... die heute so gängige Vorstellung, dass männliche Homosexualität eine Sache für zwei ungefähr gleichaltrige erwachsene Männer wäre, steht also ziemlich im Gegensatz zu den damals üblichen Verhältnissen.
Im Lexikon (aaO, S. 279) steht:
In Griechenland unterhielten Männer, die zeitlich begrenzte sexuelle Beziehungen mit Knaben (zw. 12 und ca. 18 Jahren) eingingen, i.d.R. auch heterosexuelle Beziehungen, während die ausschließlich gleichgeschlechtliche Liebe zw. erwachsenen Männern verpönt war.
Ich vermag nicht abzuschätzen, ob das Verpönte nicht trotzdem breiteren Raum einnahm - Daten gibt's dazu leider keine.
... Verhältnis zwischen älterem und jüngerem Partner in der Konstellation des Förderers/Weisen/Genies/Künstlers zu seinem Schützling und/oder seiner Muse...
Zur Frage, warum solche Verhältnisse/Beziehungen in Griechenland relativ weit verbreitet waren, hat Morus (Weltgeschichte der Sexualität, TB-Ausgabe, S. 57) einige psychologisch-soziologische Erklärungen diskutiert (siehe oben den Hinweis von Muspili):
1. Die sexuelle Zuwendung der Erwachsenen zu Heranwachsenden könnte durch ein Schönheitsideal hervorgerufen sein, dem die schlanken Körper von Knaben (Epheben) am nächsten kamen.
2. Aber was kann, umgekehrt gesehen, der Grund dafür sein, dass sich Knaben "ohne Ekel ... dem Umgang mit viel älteren Menschen des gleichen Geschlechts hingaben"?
Hier kommt das Argument ins Spiel, dass eine Art von "Zwang" [1] vorlag, "der unter dem Deckmantel des Erziehung jungen Leuten auferlegt und ihnen durch materielle Vorteile, durch Geschenke, durch ein bequemeres Leben, als sie es zu Hause hatten, durch die Aussicht auf eine glänzende Karriere versüßt wurde. ... Die Jungen fanden sich geschmeichelt, daß ältere und einflußreiche Männer sie so kameradschaftlich behandelten, daß sie nicht, wie von ihrem Vater oder von ihrem Lehrherrn, als Lausbuben angesehen wurden, sondern als vollgültige Mitglieder eines Freundeskreises. Unter diesen Umständen kamen junge Leute dahin, nachts einen physisch so abstoßenden Mann wie Sokrates zärtlich zu umarmen und darüber zu trauern, daß er sie nicht genug liebkoste." [2]
Frag-würdig ist nach Morus auch, warum Homosexualität erst im 6. Jh. vermehrt erwähnt wurde. Bei Homer, Hesiod usw. fand sich nichts davon, und auch der Olymp war der Überlieferung nach stramm heterosexuell.
[1] Darf hier sicher nicht wörtlich verstanden werden, eher als Macht im Sinne von Belohnungsmacht - Stichwort: "wa(h)re Liebe" -, wobei Knabenprostitution zumindest in Athen ebenfalls verpönt war.
[2] Anspielung auf literarische Texte, die weiter nicht belegt werden. Auch dass Sokrates "abstoßend" war, mag von dorther kommen.