Götz Alys Messung der Beliebtheit Hitlers

Pope

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Der Spiegel hat ein Interview mit dem Historiker Götz Aly geführt, indem er eine interessante Messung der Beliebtheit des NS-Regimes vorstellt. Wie plausibel haltet ihr die Indikatorenauswahl?

Der Spiegel schrieb:
Aly: Erstens haben wir gemeinsam mit dem Einwohnermeldeamt Frankfurt am Main gemessen, wie häufig betont nazistische Vornamen, auch als Zweitnamen, vergeben wurden. Wir haben für den Zeitraum zwischen 1932 und 1945 Daten über politisch aussagekräftige Namen erhoben. So konnten wir die Adolf-, Herrmann- und Horst-Kurve erheben. Die Zahl der Kirchenaustritte wählten wir zum zweiten Indikator: Die Grundlage dafür ist die Annahme, dass man es sich gerade in unsicheren Zeiten genau überlegt, ob man es sich mit Gott verderben will. Der dritte Indikator ist das Sparverhalten, denn die längerfristige Anlage von Geld zeigt das Zukunftsvertrauen der Menschen - auf ganz unideologische Weise.

SPIEGEL ONLINE: Welche noch?

Aly: Der vierte Indikator lässt Rückschlüsse darauf zu, welchen Druck das Regime für nötig hielt, um seine Volksgenossen durch Bedrohung zu disziplinieren. Hierfür haben wir die Zahl der Todesurteile des Volksgerichtshofs untersucht. Aus den Todesanzeigen für gefallene Soldaten gewannen wir den fünften Indikator. Wir fragten: Haben die Angehörigen die Formel "Gefallen für Führer, Volk und Vaterland" gewählt oder verzichteten sie auf den "Führer" und schrieben schlicht "Gefallen für Volk und Vaterland"? Verglichen haben wir die Anzeigen in der bürgerlichen "Frankfurter Zeitung" und der Parteizeitung "Frankfurter Volksblatt".
 
Zu den Vornamen: Ich bin nicht sicher, ob das ein Indikator für die tatsächliche Beliebtheit ist - oder eher für Opportunismus.

Gleiches kann man auch für Kirchenaustritte annehmen - es gibt auch genügend Beispiele dafür, dass der Mensch in solchen Zeiten oft denkt: "Gott muss ich erst später Rechenschaft geben - aber ich lebe im jetzt und hier ...".

Verbesserte man durch den Austritt seine Karrierechancen?
 
Moinsen, ich will mal eine Bewertung der Indikatoren versuchen:

Dass eine hohe Sparquote auf Zukunftsvertrauen hinweist, halte ich nicht für zwingend notwendig.
Umgekehrt könnte man nämlich argumentieren, dass jemand ohne Zukunftsängste sein Geld sorglos ausgibt anstatt für schlechte Zeiten zu sparen.

Die Vornamen können, wie Papa Leo schon gesagt hat, aus reinem Opportunimus gewählt worden sein, um bei den örtlichen Nazi-Behörden einen guten Eindruck zu machen.

Eine hohe Zahl an Kirchenaustritten muss nichts mit dem Zukunftsvertrauen der Leute zu tun haben. Sie kann auch bedeuten, dass die Leute schlicht den ideellen Oberhirten gewechselt haben. Aus der Obhut des lieben Gottes und der Kirche haben sich vielleicht einige in die Obhut von Führer und Parteiorganisationen begeben.

Die Form der Bestrafung von Widerständlern muss nichts zu tun haben mit dem tatsächlichen Ausmaß der Dissidenz. Eher lassen sich daraus wohl Informationen gewinnen über das Ausmaß der Paranoia in den Nazi-Kreisen.

Den Indikator, der sich auf die Todesanzeigen stützt, finde ich ganz plausibel.

Insgesamt sind Alys Indikatoren also nicht besonders wasserdicht und werden von den Historiker-Kollegen sicherlich mit Vergnügen auseinandergenommen. Innovativ sind Alys Methoden aber allemal.

Wale
 
Also, ein Sprung in der Zahl der Kirchenbei- und austritte hat natürlich Ursachen. Dass Unsicherheit und Angst Menschen zur Kirche bringen, hat der 11. September 2001 gezeigt. Aber Schroeders Beliebtheit hat sicherlich kaum die Zahl der Kirchenbeitritte beeinflusst.

Ähnlich sehe ich das mit dem Sparverhalten. Samit misst man eher latente Ängst, als die Beliebtheit der Führung, würde ich meinen.

Also zwei "Angstindikatoren", die mir eher sagen, dass die Menschen mit zunehmender Zeit am Endsieg so ihre Zweifel hatten. Und somit auch an Hitler selbst?

Dann hätten wir noch Vornamen, Todesurteile und Todesanzeigen. Die Todesanzeigen "Für Führer, Volk und Vaterland" waren wohl für gefallene Soldaten, oder? Die gab es ja erst ab 1939.

Ob die Zunahme der Todesurteile nicht einfach die zunehmende Kaltschnäuzigkeit der Gerichte oder die Dichte des Geheimdienstnetzes wiederspiegelt?

Es bleiben also die Vornamen, deren Gültigkeit für die Messung der Beliebtheit des Regimes durchaus nachvollziehen kann.

Soweit meine 5 Pfennige ...
 
Auf die Kontroverse bin ich gespannt.

Eine Kontroverse erwarte ich nicht - eher zwei Lager: Das eine, welches seine Herangehensweise für ausbaufähig hält, ein anderes, welches sie für unzureichend erklärt und die Schlussfolgerung für voreilig.

Streit wird es keinen geben. ;)
 
Zu den Vornamen: Ich bin nicht sicher, ob das ein Indikator für die tatsächliche Beliebtheit ist - oder eher für Opportunismus.?


Im Revier meines Gemeindearchivs ist der Vorname Adolf in diesem Zeitraum überproportional vertreten.
Die Eltern setzten damit ein Zeichen.
Der Katholische Gesellenverein [später Kolpingsfamilie] hatte einen Adolf als Gründer.
 
Im Revier meines Gemeindearchivs ist der Vorname Adolf in diesem Zeitraum überproportional vertreten.
Die Eltern setzten damit ein Zeichen.
Der Katholische Gesellenverein [später Kolpingsfamilie] hatte einen Adolf als Gründer.

Und das würde dann zur schönsten Falschinterpretation führen ... ;)
 
Pope - ja, aber ... ob die Menschen zu bestimmten Zeitpunkten die Kinder "Adolf" nannten kann dann auf zwei unterschiedliche Weisen interpretiert werden: als Zustimmung ... oder als verschmitztes Zeichen des Widerstandes (Adolf Kolping).
 
Pope - ja, aber ... ob die Menschen zu bestimmten Zeitpunkten die Kinder "Adolf" nannten kann dann auf zwei unterschiedliche Weisen interpretiert werden: als Zustimmung ... oder als verschmitztes Zeichen des Widerstandes (Adolf Kolping).

Ich habe da im Kopf, dass Hitler für jedes x. (5. oder 7.?) geborene Kind einer Familie die Patenschaft übernahm. Diese Kinder wurden dann vorzugsweise Adolf genannt. Genauere Angaben kann ich dazu jedoch nicht machen, da müsst ihr Spezialisten fürs 20. Jahrhundert ran.
 
Eine Kontroverse erwarte ich nicht - eher zwei Lager: Das eine, welches seine Herangehensweise für ausbaufähig hält, ein anderes, welches sie für unzureichend erklärt und die Schlussfolgerung für voreilig.

Streit wird es keinen geben. ;)

Da kennst du aber die Historiker schlecht ;) Wir werden sehen.
 
@Lukrezia + @Mercy: ich bin über eine Seite gestolpert, wo über dieses Thema auch diskutiert wird. Die Erkenntnisse dort nachzulesen in den 2 Seiten des Threads:

http://forum.ahnenforschung.net/thr...0&sid=4774b63a2d956d40bc773cb405fdedbc&page=2


ich meine auch, von dieser Patenschaft gelesen zu haben, aber der Buchtitel fällt mir nicht ein. (Auch ein Bormann-Kind hieß Adolf und war Hitlers Patenkind. Davon habe ich im Buch http://www.amazon.de/trägst-meinen-...f=pd_ka_1/028-6365592-7705362?ie=UTF8&s=books gelesen)


Außerdem gibt es auch heute noch sog. "Modenamen"; das war halt auch damals einige Zeit lang Adolf
 
Ich war mir auch ziemlich sicher, dass es das mit der Patenschaft wirklich gab. Der Onkel meines Lebensgefährten heißt Adolf und auf Nachfrage erhielt ich die Antwort, dass Hitler die Patenschaft für ihn übernommen habe, da er das x. Kind war. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass die Namensgebung auch im Zusammenhang mit der Verleihung des Mutterkreuzes steht und in der familiären Überlieferung da etwas verwechselt wurde.
 
Zuletzt bearbeitet:
Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass die Namensgebung auch im Zusammenhang mit der Verleihung des Mutterkreuzes zusammenhängt und in der familiären Überlieferung da etwas verwechselt wurde.

Verwechselt klingt plausibel.

Ich kenne Mutterkreuzverleihungen, die der Ortsgruppenleiter, da er [noch] nicht Bürgermeister war, vornahm oder vornehmen mußte.
Da waren auch Apollonias dabei.
 
Ich habe da im Kopf, dass Hitler für jedes x. (5. oder 7.?) geborene Kind einer Familie die Patenschaft übernahm. Diese Kinder wurden dann vorzugsweise Adolf genannt. Genauere Angaben kann ich dazu jedoch nicht machen, da müsst ihr Spezialisten fürs 20. Jahrhundert ran.

Das ist meines Wissens auch heute noch so.
Ich bin das 7. Kind eines Ehepaares.
Meine Patenschaft hat ehrenhalber Th. Heuss (Ehre für mich? Ehre für Heuss? für meine Eltern?) übenommen. Ich trage aber die Vornamen Mxxxxx und Axxxxxx, niemand wäre auf die Idee gekommen mich deshalb als Theodor auf dem Standesamt einzutragen.

Grüße Repo
 
Zuletzt bearbeitet:
Verwechselt klingt plausibel.

Ich kenne Mutterkreuzverleihungen, die der Ortsgruppenleiter, da er [noch] nicht Bürgermeister war, vornahm oder vornehmen mußte.
Da waren auch Apollonias dabei.

Meine Mutter bekam das Mütterkreuz (in silber?) verliehen, für das 5. Kind, eine Tochter mit dem altdeutschen Namen "Norma"

Grüße Repo
 
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