Geschlechterrollen in der Steinzeit

Zu Vorzeiten, als ich studierte, musste ich Ur- und Frühgeschichte als Nebenfach belegen. Unser Prof. hatte als Spruch, wenn wir in einer Übung "faselten", und selbiges taten wir meist -weil faul- (Frage nach durchzechter Nacht: "War mein Gefäß aus dem ich trank, Linienbandkeramik, Stichbandkeramik oder einfach nur ein Glas von Schultheiß), immer folgenden Spruch zur Hand:

"Eolithe sind erdichtet, Artefakte zugerichtet!"

Also Nachweis der "Geschlechterrolle" mittels Artefakte (hier natürlich Bilder). Hilfswissenschaft: "Ethnologie", dann bitte Literaturliste.

M.


P.S.: o.t., Das ist der humorvollste Thread.
 
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Schon der Titel dieses Threads ist eine Unterstellung; denn er insinuiert, dass es eine solche Geschlechterrolle gegeben habe, die auf diese Zeit allgemein bezogen werden kann.
Und so fallen denn auch die Beiträge aus. Dass es regionale Unterschiede gegeben haben könnte, die eine Beschreibung einer Geschlechterrolle für die Steinzeit schlechthin - wie auch für jede andere Epoche - unmöglich machen, kommt so gar nicht in den Blick. Oder wie sollte man die "Geschlechterrolle im 20. Jahrhundert" beschreiben? Skandinavien und Anatolien über einen Kamm scheren?
Archäologische Funde ohne Deutungsmöglichkeiten aus Texten sind selten aufschlussreich (Ausnahmen: Geschlechterspezifische Grabbeigaben. Schwert im Männergrab, Spindel im Frauengrab.).
Die Mythenforschung versucht da etwas weiter zu kommen, indem sie unterstellt, dass bestimmte Mythologeme in die Steinzeit zurückreichen. Das betrifft insbesondere Schöpfungsmythen über die Erschaffung/Entstehung des Menschen.
Aber man muss sich im Klaren darüber sein, dass hier Geschichte konstruiert und nicht rekonstruiert wird.
 
Ich denke, es hat sehr wohl das eine oder andere Männe gegeben, das gesagt hat: du bleibst daheim und passt schön auf den Nachwuchs auf und ich hol was zu futtern. Mit Sicherheit hats aber auch den Typ Macho gegeben, der Frau zum Sammeln schickte und sich selber in den Schatten legte und sichs gut gehen ließ.

Allein die Tatsache, dass es noch heute solche "Typen" Mensch gibt, beweist, dass diese Schemata auch früher schon funktioniert haben - sonst hätte die Evolution sie auf dem langen Weg bis zu uns ausgemerzt.

Ich denke hier liegt ein Denkfehler vor: Das es dominante Persönlichkeiten schon immer gegeben hat, hat wahrscheinlich in viele Problem- oder Lösungsfeldern seine Auswirkungen gehabt.
Das kann aber in einen Geschichtsforum nicht Diskussionsthema sein. Hier geht es um Gesellschaftsstrukturen, die tragend gewesen sein könnten.

Nehmen wir den Fall 1: es hat sehr wohl das eine oder andere Männe gegeben, das gesagt hat: du bleibst daheim und passt schön auf den Nachwuchs auf und ich hol was zu futtern.

Es setzt vorraus, das es die Vaterfigur gab, die sich verantwortlich fühlt.
Es setzt vorraus, das es so etwas ähnliches wie eine Ehe gab.
Es setzt vorraus, das Frau Eigentum wäre.
Es setzt vorraus, dass die Jagd nur ein paar Stunden dauert.
Es setzt vorraus, dass Mann, zusätzlich zur Jagdbeute auch noch Wurzeln, Knollen und allerlei Kraut, Obst und Gemüse tragen kann, vom kennenlernen will ich jetzt gar nicht reden.


Nehmen wir Fall 2: Mit Sicherheit hats aber auch den Typ Macho gegeben, der Frau zum Sammeln schickte und sich selber in den Schatten legte und sichs gut gehen ließ.

Es setzt vorraus, dass Mann eine Frau hat.
Es setzt vorraus, dass Mann die Kinder hütet.
Es setzt vorraus, dass schon genügend Vorräte angesammelt und verarbeitet sind.
Es setzt vorraus, dass alle Werkzeuge genügend vorhanden und funktionstüchtig ist
Es setzt vorraus, dass Mann nicht Kochen muss.

Sieh mal, das Gefühl der Eifersucht, kann zb. nur vorhanden sein, wenn einem das Recht auf Besitz zugestanden wird.
Das Gefühl des gehörnt seins, kann nur entstehen, wenn man das Recht auf einer Einehe hat.

Ich will damit sagen, manche Starallüren können nur zum Tragen kommen, wenn auch die Strukturen dafür ausgelegt sind.
 
Der bringt uns viellicht etwas weiter, da die Situation der Frau in der Antike ebenfalls so schlecht war, dass man auch dort von patriarchalisch ausgerichteten Gesellschaften sprechen muss. Und ich kann mir kaum denken, dass es zuvor, während der Bronze- und Eisenzeit, sehr viel anders um Frauen und ihre Rechte bestellt war

Anhand von mesopotamischen Tontafeln ist schon ersichtlich, dass sich die rechtliche Lage von Frauen im Laufe der Jahrhunderte zumindest stark verschlechtert hat.

Eine derartige Gleichstellung, wie wir sie gegenwärtig in Europa haben, hat es während der gesamten Frauengeschichte nicht gegeben.

Derartig wohl nicht, wie auch, die Vorraussetzungen sind ja ganz andere. Aber auch heutige Minderheitenkulturen zeigen auf, das die rechtliche Stellung der Frau, durchaus unterschiedlich gehandhabt wird.

Es gibt römische Berichte, die die etruskische Frau als "leichtfertig" hinstellen, was uns beweist, dass sie eine in unserem heutigen Sinn freiere Stellung gegenüber dem Mann hatte.

Es gibt da so schönes überliefertes Zitat von Cato:
"Erinnert euch all der Gesetze, mit denen unsere Vorfahren die Freiheit der Frauen gebunden, durch die sie die Weiber der Macht der Männer gebeugt haben..."
"... sobald sie uns gleichgestellt sind, sind sie uns überlegen."
"extemplo simul pares esse coeperint, superiores erunt"

Interessant ist auch die Erschaffung des Patriziers, jener "qui patres sciere posunt" - die ihre Väter kennen konnten.
Das war also bis dahin gar nicht so selbstverständlich.
Im Gegensatz zu den mesepotamischen Ländern, wo die Sexualität der Frauen schon tausende Jahre früher kontrolliert wurde.
 
Das ist der Kernpunkt nicht nur der paläolithischen, sondern auch der neolithischen Kulturen. Ob das Feministinnen nun gern lesen oder nicht: In der rauen Wirklichkeit der Altsteinzeit waren Frauen aufgrund der Schwangerschaft und Kinderaufzucht und aufgrund ihres schwächeren Körperbaus mehr an Höhle und Herd gefesselt, als die Männer einer altsteinzeitlichen Horde, die unter harten Bedingungen über mehrere Tage dem Wild nachspürten.

Als Mutter von 2 Kindern, wage ich da doch etwas zu widersprechen. Nicht, dass es nicht kurzzeitig geschwächt gewesen bin, und nicht das Kinderaufzucht einen nicht in Anspruch nehmen, daraus zufolgern, sie wären an Herd und Höhle gefesselt halte ich für einen Fehlschluss.

1. Bin ich als Frau tatsächlich nur kurzweilig geschwächt, ansonsten ist meine menschliche weibliche Struktur durchaus widerstandsfähig, man beachte, dass die körperlichen Unterschiede zur männlichen Struktur im Gegensatz zu anderen Verwandten von relativ gering ist. Auch heutzutage gibt es noch Kulturen, wo die Frau mal eben auf dem Feld ein Kind gebiert und anschießend weiterarbeitet. Und auch der Mann als solches, ist im Gegensatz zu seinen geschlechtlichen Verwandten recht zierlich ist, und doch in der Lage ist, auch aufgrund von Werkzeugen, sich in der Wildnis zu behaupten.

2. Gehe ich mal davon aus, das es überall harte Bedingungen gegeben hat (hat der Mensch wirklich in Höhlen gehaust?), und dass die Menschen allgemein etwas robuster gebaut waren. Und mal ehrlich, irgendwann ist auch rund um einer höhle alles abgerast, so dass sich doch etwas entfernen musste. Immerhin galt es mehrer Liter Wasser pro Person zu besorgen, und das scheinbar die jagdbeute nur 20 -30 % der Nahrung einer Sippe ausmachte, musste der Rest mit pflanzlichen Nahrungsmitteln aufgestockt werden.

3. So könnte man sich auch vorstellen, dass Kinder nicht unbedingt immer mitgeschleppt wurden, sondern es eine Art Kinderhort gegeben hat, den ältere Sippenmitglieder und am Stillen gebundene Mütter hüteten.

4. Sich die Frau immer schwanger und stillend vorzustellen entbehrt auch an Realität. So bekommen auch in den Naturvölkern die Frauen so durchschnittlich 4 - 5 Kinder in ihren Leben. Da lässt sich zwischendurch noch anderes machen.
 
Die Diskussion geht doch am Thema vorbei. Es gab keine "Gesellschaftsstrukturen", weil diese idealisierte Konstrukte heutiger Menschen zum Modellieren und Plausibilisieren von heute gefundenen Artefakten sind und es ist fraglich (nicht ausgeschlossen), ob Geschlechterrollen in unseren Verständnis in irgendeiner Form damals als Problem kommuniziert - also wahrgenommen - wurden. Insofern kann dies auch nicht als relevant für heutige Problemstellungen sein. (Verweis auf Frage des TE).

Und selbst, wenn wie kürzlich nun anscheinend verifiziert, unsere nächsten Verwandten ein Äquivalent zu Krieg führen, hat das keinen Einfluss auf eine Umgestaltung der Moral des heutigen Menschen und dasselbe sollte für "Geschlechterrollen" gelten.

Und genau da liegt das Problem bei solchen Aussagen. Es wird aus der Gegenwart ein biologische determiniertes Sozialverhalten postuliert, weil es den narrativen Strukturen genügt. Das mag spannend sein und dem durchschnittlichen Spiegelleser plausibel erscheinen aber das Sozialverhalten selbst wird nur aus dem Vergleich mit uns und der Interpretation extrem sporadischer Artefakte erschlossen und die zugrundegelegte Biologie ist eher ein Ergebnis des Rückschlusses (so würde das passen) als eine gemessene und in ihrer Wirkung begründete Ursache. Wer aus einer kaum zu rekonstruierenden Kausalkette auf nicht belegbare Ursachen schließt, sollte dies als Arbeitsthese bezeichnen und als nichts mehr. Und eine Arbeitsthese ist nützlich, um damit zu arbeiten aber nicht geeignet, um in den Medien als Wahrheit fürs Volk verbraten zu werden. (Aber auch Forschungsgelder fallen ja nicht vom Himmel und so mancher Schreiberling kennt den Unterschied zwischen These und Realität nicht).
 
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Die Diskussion geht doch am Thema vorbei. Es gab keine "Gesellschaftsstrukturen", weil diese idealisierte Konstrukte heutiger Menschen zum Modellieren und Plausibilisieren von heute gefundenen Artefakten sind ...

Wann immer Menschen in einer Gemeinschaft zusammenleben und interagieren, gibt es auch gesellschaftliche Strukturen. Sie bilden sich automatisch heraus, wobei durchaus unterschiedliche gesellschaftliche Konzepte verwirklicht werden. Das gilt für die altsteinzeitliche Horde ebenso wie für die jungsteinzeitliche Bevölkerung eines Dorfes oder einer Region.

Und selbst, wenn wie kürzlich nun anscheinend verifiziert, unsere nächsten Verwandten ein Äquivalent zu Krieg führen, hat das keinen Einfluss auf eine Umgestaltung der Moral des heutigen Menschen und dasselbe sollte für "Geschlechterrollen" gelten.

Was hat die Gesellschaftsstruktur einer neolithischen Siedlung oder einer altsteinzeitlichen Horde mit Moral zu tun?
 
Wann immer Menschen in einer Gemeinschaft zusammenleben und interagieren, gibt es auch gesellschaftliche Strukturen. Sie bilden sich automatisch heraus, wobei durchaus unterschiedliche gesellschaftliche Konzepte verwirklicht werden. Das gilt für die altsteinzeitliche Horde ebenso wie für die jungsteinzeitliche Bevölkerung eines Dorfes oder einer Region.

:) Das hängt von deinen Prämissen ab. Meine sind diese: "Wann immer Menschen in einer Gemeinschaft zusammenleben und interagieren", sind sie potentiell in der Lage gesellschaftliche Strukturen kommunikativ zu erschaffen. Modelle (Strukturen) sind keine Realität, sie sind menschliche Konstrukte. Was nicht wahrgenommen und kommuniziert wird, ist kein Element von Gesellschaft (nach meiner Vorstellung [Luhmann]) - also auch nicht "Gesellschaftsstrukturen".

Was hat die Gesellschaftsstruktur einer neolithischen Siedlung oder einer altsteinzeitlichen Horde mit Moral zu tun?

Lies den Ausgangsbeitrag
 
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Das hängt von deinen Prämissen ab. Meine sind diese: "Wann immer Menschen in einer Gemeinschaft zusammenleben und interagieren", sind sie potentiell in der Lage gesellschaftliche Strukturen kommunikativ zu erschaffen.

Wenn in einer Horde oder einem neolithischen Dorf keine Anarchie herrschen sollte, musste es Regeln, Gebote und Verbote geben; es gab auch rituelle Praktiken zur Verehrung oder auch Bannung von Göttern, Geistern und Dämonen, ferner eine Verehrung von Ahnen. Das alles bezeichnet man als eine gesellschaftliche Struktur, ohne die diese Einheiten nicht lebensfähig gewesen wären. Reiche archäplogische Funde, die neolithische Statuen, Tempelplätze, Grablegen u.ä. zeigen, beweisen das, was selbstverständlich ist: Zusammenleben in Dörfern und Großgruppen erfordert Regeln.
 
Du kannst über Modelle oder über Idealtypen oder ähnliches reden, aber mehr ist einfach nicht drin, wenn du wissenschaftlich arbeitest. Du kannst an Strukturen glauben, nur hört da Wissenschaft auf. Alle Strukturen, die du siehst, sind letztlich deine Art, mit der dir vermittelten Realität klarzukommen und sie sind bei aller Raffinesse immer eine Vereinfachung mit einer nur hinreichenden räumlichen und zeitlichen Stabilität (und gerade bezüglich "Gesellschaft").

Und selbst wenn du diesen Glauben als Prämisse setzt: Du magst z.B. eine gesatzte Regel finden, die beweist, dass sich unsere Gesellschaft an Maximalgeschwindigkeiten beim Autofahren hält, daraus sofort zu schließen, dass es ein solches verallgemeinerbares Verhalten gibt (eben ein Modell, dass mit den beobachteten Daten konform ist), kann sich als Trugschluss erweisen. Und die damit verbundene Idee, dass Geschichte oder Archäologie rekonstruiere, „wie es wirklich gewesen war“ fing schon vor über hundert Jahren mit Ranke an zu sterben.

Die an Funden so reichhaltige Steinzeit bezieht sich auf ein Zeitfenster von (je nach Schule) bis zu 2,5 Millionen Jahren und ein Territorien von mehreren dutzend Millionen Quadratkilometern. Da ist nichts mit Reichhaltigkeit. Da gibt es für große Teile nahezu keine Funde (und der Großteil der Funde ist nicht älter als 10.000 Jahre), geschweige denn gesatzte Regeln, die Strukturen andeuten. Nahezu alles, was hier an Gesellschaft von der Wissenschaft im Nachhinein erzeugt ist, ist sehr vorsichtig im Analogieschluss zu aktuellen Kulturen geschaffen. Alle zwei Jahre gibt es neue Erkenntnisse über den Nahrungsanteil nur einer Gruppe (ein winziger Punkt im Beobachtungsraum) mit Rückschlüssen zu eventuellen Beiträgen von Mann und Frau zu deren Beschaffung. Daraus gleich ein Rollenverhalten zu konstruieren ist sehr gewagt und das dann zu einem „wie war es denn in der Steinzeit“ zu verallgemeinern (Ausgangsfrage) oder gar als Ursache für soziologische Strukturen heutiger Gesellschaften zu präsentieren (vom Threadersteller gesetzter Ausgangskontext) …

… na ja, das geht alles … bei einem guten Glas Bier und netter Unterhaltung mit Freunden - oder halt im Spiegel (und das war jetzt Polemik ;))
 
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Ich stimme dir ja im Grundsatz durchaus zu dass unsere Daten gewiss nicht ausreichend um allgemeingültige Aussagen für die gesamte Steinzeit zu treffen.

Aber in zwei Dingen muss ich dir dann doch widersprechen. Zum einem ging es im Ausgangsposting ja durchaus um eine Frage die man mit "wir wissen es nicht so genau" beantworten kann. Und auch diese Antwort wäre völlig ausreichend um die im Ausgangsthread genannte antifeministischen Thesen zu hinterfragen, denn auch diese Antwort würde natürlich ihre Grundlagen als sehr wacklig darstellen.

Und zum anderem haben wir halt doch ein paar mehr Infos als nur über den Nahrungsanteil einzelner Gruppen. Beispielsweise haben wir über die Funde von Jagdwaffen natürlich auch (wenn auch grobe) Hinweise auf Jagdgewohnheiten. Und wir wissen in einigen Fällen wie gross die Jagdradien der Gruppe waren. Wir wissen dass es längerfristig bewohnte Jagdlager gab. Aber auch Fallenjagd und Treibjagden.

Natürlich lässt sich damit nicht ermitteln ob Steinzeitfrau 43 in ihrem Leben vor 15000 Jahren denn auch mal ein Reh erlegt hat. Aber ein generelles Bild über die Lebensumstände der damaligen Personen ist durchaus drin.
 
Du kannst über Modelle oder über Idealtypen oder ähnliches reden, aber mehr ist einfach nicht drin, wenn du wissenschaftlich arbeitest.

Ich rede weder über Rollen noch Idealtypen sondern darüber, dass Menschen in der Vor- und Frühgeschichte ihr Leben gestalteten; und zwar so, wie es ihrer Umwelt und den Gegebenheiten der Natur angemessen war.

Du kannst an Strukturen glauben, nur hört da Wissenschaft auf.

Menschen in Dörfern und großen Gemeinschaften gelebt und dabei ihr Zusammenleben organisiert. Um das zu begreifen, brauchen wir keine wissenschaftlichen Erkenntnisse, sondern das sagt uns der gesunde Menschenverstand.

Alle Strukturen, die du siehst, sind letztlich deine Art, mit der dir vermittelten Realität klarzukommen und sie sind bei aller Raffinesse immer eine Vereinfachung mit einer nur hinreichenden räumlichen und zeitlichen Stabilität (und gerade bezüglich "Gesellschaft").

Realität ist das Leben der Menschen in einer altsteinzeitlichen Horde und einem jungsteinzeitlichen Dorf. Dass sie dort nach festen Regeln und Gesetzen lebten, die vom Miteinander und der Umwelt bestimmt waren, ist eine Selbstverständlichkeit.

Die an Funden so reichhaltige Steinzeit bezieht sich auf ein Zeitfenster von (je nach Schule) bis zu 2,5 Millionen Jahren und ein Territorien von mehreren dutzend Millionen Quadratkilometern. Da ist nichts mit Reichhaltigkeit

Mein Beitrag bezog sich auf das Neolithikum, also die Jungsteinzeit und dort haben wir massenhafte archäologische Zeugen. Aber auch im Paläolithikum der letzten 40 000 Jahre gibt es ausreichend archäologisches Material. Eine Ordnung innerhalb menschlicher Gruppen ist so selbstverständlich, dass man darüber nicht diskutieren muss. Es kann sich lediglich die Frage erheben, was für eine Gesellschaftsordnung bestanden hat.
 
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@Dieter:

Ich glaube wir haben einfach sehr unterschiedliche Vorstellung davon, was Wissenschaft kann und was nicht.

Für mich ist Geschichte ein Erkenntnissystem und mehr als narrative Strukturen über Artefakte zu spinnen und Rechenschaft über die Methodik abzuliefern und damit Konsens bei anderen Historikern zu erzeugen kann Geschichte nicht leisten. Damit redest du, wenn du über historische Strukturen redest immer über Modelle und Idealtypen, denn du warst nicht dabei. Alles andere ist für mich Religion. Sogar jeder Physiker, der ehrlich genug ist, versteht das (und die haben das Instrument des Tests).

Beispiel: du findest eine Venusfigurine und setzt das Ganze in einen kultischen Kontext. Woher weißt du, dass dies dem originalem Gebrauch entspricht? Es liegt doch keine Gebrauchsanweisung bei. Alles was du sagen kannst, ist das sich die Puzzleteile nach deinen Vorstellungen auf eine bestimmte Art zusammensetzen lassen und du kannst argumentierten, dass dies so auch bei vergleichbaren (nicht gleichen!) Objekten ebenso ist. Aber wissen? Vielleicht war dies einfach Pornographie, nur weil das weniger in unser Weltbild passt, muss das doch nicht falsch sein. Vielleicht war es ein individuell angefertigtes Bild der Mutter, so wie du vielleicht ein Foto deiner Familie im Portemonnaie hast.

Alles was du machen kannst sind persönliche Deutungen angeben und diese nach persönlichen Wahrscheinlichkeiten wichten. Andere haben vielleicht ähnliche oder andere Deutungen und ähnliche oder andere Gewichte und kommen deshalb zu ähnlichen oder anderen Schlüssen. Wäre das nicht so, gäbe es keinen wissenschaftliche Diskurs.

Wir wissen nicht, welche Strukturen wirklich bestanden haben, wir konstruieren sie und vergleichen sie mit den Funden - und mehr als ein Vetorecht haben diese nicht. Und die Perspektive auf diese Funde ist immer der heutige Forscher. Sozialwissenschaftliche Strukturen lassen sich maximal falsifizieren (ein Hoch z.B. auf die experimentelle Archäologie oder neue Fundstätten). Positiv ist kaum mehr als Plausibilität zu erwarten. Und Aussagen wie "Es kann sich lediglich die Frage erheben, was für eine Gesellschaftsordnung bestanden hat." sind für mich so naiv, wie die Vorstellungen, man müsste nur noch ein bisschen in die Forschung investieren und dann wüsste man alles Menschenmögliche, wie sie z.B. in den Vorstellungen der Naturwissenschaften des 19. Jahrhunderts herumgeisterte.
 
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Ich denke, mehr ist erkenntnistheoretisch einfach nicht drin. Aber wieso macht ihr da so ein Problem draus? Alles, was wir denken, geschieht in diesen eng begrenzten Bahnen.

Das vorausgeschickt: nach allem, was wir über menschliches und tierisches Zusammenleben wissen, bedarf der Kontakt zu Artgenossen bestimmter Regeln, mögen sie instinktiv vorgegeben oder kulturell bedingt sein. Die Annahme, daß Regeln das Zusammenleben steinzeitlicher Menschengruppen steuerten, hat daher weitaus größere Wahrscheinlichkeit, als daß dies ausnahmsweise nicht der Fall war.

Auf einer höheren (oder tieferen) Ebene bewegt sich die Frage, welche Regeln das waren. Hier ist der spekulative Anteil so groß, daß äußerste Vorsicht angebracht ist.
 
Ich denke, mehr ist erkenntnistheoretisch einfach nicht drin. Aber wieso macht ihr da so ein Problem draus? Alles, was wir denken, geschieht in diesen eng begrenzten Bahnen.

Ja, aber ich glaube nicht das das Allgemeingut ist. Der Ausgangspunkt war dieser:

Mich würde jetzt interessieren, ob jemand weiß, wie es in der Steinzeit tatsächlich [sic!] mit den Geschlechterrollen aussah und was darüber überhaupt bekannt ist.

Und die in meinen Augen einzig vernünftige Antwort darauf kann nur lauten:

Wir wissen es nicht, weil wir nicht dabei waren. Aber es gibt ein Interpretationskatalog für verschiedene Gruppen aufbauend auf die Funde, die wir haben, und den wir im Moment für wahrscheinlich halten und der ist folgender ...
 
Beispiel: du findest eine Venusfigurine und setzt das Ganze in einen kultischen Kontext. Woher weißt du, dass dies dem originalem Gebrauch entspricht? Es liegt doch keine Gebrauchsanweisung bei. Alles was du sagen kannst, ist das sich die Puzzleteile nach deinen Vorstellungen auf eine bestimmte Art zusammensetzen lassen und du kannst argumentierten, dass dies so auch bei vergleichbaren (nicht gleichen!) Objekten ebenso ist. Aber wissen? Vielleicht war dies einfach Pornographie, nur weil das weniger in unser Weltbild passt, muss das doch nicht falsch sein. Vielleicht war es ein individuell angefertigtes Bild der Mutter, so wie du vielleicht ein Foto deiner Familie im Portemonnaie hast.
Nahezu alles, was hier an Gesellschaft von der Wissenschaft im Nachhinein erzeugt ist, ist sehr vorsichtig im Analogieschluss zu aktuellen Kulturen geschaffen.
Ein schönes Bsp., das genau einen der wesentlichen Punkte der Deutungen vor allem in den Geschichtswissenschaften berührt.
Leider sind bis heute in der deutschsprachigen Archäologie und den Geschichtswissenschaften, die Ideen der Post-processual Archaeology bisher kaum aufgenommen worden.
Vgl. Wiki Post-processual archaeology - Wikipedia, the free encyclopedia
Proponents, most notably Ian Hodder, seek to escape the rigid environmentally deterministic and hypothetico-deductive focus of processual archaeology, promoting an interpretive approach that focuses on reflexivity (being aware of one's own position relative to the material) and multivocality (accepting multiple interpretations and approaches as being complementary in understanding archaeological material).
Gerade diese theoretische Schule behandelt u.A. auch die Frage nach dem eignen Anteil bei der Deutung von Funden und Befunden. Ähnliches ist in der Völkerkunde schon sehr lange verankert und regt damit auch den Forschenden an, sich nicht nur mit seinem Forschungsgegenstand auseinander zu setzen, sondern auch mit seiner Person, die durch das Arbeiten an dem Thema einiges an subjektiven Thesen einbringt. Die Forderung nach ein objektiven Geschichtswissenschaft wird sich m.M. nach nie wirklich erfüllen können, aber zumind. könnte man mal versuchen den Anteil des eignen Egos in den selbst formulierten Thesen auch deutlich zu machen.
 
DerGeist, Spriggins, danke.
Zusätzlich zur methodischen Problematik, geh ich da sogar noch weiter.
Ich befürchte, eine Rollenteilung ist schlicht eine Geisteshaltung und dafür gibt es einfach keine Erhaltungsbedingung.
Ich befürchte weiterhin, dass jede Interpretation der Artefakte gerade dann bis zur Unkenntlichkeit verzerrt wird, wenn aktuelle Interessen mit hineinspielen.

Spriggins, danke für das Autofahrerbeispiel. Regeln entstehen aus der Situation und dem System. Sie sind m.E. nicht allgemeingültig. Es geht m.E. immer auch anders. Wir sind keine physikalischen Teilchen.

Thomas
 
Bei meiner Diskussion mit dem User spriggins ging es um viel weniger. Es ging lediglich um die Frage, ob in Dörfern des Neolithikum oder in Großgruppen des Jungpaläolithikums - also vor 20 000 oder 30 000 Jahren - gesellschaftliche Strukturen bestanden. Und das ist eindeutig zu bejahen, denn ohne Regeln, Gebote oder Verbote, die man auch in jungsteinzeitlichen Siedlungen oder altsteinzeitlichen Horden voraussetzen kann, hätte Anarchie und Chaos geherrscht. Solche Gemeinschaften wären kaum überlebensfähig gewesen.

Es gab also mit Sicherheit gesellschaftliche Strukturen. Allerdings wissen wir nicht genau, wie diese wohl beschaffen waren, und können uns höchstens auf Analogieschlüsse verlassen. Dass die nicht immer sicher sind, dürfte jedem bekannt sein.
 
Es gab also mit Sicherheit gesellschaftliche Strukturen. Allerdings wissen wir nicht genau, wie diese wohl beschaffen waren, und können uns höchstens auf Analogieschlüsse verlassen.

Schon da gehe ich nicht mit, weil ich darin keinen Sinn sehe. Der Klassiker: Kippbild. Was siehst du? Die üblichen Antworten sind Vase und/oder Gesichter. Es gibt noch wenigstens eine weitere: Schwarze und weiße Flächen. Du siehst genau das, was du zu sehen gewohnt bist, nichts anderes, du assoziierst frei nach deinen Mustern. Ob ein anderer das genauso siehst, weißt du nicht und ob das, was du siehst, tatsächlich da ist, ebenso wenig.

Du willst eine gesellschaftliche Struktur? Nimm den Staat. Wenn ich dich frage, was das sei, antwortest du vielleicht mit einer Definition, vielleicht auch, weil du belesen bist, mit mehreren, sich teilweise widersprechenden. Staat ist zuersteinmal eine Struktur in deinem Denken, deiner Argumentation. Du kannst es nicht anfassen, nicht essen, nicht beobachten. Du kannst mit Kenntnis dieser Struktur deine Umgebung nach Anzeichen absuchen und die von dir wahrgenommen Informationen damit abgleichen und dann sagen, hey, hier ist etwas, das mit meinem Filter beobachtbar ist und meiner Denke entspricht und hier ist eine Eigenart, die von meinem Bild (dem Idealtyp) abweicht – das könnte etwas besonderes sein (nicht weil es so war, sondern weil die Fundlage so ist). Aber damit hört das auf. Andere haben andere Filter und finden andere Dinge - wie beim Kippbild und die müssen auch nicht falsch sein. Strukturen sind für mich Hilfsmittel, Ordnung ins Chaos zu bringen, nicht Dinge, die da sind und die wir nur entdecken müssen. Deshalb gibt es auch verschieden Staatsdefinitionen (Strukturen), weil es eben verschiedene Fragestellungen gibt und ein Historiker nicht mehr macht, als Antworten auf Fragen in bestimmten Kontexten zu finden.

Du willst gesellschaftlich Strukturen in jahrtausendalten Spuren im Sand finden? Ich sage nicht, dass da prinzipiell keine erkennbar wären aber wenn, dann sind die weg und du bekommst sie auch nicht wieder. Alles was du machen kannst, sind deine Strukturen zu finden. Du kannst deine Begrifflichkeiten (Staat, Religion, etc.) nehmen und sie mit den Artefakten vergleichen, die du vorliegen hast und dann schauen, wie diese in dein Bild passen. Mehr ist in meinen Augen nicht drin, denn du kannst nicht wissen, wie die Wahrnehmung früher war und ob du das, was du gefunden hast, richtig zugeordnet hast.
 
@spriggins: Ich bin nicht ganz sicher worauf du eigentlich hinaus willst.

In der bisherigen Diskussion hat eigentlich jeder gesagt: Wir wissen es nicht genau - aber es gibt folgende Anzeichen.

Genau dies entspricht doch deinem

Alles was du machen kannst sind persönliche Deutungen angeben und diese nach persönlichen Wahrscheinlichkeiten wichten. Andere haben vielleicht ähnliche oder andere Deutungen und ähnliche oder andere Gewichte und kommen deshalb zu ähnlichen oder anderen Schlüssen. Wäre das nicht so, gäbe es keinen wissenschaftliche Diskurs.

Was ist also eigentlich das Ziel deiner Argumentation? Aus meiner Sicht ist in dieser Diskussion eigentlich durch jeden klar geworden das wir nur Rahmenbedingungen abstecken können, nicht aber Details klären.

Aber wo ist das Problem damit? Nimm zum Beispiel ein Steinzeitliches Lager von dem Waffen und Nahrungsreste gefunden wurden und bei dem Anzeichen auf dauerhafte Bewohnung gefunden wurden.

Wenn dort festgestellt wurde das regelmässig Jagdbeute auch aus mehreren 100 Kilometern Umgebung erbeutet wurde so kann ich natürlich die Rahmenbedingungen abstecken unter denen diese Leute lebten. Ich kann sagen dass die Waffen auf eher kleine Jagdgruppen hindeuten, und dass somit einige Leute zu Hause blieben. Das die Jagdausflüge mehrere Tage dauern konnten.

Sowas gibt niemandem die Erkenntniss ob Maria, das 3. Skelett von links an diesem Fundplatz schonmal Rehe gejagd hat.

Aber nichts destotrotz ist es ein Hinweis das in dieser Gruppe eine Aufgabenteilung stattfand. Diese Rahmenbedingungen abzustecken kann ein Erkenntnisgewinn sein auch ohne die Details zu kennen die diesen Rahmen ausfüllen.
 
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