Großer Aufmarsch Ost - praktikabel?

Das scheint mir ehrlich gesagt etwas schwer begreiflich, denn wie gesagt, alle 30 Minuten auf je einer Spur ein militärischer Transport sollte an und für sich kein Hexenwerk sein, mindestens wenn genügend Ausweichstellen vorhanden sind, um den zivilen Verkehr nötigenfalls kurz von der Spur nehmen und den militärischen durchfahren lassen zu können.
Und wenn es nur daran gemangelt hätte, entsprechende Rangiergleise und Ausweichen zu haben, die hätte man sicherlich mit geringem finanziellen Aufwand in die Strecke einpassen können, ohne das ganze Eisenbahnsystem in Ostpreußen im größeren Stil umbauen zu müssen.

Darf ich noch fragen, ist die Strecke zwischen Dirschau und Königsberg auf dem Plan, den du hast durchgehend als zweispurig verzeichnet?

Denn wie gesagt, ich kann mir nennenswerte Stockungen auf einer zweispurigen Strecke, mit alle halbe Stunde einem militärischen Zug und hin und wieder einem zivilen Zug dazwischen, eigentlich nicht mit fehlenden Gleisanlagen erklären.
Alle 15-30 Minuten, je nachdem, wie viel zivilen Verkehr man auf den Hauptstrecken noch zuließ, ist keine allzu besonders hohe Taktung.

Was ich mir vorstellen könnte, ist, dass vielleicht nicht genügend Ausweichmöglichkeiten für den zivilen Verkehr gegeben waren, die Taktung möglicherweise zu hoch war für die Möglichkeiten Kohle und Wasser zu Bunkern oder aber man auf der Strecke mit dem rollenden Material technische Probleme hatte oder vielleicht mit dem Entladen der Züge am endgültigen Bestimmungsort nicht rechtzeitig nachkam und deswegen künstlich etwas das Tempo herausnehmen musste.
Das erschine mir noch plausibel, aber dass es eine Überforderung hätte sein sollen, im Zweifel alle 30 Minuten einen Zug über das Gleis zu schicken, erscheint mir seltsam.

Es wäre natürlich etwas anderes, wenn das mindestens streckenweise eingleisig gewesen wäre.
 
Wäre vollständig illusorisch gewesen und jede Befestigung, die man da gebaut hätte, hätte man nur errichtet um sie ohne größere Kampfhandlungen dem Feind zu überlassen.
...wenn diese Einschätzung zutrifft, dann wäre der Ausbau Königsbergs zu einer riesigen Festung ein "Dollargrab" gewesen, gegen welches der Schürmannbau am Rhein "Peanuts" darstellt ;)

Festung Königsberg:
- in der 1. Hälfte des 19. Jhs. eine der wichtigsten preuss. Garnisonen:
1843-59 Bau des inneren Fortgürtels und der Enciente nach seinerzeit modernster Manier (neupr. Polygonalsystem)
1872-85/90 Bau des äußeren Fortgürtels (12 Bieler Forts, mehrere Zwischenwerke, Anschlussbatterien) damit war Königsberg eine der größeren Gürtelfestungen, vergleichbar mit Köln
1910-12 Modernisierung des Fortgürtels (der Fortgürtel erhielt Stahlbetondecken, Neubau zahlreicher Infanteriestützpunkte aus Stahlbeton, ähnlich wie in Köln) - damit war Königsberg wie Köln ein Beispiel der modernisierten Gürtelfestung auf damals modernstem Stand (nur Anlagen wie um Metz, Diedenhofen, KW II, Helgoland, Borkum, Wangerooge, Istein und ein paar wenige weitere waren komplett neu gebaut, ohne sich auf vorhandene Vorgängerbauten a la Bieler Forts stützen zu müssen)

Offenbar wurde Königsberg bis in den Weltkrieg hinein als relevant betrachtet und entsprechend fortifiziert. Nebenbei soll ein Großteil der franz. Reparationszahlungen 1871 für den Königsberger Fortgürtel verwendet worden sein.
 
Ja, die Strecke nach Königsberg war zweigleisig. In Dirschau liefen ja mehere Eisenbahnlinien zusammen, aber ich weiß nicht woran es exakt gehapert hatte.

Und wir reden hier "nur" von der 8. Armee. Das hätte ja alles anders ausgesehen, wenn der Schwerpunkt des Aufmarsches im Osten gelegen hätte. Dann wären da ganz andere Zahlen zu bewältigen gewesen.

Nur wie ich schon an anderer Stelle ausgeführt habe, Moltke wird schon einen vernünftigen Grund gehabt haben, als er den Ausbau des Eisenbahnnetzes im Osten gefordert hatte. Auch Moltke war die Knappheit der Mittel bewußt.
 
...wenn diese Einschätzung zutrifft, dann wäre der Ausbau Königsbergs zu einer riesigen Festung ein "Dollargrab" gewesen, gegen welches der Schürmannbau am Rhein "Peanuts" darstellt ;)

Festung Königsberg:
- in der 1. Hälfte des 19. Jhs. eine der wichtigsten preuss. Garnisonen:
1843-59 Bau des inneren Fortgürtels und der Enciente nach seinerzeit modernster Manier (neupr. Polygonalsystem)
1872-85/90 Bau des äußeren Fortgürtels (12 Bieler Forts, mehrere Zwischenwerke, Anschlussbatterien) damit war Königsberg eine der größeren Gürtelfestungen, vergleichbar mit Köln
1910-12 Modernisierung des Fortgürtels (der Fortgürtel erhielt Stahlbetondecken, Neubau zahlreicher Infanteriestützpunkte aus Stahlbeton, ähnlich wie in Köln) - damit war Königsberg wie Köln ein Beispiel der modernisierten Gürtelfestung auf damals modernstem Stand (nur Anlagen wie um Metz, Diedenhofen, KW II, Helgoland, Borkum, Wangerooge, Istein und ein paar wenige weitere waren komplett neu gebaut, ohne sich auf vorhandene Vorgängerbauten a la Bieler Forts stützen zu müssen)

Offenbar wurde Königsberg bis in den Weltkrieg hinein als relevant betrachtet und entsprechend fortifiziert. Nebenbei soll ein Großteil der franz. Reparationszahlungen 1871 für den Königsberger Fortgürtel verwendet worden sein.

Naja, aber das sind alles Maßnahmen, die getrofffen wurden, bevor man sich endgültig auf den modifizierten Schlieffenplan festlegte.

Gehen wir das doch mal ganz konkret im Falle des Schlieffenplans an:

Im Falle eines Deutschland priorisierenden russischen Aufmarsches "G", mit Aufmarsch von mehr als 2 Armeen an der deutschen Grenze, den man wohl durchaus auf dem Schirm haben durfte, wie wollte man irgendwas in Ostpreußen verteidigen, wenn die russischen Kräfte hinreichend gewesen wären, die einzige Armee, die man in diesem Bereich hatte, egal wo sie sich festsetzte zu umgehen und zeitgleich auf ihrem Rückzug zu verfolgen?

Oder näher an den tatsächlichen Geschehnissen, womit hätte man, wenn Tannenberg nur ein Frontalsieg gewesen wäre, sich Rennenkampff erneut an der Angerapp entgegenstellen wollen?
Wenn man das Gros der 8. Armee wieder gen Osten bewegt hätte, hätte man seine Versorgungslinien entblößt und die Narew-Armee hätte im Grunde nur nachrücken müssen, was sie nach moderater Zeit sicherlich gekonnt hätte.
Gleichzeitig wäre man dann von deutscher Seite her gezwungen gewesen Rennenkampf an der Angerapp selbst nochmal anzugreifen und endgültig zu schlagen, bevor man die Narew-Armee final im Rücken hat.


Ob die 2 auch nicht mehr ganz frischen Korps aus dem Westen da die Kräfte hätten ausgleichen können? Wird man bezwifeln dürfen, im Besonderen hätte Rennenkampff einige Tage Zeit gehabt, die Anerapp-Linie an der nichts signifikantes mehr stand, hinter sich zu lassen.
 
Naja, aber das sind alles Maßnahmen, die getrofffen wurden, bevor man sich endgültig auf den modifizierten Schlieffenplan festlegte.

Gehen wir das doch mal ganz konkret im Falle des Schlieffenplans an:

Im Falle eines Deutschland priorisierenden russischen Aufmarsches "G", mit Aufmarsch von mehr als 2 Armeen an der deutschen Grenze, den man wohl durchaus auf dem Schirm haben durfte, wie wollte man irgendwas in Ostpreußen verteidigen, wenn die russischen Kräfte hinreichend gewesen wären, die einzige Armee, die man in diesem Bereich hatte, egal wo sie sich festsetzte zu umgehen und zeitgleich auf ihrem Rückzug zu verfolgen?

Dann wäre der temporäre Rückzug auf die ausgebaute Weichsellinie erforderlich geworden.



Shinigami schrieb:
Oder näher an den tatsächlichen Geschehnissen, womit hätte man, wenn Tannenberg nur ein Frontalsieg gewesen wäre, sich Rennenkampff erneut an der Angerapp entgegenstellen wollen?
Wenn man das Gros der 8. Armee wieder gen Osten bewegt hätte, hätte man seine Versorgungslinien entblößt und die Narew-Armee hätte im Grunde nur nachrücken müssen, was sie nach moderater Zeit sicherlich gekonnt hätte.
Gleichzeitig wäre man dann von deutscher Seite her gezwungen gewesen Rennenkampf an der Angerapp selbst nochmal anzugreifen und endgültig zu schlagen, bevor man die Narew-Armee final im Rücken hat.


Ob die 2 auch nicht mehr ganz frischen Korps aus dem Westen da die Kräfte hätten ausgleichen können? Wird man bezwifeln dürfen, im Besonderen hätte Rennenkampff einige Tage Zeit gehabt, die Anerapp-Linie an der nichts signifikantes mehr stand, hinter sich zu lassen.

Tatsächlich wurde ja 1914/15so erfolgreich operiert, das die Russen, die immerhin mit 2 Armeen angriffen, aus Ostpreußen wieder hinausgeworfen worden. Die Russen hatten zwei Pläne für den Krieg vorbereitet. Der eine Fall A sah den Angriff mit ca. 350.000 Soldaten vor, anstatt den Frankreich zugesagten 800.000 Mann, sobald klar war, das der deutschen Schwerpunkt im Westen liegt. Der andere Plan G sollte in Kraft treten, wenn Deutschland den Schwerpunkt in den Osten legen würde. Dann wollte man aber defensiv bleiben.

Die A Variante war die deutlich wahrscheinlichere, denn der russische Nachrichtendienst hatte entsprechende Informationen gesammelt. Sie sah einen vorzeitigen Angriff am 16.Mobilmachungstag vor.

Der russische Generalstab hatte 1908 Kenntnis von der deutschen Generalstabsreise aus dem Jahre 1905 unter Schlieffen erhalten, die den Schluß zuließ, das im Osten des Reiches nur schwache Kräfte sein würden.

Das russische Kalkül sah also vor, wenn das deutsche Heer in Frankreich beschäftig ist, dann reicht eben auch eine schwächere Offensive gegen das Deutsche Reich.

Von erheblicher Relevanz war die Masurische Seenplatte. Durch sie wurden die Angriffsoptionen begrenzt. Sie teilte Ostpreußen praktisch in zwei Fronten, Nordost und Südwest. Das hatte schon seinerzeit Schlieffen auf dem Radar. Durch diese Gegebenheiten war es möglich, die gegnerischen Armeen nacheinander anzugreifen. Dies wurde schon 1894 auf der Generalstabsreise erfolgreich erprobt.

Da die russischen Armee immer wieder so freundlich waren unverschlüsselt zu funken, war die 8.Armee über weite Strecke bestens über die Absichten der Russen informiert.
 
Shinigami schrieb:
Davon ab, liegt vor Königsberg das Frische Haff, mit seiner eher geringen Tiefe und das Nadelöhr an der Frischen Nehrung, die das Haff mit der Ostsee verbindet.
Ich wäre an dieser Stelle überfragt, wenn ich beantworten sollte, ob es zu dieser Zeit überhaupt möglich war, den Königsberger Hafen mit Schiffen mit größerer Tonnage anzufahren.

Den Innenhafen gab es seit 1904. Im Krieg sollte der Hafen erweitert werden, aber die Arbeiten wurden 1917 eingestellt.
Der Hafen Pillau und die Lastadie am Hundegatt dienten wohl dem Königsberger Seehandel.
Hinsichtlich des möglichen Tiefganges habe ich auch keine weiteren Angaben.
 
Es sind etliche Milliarden aus Frankreich an Krediten an Petersburg vergeben worden, die primär der Aufrüstung dienten. Das ist auch Berlin nicht verborgen geblieben. Eisenbahnlinien, Artillerie, deutliche Heeresvermehrung, obwohl man schon über ein Millionenheer verfügte. Es wurde nicht gekleckert, sondern geklotzt.

Ergänzend hierzu sollte erwähnt werden, das die französischen Kredite an Bedingungen geknüpft waren. Es sollte der Effektivbestand der Armee um sagenhafte 360.000 Mann erhöht werden. Des Weiteren sollten u.a. die Eisenbahnlinien
Brjansk - Homel,
Pinsk - Shabina und
Petersburg - Taps - Riga - Murawjewo - Kowno

die Gleise verdoppelt werden. Ferner die Vervierfachung der Gleise zwischen

Shabina und Brest und
Seedletz und Warschau.

Soweit die französischen Wünsche.

Aus einen Schreiben Kokowzow an Neratow geht hervor, das Kokowzwow "[...] bei meinen Verhandlungen mit unserem Freund und Bundesgenossen, die ich gern für irgendjemand anderen austauschen würde, so schwer ist es, mit ihnen Verhandlungen zu führen in allen Fragen, die nicht ihr eigenes Fell berühren."

Die Zinsen, die die Franzosen verlangten, lagen immerhin zwischen 7% und 11%.
 
Zuletzt bearbeitet:
Der Königsberger Hafen müßte vor dem Ausbau des Seekanals etwa ganz grob für Schiffe bis zu 5 Meter Tiefgang nutzbar gewesen sein.
In Pillau wurden große Schiffe geleichtert.
 
Der Königsberger Hafen müßte vor dem Ausbau des Seekanals etwa ganz grob für Schiffe bis zu 5 Meter Tiefgang nutzbar gewesen sein.

Damit wäre er jedenfalls bereits im 1. Weltkrieg als Flottenstützpunkt für alles, was über die Größe eines leichten Kreuzers älterer Bauart hinausgeht, bereits unter guten Bedingungen nicht nutzbar gewesen.
 
Die A Variante war die deutlich wahrscheinlichere, denn der russische Nachrichtendienst hatte entsprechende Informationen gesammelt. Sie sah einen vorzeitigen Angriff am 16.Mobilmachungstag vor.

Der russische Generalstab hatte 1908 Kenntnis von der deutschen Generalstabsreise aus dem Jahre 1905 unter Schlieffen erhalten, die den Schluß zuließ, das im Osten des Reiches nur schwache Kräfte sein würden.

Ist zwar schon ein Jahr alt die Diskussion, aber ich greife das einfach nochmal auf:

Inwiefern ließ sich von der Generalstabsreise 1905 auf die Verhältnisse 1914 schließen?
Die Generalstabsreise 1905 ereignete sich vor dem Hintergrund des Russisch-Japanischen Krieges und dem damit korrespondierenden Umstand, dass Russland, das Niederlage und Revolution erst einmal verdauen musste, für den Moment nicht in größerem Maße handlungsfähig sein konnte.

Entsprechend war zu diesem Zeitpunkt auch nicht zu erwarten, dass man von deutscher Seite damit rechnete, große Kräfte im Osten zu brauchen.
Das allerdings lässt sich kaum auf die Verhältnisse von 1914 übertragen, wo man in Berlin durchaus wieder mit einem handlungsfähigen Russland rechnen musste.

In St. Petersburg hatte man natürlich Vorstellungen davon, dass es eine deutsche Planung gab, die einen West-Schwerpunkt vorsah.
Inwiefern hatte man aber Kenntnisse davon, dass das seit 1913 die einzige Planung war, zu der keine offizielle Alternative mehr vorgehalten wurde?

Wenn sich nicht nachweisen lässt, dass der russische Generalstab auch davon Kenntnisse hatte, musste man in St. Petersburg eigentlich damit rechnen nur über eine mögliche Variante im Bild zu sein ohne deren Eintreffen mit einiger Sicherheit vorhersagen zu können.
Wäre Deutschland in seinen militärischen Planungen weiterhin zweigleisig gefahren hätte die Frage für welchen Plan man sich in Berlin entscheiden würde und dementsprechend auch, wie St. Petersburg darauf reagieren musste möglicherweise ganz massiv von der britischen Haltung zum Krieg abgehangen.

Denn man wird wohl unterstellen dürfen, dass wenn es weiterhin eine Ost-Planung gegeben hätte und London signalisiert hätte, sich neutral verhalten zu wollen, falls Deutschland in Westeuropa nicht als Aggressor aufteten würde, das ein starkes Argument für die Ost-Variante gewesen wäre.


Insofern verstehe ich nicht ganz, wie du zu dem Urteil kommst, dass für Russland die Variante "A" grundsätzlich die wahrscheinlichere gewesen wäre.
Wenn St. Petersbrung über die Aufgabe des Ost-Aufmarschs und die endgültige Festlegung auf die West-Option in Berlin im Bilde gewesen wäre, würde ich dir zustimmen. Aber das sehe ich nicht.
 
Nach der Fertigstellung des Seekanals war der max. Tiefgang dort 6,7 Meter!
Es ist mir nicht bekannt, das in Königsberg zu Kaisers Zeiten je leichte Kreuzer stationiert waren, wäre dort auch kaum Platz dafür gewesen.
Bei einem Tiefgang von etwa 5,2- 6,3 Meter ist das passieren des Kanals natürlich möglich, aber auch bei den modernen Schiffen nicht ganz ungefährlich.
 
Ist zwar schon ein Jahr alt die Diskussion, aber ich greife das einfach nochmal auf:

Inwiefern ließ sich von der Generalstabsreise 1905 auf die Verhältnisse 1914 schließen?
Die Generalstabsreise 1905 ereignete sich vor dem Hintergrund des Russisch-Japanischen Krieges und dem damit korrespondierenden Umstand, dass Russland, das Niederlage und Revolution erst einmal verdauen musste, für den Moment nicht in größerem Maße handlungsfähig sein konnte.

Entsprechend war zu diesem Zeitpunkt auch nicht zu erwarten, dass man von deutscher Seite damit rechnete, große Kräfte im Osten zu brauchen.
Das allerdings lässt sich kaum auf die Verhältnisse von 1914 übertragen, wo man in Berlin durchaus wieder mit einem handlungsfähigen Russland rechnen musste.

In St. Petersburg hatte man natürlich Vorstellungen davon, dass es eine deutsche Planung gab, die einen West-Schwerpunkt vorsah.
Inwiefern hatte man aber Kenntnisse davon, dass das seit 1913 die einzige Planung war, zu der keine offizielle Alternative mehr vorgehalten wurde?

Wenn sich nicht nachweisen lässt, dass der russische Generalstab auch davon Kenntnisse hatte, musste man in St. Petersburg eigentlich damit rechnen nur über eine mögliche Variante im Bild zu sein ohne deren Eintreffen mit einiger Sicherheit vorhersagen zu können.
Wäre Deutschland in seinen militärischen Planungen weiterhin zweigleisig gefahren hätte die Frage für welchen Plan man sich in Berlin entscheiden würde und dementsprechend auch, wie St. Petersburg darauf reagieren musste möglicherweise ganz massiv von der britischen Haltung zum Krieg abgehangen.

Denn man wird wohl unterstellen dürfen, dass wenn es weiterhin eine Ost-Planung gegeben hätte und London signalisiert hätte, sich neutral verhalten zu wollen, falls Deutschland in Westeuropa nicht als Aggressor aufteten würde, das ein starkes Argument für die Ost-Variante gewesen wäre.


Insofern verstehe ich nicht ganz, wie du zu dem Urteil kommst, dass für Russland die Variante "A" grundsätzlich die wahrscheinlichere gewesen wäre.
Wenn St. Petersbrung über die Aufgabe des Ost-Aufmarschs und die endgültige Festlegung auf die West-Option in Berlin im Bilde gewesen wäre, würde ich dir zustimmen. Aber das sehe ich nicht.

Einmal pro Jahr fanden Besprechungen der Generalstäbe Frankreichs und Russlands statt. Ich entnehme dem Protokoll der Sitzung vom 18./31.August 1911 das sich beide Generalstabschefs darin einig waren, dass Deutschland seine Hauptkräfte gegen Frankreich ansetzten wird und gegen Russland nur einen minimalen Teil seiner Truppen übriglassen.

Des Weiteren wurde angenommen das die Deutschen ihre feindlichen Handlungen mit solcher Energie ansetzten werden, um den Gegner schon in den ersten Tagen unter seiner Initiative zu bringen und einen entscheidenden Schlag zu erzwingen, oder wenn nicht anders möglich, die Franzosen in die Verteidigung zu drängen.

Im Falle des Erfolgs werden sie dergestalt die Möglichkeit haben, einen großen Teil ihrer Truppen zur festgesetzten Zeit gegen Russland zu werfen.

In dem Treffen der Generalstabschefs am 01.07./13.07.1912 wurde diese Auffassung im wesentlichen bestätigt. Joffre betonte, das die Deutschen daran interessiert seien, gegen Frankreich und Russland nacheinander und unabhängig voneinander zu operieren. Der Plan der Verbündeten muss demgegenüber in dem Willen bestehen von zwei Seiten anzugreifen, unter Aufwand des Maximums der vereinigten Kräfte.

Auch im Jahre 1913 wurde an dieser Auffassung weiterhin festgehalten.

Suchomlinow, Erinnerungen
 
Einmal pro Jahr fanden Besprechungen der Generalstäbe Frankreichs und Russlands statt. Ich entnehme dem Protokoll der Sitzung vom 18./31.August 1911 das sich beide Generalstabschefs darin einig waren, dass Deutschland seine Hauptkräfte gegen Frankreich ansetzten wird und gegen Russland nur einen minimalen Teil seiner Truppen übriglassen.

Das ist die gemeinsame Position, mich würde vor allem die interne russische Position interessieren und inwieweit diese möglicherweise von der festgestellten gemeinsamen Position abwich.

Bei der gemeinsamen Position stellt sich für mich einfach die Frage, inwieweit sie tatsächlich der russischen Überzeugung entspricht und inwieweit sie vor allem ein Zugeständnis an Frankreich ist, dass die deutschen West-Pläne zu fürchten hatte, möglicherweise auch in Ermangelung konkreter Informationen über etwaige deutsche Ostplanungen und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es sich bei Frankreich für den Moment um den wichtigsten Kreditgeber Russlands handelte.
 
Natürlich. Russland benötigte Frankreich wegen der massiven finanziellen Unterstützung. Frankreich brauchte Russland gegenüber Deutschland.
Die Russen haben eine andere Sicht der Dinge gehabt. Die Enttäuschung die aus ihren Augen bestenfalls lauwarme Unterstützung im russisch-japanischen Krieg, der Annektionskrise und auch der Liman-von-Sanders-Krise war schon nicht zu verkennen. Für die Russen war eben nicht Deutschland der Feind Nr. 1, sondern ganz klar Österreich-Ungarn. Das wurde dann auch in der tatsächlichen Zuweisung der militärischen Kräfte für die Offensiven gegen Deutschland und Österreich-Ungarn im Sommer 1914 sehr deutlich.
 
Zuletzt bearbeitet:
Zurück
Oben