Wahlrecht) war ein nationales Anliegen. Die Nation im rechtlich-philosophischen Sinne ist das „Staatsvolk“. Zu diesem müssen nicht alle Bewohner eines Territoriums zählen; die Vereinigten Staaten von Amerika beispielsweise rechneten afrikanische Sklaven sowie indigene Indianervölker bis ins 20. Jahrhundert nicht dazu.
Das sind die Negativeffekte der Modernisierung. Es entbehrt nicht einer gewissen Widersprüchlichkeit, wenn das Gestrige abgelehnt wird, das Heutige im Kontrast dazu als positives Gegenbeispiel wahrgenommen wird, wenn das Letzteres gleichzeitig aus dem Gestrigen hervorgegangen ist. Ist aber nun einmal so.

Aufklärung und Fortschritt haben auch unmenschliche Seiten. Ist keine neue Erkenntnis.
Das bezieht sich ganz allgemein auf die damaligen Staaten?
Also nicht auf das HRRDN?
 
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