Genau, das sind Überrestquellen. Quellen, die nicht dazu geschaffen wurden, die Zeiten zu überdauern, anders als Traditionsquellen (wie Historiographie), sie sind Dokumente von Ereignissen, sie sind unmittelbar zur Geschichte, Historiographie ist mittelbar.Wie sollen Kaufverträge, Steuerverzeichnisse, Testamente, Gesetzeserlasse, Bauvorschriften, Wechsel, Zahlungsanweisungen, Lehrverträge, Soldverträge, Ablassurkunden, etc. literaturwissenschaftlich untersucht werden? Oder handelt es sich dabei um Überrestquellen?
Historiographie ist gewissermaßen eine Literaturgattung. Wir gehen nur davon aus, dass Literatur fiktonal ist, wohingegen Historiograhie nonfiktional ist. Aber so einfach ist es eben nicht.
Der Historiograph wählt bewusst aus, was er erzählt und was er nicht erzählt. Er kann sich falsch erinnern oder falsch informiert sein, die Wahrheit frisieren oder sogar glatt lügen. Haben wir dann einen fiktionalen Text?
Der literarische Text kann auf historischen Begebenheiten basieren, die aber nicht - weil Historiographie in unserem Zeitalter eben keine übliche Literaturgattung mehr ist - unter Historiographie zählt. Günter Eichs Inventur ist ein Gedicht, das aber direkt aus seiner Erfahrung als kriegsgefangener in einem der Rheinwiesenlager gespeist ist. Es ist definitiv eine historische Quelle. Bei einem autobiographischen Roman wird das schon schwieriger.
Was ist Isabell Allendes Geisterhaus (Casa de los Espíritus)? Es ist definitiv ein Roman, sogar mit phantastischen Elementen (magischer Realismus) und dennoch berichtet er vom Militärputsch in Chile und seiner Vorgeschichte und Folgen. Sollen wir den als Historiker ganz ad acta legen?
Nchts ist unmöglich. Aber nein, normalerweise nicht.Beschäftigt sich die Literaturwissenschaft mit Preislisten?
Nein. Geschichte ist eine Kulturwissenschaft.Hinzu kommt: Gilt "Erdgeschichte" / Historische Geologie und Paläontologie nicht mehr als Geschichte ?
Im Prinzip beginnt die Geschichte erst mit den erzählenden Quellen. Deshalb nennen wir die Prähistorie Prähistorie/Vorgeschichte, eben weil das vor der Geschichte liegt.
Paläontologie und Geologe ist keine historischen Wissenschaften, auch wenn sie die Geohistorie oder Erdgeschichte berühren (Paläontologie) oder direkt betreffen (Geologie). Aber es sind Natur- nicht Kulturwissenschaften. ("Geologie ist KEINE Wissenschaft", schreit Sheldon Cooper empört aus dem Hintergrund)
Kunstwerke sind geschichtswissenschaftlich betrachtet - zumindest bis ins 19. und frühe 20. Jhdt. - Traditionsquellen/Monumente. Heute ist Kunst ja oft bewusst als vergänglich gestaltet. Kunstwissenschaft und Literaturwissenschaft haben viel gemeinsam, stellen oft dieselben Fragen. Literatur ist eine Form der Kunst, die eben mit dem Wort arbeitet (obgleich es auch literarische Werke gibt, die versuchen, die Grenze zwischen darstellender und literarischer Kunst zu durchbrechen, im 17. Jhdt. waren Figurengedichte populär, im frühen 20. Jhdt. wurde diese Idee noch mal aufgegriffen und in der arabischen Kalligraphie ist es auch heute üblich - allerdings in der Regel sehr kurze Texte - in Bildform zu bringen. Allerdings gibt es zwischen den barocken Figurengedichten und der arabischen Kaligraphie einen bedeutenden Unterschied: bei den barocken Figurengedichten hatb man oft versucht, dem Block eine gewisse Figur zu geben, die am besten thematisch zum Inhalt passte, wohingegen in der arabischen Kalligraphie die Buchstaben selber Elemente des Bildes sind.Zeitgenössische Textquellen zu diesem Bereich der Geschichte gibt naturgemäss nicht - also keine Literaturwissenschaft. Und was ist mit "Kunstgeschichte." Bezeichnungen und Begriffe wie Romanik und Gotik sind ja wohl nicht durch literaturwissenschaftlichen Methoden entstanden.