Hexenjagden gab es nicht nur in der frühen Neuzeit …

Da ist zwar einiges dran, jedoch kann (tatsächliche oder zumindest so empfundene*) Straflosigkeit aus spezial- und generalpräventiven Gründen auch keine Lösung sein. Vor allem aber droht über kurz oder lang das staatliche Gewaltmonopol zusammenzubrechen, wenn die Bevölkerung den Eindruck bekommen würde, dass der Staat Straftaten schulterzuckend akzeptiert. Selbstjustiz übende Bürgerwehren können erst recht keine Lösung sein. (Oder soll der Staat dann zwar nicht gegen die eigentlichen Kriminellen, sehr wohl aber gegen die selbsternannten "Rächer" vorgehen?)

* Natürlich können Alternativen zu Haftstrafen in vielen Fällen sinnvoll sein, aber nicht in allen. Ich habe vor Gericht selbst (vor allem junge) Kriminelle erlebt, für die eine zur Gänze bedingte Haftstrafe ihrem grinsenden Gesichtsausdruck nach faktisch einem Freispruch gleichkam, oder einen jungen Kriminellen, der alle paar Monate mal wegen Körperverletzung (u.a. an seiner Freundin) oder eines Vermögensdelikts vor Gericht stand, immer nur bedingte Strafen erhielt und das alles offensichtlich längst nicht mehr ernst nahm.
Ich sehe dieses Dilemma durchaus. Ich denke auch, dass die genannten Juristen nicht Straflosigkeit das Wort reden. Eine Bewährungsstrafe mag von vielen Kleinkriminellen nicht als Strafe verstanden werden, kann aber durchaus für einen nicht zur Kriminalität neigenden Normalbürger, je nachdem, was man für berufliche Ziele hat, sehr wohl eine Strafe sein. In Dtld. muss man für bestimmte Berufe ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen, darin steht jede Bewährungsstrafe über drei Monate.
 
Ich erlebte vor Gericht einmal einen Angeklagten, der die (rein formale) Frage der Richterin, ob er vorbestraft sei, mit einem "Nein" beantwortete. Als sie ihn darauf hinwies, dass im Strafregister sehr wohl eine Vorstrafe aufscheine, war er kurz verwirrt und erklärte dann, er habe nur einmal eine Geldstrafe erhalten. Er hatte sie offenbar nicht für eine Vorstrafe gehalten. (So blöd zu glauben, das Gericht würde nicht wissen, dass er vorbestraft sei, sodass er es wider besseres Wissen abstreiten könne, wird er wohl kaum gewesen sein.)

Im Falle "diversioneller" Erledigungen von Straftaten ist man in Österreich tatsächlich nicht vorbestraft.
 
Zuletzt bearbeitet:
Vielen Dank, @muck, für deine Ausführungen. Allerdings ist das für mich etwas schwer richtig einzuordnen, schließlich geht es hier um einen Zeitraum von 1000 Jahren des Mittelalters, und wenn man noch die ersten Jahrhunderte der Neuzeit hinzunimmt, dann sind das gern 1300 Jahre. Wir sollten schon möglichst genau sagen, auf welche Zeit wir uns bei welchem Fakt beziehen.

Ich will jetzt nicht auf alles eingehen, aber in Bezug auf Tierprozesse kann man schon sagen: Es hat sie gegeben, denn darüber gibt es in Frankreich Prozessakten. Und es gab auch entsprechende Gesetze – siehe Schwabenspiegel (um 1275, Art. 204) in Bezug auf 2. Mose 21, 28-30.

Wäre nett, wenn Du statt den Dominikanern konkrete Namen nennen würdest. (Falls es Dir so wichtig ist, dass es Angehörige des Dominikanerordens waren, reicht der Hinweis auf die Ordenszugehörigkeit.) Viele Gruppen haben nun einmal ihre ihre schwarzen Schafe, bei einer gewissen Größe auch kein Wunder.
Das ist ein Versuch, die Tätigkeiten des Dominikanerordens zu relativieren bzw. die Verantwortung dafür auf sog. schwarze Schafe abzuwälzen. Nein, der Dominikanerorden wurde vom Papst Gregor IX. beauftragt, Häretiker zu verfolgen. Wenig später durften auch die Franziskaner mithelfen.

Für dich wiederhole ich gerne, was ich schon mal in diesem Forum schrieb:

Ohne die im Mittelalter durchgeführten Neuerungen (Inquisition) in der Rechtsprechung, wäre es wahrscheinlich nicht zu dieser verhängnisvollen Verfolgung der Hexen und Hexer gekommen.

Begründung:

1. Mit der Bulle "Ad abolendam" des Papstes Lucius III. wird die Inquisition im Jahre 1184 quasi eingeführt. Darin wird angeordnet, dass Bischöfe zweimal jährlich ihre Gemeinde besuchen und dort zuverlässige Menschen ausfindig machen sollen, die die Ketzer entlarven und vor kirchliches Gericht bringen sollen. Diese Gerichte haben öffentlich zu tagen und stehen unter Aufsicht der Bischöfe.

2. Um die Verfolgung der Ketzer zu straffen und zu zentralisieren, werden Bischöfe vom Papst Gregor IX. in den Jahren 1231 bis 1233 von dieser Aufgabe entbunden; stattdessen werden dem Papst direkt unterstellten Dominikaner und im Jahre 1246 auch Franziskaner damit beauftragt.

3. Mit der Bulle „Ad extirpanda“ des Papstes Innozenz IV. wird im Jahre 1252 kirchlichen Gerichten ausdrücklich erlaubt, Folter einzusetzen.

4. Und weil danach beim Foltern ab und zu jemand starb, verfügte Papst Urban IV. im Jahre 1261, dass Inquisitoren sich in solchen Fällen gegenseitig durch Absolution von jeder Schuld freisprechen können. Daraus folgt: Inquisitoren waren Patres, also Priester.

5. Mit der Bulle „Summis desiderantes affectibus“ des Papstes Innozenz VIII. wird im Jahre 1484 die bisher auf Ketzer beschränkte Verfolgung auf Hexen ausgeweitet, was erst die folgenden Hexenprozesse ermöglichte und gleichzeitig rechtfertigte.

Wie man sieht, hat sich das langsam entwickelt - bis Papst Innozenz VIII. kam und Feuer legte. Die durch ihn entfachten Brände brannten danach 300 Jahre lang; sie endeten erst mit der Aufklärung.

Mitgefühl zu empfinden mit Delinquenten, die Qualen leiden, ist kulturgeschichtlich ein sehr junges Phänomen.
Das wage ich zu bezweifeln: Selbst mit leidenden Tieren hatte und hat man Mitleid, aber nicht mit einem Menschen, dem mit Rad die Knochen gebrochen wurden und dann noch tagelang klagend und schreiend im Sterben lag?

Seit dem 19. Jahrhundert erst wurden Hinrichtungen aus dem Blick der Öffentlichkeit entfernt, sie fanden nunmehr unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, Verbrecher wurden im Gefängnishof und nicht mehr auf der Place de la Greve, in Tyburn.
Ja, das hatte man der Aufklärung zu verdanken.

Verurteilte wurden freundlich behandelt, mancher Delinquent hatte in seinem ganzen Leben nicht soviel Aufmerksamkeit und Freundlichkeit erfahren wie in den letzten Tagen seines Lebens.
Du meinst, die Berichte über Delinquente, die bei der Folter starben, sind erfunden? Oder dass man sie erst halbwegs gesund pflegte, damit sie bei der Vollstreckung der Strafe nicht schon von selbst umfielen?

Wenn du das tust, dann beweist du einmal mehr, dass du ideologisch und nicht historisch argumentierst. Dass dir der historische Kontext und Quellenkritik im Grunde vollkommen gleichgültig sind und Quellen lediglich Fundgruben sind. Nur das, was das bereits feststehende Bild bestätigt, was zum Narrativ passt oder zu passen scheint wird zur Kenntnis genommen- alles andere wird ausgeblendet, ist belanglos.
Das weise ich zurück. Was du hier betreibst, ist Schönfärberei - bei dir wird die Ausnahme zur Regel. Tausende wurden auf den Scheiterhaufen verbrannt, nicht wenige bei lebendigem Leibe, aber hier sagst du, sie wurden freundlich behandelt. Geht’s noch?

Im frühen und hohen Mittelalter wurde für Tötungsdelikte meist nur "Wergeld" gezahlt.
Ja, ein Tötungsdelikt konnte mit Geld beglichen werden, aber nicht, wer einen Bischof, Priester oder Diakon tötet oder wer nach Meinung der Kirche den falschen Glauben anhing oder seinen Toten nicht begraben, sondern nach alter Sitte verbrennen ließ, der war dann des Todes. Siehe dazu Capitulato de Partibus Saxoniae.
 
Ja, das hatte man der Aufklärung zu verdanken.
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Du meinst, die Berichte über Delinquente, die bei der Folter starben, sind erfunden? Oder dass man sie erst halbwegs gesund pflegte, damit sie bei der Vollstreckung der Strafe nicht schon von selbst umfielen?


Das weise ich zurück. Was du hier betreibst, ist Schönfärberei - bei dir wird die Ausnahme zur Regel. Tausende wurden auf den Scheiterhaufen verbrannt, nicht wenige bei lebendigem Leibe, aber hier sagst du, sie wurden freundlich behandelt. Geht’s noch?

Ja, ein Tötungsdelikt konnte mit Geld beglichen werden, aber nicht, wer einen Bischof, Priester oder Diakon tötet oder wer nach Meinung der Kirche den falschen Glauben anhing oder seinen Toten nicht begraben, sondern nach alter Sitte verbrennen ließ, der war dann des Todes. Siehe dazu Capitulato de Partibus Saxoniae.

Gegner der Todesstrafe wie zum Beispiel Marquis de Sade waren auch im Zeitalter der Aufklärung eine verschwindende Minderheit. Selbst der Geheimrat Goethe hat in einem Fall für den Tod einer Kindsmörderin gestimmt. Im Zeitalter der Aufklärung im Zeitraum von 1658-1800 wurden in ganz Europa Hinrichtungen öffentlich durchgeführt.

Am 2. März 1757 wurde in Paris der Königsattentäter Damiens hingerichtet. Er hatte Louis XV. mit einem Federmesser verletzt. Damiens wurde gevierteilt, mit glühenden Zangen bearbeitet, mit siedendem Öl übergossen und geschmolzenem Blei. Casanova erwähnt die Exekution en Detail in seinen Memoiren. Selbst Köniog Friedrich II., der die Exekution seines Freundes Katte mitansehen müssen, fand dass es einem König nicht schadet, eine öffentliche Exekution gesehen zu haben.

Die Französische Revolution bekannte sich zu den Werten der Aufklärung, und die Guilliotine, das Rasiermesser der Nation ermöglichte Exekutionszahlen, da wäre selbst Meister Augustin, der Scharfrichter von Georg Truchsess von Waldburg nicht mehr mitgekommen. Der Guillotine sind in Frankreich während des Terrors mindestens 16.000 Menschen zum Opfer gefallen, um auf solche Zahlen zu kommen, dafür haben Hexenverfolger immerhin einige Hundert Jahre gebraucht, um in ganz Europa auf solche Zahlen zu kommen.

Die Aufklärung hat zweifellos auch humanen Einfluss auf die Justiz ausgeübt, in einigen Fürstentümern kann man Ende des 18. Jahrhunderts durchaus von einer de facto Abschaffung sprechen, es gab keine Exekutionen, aber kein Fürst oder König der Epoche, und auch nicht Napoleon hat eine Abschaffung der Todesstrafe durchgesetzt, und die erste Performance der Guillotine auf deutschem Boden lockte unzähliges Publikum nach Mainz, um zu sehen wie Schinderhannes und seine Bande geköpft wurde.

Die Körper der Exekutierten wurden an Voltasche Säulen angeschlossen und als man Strom einleitete, streckte einer der Köpfe die Zunge heraus. Von 1800-1811 wurden zahlreiche bekannte Räuber öffentlich exekutiert. Ihre Körper wurden an anatomische Sammlungen abgegeben.

Diese Hinrichtungen waren alle öffentlich. Dass man im Verlauf des 19. Jahrhunderts dazu überging, Delinquenten im Hof der Gefängnisse unter Ausschluss der Öffentlichkeit zum Tode zu bringen, war nicht das Verdienst der Aufklärung, wenn man das überhaupt als Fortschritt betrachten kann, sondern viel eher das "Verdienst" der Restauration, eine Errungenschaft, des entstehenden Polizei- und Überwachungsstaates.

Die Aufklärung war prinzipiell universalen Menschenrechten verpflichtet, aber auch dem Schutz des Eigentums, und bei Methoden der Umverteilung wie Schinderhannes sie praktizierte, reagierten auch aufgeklärte Obrigkeiten knallhart. Der Mainzer Jakobiner Georg Rebmann oder der Darmstädter Jurist Brill waren der Ansicht, dass allein die Todesstrafe bestimmte Banditen abschrecken könne.

Michel Foucault hält die "Geburt des Gefängnisses" keineswegs für einen besonders aufklärerischen oder emanzipatorischen Prozess. Er betont, dass zwar peinlich genau darauf geachtet wurde, Gefangenen keinen körperlichen Schaden zuzufügen (die großzügige Anwendung der Prügelstrafe in Gefängnissen ist eine ganz andere Geschichte), aber sie richtete sich massiv gegen die Psyche des Gefangenen, strebte totale Überwachung und totale Kontrolle über die Körper an- das ging bis dahin, das Gefangenen vorgeschrieben wurde, wann sie ihre Notdurft verrichteten. Sie ersetzte körperliche Qualen durch Zeit und Stein und Beton, und der Stein und Beton schlägt mit der Zeit zu, wie die Folter mit dem Wassertropfen. Gefängnisordnungen aus der Zeit des 19. Jahrhunderts atmeten keineswegs sonderlich viel vom Geist der Aufklärung- das war viel eher der Geist eines Polizei- und Überwachungsstaates, dem es letzten Endes darum ging, den Willen und den Geist der Gefangenen zu brechen.

Der Vergleich zwischen dem "Fest der Martern", zwischen der oft barbarischen Strafjustiz des MA und der "Geburt des Gefängnisses" wie Michel Foucault sie in "Überwachen und Strafen" beschreibt, ist ein Vergleich zwischen Pest und Cholera, zwischen Skylla und Charybdis. Die letztere ist sicher die subtilere, aber barbarisch sind sie alle beide.

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Das weise ich zurück. Was du hier betreibst, ist Schönfärberei - bei dir wird die Ausnahme zur Regel. Tausende wurden auf den Scheiterhaufen verbrannt, nicht wenige bei lebendigem Leibe, aber hier sagst du, sie wurden freundlich behandelt. Geht’s noch?
Das musst du den leider schon verblichenen Richard Van Dülmen fragen, denn in "Theater des Schreckens- Gerichtspraxis und Strafrituale in der frühen Neuzeit" schreibt (Van Dülmen ebd. S. 81 ff. "Der arme Sünder" vor dem Tod" genau das.

Hexenprozesse sind kein Phänomen der Neuzeit, die ersten Hexenprozesse wie die Verschwörungstheorie des Satanspaktes fallen ins MA. Die überwältigende Mehrheit der Delinquenten waren aber keine Hexen.

Wenn ein Todessurteil öffentlich verkündet wurde, begannen die unterschiedlichsten Bemühungen, eine befriedigende Hinrichtung zu organisieren.

Eine gelungene Hinrichtung war eine, bei der der

1. Henker seinen Job ordentlich machte
2. Der arme Sünder bereute,
3. nicht tobte, nicht schimpfte, nicht fluchte.
4. Sich nicht wehrte.

Es mag zynisch erscheinen, aber der Delinquent war eine der Hauptfiguren, wenn nicht die Hauptfigur. Er konnte dem Henker -auch eine Hauptfigur im Theater des Schreckens- seinen Job schwermachen. Er musste ein bisschen mitspielen. Deswegen wurde er in der Zeit, in der er sich auf den Tod vorbereitete freundlich behandelt. Manchem wurde sogar noch gestattet, einige Tage zuhause zu verbringen. Er wurde nach seinen Wünschen gefragt.

Es kam tatsächlich vor, dass Gauner oder Diebe in der Zeit, in der sie sich auf den Tod vorbereiteten, mehr Aufmerksamkeit, Aufwand und Freundlichkeit erfuhren, als sie je in ihrem Leben erfahren hatten, und das machte tatsächlich auf viele Eindruck. Der Delinquent war die Hauptgestalt ohne ihn (oder auch sie) ging es nicht, er musste mitspielen, er musste stillhalten, er musste bekennen und bereuen, ansonsten war die Hinrichtung ein Fiasko.

Nicht, dass die sich gerne hinrichten oder foltern ließen- aber so fremd einem das auch vorkommen mag: Die meisten Delinquenten spielten mit, sie erfüllten ihre Rolle. Das ist die historische Realität wie sie sich in unzähligen Fällen aus Gerichtsprotokollen und Kriminalakten rekonstruieren lässt.

Die Obrigkeit konnte, obwohl sie den Ablauf plante, niemals sicher sein, das alles reibungslos verlief. Da hing wirklich sehr viel vom Delinquenten ab, und man versuchte daher alles, um zu erreichen, dass der "arme Sünder" sich ans Drehbuch hält hätte ich beinahe gesagt. Dazu betrieb man durchaus Aufwand, und da kam einiges zusammen: Zur Henkersmahlzeit des Frankfurter Gretchens, der Susanna Margarethe Brandt wurde 1772 in Frankfurt aufgetischt:

"10 Pfund Rindfleisch, 6 Pfund gebackene Karpfen, eine Schüssel Confect, 30 Milchbrodt, 2 schwarze Hospital Leibbrodt, 8 1/2 Maas Wein vom Jahrgang 1748.

Die Henkersmahlzeit schloss Frieden zwischen dem Gericht und dem Delinquenten.
 
Die Henkersmahlzeit schloss Frieden zwischen dem Gericht und dem Delinquenten.
Allerdings wurden bei Hexenprozessen die Gerichtskosten (und nicht nur die der Henkersmahlzeit, sondern auch die Verköstigung inklusive Getränke während aller Verhöre für den Folterknecht sowie für das gesamten Gericht) dem Delinquenten auferlegt. Wenn diese tot waren, musste die Familie für die Kosten aufkommen.
1656 im Fall Elisabeth Dülfer aus Nieder-Wildungen konnte ihr Ehemann die Kosten für die Verhöre nicht aufbringen. Daraufhin wurde die Tortur verschärft.
Im selben Jahr bittet Heinrich Weber, ebenfalls aus Nieder-Wildungen, um Beschleunigung des Prozesses gegen seine Frau Susanne, um der Kosten willen.

Damals hat es sich das Gericht gut gehen lassen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Vielen Dank, @muck, für

Ich will jetzt nicht auf alles eingehen, aber in Bezug auf Tierprozesse kann man schon sagen: Es hat sie gegeben, denn darüber gibt es in Frankreich Prozessakten. Und es gab auch entsprechende Gesetze – siehe Schwabenspiegel (um 1275, Art. 204) in Bezug auf 2. Mose 21, 28-30.
Dann bitte ich darum, dass du konkrete Prozessakten nennst, in denen tatsächlich belegt wird, dass man ein Tier als Rechtssubjekt betrachtete. Wo und in welcher französischen Stadt findet man Prozessakten, die Tierprozesse eindeutig belegen?

Wo und in welchem Archiv liegen diese Prozessakten?
Hat irgendein Historiker diese Prozessakten bearbeitet?
In welchem Findbuch und unter welcher Signatur sind Akten registriert
Gibt es möglicherweise digitalisierte Archivalien, die man einsehen kann?

Eva Schuhmann beklagt, dass eben viele Publikationen vom Hörensagen über Prozesse berichtet haben, ohne es nachzuprüfen, ohne selbst Prozessakten und Archivalien bearbeitet zu haben.

Im Sachsenspiegel schlägt Eike von Repgow vor, dass in Fällen von Vergewaltigung trotz Hilferuf alle anwesenden Tiere getötet werden.
Die Tötung von Tieren, die man als potenziell gefährlich einstufte, kann ja nun nicht als Beleg dafür herhalten, dass man diesen einen Status als Rechtssubjekt zubilligte. Wenn auf behördliche Anordnung ein Kampfhund getötet wird, verschafft das dem Hund keinen Rechtsstatus.

Im Buch Exodus 28-30 steht nichts von Tierprozessen. Da steht, dass ein Rind, das einen Menschen tötet, selbst getötet werden soll, sein Fleisch soll nicht verzehrt werden. Der Halter soll aber nicht bestraft werden, nur wenn das Rind zuvor schon stößig war, und dem Halter war es bekannt, soll er selbst getötet werden.

Das hat ja nun mit einem Tierprozess nichts zu tun. Ein Rind töten und einem Rind den Prozess machen ist ja nun nicht das Gleiche, abgesehen von der Todesstrafe für den Besitzer entspricht die in Exodus vorgeschriebene Maßnahme ziemlich genau dem, was Ordnungsämter auf der ganzen Welt mit gefährlichen Tieren tun.

In Frankreich, aber auch in Deutschland gab es in der frühen Neuzeit eine Menge Werwolf-Prozesse. Der Werwolf von bedburg Peter Stubbe aber war ein Mensch. Menschenfressende Wölfe wurden häufig an Galgen aufgehängt. Beim Wolf von Ansbach setzte man dem Wolf eine Perücke auf, und die Bevölkerung glaubte, der Wolf sei die Reinkarnation eines unbeliebten Beamten. Es wurde auf solche Tiere oft Belohnungen ausgesetzt wie für Verbrecher.

Damit aber macht man nicht Tiere zum Rechtssubjekt.
 
Allerdings wurden bei Hexenprozessen die Gerichtskosten (und nicht nur die der Henkersmahlzeit, sondern auch die Verköstigung inklusive Getränke während aller Verhöre für den Folterknecht sowie für das gesamten Gericht) dem Delinquenten auferlegt. Wenn diese tot waren, musste die Familie für die Kosten aufkommen.
1656 im Fall Elisabeth Dülfer aus Nieder-Wildungen konnte der Mann die Kosten für die Zeugenverhöre nicht aufbringen. Daraufhin wurde die Tortur verschärft.
Im selben Jahr bittet Heinrich Weber, ebenfalls aus Nieder-Wildungen, um Beschleunigung des Prozesses gegen seine Frau Susanne, um der Kosten willen.

Damals hat es sich das Gericht gut gehen lassen.

Dem Frankfurter Gretchen war, durchaus verständlich, der Appetit vergangen, und sie aß nur wenig davon. Die Teilnehmer des Gerichts, die

Geistlichen ließen es sich aber anscheinend schmecken.
 
Da ist zwar einiges dran, jedoch kann (tatsächliche oder zumindest so empfundene*) Straflosigkeit aus spezial- und generalpräventiven Gründen auch keine Lösung sein. Vor allem aber droht über kurz oder lang das staatliche Gewaltmonopol zusammenzubrechen, wenn die Bevölkerung den Eindruck bekommen würde, dass der Staat Straftaten schulterzuckend akzeptiert. Selbstjustiz übende Bürgerwehren können erst recht keine Lösung sein. (Oder soll der Staat dann zwar nicht gegen die eigentlichen Kriminellen, sehr wohl aber gegen die selbsternannten "Rächer" vorgehen?)

* Natürlich können Alternativen zu Haftstrafen in vielen Fällen sinnvoll sein, aber nicht in allen. Ich habe vor Gericht selbst (vor allem junge) Kriminelle erlebt, für die eine zur Gänze bedingte Haftstrafe ihrem grinsenden Gesichtsausdruck nach faktisch einem Freispruch gleichkam, oder einen jungen Kriminellen, der alle paar Monate mal wegen Körperverletzung (u.a. an seiner Freundin) oder eines Vermögensdelikts vor Gericht stand, immer nur bedingte Strafen erhielt und das alles offensichtlich längst nicht mehr ernst nahm.

Das sehe ich ehrlich gesagt ähnlich.

Ein Großteil der Gefangenen landet wirklich wegen Bagatellen im Knast.
Ein ehemaliger Soldat, Kosovo-Veteran und Kriegsinvalide wurde verurteilt wegen "Trunkenheit im Verkehr" und Fahren ohne Fahrerlaubnis. Der Mann hatte aus dem Kosovo eie Verletzung, sein Kamerad war auf eine Mine getreten. Er hatte mehrere OPs hinter sich und er litt unter chronischen Schmerzen, die irgendwann nur noch mit Morphin zu kontrollieren waren.

Er fand einen Job als Bäcker, und er hatte ein Fahrverbot von 1 Monat. Dieses Fahrverbot hat er um zwei Tage verkürzt, um auf die Arbeit zu fahren, und dabei hatte ihn wohl ein Nachbar beobachtet und verpfiffen. Er hatte eine Neigung zum Querulantentum, hat sich manchmal selbst das Leben schwergemacht, war aber nie zuvor mit dem Gesetz in Konflikt geraten, war Erstverbüßer und hat dafür 9 Monate bekommen. Bei seiner Vorgeschichte fand ich dieses Urteil übermäßig hart, und die Gefangenchaft konnte nur Wut und Zorn hinterlassen.

Ich habe etliche Leute kennengelernt, die wegen Schwarzfahren einfuhren, eigentlich weil ihnen die Probleme über den Kopf wuchsen, weil sie selten in den Briefkasten gucken. Viele von denen sind in den 1-2 Monaten die sie abzumachen hatten, durch die Hölle gegangen, manche wurden auf Entzug gesetzt, andere wurden von Mitgefangenen gemobbt. Viele Leute, oft Demenzkranke würden niemals einfahren, wenn ein Richter oder Staatsanwalt sie in einer Anhörung gesehen hätte. Da kommt ein Schreiben, ein zweites und keine Reaktion, und dann geht die Sache ihren Gang.

Ein Lebenskünstler war Rumpelstilzchen. Der war früher bei der DDR-Reichsbahn, ein Schicksalsschlag warf ihn aus der Bahn. Seiner Leidenschaft für das Bahnfahren tat das keinen Abbruch. Er kannte die ICE-Strecken und die Gefängnisse der Republik wie seine Westentasche. Hünfeld, Kassel, Berlin, Leipzig. Das "gelbe Elend" Bautzen oder die Rattenburg- er kannte sie alle, er wusste, wo es die besten Weihnachtspakete gab, wo nur einen Schoko-Nikolaus. Wie die Verpflegung in Fulda war und in Dieburg. Er kannte sie alle, überall hatte er gesessen, aber immer nur 2-3 Monate und immer so eingerichtet, dass er zum Jahresende einfuhr. Für ihn war das anscheinend freie Kost und Logis. Von den Gefangenen hatte er nichts zu befürchten, denn Rumpelstilzchen hatte großen Unterhaltungswert.

Ein Teil der "Geldstrafler" war aber auch recht abgewichst. Da ging es meist um Internetbetrügereien, Prellereien, da war niemals Bereitschaft, einen Cent zu zahlen, und Kurzzeitstrafen hatten ganz offensichtlich keinen Abschreckeffekt-das war eben Berufsrisiko. Die haben dann relativ locker 1-2 Monate abgesessen, weil sie keine Lust hatten, zu bezahlen.

Bei einigen Verurteilten gab es wirklich knallharte Bretter bei meist recht geringfügigen Erst-Vergehen, bei anderen grenzenlose Langmut. Manche konnten es gar nicht erwarten, dass sie es endlich geschafft hatten, zum ersten Mal in den "richtigen Knast", in den "Männerknast" einzufahren. Da war der Knast in der Vorstellung so eine Art Gladiatoren- und Hochschule, und manche angehende Bachelor und Master der Knastologie gerieten dabei ins Schwärmen wie manche alten Herren beim Gedanken an Alt-Heidelberg Knastologie

Bei so manchen erlebnishungrigen Nachwuchs-Möchtegerngangstern kam der Schuss aber auch zu spät, da gab es jahrelang immer nur Verwarnungen, Freizeitarreste, Bewährung, Verlängerung der Bewährung, und irgendwann wäscht kein Regen mehr ab. Dann geht es aber auf einmal nicht mehr um Kleinkram, da geht es dann um einen Raub, ein Ding, das einige Nummern zu groß war, und dann kommt zum Raub noch eine schwere Körperverletzung oder es ist ein Mensch tot oder gelähmt, drei oder vier Familien ruiniert Opfer lebenslänglich traumatisiert und ein Leben verpfuscht, und dann geht es um 6-8 Jahre und mehr, und das ist dann doch eine andere Hausnummer.
 
Es gab nicht den Anspruch, Täter zu bessern. Es gab auch noch keine Freiheitsstrafen, keine Polizei und auch keine Gefängnisse, wo man verurteilte Straftäter hätte unterbringen können. Es gab nicht die Idee einer Resozialisierung.
Richtig. Und auch der humanitär gesonnene Freigeist der Renaissance hätte Dich nur mit großen Augen angeschaut, wenn Du ihm vorgeschlagen hättest, einen Mörder zwanzig Jahre in den Bau zu stecken, anstatt ihn einen Kopf kürzer zu machen.

Das heißt allerdings nicht, dass Haftstrafen gänzlich unbekannt waren; sie waren jedoch nach den Maßstäben der Zeit nur ein "fauler Kompromiss". So verhängten einige oberitalienische Städte Haftstrafen für geringfügigere Vergehen der Bürgerlichen und des Adels, weil ein liberaler Umgang mit Körperstrafen die Akzeptanz ihrer Regierungsform erschüttert hätte. Der Richter, der seinem politischen Gegner die Schwerthand abschlagen lässt? Das wollte niemand.

Also kam der Delinquent ersatzweise in den Turm, und konnte darauf hoffen, dass er nach der nächsten Wahl wieder freikam.
Es ging bei der mittelalterlichen Justiz darum, den gestörten Rechtsfrieden wieder herzustellen.
So ist es. Denn es gab keine allgemein anerkannte weltliche Autorität, die ihre Gebote bereits mit einem Imperativ à la "das tut man nicht" hätte durchsetzen können. Die staatlichen Strukturen waren zu schwach, um einem Untertan das Gefühl zu vermitteln, er könne die eigene Sicherheit und das eigene Recht getrost in die Hände des Staates legen; und das emotionale Band zwischen Herrschern und Beherrschten war zu lose, als dass die Obrigkeit dem Mittel der Furcht hätte entraten können.
Michel Foucault schrieb, dass die mittelalterliche Justiz sich auf den Körper des Delinquenten, die neuzeitliche dagegen auf die Psyche des Täters. Auch der Polizei- und Überwachungsstaat, wie ihn Michel Foucault in "Überwachen und Strafen-Die Geburt des Gefängnisses" so plastisch beschrieben hat, auch dieser moderne Staat hat seine Grausamkeiten, hat seine Widersprüche, hat seine Anachronismen.
Foucault hat seine Schwächen. Als Postmodernist vertrat er radikale und zugleich radikal simplifizierende Vorstellungen einer Gesellschaft, die sich notwendigerweise in Unterdrücker und Unterdrückte teilte. Die Freiheitsstrafe ist letztlich ein Kompromiss, Foucault jedoch sah sie bloß als neueste Iteration obrigkeitlicher Repression.
Im frühen und hohen Mittelalter wurde für Tötungsdelikte meist nur "Wergeld" gezahlt.
Ja, allerdings diente das germanische System der Sühneleistung eher präventiven Zwecken. Man kann es nur begrenzt als Ersatzjustiz verstehen. Sein Hauptzweck lag in der Sicherung des öffentlichen Friedens, das Interesse der Gemeinschaft wurde also über das Interesse des Geschädigten gestellt. Wurde kein Wergeld gezahlt, hätte der Geschädigte Blutrache üben müssen – auf Druck derselben Gesellschaft, die es umgekehrt dem Täter auferlegte, Wergeld zu zahlen.

Es handelte sich um einen Kompromiss, und es wäre vermessen, davon auszugehen, dass er das verletzte Gerechtigkeitsempfinden der Gesellschaft (geschweige denn des Geschädigten) verlässlich heilte. Es sind ja auch Fälle verbürgt, in denen der Geschädigte Wergeld erhielt und früher oder später dennoch Rache übte.
Vielen Dank, @muck, für deine Ausführungen. Allerdings ist das für mich etwas schwer richtig einzuordnen, schließlich geht es hier um einen Zeitraum von 1000 Jahren des Mittelalters, und wenn man noch die ersten Jahrhunderte der Neuzeit hinzunimmt, dann sind das gern 1300 Jahre. Wir sollten schon möglichst genau sagen, auf welche Zeit wir uns bei welchem Fakt beziehen.
Nun, die Carolina ist nicht aus dem Nichts entstanden. Sie synthetisiert ein neues Recht aus bereits bestehenden Normen sowie Reformideen. Mein Dozent war der Ansicht, dass sie als Chiffre für das Recht des deutschen Spätmittelalters gelten kann.
Ich will jetzt nicht auf alles eingehen, aber in Bezug auf Tierprozesse kann man schon sagen: Es hat sie gegeben, denn darüber gibt es in Frankreich Prozessakten.
Ich sehe darin keinen Widerspruch zu dem, was ich geschrieben habe. Im 13. Jahrhundert sind wir bereits so weit, dass alles Handeln von Verwaltung und Justiz schriftliche Spuren hinterlässt. Was steht aber in diesen Prozessakten? @Scorpio's Frage ist berechtigt. Justizirrtümer und Justizmissbräuche können nicht pars pro toto für die Justiz als Ganzes stehen. Der Fall Rupp z.B. bedeutet auch nicht, dass wir hierzulande in einem Unrechtsstaat leben.
Und es gab auch entsprechende Gesetze – siehe Schwabenspiegel (um 1275, Art. 204) in Bezug auf 2. Mose 21, 28-30.
Beziehst Du Dich auf eine bestimmte Edition? Art. CCIV in BSB Cgm 21 behandelt nämlich Fälle von Feldfrevel.
Ohne die im Mittelalter durchgeführten Neuerungen (Inquisition) in der Rechtsprechung, wäre es wahrscheinlich nicht zu dieser verhängnisvollen Verfolgung der Hexen und Hexer gekommen.
Ich bin mir dessen nicht sicher. Hexenverfolgungen gab es auch in protestantischen und calvinistischen Gebieten, und außerhalb Europas (z.B. im Islam). Außerdem fielen die Verfolgungswellen mit gesellschaftlichen Krisen zusammen.
Was du hier betreibst, ist Schönfärberei - bei dir wird die Ausnahme zur Regel. Tausende wurden auf den Scheiterhaufen verbrannt, nicht wenige bei lebendigem Leibe, aber hier sagst du, sie wurden freundlich behandelt. Geht’s noch?
Ist das nicht ein übertriebener Vorwurf? Deine Aussage und die seine passen durchaus zusammen. Der Verurteilte wurde nicht von der Streckbank direkt aufs Blutgerüst geschleift. Ganz abgesehen davon, dass die Folter als Mittel der Wahrheitsfindung eher die Ausnahme als die Regel darstellte, existierte eine Fülle von Vorschriften, die die Zufügung dauerhafter Schäden verboten und Erholungsphasen vorsahen. Wo das Gericht dagegen verstieß, geschah es jedenfalls nicht mit dem Willen des Systems.
Michel Foucault hält die "Geburt des Gefängnisses" keineswegs für einen besonders aufklärerischen oder emanzipatorischen Prozess. Er betont, dass zwar peinlich genau darauf geachtet wurde, Gefangenen keinen körperlichen Schaden zuzufügen (die großzügige Anwendung der Prügelstrafe in Gefängnissen ist eine ganz andere Geschichte), aber sie richtete sich massiv gegen die Psyche des Gefangenen, strebte totale Überwachung und totale Kontrolle über die Körper an- das ging bis dahin, das Gefangenen vorgeschrieben wurde, wann sie ihre Notdurft verrichteten. […] Gefängnisordnungen aus der Zeit des 19. Jahrhunderts atmeten keineswegs sonderlich viel vom Geist der Aufklärung- das war viel eher der Geist eines Polizei- und Überwachungsstaates, dem es letzten Endes darum ging, den Willen und den Geist der Gefangenen zu brechen.

Der Vergleich zwischen dem "Fest der Martern", zwischen der oft barbarischen Strafjustiz des MA und der "Geburt des Gefängnisses" wie Michel Foucault sie in "Überwachen und Strafen" beschreibt, ist ein Vergleich zwischen Pest und Cholera, zwischen Skylla und Charybdis. Die letztere ist sicher die subtilere, aber barbarisch sind sie alle beide.
Wie gesagt, ich halte Foucaults Lesart für übertrieben und den Erkenntnisgewinn aus ihr für begrenzt. Wo ein Schließer für zehn Gewaltverbrecher zuständig ist, kann es durchaus sinnvoll sein, das Leben der Gefangenen zu reglementieren, schon zur Sicherheit des Personals.

Die Freiheitsstrafe ist in erster Linie ein Kompromiss und ein Ausdruck der Selbstbeschränkung von Staat auf Gesellschaft, die Beschränkung auf die strafmäßige Zufügung eines Übels, das im Zweifelsfall zumindest korrigiert werden kann. Eine abgeschlagene Hand kann man nicht wieder annähen, den zu Unrecht wegen Meineids Bestraften aber sehr wohl freilassen und entschädigen.

Die Aufklärer und späteren Abolitionisten meinten auch, der Staat dürfe nicht auf das Niveau der Verurteilten herabsinken; noch so ein diskussionswürdiges Argument, denn wer z.B. keinen Unterschied zwischen einem Mord aus Habgier und der staatlich sanktionierten Hinrichtung des Mörders machen will, muss eigentlich konsequenterweise jede Form der Strafe ablehnen, die gegen den Willen des Verurteilten verhängt wird.

Foucault wird in seinen Ausführungen der Bedeutung der Tatsache nicht gerecht, dass die Gesellschaften des 19. und 20. Jahrhunderts peu à peu entschieden, wegen grundlegender Bedenken auf historisch gewachsene und gesellschaftlich akzeptierte Sanktionen zu verzichten. In Großbritannien bspw. könnte die Todesstrafe schon morgen per Volksentscheid wieder eingeführt werden, die Befürworter kratzen in Umfragen seit Jahren regelmäßig an der Mehrheit. Dennoch: Verzicht!

Das ist ein bemerkenswerter, aber auch konfliktträchtiger Fortschritt.

Um ein besonders eindrückliches Beispiel zu nehmen: Erinnert Ihr Euch an den Fall der Studentin, die in Delhi von mehreren Männern vergewaltigt und regelrecht ausgeweidet wurde, woran sie nach zweiwöchigem Martyrium verstarb? Will irgendwer ernsthaft behaupten, dass die Täter die gegen sie verhängte Todesstrafe nicht voll und ganz verdient hatten? Und wenn jemand dies ernsthaft behaupten will, stellt er damit nicht die eigenen Moralvorstellungen über denkbar größtes Leid und den (vom Opfer und seinen Eltern geäußerten) Wunsch nach Vergeltung?

Soll heißen, diese Güterabwägung ist ein viel zu bemerkenswerter Vorgang, als dass man ihn derart reduzieren könnte, wie Foucault es in 'Überwachen und Strafen' und 'Die Strafgesellschaft' getan hat.
 
Vielen Dank, @muck, für deine Ausführungen. Allerdings ist das für mich etwas schwer richtig einzuordnen, schließlich geht es hier um einen Zeitraum von 1000 Jahren des Mittelalters, und wenn man noch die ersten Jahrhunderte der Neuzeit hinzunimmt, dann sind das gern 1300 Jahre. Wir sollten schon möglichst genau sagen, auf welche Zeit wir uns bei welchem Fakt beziehen.

Ich will jetzt nicht auf alles eingehen, aber in Bezug auf Tierprozesse kann man schon sagen: Es hat sie gegeben, denn darüber gibt es in Frankreich Prozessakten. Und es gab auch entsprechende Gesetze – siehe Schwabenspiegel (um 1275, Art. 204) in Bezug auf 2. Mose 21, 28-30.

Das ist ein Versuch, die Tätigkeiten des Dominikanerordens zu relativieren bzw. die Verantwortung dafür auf sog. schwarze Schafe abzuwälzen. Nein, der Dominikanerorden wurde vom Papst Gregor IX. beauftragt, Häretiker zu verfolgen. Wenig später durften auch die Franziskaner mithelfen.

Für dich wiederhole ich gerne, was ich schon mal in diesem Forum schrieb:

Ohne die im Mittelalter durchgeführten Neuerungen (Inquisition) in der Rechtsprechung, wäre es wahrscheinlich nicht zu dieser verhängnisvollen Verfolgung der Hexen und Hexer gekommen.

Ad 1) Theresa C, und die Dominikaner.

Die Dominikaner waren schon sehr stark in der Häretiker-Verfolgung tätig, Jakob von Hogstraaten, Bernado Gui, Tomas de Torquemada und Heinrich Kramer Institoris waren Dominikaner. Wenn @Theresa C. sagt, dass du lieber konkrete Namen nennen solltest, statt dem ganzen Orden zu diffamieren, dann hat sie mit keinem Wort die Verfehlungen von Tätern wie Kramer, Torquemada oder Hoogstraten relativiert.

Wenn sie sagt, dass man nicht den ganzen Orden diskreditieren kann, dass der Dominikanerorden auch sympathischere Charaktere als Googstraten, Kramer, Gui oder Torquemada. dann ist das eine korrekte Feststellung, aber keine Relativierung. Es gab von den Dominikanern durchaus auch Projekte zum Schutz der Indigenen Bevölkerung in Lateinamerika.

Einer bekannter Dominikaner war zum Beispiel Bartolomé de Las Casas der in seinem Geschichtswerk auf Massaker an Indianern einging, der auch in der Konvention von Valladolid für sie Partei ergriff.

ad 2) Ohne die im Mittelalter durchgeführten Neuerungen in der Rechtsprechung (Inquisition) hätte es nicht,.....

Ohne die im Mittelalter entwickelte Verschwörungstheorie des Hexenpaktes und der Hexensekte hätte es vermutlich keinen Hexenwahn gegeben.
Die Kirche hat über Jahrhunderte Hexenpakt und Hexenflug für Aberglauben gehalten.

Kramer hat zunächst erfolglos versucht, eine Hexenverfolgung zu organisieren, da hat man ihn noch für verrückt gehalten, es hagelte Beschwerden. Es gab die ersten Verfolgungen in Savoyen, in Frankreich, in Italien. Es gab Hexenverfolgungen im Mittelalter.

Die großen Verfolgungswellen in Deutschland, Frankreich und der Schweiz, in Schottland waren aber ein Phänomen vor allem der Neuzeit, und da gibt es große Schwankungen. Auf der iberischen Halbinsel gab es wenige Prozesse, in Irland gab es nur vier. In England und Wales wenige, in den Flächenstaaten im Reich wenige Verfolgungen, in den Freien Reichsstädten mit Ausnahme von Nördlingen fast keine Verfolgungen.

Wenn es angeblich an den Justizreformen im MA lag, warum dann dieses extreme Ungleichgewicht, die Rezeption des Römischen Rechts geschah ja wohl in ganz Europa?

Da müssen ja wohl noch einige andere Faktoren eine Rolle gespielt haben. Könnte das vielleicht auch an Wetter-, Klimakatastrophen, Missernten, Teuerungen zu tun haben?

Die Spanische Inquisition hat Leichen reichlich im Keller und eine furchtbare Bilanz-Hexen gehen aber nicht auf ihr Konto. Die Spanische Inquisition lehnte den Hexenpakt und Hexensekte ab. In einer Stadt in Spanien hat die Inquisition sogar mal eine Verfolgung gestoppt. Die Römische Inquisition hielt Hexerei für möglich, verlangte aber konkrete Fälle von Schadenzauber, sie erlaubte keine anonymen Denunziationen. Während der Zeit der großen Verfolgungswellen gab es in Rom keine einzige Exekution, und die Römische Inquisition urteilte milder, als jedes geistliche oder weltliche Gericht nördlich der Alpen.

Ohne die im Mittelalter durchgeführten Neuerungen hätte es vermutlich auch keinen Humanismus und keine Renaissance gegeben. Die Voraussetzungen für die Renaissance wurden im Mittelalter gelegt, Es war das ausgehende Mittelalter, dass die Scholastik überwand. Es hätte die Constitutio Criminalis Bambergensis ebenso wenig gegeben wie die Carolina, es hätte vermutlich auch keine Acta Habeas Corpus gegeben, keine Magna Charta und natürlich auch keine Reichstage oder Landtage.
 
Ich habe viele sehr sympathische Gauner aus aller Welt kennengelernt, bei vielen Typen, durchaus nicht unbedingt unsympathisch, da bin ich aber auch ganz froh, dass die hinter Schloss und Riegel sitzen, dass die Menschheit vor ihnen sicher ist.
Ich hatte mehrmals mit einem in Untersuchungshaft sitzenden jungen Mann zu tun. Er wirkte auf den ersten Blick eigentlich ganz sympathisch und machte auch einen durchaus vernünftigen Eindruck. Sein einziges Thema war allerdings seine Freundin: Will sie eh noch mit ihm zusammensein? Wird sie auf ihn warten? Etc. Ich hätte fast Mitleid mit ihm haben können. Aber nur fast. Der Grund, weshalb er in U-Haft saß, war nämlich, dass er eben diese ach so innig geliebte Freundin zum wiederholten Male krankenhausreif geschlagen hatte. Also statt Mitleid nur die Erwägung: Solange er hinter Gittern sitzt, ist sie wenigstens vor ihm sicher. Wenn er länger sitzt, schafft sie es vielleicht sogar, sich von ihm zu lösen.
 
Die Aufklärung hat zweifellos auch humanen Einfluss auf die Justiz ausgeübt, in einigen Fürstentümern kann man Ende des 18. Jahrhunderts durchaus von einer de facto Abschaffung sprechen, es gab keine Exekutionen, aber kein Fürst oder König der Epoche, und auch nicht Napoleon hat eine Abschaffung der Todesstrafe durchgesetzt
Kaiser Joseph II. schaffte die Todesstrafe außer im Standrecht ab. (§ 20 des "Allgemeinen Gesetzbuches über Verbrechen und derselben Bestrafung" von 1787: "Die Todesstrafe soll außer den Verbrechen, bey welchen nach dem Gesetze mit Standrecht verfahren werden muß, nicht Statt finden.")

Ausschlaggebend für Kritik an und eine Zurückdrängung der Todesstrafe waren meist allerdings nicht "humane", sondern utilitaristische Erwägungen.
 
Kaiser Joseph II. schaffte die Todesstrafe außer im Standrecht ab. (§ 20 des "Allgemeinen Gesetzbuches über Verbrechen und derselben Bestrafung" von 1787: "Die Todesstrafe soll außer den Verbrechen, bey welchen nach dem Gesetze mit Standrecht verfahren werden muß, nicht Statt finden.")

Ausschlaggebend für Kritik an und eine Zurückdrängung der Todesstrafe waren meist allerdings nicht "humane", sondern utilitaristische Erwägungen.

Landgraf Friedrich II. von Hessen-Kassel verfasste eine Art "Fürstenspiegel", den er auch an Voltaire schickte, in dem er sich für die Abschaffung der Todesstrafe aussprach. Die Folter wurde in Hessen-Kassel erst unter seinem Sohn, Wilhelm IX. um 1785 (?) abgeschafft, wurde aber schon unter Friedrich II. kaum noch angewendet.

Der Pfarrer Schöll, der mit dem Amtmann Schäffer aus Sulz/Neckar befreundet war und einen "Aktenmäßigen Bericht" über den Banditen Konstanzer Hans verfasste, hat anderswo mal eine Statistik zusammengetragen über Exekutionen in Süd- und Südwest-Deutschland. Da kamen dann doch immer noch eine stattliche Zahl von Exekutionen zusammen. Insgesamt aber waren sie doch stark rückläufig verglichen mit Zahlen aus der 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts.

Insgesamt lässt sich durchaus auch ein Trend ablesen, dass im 18. Jhd. mit der Abnahme der Folter, der Abnahme von grausamen Strafritualen auch eine Abnahme von Gewaltdelikten und Morden sich beobachten lässt. Die Methoden, mit denen Räuber wie Hannikel oder der Große Galantho ihre Opfer traktierten, glich durchaus den Foltermethoden die gegen Banditen angewendet wurden. Mancher Bandit wiederholte an seinen Opfern, was zuvor ein Henkersknecht an ihm selbst erprobt hatte.

Wenn aber insgesamt in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts deutlich weniger Exekutionen stattfanden, in einigen kleineren Herrschaften durchaus von einer de facto Abschaffung der Todesstrafe gesprochen werden kann, so lag das nicht nur am humanitären Einfluss des Gedankenguts der Aufklärung, sondern mehr noch an der Tatsache, dass Hinrichtungen einen beträchtlichen administrativen und finanziellen Aufwand bedeuteten.



Eine Hinrichtung war ja eben auch mit nicht unerheblichen Kosten verbunden. Die Richter und Schöffen mussten bezahlt werden, die Handwerker, die den Galgen bauten, der Scharfrichter und seine Gehilfen, der Stadtphysikus, der Barbier, der der den Delinquenten rasierte, die Handwerker, die Bäcker, Metzger und Stellmacher, sie mussten alle mitwirken, und sie alle hielten dafür die Hand auf.

In Kitzingen mussten 365 1/2 Männer -so viele wie Tage im Jahr-am Bau des Galgens mitwirken und den Schutz des Gerichtes garantieren. Als "halber Mann" fungierte ein Stadtmusikant. Man könnte fast sagen, dass eine Hinrichtung eine Wirtschaftsförderung des ansässigen Handwerks darstellte.

1727 kamen bei einer Exekution im Zent Hammelburg einiges zusammen: Schöffengelder waren zu zahlen, Wachtmeister und Tambour erhielten Geld, der Maurermeister, der den Galgen instand setzte, der Tischler, der den Stuhl anfertigte, auf dem der Delinquent saß, der Schreiner, der den Sarg machte, der Seiler, der den Strick bereitstellte, ebenso der Schlosser und der Stellmacher. Der Buchbinder, der die Akten heftete, durfte nicht vergessen werden, auch nicht der Oberförster, der das Holz bereitstellte, der Stadtphysikus, der den Tod feststellte oder der Barbier, der den "armen Sünder" rasierte. Sie alle hielten die Hand auf, und diese Summen addierten sich schließlich auf den stattlichen Betrag von 410 fl.

410 Gulden wohlgemerkt, um einen Vaganten in die ewigen Jagdgründe zu schicken. Diese Kosten scheute man, man wollte diesen Aufwand nicht treiben, nur um Poenal-Patente des Fränkischen Kreises zu erfüllen.

Diesen Aufwand aber betrieb man nicht, um einen kleinen Gauner ins Jenseits zu befördern. In vielen Fürstentümern und Gerichtsbezirken fanden im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts deutlich weniger oder auch gar keine Exekutionen statt. Sicher wird man da auch einen Einfluss der Aufklärung konstatieren können, vor allem aber
 
Vielen Dank, @muck, .




5. Mit der Bulle „Summis desiderantes affectibus“ des Papstes Innozenz VIII. wird im Jahre 1484 die bisher auf Ketzer beschränkte Verfolgung auf Hexen ausgeweitet, was erst die folgenden Hexenprozesse ermöglichte und gleichzeitig rechtfertigte.

Wie man sieht, hat sich das langsam entwickelt - bis Papst Innozenz VIII. kam und Feuer legte. Die durch ihn entfachten Brände brannten danach 300 Jahre lang; sie endeten erst mit der Aufklärung.
Das hatte man der Aufklärung zu verdanken

Was du hier betreibst, ist Schönfärberei - bei dir wird die Ausnahme zur Regel. Tausende wurden auf den Scheiterhaufen verbrannt, nicht wenige bei lebendigem Leibe, aber hier sagst du, sie wurden freundlich behandelt. Geht’s noch?

Ad 1) Innozenz VIII. und die Hexenverfolgung


Die Vorstellung einer Hexensekte, die sich aus Hexen, Ketzern und Juden rekrutierte, die Idee von Teufelspakt und Hexenflug, das war durchaus schon vor Innozenz VIII. ausgeformt. Die ersten Verfolgungswellen mit ca. 200 Opfern fanden zwischen 1420 und 1460 in Savoyen, Oberitalien, im Wallis und Frankreich statt.

Kaiser Friedrich II. erließ 1220 und 1238 Gesetze, nach denen Ketzerei als Majestätsverbrechen interpretiert wurde. Dabei konnte die Folter eingesetzt werden, es waren Denunziationen zugelassen, und Ketzerei wurde mit dem Feuertod und Gütereinziehung bestraft.

Diese Vorstellungen waren bereits im 13. Jahrhundert ausgeformt, und in Prozessakten gegen Katharer, Waldenser und Albingenser finden sich Zeichnungen von Frauen, die auf Besen durch die Luft reiten, bei denen aber kein Hexen, sondern Katharerinnen und Waldenserinnen abgebildet wurden. Eine weitere Verschärfung war die Vorstellung eine processus extraordinarius eines außerordentlichen Prozesses, bei dem kein Ankläger auftreten musste, bei dem Denunziationen zugelassen war und auch die Aussagen von Kindern, Geisteskranken, Verbrechern und Komplizen zugelassen waren. Hauptanklagepunkt war nicht mehr Schadenszauber sondern Mitgliedschaft in einer terroristischen, häretischen Vereinigung,

Das war etwas, das sich bereits im Zuge der Ketzerverfolgungen im 13 und 14. Jahrhundert entwickelt und ausgeformt hatte, und die ersten Prozesse in F, Savoyen, im Wallis und Oberitalien fanden lange vor dem Pontifikat von Innozenz VIII. statt. Die Begründung und Rechtfertigung dafür wurde begründet mit der Vorstellung der Hexerei als eines unerhörten Ausnahmeverbrechens eines Crimen exceptum.

Das war auch keine langsame Entwicklung, sondern es hat sich diese Verschwörungstheorie innerhalb eines kurzen Zeitraums innerhalb einer Generation zwischen 1420-1460 durchgesetzt. Eine treibende Kraft dabei ging nicht zuletzt von Juristen aus. Schon vor Innozenz VIII. kam es zu ersten Prozessen im Wallis, Savoyen und Oberitalien mit etwas 200 Opfern.
Die "Hexenbulle" von Innozenz VII. hat nicht Innozenz, sondern Heinrich Kramer Institoris verfasst. Einige Autoren haben Zweifel, ob Innozenz das überhaupt jemals gelesen hat.

Er hat sie aber unterzeichnet, und er hat damit Kramers Autorität erheblich gestärkt, er hat damit die Vorstellung von Hexenpakt, Hexenflug und Hexensekte zur Lehrmeinung der Kirche gemacht- eine Vorstellung, die die Kirche über Jahrhunderte als Aberglauben verworfen hat.

Das Gutachten der Universität Köln, das Kramer seinem Hexenhammer voranstellte, war gefälscht. Tatsächlich haben sich die Dozenten sehr zurückgehalten über Kramers Buch geäußert.

Ausgerüstet mit dem Gutachten und der Hexenbulle ging dann Kramer Institoris auf die Hexenjagd. Seine erste Station war Tirol. Er fiel dort äußerst unangenehm auf mit sexualisierten Fragen, es hagelte Proteste, und der Bischof von Brixen Golser komplimentierte ihn aus dem Land und sagte öffentlich, dass der Mann seiner Ansicht nach sie nicht mehr alle hat. In Ravensburg hatte er etwas mehr Erfolg, es gelang ihm, zwei Frauen auf den Scheiterhaufen zu bringen.

Als ein mäßig erfolgreicher Hexenjäger schrieb er dann den Hexenhammer. Die Rezensionen waren ebenfalls eher mäßig. Man hielt sein Buch für problematisch und nicht für Laien geeignet.

Wenn man sich die Chronologie der Hexenverfolgung ansieht, zeigt sich, dass der Hexenhammer keineswegs dazu führte, dass sofort ganz Europa Feuer und Flamme für die Hexenverfolgung war. Europa hatte ganz andere Probleme und war zunächst mal beschäftigt mit Bauernaufständen, Bauernkriegen und der Reformation. Ab 1520 flaute die Hexenverfolgung ab, es gab von 1520-1560 wenige Verfolgungen, um dann in der Zeit von 1560 bis 1630 zu explodieren. In dieser Zeit erst wurde der Hexenhammer, der fast ein Menschenalter lang wenig Beachtung fand, immer wieder neu aufgelegt.

Der Hexenhammer an sich, war nicht besonders innovativ, er hat nicht die Verschwörungstheorie von Hexenflug und Hexenpakt, von Teufelsverschwörung entwickelt, sondern er hat bereits bestehende Verschwörungstheorien gesammelt und zusammengefasst und er enthielt, äußerst radikale, Handlungsanweisungen für Hexenverfolger.

Was diesem Buch zu seiner Bedeutung verhalf, das war vor allem das neue Medium des Buchdrucks. Die Bulle von Innozenz VIII. und das gefälschte Gutachten der Universität zu Köln das hat Institoris natürlich sehr große Autorität verschafft. Damit, dass Innozenz VIII. seine Unterschrift darunter setzte, hat Innozenz die Verschwörungstheorie von Hexenflug, Hexenpakt und Hexensekte anerkannt und zur Lehrmeinung aufgewertet.

Die Kirchen und ihre Vertreter beider Konfession haben insgesamt wenig dazu beigetragen, dem Hexenwahn zu widersprechen oder Widerstand entgegenzusetzen- Im Gegenteil! Die meisten von ihnen waren selbst davon befallen. Luther wie Calvin glaubten an Hexen, wenn Luther so richtig getankt hatte, hätte er in seinen Tischgesprächen und in der Phantasie am liebsten selbst Hand angelegt. Er übersetzte die Zauberer mit die Zauberinnen, und wie Juristen haben auch Theologen und Geistliche viel dazu beigetragen die Hexenverfolgung zu schüren.

Es brauchte aber keinen Heinrich Kramer, um auf die Verschwörungstheorie von Hexenwahn, Hexenpakt und Hexensekte zu kommen, er hat das alles was vorhanden war, was dazu veröffentlicht wurde, gesammelt, und er hat es extrem auf die Spitze getrieben. Es wäre aber ein Wunder gewesen, wenn an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit ein solches Buch nicht geschrieben worden wäre.

Es brauchte auch keinen Papst, um Ketzergesetze zu verfassen, Friedrich II. kam da schon von alleine drauf, vielleicht haben ihm Juristen aus Bologna oder Salerno dabei geholfen- aber dazu brauchte er den Papst nicht und auch keine Hexenbulle-was für ein Quatsch!


An den ersten Prozessen im Elsass, im Wallis, Savoyen und Oberitalien waren tatsächlich noch Inquisitoren beteiligt, die Hexenverfolgung hat aber nicht die Inquisition geführt, sondern Geistliche und weltliche Obrigkeiten. Die Prozesse geschahen vielfach auf Druck von unten, auf Klagen der Bevölkerung, auf Klagen auch, dass die Obrigkeiten viel zu lasch seien.

Hexenprozesse gab es die ersten im Spätmittelalter etwa von 1420-1460 das sind insgesamt 200 Opfer.

Es kam dann in der Zeit von 1560-1620 zu einer starken Verfolgungswelle, der ein Abflauen folgte, und dann um 1640 noch einmal zu einer Verfolgungswelle, der dann ein abruptes Abflauen folgte.

Es kam immer wieder zu vereinzelten Prozessen, auch um 1680 zu regionalen Verfolgungen: Die Zauber-Jackl-Prozesse in Österreich, die Hexenverfolgung in Salem Massachusetts. Nach 1700 findet man nur noch sporadisch und selten Hexenprozesse 1775 die letzte Exekution im Reich und 1782 in Glarus in der Schweiz.

Es waren nicht alle Regionen Europas gleichermaßen betroffen, Kernzonen waren Deutschland, Frankreich und die Schweiz, Irland, Russland, die iberische Halbinsel waren kaum betroffen, GB, mit Ausnahme von Schottland war wenig betroffen, ebenso Skandinavien, Italien. Auch im Reich sind die Zahlen schwankend. Es war keineswegs so, dass 300 Jahre in ganz Europa dauernd die Scheiterhaufen brannten.

Hexenverfolgungen in Europa konzentrieren sich auf bestimmte Regionen und bestimmte Jahre: 1420-1460 vereinzelte Prozesse in Savoyen, im Wallis, Elsass und Oberitalien. Zwischen 1560-1660 erreichte der Hexenwahn seinen Höhepunkt und flaute danach ab. 1560-1620 Starke Verfolgungen in Kurköln, Kurmainz und Kurtrier, in Mecklenburg, Thüringen, Teilen von Hessen, eine enorme Verfolgungswelle in Bamberg und Würzburg und Eichstätt um 1620 und 1640, in den 1660er Jahren Verfolgungen in Schottland, die Zauber-Jackl Prozesse in Österreich und 1692 in Salem Massachusetts, danach traten nur noch vereinzelt Hexenprozesse auf.

Es gab aber ganze Regionen, in denen mehrere Generationen überhaupt keine Prozesse erlebten, In vielen Freien Reichsstädten hat es kaum oder nie Hexenverfolgungen gegeben. Eine Ausnahme war Nördlingen. In den Niederlanden wurde seit 1605 keine einzige Hexe mehr hingerichtet.
 
In Bezug auf Tierprozesse habe ich auf die Schnelle diese 2 Dokumente gefunden:

Ein Zeitzeichen-Podcast des WDR Todesurteil für einen eierlegenden Hahn, in die mehrere dokumentierten Prozesse gegen Tiere in der Schweiz und Frankreich erwähnt werden.

Und dann ein Interview mit dem Ferdinand Leuxner, Historiker und Kurator der Ausstellung im Kultur- und Stadthistorischen Museum Duisburg, über „Prozesse gegen Tiere im Mittelalter“: Schwein und Hund auf der Anklagebank

Ansonsten: Seit meinem Posting vom letzten Freitag sind hier fast nur Beiträge erschienen, die die barbarische Praxis der Hexenprozesse zu relativieren oder zu rechtfertigen versuchten. Als Gipfel dieser Versuche werte ich die Bemerkung, das vor allem der Buchdruck schuld sei, dass in der frühen Neuzeit so viele Hexenprozesse stattfanden.

Aber bezeichnenderweise kein Wort zu Capitulato de Partibus Saxoniae, wo u.a. auch auf Hexen eingegangen wird.

Bei uns, in Europa, hielten sich heidnische Riten trotz der drakonischen Strafen das ganze Mittelalter hindurch – siehe z.B. Walpurgnisnacht –, sonst würde die Bulle „Summis desiderantes affectibus“ des Papstes Innozenz VIII. im Jahre 1484 keinen Sinn ergeben.
 
Aufgrund Überlänge 2 Beiträge:
Ansonsten: Seit meinem Posting vom letzten Freitag sind hier fast nur Beiträge erschienen, die die barbarische Praxis der Hexenprozesse zu relativieren oder zu rechtfertigen versuchten.
Sorry, aber ich lese keinen einzigen Beitrag, der Hexenprozesse relativiert oder gar rechtfertigt.
Was man als Relativierung lesen könnte, wären Beiträge, in denen darauf aufmerksam gemacht wird, dass das was wir unter Inquisition subsummieren nicht der subsummierte Einheitsbrei ist oder Beiträge, welche auf die Folterpraxis und -funktion eingehen, aber das ist keine Rechtfertigung und letztlich eine Relativierung in dem Sinne, als dass eine falsche Vorstellung vorherrscht:

Die falsche Vorstellung: Wer einmal in die Fänge der Inquisition geriet, der kam da nicht wieder hinaus. Und das stimmt eben nicht. Siehe das Beispiel von dem bekannten Inquisitor Bernard Gui, von dem 900 Prozesse überliefert sind, aber lediglich 40 mit der Todesstrafe endeten.

Da legen sich verschiedene Überlieferungsstränge übereinander:
  • eine antikatholische protestantische Geschichtsschreibung
  • eine antikatholische anglikanische Geschichtsschreibung
  • eine antichristliche marxistische Geschichtsschreibung
  • eine antichristliche nationalsozialistische Geschichtsschreibung
Diesen Strängen ist bzgl. der Hexenverfolgung ein weiterer Strang hinzuzufügen
  • eine katholische, der Hexenverfolgung kritisch gegenüberstehende Geschichtsschreibung
Um das eine mal festzuhalten: Die Hexenverfolgung wird zwar auch Inquisition genannt, das liegt aber daran, dass inquaerere befragen'; 'untersuchen' bedeutet. Die Inquisition ist also zunächst einmal die befragende/untersuchende Behörde. Nichts weiter. Da unterscheiden wir zwischen der mittelalterlichen Inquisition (Katharerverfolgung), der frühneuzeitichen römischen Inquisition und der spanischen Inquisition.

Die spanische Inquisition diente in erster Linie dazu, die Untertanen der spanischen Krone religiös zu homogenisieren. Ihr fielen mehrere zehntausend Menschen in Spanien und Portugal zum Opfer, in erster Linie Menschen, die verdächtigt wurden, unter christlichem Gewand heimlich jüdische oder muslimische Riten zu praktizieren. Sie gilt völlig zu recht als brutal.

Die zeitgleiche römische Inquisition agierte ganz anders. Es kam von Seiten der christlichen Bevölkerung mehrfach zu Beschwerden, dass die Inquisition Juden vor christlichen Übergriffen schützte. Es nimmt daher nicht wunder, dass die Juden in Rom sich der Engelsburg gegenüberliegend ansiedelten.

Die Hexenverfolgung bediente sich etwa der Methoden der Inquisition, hielt sich aber nicht an die Regeln, oft wurden hier fundamentale Rechtsbrüche begangen.

Kommen wir zum Thema der Folter.
Du behauptetest, dass es zu Relativierungen und Rechtfertigungen gekommen sei. Es wurde darauf hingewiesen, dass nicht bei jeder Delinquentenbefragung gefoltert wurde und Folter wurde als Mittel der Wahrheitsfindung anerkannt.
Tatsächlich war auch den Inquisitoren klar, dass man unter Folter jedes Geständnis herauspressen konnte. Und das war ein Dilemma, denn die Folter war nun mal ein Mittel der Wahrheitsfindung, in einer Zeit, als man - außer Zeugenaussagen - keine anderen Mittel der Wahrheitsfindung kannte. Daher hatte die Befragung von Beklagten mehrere Stufen:
Zunächst einmal befragte man die Beklagten. Dann zeigte man ihnen die Folterinstrumente und befragte sie erneut. Dann folterte man sie und befragte sie unter der Folter (peinliche Befragung) und schließlich befragte man sie erneut, um sicher zu gehen, dass unter Folter gemachte Geständnisse auch Bestand haben würden. Wenn der Delinquent etwas auszusagen hatte, so das Kalkül, würde er es spätestens unter der Folter preisgegeben haben und man hätte für die letzte Befragung hinreichend belastendes Material, das man etwa Fakten erführe, die man vorher nicht kannte.
Es musste also nicht zur Folter kommen und unter Folter gemachte Geständnisse wurden in einer weiteren Befragung überprüft.
Wenn jetzt aber befunden wurde, dass jemand unschuldig war und zu Unrecht beschuldigt und gar gefoltert wurde, so musste derjenige aus der Haft entlassen werden: Die Scharfrichter - die eben auch für Folter zuständig waren - waren daher sehr erfahren darin, Folteropfer auch wieder zusammenzuflicken. Wir haben aus verschiedenen Städten die Beschwerden der Bader ('Ärzte') an die Stadträte, dass die Bevölkerung den (heimlichen) Gang zum (unehrlichen) Scharfrichter dem Gang zum Bader vorziehen würde. Du weißt, dass mittelalterliche Städte nach Zünften/Gaffeln/Gilden organisiert waren, also nicht jeder jedes Geschäftsmodell, das ihm gerade in den Sinn kam, bedienen durfte. Die Aufgaben der Scharfrichter waren: Todes- und Körperstrafen umzusetzen, Folter, die Beaufsichtigung der Prostitution und das Entsorgen von Kadavern, etwa verendeter Tiere. Nicht zu ihren Aufgaben gehörte die medizinische Versorgung - außer eben von freigesprochenen Folteropfern. Sie waren aber die erfahrendsten Wundversorger, da ja der unschuldig Delinquent funktionsfähig in die Freiheit entlassen werden musste.

Sprechen wir an dieser Stelle noch ein wenig über Chronologie: In den letzten 140 Jahren hat sich sehr viel in der Forensik getan. Das hat die Folter zur Wahrheitsfindung unnötig werden lassen - gleichwohl gibt es jede Menge Menschen, die Folter bzw. Marter, das geht durcheinander, befürworten. (Folter: Untersuchungsmethode, Marter: Körperstrafe). Wir brauchen heute keine Folter mehr, zumal diese als Methode der Wahrheitsfindung sehr unzuverlässig ist. Letztlich ist ein unter Folter gemachtes Geständnis nichts wert, da ein erzwungenes Geständnis oft ein falsches Geständnis ist. Folter widerspricht fundamentalen Menschenrechten auf körperliche Unversehrtheit Und ich möchte mal behaupten, dass die Mehrheit der Menschen in unserem Land gegen Folter und Marter ist.
(Die Frage ist halt, wann dieses Dagegensein bröckelt. Vor einigen Jahren hat ein Polizeikommissar einem Entführer mit Folter gedroht, wenn er nicht presigäbe, wo das entführte Kind versteckt sei (das ist auch verfilmt worden oder hat zumindest eine Verfilmung angeregt).
Mit Folter hätte er vermutlich schneller den Ort herausgefunden, wo das Kind versteckt war.
Aber wenn man nun ein fundamentales Menschenrecht bricht, wo zieht man die Grenze?)


Wenn wir also aus der Gegenwart auf die Methoden der Wahrheitsfindung schauen, wie sie der Inquisition zur Verfügung standen, wenden wir uns mit Grausen ab. Zumindest wenn wir psychisch gesund sind.
Als Historiker müssen wir uns aber fragen, was vorm Inquisitionsprozess war. Und da galt eben das Recht des Stärkeren. Vulgo Gottesurteil.
  • war man satisfaktionsfähig
  • war man der geschicktere Kämpfer
  • konnte man sich ggf. einen Kämpfer leisten
Vorm Inquisitionsprozess (und faktisch auch währenddessen, wegen der Gleichzeitigfkeit des Ungleichzeitigen), gab es das Gottesurteil. Das Gottesurteil bestand im Prinzip in verschiedenen Proben, und je nachdem wie die Probe ausging, galt man eben als schuldig oder unschuldig.
Für den Adel wurde das Gottesurteil oft in Zweikämpfen ausgetragen, wobei es einen begrenzten Kampfplatz gab, der nicht verlassen werden durfte, bis das Urteil durch "göttlichen Schiedsspruch" gefällt war. Die Proben für Nichtadelige konnten anders ausfallen. Im SpätMA - deshalb sprach ich von der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen - wurden solche Zweikämpfe auch oft von Bürgern ausgetragen und - dabei dann auch Stellvertreter eingesetzt, es gab Kämpfer, die ihren Lebensunterhalt damit verdienten. Also wenn etwa ein reicher Patrizier sich einen Berufskämpfer leisten konnte, der arme Bürger aus der Vorstadt aber nicht, standen die Chancen ziemlich schlecht für den Vorstädter.
Gottesurteile endeten oft tödlich.

Mir müssen bei allem Grausen, dass wir gegenüber der Inquisition als psychisch gesunde Menschen verspüren, doch eingestehen, dass das "Gottesurteil" - das letztlich auf dem Recht des Stärkeren, Zufall und Willkürlichkeit basierte - von einem rationalem Modell, das sich seiner Schwächen bewusst war, verdrängt wurde. Hier galt eben nicht mehr das Recht des Stärkeren und der Beschuldigte hatte das Recht auf Freispruch ohne, durch eine Gottesurteil genannte Probe zu müssen und wieder in den Zustand vor der peinlichen Befragung (zu der es nicht zwangsläufig kam) zurückversetzt zu werden (was selbstverständlich auch beim besten Heiler in der Praxis ein Ding der Unmöglichkeit ist, unbestritten).

Um eine angemessene Beurteilung dessen zu finden, müssen wir uns eben von den Klischees lösen, die uns protestantische, anglikanische, marxistische und nationalsozialistische Autoren 400 Jahre lang eingeimpft haben und uns eben das Vorher und das Nachher ansehen.
 
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