Flos Liebesleben
Über Ostern werde ich bestimmt die Zeit dazu haben.
Aber in einigen hast du ja recht, die Femininen sind nur begrenzte Zeit fruchtbar, und wie ich schrieb, gibts dann auch keinen Sex (übrigens auch keine Vergewaltigung). Doch was du beschreibst, ist Maskulin= Aktiv und Feminin=passiv.
[...]Dann bemerkten wir, dass sie stolz eine große rosa Brunstschwellung zur Schau trug. Mit anderen Worten, sie war rosig.
Also Flo näher kam und sich ebenfalls ein paar Bananen griff, streckte Goliath eine Arm in die Luft und machte mit der Hand, die die Bananen umklammerte, eine schwungvolle Geste. Flo kauerte sich, ihr rosa Hinterteil Goliath zugewandt, nieder, und der paarte sich mit ihr in der für Schimpansen typischen, fast beiläufigen Art: Er hockte in aufrechter Stellung da, die eine mit Bananen gefüllte Hand leicht auf Flos Rücken gelegt, die andere auf den Boden gestützt.
Schimpansen erledigen den Geschlechtsverkehr überaus rasch; normalerweise dauert der Akt der Paarung nicht länger als zehn bis fünfzehn Sekunden.[...]
Wenige Minuten später wandte sich David Greybeard mit gesträubten Haaren der alten Flo zu. Er schüttelte, auf der Erde sitzend, einen kleinen Zweig und starrte dabei zu ihr hinüber. Flo kam sofort herbei, drehte sich um und hockte sich hin.[...]
Kurz darauf sahen wir, wie Evered sich ein kleines Stück von der Gruppe entfernte und über die Schulter Flo anschaute, die ihrerseits ihn beobachtete. Dann setzte er sich, die Schulter hochgezogen und die Arme leicht seitlich von sich gestreckt, auf den Boden. Das war die typische Werbestellung der heranwachsenden Männchen, und Flo reagierte sofort, indem sie näher kam und sich ihm präsentierte, wie sie es zuvor bei den erwachsenen Männchen getan hatte. David und Goliath sahen kurz auf, schenkten dem Vorgang jedoch keine weitere Beachtung.
Am nächsten Tag erschien Flo schon sehr früh im Camp. Mit ihr kamen ihre Freier vom Vortag. Wieder warben sie um Flo und paarten sich mit ihr, bevor sie sich über ihre Bananen hermachten.
Plötzlich sah Hugo aus dem Augenwinkel eine schwarze Gestalt in den Büschen. Wir spähten vorsichtig hinüber und entdeckten noch eine zweite, eine dritte, eine vierte. Rasch zogen wir uns ins Zelt zurück und richteten unsere Feldstecher auf das dichte Buschwerk. Beinahe sofort machte ich den alten Mr. McGregor aus. Dann entdeckte ich Mike und J.B. Dann Huxley, Leakey, Hugh, Rudolf, Humphrey - so gut wie alle ausgewachsenen Männchen, die ich kannte.
Wir blieben im Zelt und beobachteten, wie Flo zu den Büschen ging und wie sich dort ein Männchen nach den anderen mit ihr paarte, bis alle an der Reihe gewesen waren.
Während der nächsten Woche wurde Flo stets von einer großen Schar von Männchen begleitet. Es war ihr unmöglich, sich aufzusetzen oder hinzulegen, ohne dass sich im gleichen Augenblick mehrere Augenpaare auf sie richteten, und sobald sie sich erhob, um weiterzugehen, waren auch die Männchen auf den Beinen. Und jedesmal, wenn aus irgendeinen Grund Unruhe in der Gruppe aufkam - sei es, dass die Tiere bei einer Futterquelle anlangten, dass sie am Morgen die Schlafnester verließen oder dass andere Schimpansen sich ihnen anschlossen -, paarten sich nacheinander sämtliche ausgewachsene Männchen mit Flo. Wir sahen nie, dass es einen Streit um dieses überaus populäre Weibchen kam: Jedes Männchen war ganz einfach irgendwann an der Reihe. Nur einmal, also David Greybeard Flo besprang, zeigte eines der anderen Männchen Zeichen der Ungeduld: Der reizbare J.B. fing an, auf und ab zu hüpfen und dabei einen großen, niedrig hängenden Zweig so zu schwingen, dass sein Ende David Kopf traf. Aber David presste sich nur dichter an Flo und schloss die Augen - und J.B. griff nicht an.[...]
Acht Tage nachdem wir zuerst ihre Schwellung beobachtet hatten, erschien Flo mit einem zerschundenen und blutenden Hinterteil im Camp. Die Wunde war offenbar noch ganz frisch. Wenige Stunden später war ihre Schwellung verschwunden. Sie sah mittlerweile ziemlich mitgenommen und erschöpft aus, und wir waren um ihretwillen froh, dass alles vorüber war. Wir glaubten zumindest, dass alles überstanden sei; denn normalerweise hält eine Brunstschwellung nur etwa zehn Tage an. Zu unserem größten Erstaunen jedoch war Flo fünf Tage später wieder "rosig" wie zuvor, und sie erschien aufs Neue mit einem großem Gefolge von Männchen. Diesmal schrumpfte ihre Brunstschwellung erst nach drei Wochen, und die Leidenschaft ihrer Liebhaber schien schier unerschöpflich.
Während dieser zweiten Phase fiel uns auf, dass sich eine seltsame Beziehung zwischen Flo und einem ihrer Freier entwickelt hatte - eine Beziehung, wie wir sie seither nur noch selten beobachten konnten. Das Männchen war Rudolf, ein damals ranghoher, kräftiger Schimpanse von enormer Struktur, und wurde zu Flos getreuen Begleiter. Er hielt sich stets unmittelbar hinter oder neben ihr, blieb stehen, wenn sie stehen blieb, und schlief in dem Nest, das dem ihren am nächsten war. Und wenn Flo während dieser Wochen verletzt oder verschreckt wurde, lief sie nicht selten zu Rudolf, der sie dann beruhigend berührte und manchmal auch einen Arm um sie legte. Dennoch protestierte er in keiner Weise, wenn andere Männchen sich mit Flo paarten.[...]
Nach diesen Ereignis heftete sich Rudolf erneut an die Fersen der alten Flo und zog während der folgenden vierzehn Tage mit ihr und ihrer ganzen Familie umher; denn Figan, der sich, solange seine Mutter "rosig" gewesen war, zumeist von ihr ferngehalten hatte, war ebenfalls zurückgekehrt.
Eines Tages, etwa eine Woche nachdem die letzten Spuren von Flos Schwellung verschwunden waren, riß Rudolf sie, der eben noch damit beschäftigt gewesen war, sie zu lausen, plötzlich unsanft hoch, untersuchte aufgeregt ihr Hinterteil und beschnupperte wieder und wieder mit einem gierigen Funkeln in den Augen seinen Finger. Aber offenbar ließen ihre hormonalen Absonderungen nicht darauf schließen, dass eine neue Schwellung bevorstand, und er erlaubte Flo, sich wieder hinzusetzen, und fuhr fort, sie zu lausen. Wir konnten diese Szene noch dreimal beobachten. Aber Rudolf musste fast fünf Jahre warten, bevor Flo wieder "rosig" wurde. "Wilde Schimpansen" (Seite 72 - 77)