Geschichtswissenschaft bloß Literaturwissenschaft?

Mehrere offizielle und inoffizielle Sprachen und Dialekte, Religionsbindung, uneinheitliche Wertvorstellungen, hundert Grenzen, mehrere Währungen auf kleinstem Raum, Paralleljustiz, Ungleichheit bei Rechten und Pflichten, Rechtsenklaven, Leibeigenschaft, Kirchenherrschaft, Drangsalierung der wirtschaftlichen Freiheit und noch nicht einmal ein abgeschlossenes Staatsgebiet?

Und das alles wurde überwunden durch einen übersteigerten Nationalismus? Entschuldigung, aber das ist Unsinn.
Hier verwechselst du die chauvinistische Bewegung des Nationalismus mit einer (damals überfälligen) Reform der staatlichen Organisation und der gesellschaftlichen Stratifizierung.

1789 ist auch nicht gerade als das Jahr des Nationalismus in die Geschichte eingegangen. 1789 steht für etwas ganz anderes.
 
Und das alles wurde überwunden durch einen übersteigerten Nationalismus? Entschuldigung, aber das ist Unsinn.
Hier verwechselst du die chauvinistische Bewegung des Nationalismus mit einer (damals überfälligen) Reform der staatlichen Organisation und der gesellschaftlichen Stratifizierung.

1789 ist auch nicht gerade als das Jahr des Nationalismus in die Geschichte eingegangen. 1789 steht für etwas ganz anderes.
Der Begriff des Nationalismus hat einige Wendungen durchgemacht, der Nationalismus der 48er-Revolution (Vereinigung nach Innen) war nicht so sehr durch den Nationalchauvinismus (Hybris nach Außen) gekennzeichnet, wie der Nationalismus nach 1870/71.
 
Der Begriff des Nationalismus hat einige Wendungen durchgemacht, der Nationalismus der 48er-Revolution (Vereinigung nach Innen) war nicht so sehr durch den Nationalchauvinismus (Hybris nach Außen) gekennzeichnet, wie der Nationalismus nach 1870/71.
Das ist sicherlich richtig. Und auch nicht alle Protagonisten der damaligen Zeit verstanden darunter dasselbe.

Aber gerade in der deutschen Geschichtsforschung wurde schon frühzeitig auf den 1870/71-er Weg und auch auf den späteren Rassenwahn hingearbeitet.
 
@Shinigami Der Historiker bezieht sich am Ende immer auf Dokumente. Anders geht es auch nicht. Speziell bei der Beschäftigung mit dem 3. Reich kann das zum Problem werden. "Alles weitere mündlich" ist z.B. ein Standardsatz in Feldpostbriefen. Der 16jährige, der im Schützengraben schreit, wird von den eigenen Leuten getötet, weil er die Truppe demoralisiert, der Vierjährige, dem man eine Bombe um den Bauch gewickelt hat erschossen, das Dorf, das einen Offizier liquidieren wollte, platt gemacht. Kein Grund, das vor ein Gericht zu bringen. Auch der SS-Mann der bei einer Durchsuchungsaktion "wegschaut", wird das wohl kaum in den Akten schriftlich dokumentiert haben. Die Vorstellung, dass es in einem Krieg "ordentlich" zugeht, ist illusorisch, selbst wenn dieser Eindruck in den Akten erscheint. Die Kriegsrealität ist anders, schon weil Kommunikationslinien unterbrochen werden, Vorgesetzte überfordert sind, Mannschaften sinnlos "verheizt" werden usw. In diesem Fall sind Zeitzeugenberichte ein durchaus wichtiges Korrektiv.

Auch bei Korruptionsfällen und Missbrauchsfällen ist man auf Zeugenberichte angewiesen. Ist ja nicht so, dass jeder seine Missetat brav und penibel dokumentiert. Vor der Vorstellung, dass alles schön bürgerlich vor sich geht, sei gewarnt. Es ist wie mit Krankenakten. Klingt sehr objektiv bis der Patient merkt, dass er an Krankheiten leidet, die er nicht hat. Das kommt sehr viel öfter vor als man denkt, etwa bei Fehlbehandlungen.
Aber das sich Historiker vorwiegend auf Dokumente beziehen bedeutet ja nicht, dass sie das Denken einstellen und stumpf alles übernehmen, was in diesen Dokumenten steht, dafür bräuchte es sie nicht.
Was genau ein Dokument aussagen kann und was es nicht sagt und wie man es interpretieren kann, will schon überdacht sein.

Was das weitere betrifft, ich denke es ist nicht der Ansprüch von Historikern nach vereinzelten Fällen von Korruption etc. zu suchen.
oder sagen wir, es wäre vielleicht der Anspruch des Lokalhistorikers, der sich mit sehr kleinteiligen, regionalen Kontexten befasst, aber in der Regel nicht derjenige dessen, der die größeren Kontexte betrachtet.
 
Nicht jede zeitgleiche Entwicklung beinhalted eine Kausalität. Die Modernisierung entstand vor allem durch die Aufklärung und als Folge der Französischen Revolution.
Da würde ich gegenhalten und behaupten, die Modernisierung entstand vor allem als dem Machtzuwachs des Staates, seiner Fähigkeit Ressourcen zu acquirieren, die Zwischengewalten zu entmachten und Modernisierungshemmnisse aus dem Weg zu schaffen,
Daran hatte der Nationalismus durchaus seinen Anteil, wie auch die absolutistischen Strömungen des 18. Jahrhunderts, weil beide, wenn auch in verschiedener Weise darauf hinausliefen das Ständesystem zu kippen.

Zur Verdeutlichung: Den deutschen Nationalismus des 19.Jahrhunderts muss man dem ethnischen Nationalismus zuordnen, während die Bildung der französischen Nation nach 1789 auf dem staatsbürgerlichen Nationalismus beruht.
Ja, das ist eine These, die ja immer wieder gern präsentiert wird, dass der französische Nationalismus inklusiv und der deutsche exklusiv gewesen sei.
Sie haut nur einfach nicht hin, sofern man darauf verzichtet die Koloniale Peripherie der europäischen Imperien auszublenden.
Die Koloniale Herrschaft in Nordafrika und Indochina beruhte nicht auf der französischen Bereitschaft die dortige Bevölkerung unbeschadet ihrer ethnischen Abstammung/Zugehörigkeit, als den europäischen Franzosen gleichwertige Staatsbürger zu akzeptieren.
 
Ja, das ist eine These, die ja immer wieder gern präsentiert wird, dass der französische Nationalismus inklusiv und der deutsche exklusiv gewesen sei.
Sie haut nur einfach nicht hin, sofern man darauf verzichtet die Koloniale Peripherie der europäischen Imperien auszublenden.
Die Koloniale Herrschaft in Nordafrika und Indochina beruhte nicht auf der französischen Bereitschaft die dortige Bevölkerung unbeschadet ihrer ethnischen Abstammung/Zugehörigkeit, als den europäischen Franzosen gleichwertige Staatsbürger zu akzeptieren.

Da bist du aber auf einer völlig anderen Zeitschiene.
Das erste Kolonialreichs Frankreichs entstand unter dem ancien Regime und war 1789 Geschichte und das zweite entstand erst nach der Restauration.
Ab Mitte des 19.Jahrhunderts setzte sich auch in Frankreich der chauvinistische Nationalismus durch, ganz besonders nach 1870/71.
Auf die Nachahmung der deutschen Vorbilder durch die Nachbarn geht Geary auch ein.
 
Da würde ich gegenhalten und behaupten, die Modernisierung entstand vor allem als dem Machtzuwachs des Staates, seiner Fähigkeit Ressourcen zu acquirieren, die Zwischengewalten zu entmachten und Modernisierungshemmnisse aus dem Weg zu schaffen,

Hier ist die Frage, von welcher Modernisierung wir reden. Du scheinst mehr die industrielle Revolution zu meinen, die im späten 19.Jahrhundert auch maßgeblich von staatlichen Institutionen gefördert wurden.
Die frühere gesellschaftliche Modernisierung im Sinne der Überwindung des Absolutismus wurde maßgeblich durch die Französische Revolution und die Niederlagen gegen Napoleon angetrieben.
 
Da bist du aber auf einer völlig anderen Zeitschiene.
Das erste Kolonialreichs Frankreichs entstand unter dem ancien Regime und war 1789 Geschichte und das zweite entstand erst nach der Restauration.
Aber es ist ja nicht so, als sei der französische Nationalismus mit Napoléon verschwunden.
Davon ab, ich darf daran erinnern, auch während der Herrschaft Napoléons wurde für die französischen Kolonien in der Karibik die Wiedereinführung der Sklaverei verfügt, die während der Revolution mal kurzzeitig abgeschafft war.

Auch da war jetzt nicht unbedingt inkludierende Gleichbehandlung vorhanden.

Ab Mitte des 19.Jahrhunderts setzte sich auch in Frankreich der chauvinistische Nationalismus durch, ganz besonders nach 1870/71.
Auf die Nachahmung der deutschen Vorbilder durch die Nachbarn geht Geary auch ein.
Öhm, ich bin der der Meinung, dass diverse Dinge die während der Koalitions- und Napoléonischen Kriege passierten durchaus bereits einiges mit chauvinistischem Nationalismus zu tun hatte.

Z.B. der mit militärischem Druck forcierte "Revolutionsexport" und die verordnete Gründung der "Schwesterrepubliken" in Norditalien, der Schweiz und den Niederlanden, den wird man bei Lichte besehen als ziemlich chauvinistisch betrachten können.

Das setzte sich auch in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts episodisch fort.
Hier sei an die Rheinkrise 1840 erinnert, als sich Frankreichs Regierung einbildete, als Kompensation dafür in der Orientkrise den Kürzeren gezogen zu haben, stünde Frankreich die Rheingrenze zu, was Europa an den Rand eines Krieges brachte.
 
Man darf bei alledem nicht vergessen, dass es im Wesentlichen der Staat ist, der Historiker finanziert hat und finanziert. Im Prinzip ist die Polemik natürlich überzogen.
...der Staat finanziert allerlei, nicht nur Historiker ;) Wenn aber, wie deine Überlegungen nahelegen, die jeweilige Finanzierung eindeutig Auskunft über die Seriosität oder Verdächtigkeit erteilt: ich müsste meine Heinrich Heine Werkausgabe ins Altpapier werfen, denn deiner Argumentation folgend kann die armen Weber (Erstveröffentlichung 1844 im "Vorwärts") nur ein verlogenes heuchlerisches Machwerk sein, da ihr Verfasser sich prassend vom ausbeuterischen Unternehmertum (Verleger wie Klett-Cotta waren verdammt reich) finanzieren ließ...
Wieso überzeugt die Argumentation nicht, wo doch ihre Anwendung auf die schöngeistige Literatur so klare Kante zeigt? ;)
 
@ Die Vergleiche chauvinistischer Nationalismus Deutschland vs. staatsbürgerlicher Nationalismus Frankreich, Revolution 1848 vs. Reichseinigung 1870/71 sind künstlich.

Der "ethnische Nationalismus" bzw. der Nationalismus an sich war ein bürgerliches Elitenprojekt. Noch 1866 empfand sich der normale Soldat, der gegen die Franzosen ins Feld zog als Sachse, Bayer, Preuße usw. Das Bekenntnis zur Nation im normalen Volk war nicht so sehr eines zu einer deutschen Ethnie. Das kam erst ab Ende des 19. Jahrhunderts in Fahrt und dann v.a. mit dem ersten Weltkrieg. Die Ideen von 1870/71 waren durchaus andere als die von 1914. Man muss bedenken, dass politische Ideen zunächst einmal von den oberen 30% der Gesellschaft getragen wurden. Es war ja nicht jeder bürgerlich.

Erst mit dem allgemeinen, freien und gleichen Wahlrecht konnten Massen politisiert werden. Der Massennationalismus setzt erst ab ungefähr 1890 ein. Wenn ein jüdischer Reichsangehöriger in bestimmten Regionen des Reiches achtmal eher Abitur machte als ein Katholik, bot dies Anlass zum Neid. Hinter der Antipathie steckte kein Rassenwahn, sondern die Fehlinterpretation von Modernisierungsdefiziten und der Wunsch, diese zu beheben. Das Argument der Rasse und Religion bot die Argumentationsfläche, war aber nicht die Ursache. Ich würde sogar vom Gegenteil ausgehen: Als Ausländer, Frau oder Jude hätte man um 1880 lieber im Deutschen Reich gelebt als in Frankreich. Einfach aus dem Grund, weil das Deutsche Reich in vielerlei Hinsicht prosperierender, bunter, liberaler und weltoffener war. Oder wie eine französische Auslandskorrespndentin sinngemäß so schön sagte, "in Berlin war mehr los als in Paris. Das war die eindeutig lebendigere und offenere Stadt".

Frankreich hat das Frauenwahlrecht erst 1944 eingeführt und eine wesentlich rigidere Politik gegenüber Minderheiten geführt. So ist es z.B. kein Wunder, dass regionale Dialekte in Frankreich vielerorts faktisch ausgestorben sind. Im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts fanden französische Reaktionäre, die ihr Ziel verfehlt hatten, die Republik zu beseitigen, steten Rückhalt in antisemitischer Agitation. Die Juden wurden von ihnen des Verfalls Frankreichs und all der Vergehen, die beispielsweise der lebhaften Fantasie eines Drumont entspringen konnten, bezichtigt. Hort der Liberalität? Wohl kaum. Der staatsbürgerliche Nationalismus in Deutschland zwischen 1815 und 1848 im Übrigen auch von starkem Antisemitismus geprägt. Leute wie Treitschke stammten aus der liberalen Bewegung. Bürgerlich-Liberal ist in dieser Zeit eben nicht demokratisch.

Mit demselben Recht könnte man von einem französischen Zivilisationswahn in afrikanischen Ländern sprechen. Belgisch Kongo lässt grüßen. Die "Zivilisierung Afrikas" im belgischen Kongo war ein zentraler, jedoch stark umstrittener Aspekt der Kolonialherrschaft. Sie diente als Begründung für die Herrschaft der Belgier, obwohl sie in Wirklichkeit oft mit Gewalt und Ausbeutung verbunden war. Die Zivilisierung sollte die afrikanische Bevölkerung an die europäische Kultur und Lebensweise anpassen, was durch den Abbau traditioneller Strukturen, die Einführung des Christentums, die Bildung von Schulen und die Zwangsarbeit in den Minen und auf den Plantagen geschah. Fortschritt? Ja klar, aber auf Knochen. Das Frankreich bzw. der "Westen" weniger rassistisch gewesen sei, halte ich für ein Märchen. Belgisch-Kongo war persönliches Eigentum des belgischen Königs Leopold II., der die dortigen Kautschukvorkommen zum gegenstand einer gnadenlosen wirtschaftlichen und menschlichen Ausbeutung machte. Zwischen 1885 und 1908 gab es wohl mehr als 10 Mio. direkter und indirekter Opfer unter der kongolesischen Bevölkerung.

Ich denke, dass die Beschäftigung mit der Zeit zwischen 1933 und 1945 außerhalb des Kreises der Spezialisten zu einer etwas verzerrten Sicht auf die Geschichte des 19. Jahrhunderts geführt hat. Auch das Cleanwashing westlich-liberaler Werte trägt dazu bei. Die Realität ist doch etwas zwiespältiger.
 
Zuletzt bearbeitet:
Der "ethnische Nationalismus" bzw. der Nationalismus an sich war ein bürgerliches Elitenprojekt.
Dem würde ich widersprechen.
Der Nationalismus und das zunehmende Verständnis als Staatsbürger eines vorhandenen oder noch zu gründenden Staates, bot eine Plattform um Rechte einzufordern und um sich zu organisieren. Und das beginnt letztendlich schon im Vormärz und in den Auseinandersetzungen um den Abbau der Feudallasten. Zwar noch nicht im Sinne von Massenparteien und Massenpolitik aber in seinen Anfängen schon.
 
Auch da war jetzt nicht unbedingt inkludierende Gleichbehandlung vorhanden.

Niemand möchte die Franzosen zu Heiligen stilisieren.

Hier sei an die Rheinkrise 1840 erinnert, als sich Frankreichs Regierung einbildete, als Kompensation dafür in der Orientkrise den Kürzeren gezogen zu haben, stünde Frankreich die Rheingrenze zu, was Europa an den Rand eines Krieges brachte.

Bitte nicht Imperialismus mit Nationalismus verwechseln.
 
@ Ich denke, dass die Unterschiedungen Nationalismus/Imperialismus ebenfalls künstlich sind, wie das bei den meisten "-ismen" der Fall ist.

Natürlich haben der Demokratiegedanke, der Liberalismus, der Nationalismus und der Imperialismus etwas mit einander zu tun. Der Nationalismus begann als Elitenprojekt der oberen 20, 30% und endete als Massenerscheinung.
Die Dynamik gewann er dadurch, dass er immer mehr Menschen ansprach. Damalige Bürgerliche und Nationalliberale wären nach heutigen Wertbegriffen schon sehr weit rechts. Um die unteren Schichten mit der für heutige Verhältnisse schmalen Mittelschicht und der Oberschicht zu versöhnen, bedurfte es der Kompensation, negativer Feindbilder. Der Rassismus resultiert aus dem Sozialdarwinismus des liberalen Leistungsgedanken und der Tatsache, dass die Herkunft im 19. Jahrhundert weiterhin den sozialen Erfolg bestimmte. Auch die technologische Überlegenheit des Westens, ermöglicht durch die freie Wettbewerbsgesellschaft, spielte eine große Rolle.

Das begünstigte den Glauben an den Erfolg des "Stärkeren" bzw. "Kompetiveren". Da viele "Reiche" und "Arrivierte" bereits damals keine besonders edle Vergangenheit hatten, wollte man sich über die "Tüchtigkeit", die besseren Werte oder eben gleich über die besseren Gene legitimieren. Im Grunde genommen ist der Rassismus des 19. Jahrhunderts nichts anderes als die Legitimationsideologie des liberalen Kapitalismus, eine ins biologistisch gedrehte christliche Prädestinationslehre, die dazu dient, Herrschaftsverhältnisse zu erklären und zu festigen.

Der heutige Rassismusbegriff ist nicht mit dem damaligen identisch. Der ideologische Rassismus berief sich auf eine wissenschaftlich begründete Lehre und wurde in Deutschland erst mit Verzögerung übernommen. Deutschland war in puncto Rassismus eine "verspätete Nation". „Eugenik ist die Selbststeuerung der menschlichen Evolution“: Logo der zweiten Internationalen Eugenik-Konferenz, 1921. Erste Projekte zur Züchtung von „rassisch hochwertigen“ Menschen durch gezielte Partnerwahl wurden in Deutschland und England schon in den 1890er Jahren begonnen, und parallel traten in den USA und in Skandinavien erste Fortpflanzungsverbote und Zwangssterilisationen sogenannter „Minderwertiger“ in Kraft. Auch in außereuropäischen Kolonien wurden eugenische Projekte gestartet, und 1912 fand in London der erste eugenische Weltkongress statt. In den 1920er und 1930er Jahren galt die Eugenik als eine der innovativsten Wissenschaften, und sie wurde fast überall auch staatlich unterstützt.

So viel zum Thema "saubere Wissenschaft".

Strukturell ähnliche Denkmuster finden sich auch heute noch, sie sind nur in andere Bereiche verschoben. Was früher der kollektivistische Klassen- und Rassengedanke war, wird heute im Konsumismus-Hedonismus indiviualistisch fortgeführt. Ist im Prinzip auch nichts andere als die Fortsetzung des religiösen Prädestinationsgedankens. Erfolg ist Zeichen dafür, das Gott einen liebt. Darum liebt Gott denjenigen nicht, der keinen Erfolg hat. Derjenige muss schließlich sündhaft sein. Wer kein Christ ist, lebt in Sünde, daher ist er auch so rückständig. Wer einen teuren Wagen fährt, muss tüchtig sein, daher muss jeder in seinem Leben untüchtig gewesen sein, der kein teures Auto fährt. Wer es zu Geld gebracht hat, muss Verstand haben, folglich muss jeder, der es nicht zu Geld gebracht hat, dumm sein. In Afrika verdient man 60 Euro im Monat bei uns 3600. Logische Konsequenz des bürgerlichen Denkens? Ja eben. Das sind ganz normale Mentalitätsstrukturen auch in aufgeklärten Milieus.
 
Strukturell ähnliche Denkmuster finden sich auch heute noch, sie sind nur in andere Bereiche verschoben. Was früher der kollektivistische Klassen- und Rassengedanke war, wird heute im Konsumismus-Hedonismus indiviualistisch fortgeführt. Ist im Prinzip auch nichts andere als die Fortsetzung des religiösen Prädestinationsgedankens. Erfolg ist Zeichen dafür, das Gott einen liebt. Darum liebt Gott denjenigen nicht, der keinen Erfolg hat. Derjenige muss schließlich sündhaft sein. Wer kein Christ ist, lebt in Sünde, daher ist er auch so rückständig. Wer einen teuren Wagen fährt, muss tüchtig sein, daher muss jeder in seinem Leben untüchtig gewesen sein, der kein teures Auto fährt. Wer es zu Geld gebracht hat, muss Verstand haben, folglich muss jeder, der es nicht zu Geld gebracht hat, dumm sein. In Afrika verdient man 60 Euro im Monat bei uns 3600. Logische Konsequenz des bürgerlichen Denkens? Ja eben. Das sind ganz normale Mentalitätsstrukturen auch in aufgeklärten Milieus.
Dieses Denkschema wird aber von einem gewissen Prozentsatz unserer Bevölkerung nicht geteilt. Zwar eine Minderheit aber trotzdem sicherlich von signifikanter Größe.

Für mich persönlich kann ich dieses Muster ausschließen.
 
So viel zum Thema "saubere Wissenschaft".
du führst die zurecht seit geraumer Zeit abgeschaffte Eugenik an, als wäre dieser Irrweg das Maß, um alle Wissenschaft(en) zu messen - fällst du in deinem Garten sogleich den ganzen Apfelbaum, wenn er zwei-drei faule Äpfel aufweist? (das wäre gärtnerisch wie methodisch eher eine eugenische Vorgehensweise...)

(1) Damalige Bürgerliche und Nationalliberale wären nach heutigen Wertbegriffen schon sehr weit rechts. (2) Um die unteren Schichten mit der für heutige Verhältnisse schmalen Mittelschicht und der Oberschicht zu versöhnen, bedurfte es der Kompensation, negativer Feindbilder. (3) Der Rassismus resultiert aus dem Sozialdarwinismus des liberalen Leistungsgedanken und der (4) Tatsache, dass die Herkunft im 19. Jahrhundert weiterhin den sozialen Erfolg bestimmte. (5) Auch die technologische Überlegenheit des Westens, ermöglicht durch die freie Wettbewerbsgesellschaft, spielte eine große Rolle.
(1) setzt die heutigen Wertbegriffe, falls sie denn einheitlich und absolut verbindlich wären, als Maßstab voraus, und setzt voraus, dass damalige "Bürgerliche" eine einheitliche, eindeutig positionierte Gruppe gewesen seien. Letzteres scheint mir nicht zutreffend zu sein (unter den "Bürgerlichen" des späten 19. Jhs. finden wir sehr heterogene Vertreter, man denke nur an die "Kulturträger" aus der Kunstszene, die bei weitem nicht wie Spitzwegs armer Poet hausten)
(2) willst du die kuriose Idee andeuten, dass Rassismus (interessanterweise klammerst du den Antijudaismus nebst beginnendem Antisemitismus aus) eine bewusste Erfindung der ästhetisch-politischen Teetische der "Nationalen" bzw. Wohlstandseliten des Kaiserreichs gewesen sei?
(3) dieser plakative Teilsatz: das wirkt rhetorisch auf mich wie ein plakativer polemischer Satz eines bei Jesuiten erzogenen CDU Generalsekretärs seinerzeit - könntest du das, was du damit sagen willst, etwas ausführlicher darlegen?
(4) man sagt, auch heute (trotz unserer heutigen Wertbegriffe), seie das noch so... ärgerlich
(5) die freie Wettbewerbsgesellschaft (im späten 19. Jh.?) zusammen mit dem Liberalismus und der (deinen Worten nach priori kontaminierten) Wissenschaft, dieses Dreigestirn also hat uns Rassismus etc eingebrockt - verstehe ich dich da richtig?

...es fällt mir nicht leicht, deinen Gedankengängen zu folgen.
 
...es fällt mir nicht leicht, deinen Gedankengängen zu folgen.
so auch hier:
Strukturell ähnliche Denkmuster finden sich auch heute noch, sie sind nur in andere Bereiche verschoben. Was früher der kollektivistische Klassen- und Rassengedanke war, wird heute im Konsumismus-Hedonismus indiviualistisch fortgeführt. Ist im Prinzip auch nichts andere als die Fortsetzung des religiösen Prädestinationsgedankens. Erfolg ist Zeichen dafür, das Gott einen liebt. Darum liebt Gott denjenigen nicht, der keinen Erfolg hat. Derjenige muss schließlich sündhaft sein. Wer kein Christ ist, lebt in Sünde, daher ist er auch so rückständig. Wer einen teuren Wagen fährt, muss tüchtig sein, daher muss jeder in seinem Leben untüchtig gewesen sein, der kein teures Auto fährt. Wer es zu Geld gebracht hat, muss Verstand haben, folglich muss jeder, der es nicht zu Geld gebracht hat, dumm sein. In Afrika verdient man 60 Euro im Monat bei uns 3600. Logische Konsequenz des bürgerlichen Denkens? Ja eben. Das sind ganz normale Mentalitätsstrukturen auch in aufgeklärten Milieus.
ist das eine verunglückte Strafpredigt wider den Calvinismus?

...und was hat das alles, wohin die Diskussion abgeschweift ist, mit der ursprünglichen Fragestellung zu tun??
 
Zurück
Oben