Indogermanische Sprachen und die Vielfalt ihrer Völker

Kann es nicht auch hier der Fall sein, dass die Sprachwissenschaftler viel zu sehr im althergebrachten Kästchendenken verhaftet sind, und viel zu strenge Trennlinien zwischen verschiedenen Sprachen ziehen?
Von vielen antiken Sprachen ist uns entweder gar nichts, bzw. ein paar einzelne Wortfetzen überliefert. Weil diese Fetzen als indogermanisch eingestuft wurden, muss deshalb die gesamte Bevölkerung dieser Gegend ausschließlich einen indogermanischen Dialekt gesprochen haben? Lehnwörter, Mischformen, Unschärfen dürfte es mehr als reichlich gegeben haben.
Wenn es um die Übernahme fremder Sprachen geht, sollte man den Aspekt der Waffen- und Kriegstechnik nicht überbewerten. Viel entscheidender dürfte in solchen Szenarien die Entwicklung in der Landwirtschaft, einhergehend mit Ernährung und höherer Fertilität einzustufen sein.
Möglicherweise haben sich also anfangs relativ kleine Gruppen deutlich schneller fortgepflanzt als die Alteingesessenen, was schon in wenigen Generationen gewaltige Umwälzungen zur Folge haben kann.
 
Außerdem frage ich mich, genau wie Beaker, wie die, in kleinen Grüppchen einsickernden IE-Sprecher denn einen Sprachwechsel in all diesen Ländern ausgelöst haben können. Normalerweise nehmen Einwanderer die Sprache der Mehrheitsbevölkerung an, wenn sie sich mit dieser vermischen oder sie siedeln in Randlagen und bleiben unter sich, wie es die Israeliten in der Levante anfangs taten.
Wenn sie die Macht übernahmen und damit evtl. einen Sprachwechsel auslösten, kann das nur durch zahlenmäßige, kriegstechnische oder sonstige Überlegenheit geschehen sein, jedenfalls nach meiner Logik.

denkbar wäre auch eine Art Ausstrahlungskraft einer Sprache, die vielleicht besser neue Techniken (das können Waffen, Organisation(en), alles mögliche sein) beschreibt (((was jetzt keinesfalls in Orwellsche Psycholinguistik abgleiten mauss))) -- Sprachen stellen ja auch ein Instrumentarium zum erfassen der Umwelt dar, und möglicherweise waren die indoeuropäischen Dialekte leistungsfähiger als ihre Vorgänger?

Bevor ich hier Schelte kriege: das ist eine Frage, die ich da formuliert habe.

Ich bin kein Spezialist für alteuropäischen, indogermanischen und sonstigen Wortschatz (der je Rückschlüsse erlaubt) - gibt es da Literatur?
 
Wie soll man sich das vorstellen?

Folgt man diesem Modell, so migrierten indoeuropäische Bevölkerungsgruppen von ihren Sitzen nördlich des Schwarzen und Kaspischen Meers in zwei Zweigen Richtung Nordwestindien und Europa. Da sie dort auf eine anderssprachige autochthone Bevölkerung trafen, muss sich das indoeuropäische Idiom als so dominant erwiesen haben, dass es sich durchsetzte.

Die Gründe für einen solchen Sprachwechsel können darin liegen, dass die Migranten gegenüber den den Autochthonen eine Vorherrschaft erlangten und so ihre Sprache durchsetzten. Harald Haarmann und auch Anthony vertreten jedenfalls eine solche Definition. Haarmann spricht in diesem Zusammenhang von einem "Kulturwandel und Sprachwechsel unter dem Druck der Elite" (H. Haarmann, Die Indoeuropäer, S. 47) und begründet das auch sehr ausführlich.

Die Vorstellung, dass riesige Reiterhorden aus der russischen Steppe nach Westen gestürmt wären, ist unhaltbar ... Die Frühphase der Indoeuropäisierung stellt sich in neuem Licht dar, und zwar als die politische Kontrolle von nomadischen Eliten über die sesshafte agrarische Bevölkerung ...

Dieser besondere Typ von eliteorientiertem Sprachwechsel in einem staatsfreien Kontaktmilieu wird in der neueren englischen Terminologie als "élite recruitment" beschrieben (Anthony 2007, 117 f.), womit ganz wörtlich die Anwerbung zur Assimilation und Akkulturation an die Elite zu verstehen ist. Dass soziale Eliten ihre Sprache ergolgreich als Machtinstrument einsetzen können, steht außer Zweifel ...

(Harald Haarmann, Die Indoeuropäer. Herkunft, Sprachen, Kulturen, München 2010, S. 47 f., Becks Wissenschaftliche Reihe)

Mir erscheint der Erklärungsansatz plausibel, doch muss man sich stets vor Augen halten, dass alle Hypothesen zur Indoeuropäisierung letztlich Kaffeesatzleserei sind. Die Hypothesen von Colin Renfrew oder Alexander Häusler befriedigen mich allerdings noch weniger, doch wer will schon sagen, was vor über 5000 Jahren genau geschah?
 
Kann es nicht auch hier der Fall sein, dass die Sprachwissenschaftler viel zu sehr im althergebrachten Kästchendenken verhaftet sind, und viel zu strenge Trennlinien zwischen verschiedenen Sprachen ziehen?
Von vielen antiken Sprachen ist uns entweder gar nichts, bzw. ein paar einzelne Wortfetzen überliefert.
Bei sprachwissenschaftlichen Betrachtungen halte ich mich lieber zurück, die fand ich schon in dem anderen Thread ermüdend.
Ich muß den Profis erstmal glauben, dass es in Europa und Westasien einige Nicht-IE-Sprachen gibt und um die Zeitenwende etliche mehr gab, die inzwischen ausgestorben sind, sich aber aus Schriftfragmenten belegen lassen.
Weil diese Fetzen als indogermanisch eingestuft wurden, muss deshalb die gesamte Bevölkerung dieser Gegend ausschließlich einen indogermanischen Dialekt gesprochen haben? Lehnwörter, Mischformen, Unschärfen dürfte es mehr als reichlich gegeben haben.
Hierbei kann ich dir gut folgen, die hattische ländliche Bevölkerung hat sicher weiter hattisch in verschiedenen Dialekten gesprochen und sich wenig für die Sprache der hethitischen Streitwagenverwalter interessiert. Die haben die Abgaben der Bauern aber in ihrer mitgebrachten Sprache aufgezeichnet, so dass wir heute den Eindruck des kompletten Sprachwechsels haben.


Wenn es um die Übernahme fremder Sprachen geht, sollte man den Aspekt der Waffen- und Kriegstechnik nicht überbewerten. Viel entscheidender dürfte in solchen Szenarien die Entwicklung in der Landwirtschaft, einhergehend mit Ernährung und höherer Fertilität einzustufen sein.
Da wären wir bei Renfrew, finde ich irgendwie zu früh, ohne es belegen zu können.
Möglicherweise haben sich also anfangs relativ kleine Gruppen deutlich schneller fortgepflanzt als die Alteingesessenen, was schon in wenigen Generationen gewaltige Umwälzungen zur Folge haben kann.
Woran ich gerade für Mittel- Nordeuropa denke, wäre ein Bevölkerungswechsel nach Seuchen, Kriegen oder Hungersnöten. Da es aus den nördlichen Regionen kaum Überbleibsel einer Nicht-IE-Sprache gibt, wäre diese Einwanderung einer kleinen IE-Gruppe mit relativ höherer Fortpflanzung gerade dort plausibel, zumal Landwirtschaft als Ernährungsgrundlage ab der norddeutschen Region risikobehafteter war als weiter südlich, jedenfalls unter den damaligen Umständen, d.h. es verhungerten immer mal wieder größere Bevölkerungsteile oder wurden durch Mangelernährung widerstandsunfähiger.
 
denkbar wäre auch eine Art Ausstrahlungskraft einer Sprache, die vielleicht besser neue Techniken (das können Waffen, Organisation(en), alles mögliche sein) beschreibt (((was jetzt keinesfalls in Orwellsche Psycholinguistik abgleiten mauss))) -- Sprachen stellen ja auch ein Instrumentarium zum erfassen der Umwelt dar, und möglicherweise waren die indoeuropäischen Dialekte leistungsfähiger als ihre Vorgänger?

Bevor ich hier Schelte kriege: das ist eine Frage, die ich da formuliert habe.

Ich bin kein Spezialist für alteuropäischen, indogermanischen und sonstigen Wortschatz (der je Rückschlüsse erlaubt) - gibt es da Literatur?

Ich bin da auch kein Spezialist, erstmal würde ich behaupten, dass alle Sprachen an sich gleichwertig geeignet sind, um sich als Muttersprachler mündlich zu verständigen.
Bei Zweit- Handelssprachen könnte das schon anders aussehen, da mag es leichter und schwerer erlernbare geben, außerdem entwickeln sich solche Sprachen über Pidgin-Formen.
Der nächste Schritt wäre dann die Schriftlichkeit und zuerst die Dokumentation von wirtschaftlicher Verwaltung. Der Übergang dazu fand in Nahost in Nicht-IE-Sprachen statt, zuerst als Symbol- später als Silbenschrift.
Die Niederschrift der gesprochenen Sprache in eindeutigen, auch lyrischen Texten ist mir überweigend aus IE-Sprachen (hethitisch, griechisch) bekannt. Ob das ein Argument für die bessere Eignung der IE-Sprachen ist, bezweifle ich aber, da das Gilgamesch-Epos in einer anderen Sprache geschrieben wurde.
 
Ich muß den Profis erstmal glauben, dass es in Europa und Westasien einige Nicht-IE-Sprachen gibt und um die Zeitenwende etliche mehr gab, die inzwischen ausgestorben sind, sich aber aus Schriftfragmenten belegen lassen.

In Europa sind zahlreiche vorindoeuropäische Sprachen erwiesen, z.B. Iberisch, Proto-Sardisch, Ligurisch, Etruskisch, Pelasgisch, Minoisch, Baskisch usw. Auch finden sich Substrate unbekannter vorindoeuropäischer Idiome in einigen indoeuropäischen Sprachen.

Hierbei kann ich dir gut folgen, die hattische ländliche Bevölkerung hat sicher weiter hattisch in verschiedenen Dialekten gesprochen und sich wenig für die Sprache der hethitischen Streitwagenverwalter interessiert. Die haben die Abgaben der Bauern aber in ihrer mitgebrachten Sprache aufgezeichnet, so dass wir heute den Eindruck des kompletten Sprachwechsels haben.

Über die Hattier, also die vorhethitische autochthone Bevölkerung in Teilen Kleinasiens, wissen wir sehr wenig. Selbst der Eigenname dieses Volks ist unbekannt, und wurde ihm später nach der historischen Landschaft Chatti gegeben. Das spärliche Sprachmaterial ist aus hethitischen und assyrischen Quellen bekannt. Allerdings hatten die Hattier einen bedeuetnden Einfluss auf die Kultur der Hethiter, deren religiöse Vorstellungen von hattischen Vorbildern geprägt waren.

Im Verlauf des 15. Jh. v. Chr. ging das Hattische unter und die Hattier assimilierten sich an das Hethitische.

Woran ich gerade für Mittel- Nordeuropa denke, wäre ein Bevölkerungswechsel nach Seuchen, Kriegen oder Hungersnöten.

Indoeuropäische Sprachen setzten sich nicht nur in Nordeuropa durch, sondern auch in Mittel- und Südosteuropa, in Kleinasien, Persien und in NW-Indien. Und da dort nicht überall Seuchen und Hungersnöte herrschten, müssen sich die indoeuropäisch sprechenden Bevölkerungsgruppen dominant gezeigt haben - sonst hätte es dort nicht überall einen Sprachwechsel gegeben. Vermutlich waren die hierarchisch aufgebauten nomadischen Gesellschaften den bäuerlichen Ackerbauern in ihren kleinen Dörfern langfristig überlegen - nur so lässt sich die Ausbreitung erklären.
 
Vermutlich waren die hierarchisch aufgebauten nomadischen Gesellschaften den bäuerlichen Ackerbauern in ihren kleinen Dörfern langfristig überlegen - nur so lässt sich die Ausbreitung erklären.

Vielleicht war am Anfang die Lebensweise der Steppennomaden einfach attraktiv und damit auch ihre Sprache. Die jungen Leute wollten vielleicht nicht auf dem Acker der Sippe schuften, sondern interessierten sich eher für Pferde, Zelte und Lagerfeuer.
 
Ich muß den Profis erstmal glauben, dass es in Europa und Westasien einige Nicht-IE-Sprachen gibt und um die Zeitenwende etliche mehr gab, die inzwischen ausgestorben sind, sich aber aus Schriftfragmenten belegen lassen.

In Europa sind zahlreiche vorindoeuropäische Sprachen erwiesen, z.B. Iberisch, Proto-Sardisch, Ligurisch, Etruskisch, Pelasgisch, Minoisch, Baskisch usw. Auch finden sich Substrate unbekannter vorindoeuropäischer Idiome in einigen indoeuropäischen Sprachen.
Habe ich etwas anderes gesagt? Ich verstehe deinen Post nicht als Erwiderung auf meinen. :confused:


Hierbei kann ich dir gut folgen, die hattische ländliche Bevölkerung hat sicher weiter hattisch in verschiedenen Dialekten gesprochen und sich wenig für die Sprache der hethitischen Streitwagenverwalter interessiert. Die haben die Abgaben der Bauern aber in ihrer mitgebrachten Sprache aufgezeichnet, so dass wir heute den Eindruck des kompletten Sprachwechsels haben.


Über die Hattier, also die vorhethitische autochthone Bevölkerung in Teilen Kleinasiens, wissen wir sehr wenig. Selbst der Eigenname dieses Volks ist unbekannt, und wurde ihm später nach der historischen Landschaft Chatti gegeben. Das spärliche Sprachmaterial ist aus hethitischen und assyrischen Quellen bekannt. Allerdings hatten die Hattier einen bedeuetnden Einfluss auf die Kultur der Hethiter, deren religiöse Vorstellungen von hattischen Vorbildern geprägt waren.

Im Verlauf des 15. Jh. v. Chr. ging das Hattische unter und die Hattier assimilierten sich an das Hethitische.

Auch hier verstehe ich deinen Post nicht als Erwiderung. Du wiederholst, nicht zum ersten Mal, die bekannten Lexikoneinträge. Ich versuchte, als Antwort auf Stilichos Beitrag, das Szenario nach meinem Verständnis zu beschreiben.

Woran ich gerade für Mittel- Nordeuropa denke, wäre ein Bevölkerungswechsel nach Seuchen, Kriegen oder Hungersnöten. Da es aus den nördlichen Regionen kaum Überbleibsel einer Nicht-IE-Sprache gibt, wäre diese Einwanderung einer kleinen IE-Gruppe mit relativ höherer Fortpflanzung gerade dort plausibel, zumal Landwirtschaft als Ernährungsgrundlage ab der norddeutschen Region risikobehafteter war als weiter südlich, jedenfalls unter den damaligen Umständen, d.h. es verhungerten immer mal wieder größere Bevölkerungsteile oder wurden durch Mangelernährung widerstandsunfähiger.


Indoeuropäische Sprachen setzten sich nicht nur in Nordeuropa durch,

Hier ging es mir aber gerade um Nordeuropa, die Logik der Erklärungen muß nicht überall und jederzeit gleich sein.


...sondern auch in Mittel- und Südosteuropa, in Kleinasien, Persien und in NW-Indien. Und da dort nicht überall Seuchen und Hungersnöte herrschten, müssen sich die indoeuropäisch sprechenden Bevölkerungsgruppen dominant gezeigt haben - sonst hätte es dort nicht überall einen Sprachwechsel gegeben. Vermutlich waren die hierarchisch aufgebauten nomadischen Gesellschaften den bäuerlichen Ackerbauern in ihren kleinen Dörfern langfristig überlegen - nur so lässt sich die Ausbreitung erklären.

Ok, ist das deine favourisierte Theorie? Die Überlegenheit der hierarchisch organisierten Nomaden? Dir ist aber schon klar, dass die wahrscheinlich zu Fuß unterwegs waren? Einzelne Warlords mit hungrigen Kriegern auf Beutesuche haben sich also von Europa bis Indien die wehrlosen Bauern zu Untertanen gemacht und diese haben dann die Sprache der neuen Herren übernommen und sich nirgends gewehrt?

Gut, die Logik dieser Theorie können wir ja diskutieren.
 
Die Überlegenheit der hierarchisch organisierten Nomaden? Dir ist aber schon klar, dass die wahrscheinlich zu Fuß unterwegs waren? Einzelne Warlords mit hungrigen Kriegern auf Beutesuche haben sich also von Europa bis Indien die wehrlosen Bauern zu Untertanen gemacht und diese haben dann die Sprache der neuen Herren übernommen und sich nirgends gewehrt?

Gut, die Logik dieser Theorie können wir ja diskutieren.

da gerät man dann aber, sowie man Vergleiche aus besser dokumentierten Zeiten heranzieht, in Erklärungsnöte:
- die Westgoten in Spanien gaben ihre Sprache zugunsten des spanischen spätlatein auf, obwohl sie die herrschende Elite stellten
- auch bei den Slawen verschwanden protobulgarische und awarische Sprache, obwohl Awaren und Protobulgaren zunächst die kriegerische Elite stellten
- die Vandalen in Nordafrika sollen auch romanisiert worden sein

nun hinken allerdings solche Vergleiche bzgl. der zeitlichen Dimensionen: soweit mir bekannt, dauerte die Ausbreitung der indoeuropäischen Sprachen deutlich (!) länger als die daran gemessen doch kurzen Herrschaften von Westgoten oder Vandalen

wie auch immer man sich dieses Ausbreiten und überlagern durch die indoeuropäische(n) Sprache(n) vorstellt: trifft eine Sprache auf eine andere, so ändern sich beide - damit erklärt man (ganz vereinfacht gesagt), dass sich die indoeuropäischen Sprachen recht früh in verschiedene Zweige differenzierten.

mir scheint, dass die Herrschaft einer statistisch eher kleinen kriegerischen Elite nicht zwingend notwendig zu einem Sprachwechsel führen muss - ich vermute, dass für das Überlagern der verschiedenen alteuropäischen Sprachen ein ganzes Bündel von Gründen ausschlaggebend gewesen sein muss, und das über einige Jahrhunderte hin. Hierbei ist es ja nicht so, dass die Vorgängersprache komplett verschwand: wir haben ja ein paar vor-indogermanische Hydronyme.
 
da gerät man dann aber, sowie man Vergleiche aus besser dokumentierten Zeiten heranzieht, in Erklärungsnöte:
- die Westgoten in Spanien gaben ihre Sprache zugunsten des spanischen spätlatein auf, obwohl sie die herrschende Elite stellten
- auch bei den Slawen verschwanden protobulgarische und awarische Sprache, obwohl Awaren und Protobulgaren zunächst die kriegerische Elite stellten
- die Vandalen in Nordafrika sollen auch romanisiert worden sein

nun hinken allerdings solche Vergleiche bzgl. der zeitlichen Dimensionen:...

M.E. sind die Vorgänge auch unabhängig von den zeitlichen Dimensionen nicht vergleichbar. Die römische Lebensweise hatte für die Goten, Vandalen und Franken eine hohe Attraktivität. Sie wollten teilhaben am Reichtum und gesellschaftlichen Modell des Römischen Reiches. Kein Wunder, dass das Latein ein hohes Prestige unter den germanischen Migranten hatte und sie die barbarische Lebensweise und Sprache aufgaben, um so wie die Römer zu sein.

Hinsichtlich des Erfolgs des Slawischen wird ja in einem anderen Thread diskutiert.
 
Zuletzt bearbeitet:
M.E. sind die Vorgänge auch unabhängig von den zeitlichen Dimensionen nicht vergleichbar. Die römische Lebensweise hatte für die Goten, Vandalen und Franken eine hohe Attraktivität. Sie wollten teilhaben am Reichtum und gesellschaftlichen Modell des Römischen Reiches. Kein Wunder, dass das Latein ein hohes Prestige unter den germanischen Migranten hatte und sie die barbarische Lebensweise und Sprache aufgaben, um so wie die Römer zu sein.
ich möchte nicht abschweifen zu den Goten, nur kurz der Hinweis, dass das Gotische als Sprache der arianischen Kirche (codex argenteus) nicht ganz so bedeutungslos war - möglich, dass die westgotische Sprache auch erst mit der Konversion zur römischen Kirche endgültig aufgegeben wurde ---- das aber nur am Rande. Natürlich lassen sich die Integrationswirren ins zerbröckelnde weström. Imperium nicht mit den Vorgängen der "Ausbreitung indoeuropäischer Sprachen" vergleichen - mir ging es nur darum, zu zeigen, dass "gewaltsam eingewanderte" Herrschereliten nicht zwingend notwendig ihre Sprache(n) verbreiten.
 
Folgt man diesem Modell, so migrierten indoeuropäische Bevölkerungsgruppen von ihren Sitzen nördlich des Schwarzen und Kaspischen Meers in zwei Zweigen Richtung Nordwestindien und Europa. Da sie dort auf eine anderssprachige autochthone Bevölkerung trafen, muss sich das indoeuropäische Idiom als so dominant erwiesen haben, dass es sich durchsetzte.
So weit, so unlogisch.

Die Gründe für einen solchen Sprachwechsel können darin liegen, dass die Migranten gegenüber den den Autochthonen eine Vorherrschaft erlangten und so ihre Sprache durchsetzten. Harald Haarmann und auch Anthony vertreten jedenfalls eine solche Definition. Haarmann spricht in diesem Zusammenhang von einem "Kulturwandel und Sprachwechsel unter dem Druck der Elite" (H. Haarmann, Die Indoeuropäer, S. 47) und begründet das auch sehr ausführlich.

Und wie lautet die Begründung? Um zu begründen, warum kleine Auswanderergruppen so viel Druck aufbauen können, dass sie der autochthonen Bevölkerungsmehrheit einen "Kulturwandel und Sprachwechsel" aufzwingen können, muss man schon sehr gute und sehr stichhaltige Argumente auf der Hand haben.
Bis jetzt sehe ich noch kein einziges.
 
da gerät man dann aber, sowie man Vergleiche aus besser dokumentierten Zeiten heranzieht, in Erklärungsnöte:....

Genau das ist das Problem, es gibt fast keine überzeugenden Beispiele aus der weiter zurückliegenden Geschichte.
Nur die jüngere Geschichte der Neuzeit bietet mit Amerika und Australien durchschlagende Argumente, die im 19.Jhdt. als die Verwandschaft der IE-Sprachen festgestellt wurde, wahrscheinlich noch mehr beeindruckten und seither unser Denken blockieren.



nun hinken allerdings solche Vergleiche bzgl. der zeitlichen Dimensionen: soweit mir bekannt, dauerte die Ausbreitung der indoeuropäischen Sprachen deutlich (!) länger als die daran gemessen doch kurzen Herrschaften von Westgoten oder Vandalen
Wie lange die Ausbreitung überhaupt dauerte, wissen wir nicht, das ist ein Teil des Problems. Im 2. Jhtsd. sprachen und schrieben nordwestlich von Nahost einige Völker IE-Sprachen. Nordöstlich im iranischen Hochland und darüberhinaus müßte ich nachlesen, von wann dort die ersten IE-Schriftzeugnisse vorliegen.
In Mitteleuropa sagt man erst den eisenzeitlichen Kelten eine IE-Sprache nach.

M.E. sind die Vorgänge auch unabhängig von den zeitlichen Dimensionen nicht vergleichbar. Die römische Lebensweise hatte für die Goten, Vandalen und Franken eine hohe Attraktivität. Sie wollten teilhaben am Reichtum und gesellschaftlichen Modell des Römischen Reiches. Kein Wunder, dass das Latein ein hohes Prestige unter den germanischen Migranten hatte und sie die barbarische Lebensweise und Sprache aufgaben, um so wie die Römer zu sein.

Das attraktivere Modell oder besser den größeren Reichtum besaßen aber die die mesopotamischen und vielleicht die indischen Stadtstaaten und Ägypten, um bei deinem Vergleich mit dem römischen Reich zu bleiben. Danach hätten sich deren Sprachen mit ihrer Kultur ausbreiten sollen.

Vielleicht war am Anfang die Lebensweise der Steppennomaden einfach attraktiv und damit auch ihre Sprache. Die jungen Leute wollten vielleicht nicht auf dem Acker der Sippe schuften, sondern interessierten sich eher für Pferde, Zelte und Lagerfeuer.

Das klingt zwar etwas fremd, ist aber mal was anderes. Kannst du das näher ausführen, du meinst in jenen Landstrichen mit IE-Sprachen haben die einheimischen Bauern die Landwirtschaft aufgegeben und sich der nomadischen Lebensweise angeschlossen, die im 3. Jtsd. noch neu war, da sie sich ja erst aus der seßhaften Landwirtschaft entwickelt hatte.
 
Um zu begründen, warum kleine Auswanderergruppen so viel Druck aufbauen können, dass sie der autochthonen Bevölkerungsmehrheit einen "Kulturwandel und Sprachwechsel" aufzwingen können, muss man schon sehr gute und sehr stichhaltige Argumente auf der Hand haben.
Bis jetzt sehe ich noch kein einziges.

das ist ja das erstaunliche an der Diskussion: zwar lässt sich die Ausbreitung der indoeuropäischen Sprachguppe nicht leugnen (es sei denn, man nähme an, sie habe sich nie ausgebreitet, was dann aber für das fragliche Gebiet die Frage aufwirft, woher die nicht idg. alteuropäische Sprache kommt usw) - aber eine griffige plausible und quasi eindimensional-schlagwortartige Erklärung will sich nicht einstellen.

ich nehme an, dass sich eine Art Assimilations- oder Angleichungsprozess mit Kulturübernahme nach und nach abgespielt hat - freilich setzt setzt diese Annahme voraus, dass die Kultur der idg. sprechenden Gruppen attraktiv bzw. erfolgversprechend genug war. Teilweise wird es sicher auch gewaltsame Aneignungen günstiger Gebiete gegeben haben, aber sicher nicht nur, denn sonst wäre die Ausbreitung der idg. Sprachen ja die größe Invasion aller Zeiten :)
 
In der Nazizeit ging man übrigens davon aus, dass die "Indogermanen" ihre Heimat in Mitteleuropa hatten, da sich unsere Rassenkundler nicht vorstellen mochten, dass eine Migration aus südrussischen Steppen erfolgt sein könnte.

Klar, da wünschte man sich eine möglichst "nordische" Urheimat.
Es gab aber trotzdem welche, die sich sehr gut eine Migration aus südrussischen Steppen vorstellen mochten, z. B.:
Ernst Wahle ? Wikipedia


Was sich aber auf jeden Fall mit dem Nazi-Gedankengut deckt, sind die Fantasien von einem ursprünglich gar nicht so großen, aber mobilen, kämpferisch überlegenen und ganz toll organisierten Volk: "Wehrhafte Wanderstämme von ungeheurer organisierender Begabung" sollen sich auf ihren ausgedehnten Wanderungen allerorten zu Eliten anderer Völker aufgeschwungen und diese sprachlich und kulturell dominiert haben.

"Eine kleine organisationsfähige und kulturell schöpferisch begabte Rasse hat im Lauf vieler Jahrhunderte andere Völker überlagert und zum Teil aufgesaugt, zum Teil sich angepasst. Alle einzelnen Bestandteile unseres Volkes haben selbstverständlich ihre besonderen Fähigkeiten in diesen Bund mitgebracht, geschaffen aber wurde es nur von einem einzigen volk- und staatbildenden Kern. Aus Siegern und Besiegten ist unterdes längst eine Gemeinschaft geworden." (Von wem das Zitat wohl stammt?)


Alexander Häusler vertritt diese These noch heute, freilich mit zahlreichen Begründungen, die mir persönlich nicht einleuchten

Nicht nur der, ich habe noch einen gefunden:
Eurasische Ursprachen: „Anatolien war nicht Ur-Heimat der indogermanischen Stämme“ - Eurasisches Magazin
Jürgen Udolph: Besprechung von Marija Gimbutas: Die Ethnogenese der europäischen Indogermanen

Was genau leuchtet dir nicht ein? Und warum?
 
Das attraktivere Modell oder besser den größeren Reichtum besaßen aber die die mesopotamischen und vielleicht die indischen Stadtstaaten und Ägypten, um bei deinem Vergleich mit dem römischen Reich zu bleiben. Danach hätten sich deren Sprachen mit ihrer Kultur ausbreiten sollen.

Ich hatte mich doch gegen den Vergleich mit Rom ausgesprochen.

Das klingt zwar etwas fremd, ist aber mal was anderes. Kannst du das näher ausführen, du meinst in jenen Landstrichen mit IE-Sprachen haben die einheimischen Bauern die Landwirtschaft aufgegeben und sich der nomadischen Lebensweise angeschlossen, die im 3. Jtsd. noch neu war, da sie sich ja erst aus der seßhaften Landwirtschaft entwickelt hatte.

Ich möchte zunächst dem martialischen Modell, in dem nur von Überschichten, Assimilieren und gewaltsamen Sprachwechsel die Rede ist, etwas entgegen setzen und darauf hinweisen, dass die Lebensweise der Hirtennomaden auch attraktiv gewesen sein kann. Auch im Hinblick auf klimatische Veränderungen und Schädigungen der Lebensgrundlage der Bauern, wie z.B. Auslaugung der Böden.

"In der Zeitspanne zwischen 4300 und 4100 v.Chr. wurden Hunderte kleinerer und größerer Siedlungen im Tal der unteren Donau und in Ostbulgarien aufgegeben. Dies waren Tell-Siedlungen, hauptsächlich solche der Karanovo-Regionalkultur. Die Menschen zogen von den Hügeln ins flache Land. Aber der Ortswechsel hatte auch eine Veränderung der Lebensgewohnheiten zur Folge. Die Haupterwerbsquelle war nicht mehr der Ackerbau, sondern die Viehhaltung. Die Zahl der Schafe und Rinder nahm zu, und die Pollenanalyse des Ackerlands zeigt einen Rückgang der Anbauaktivität (Marinova 2003: 279 ff.)."

aus: Haarmann, Das Rätsel der Donauzivilisation, S. 233.

Die Attraktivität der Lebensweise der Hirtennomaden könnte ein winziger Aspekt in der Diskussion sein oder wollen wir nur die Alternativmodelle diskutieren?
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich hatte mich doch gegen den Vergleich mit Rom ausgesprochen.
Ich weiß, das hatte ich auch so verstanden. Trotzdem könnte es die Diskussion weiter bringen, zu gucken, wo die reichen, kulturell ausstrahlenden Zentren in der Bronzezeit lagen. Ob deren Lage etwas mit der Verbreitung der IE-Sprachen zu tun hat, läßt sich damit natürlich nicht sagen. Mir ist nur aufgefallen, dass diese in einem weiten Bogen nördlich davon gesprochen und geschrieben wurden.

Ich möchte zunächst dem martialischen Modell, in dem nur von Überschichten, Assimilieren und gewaltsamen Sprachwechsel die Rede ist, etwas entgegen setzen und darauf hinweisen, dass die Lebensweise der Hirtennomaden auch attraktiv gewesen sein kann. Auch im Hinblick auf klimatische Veränderungen und Schädigungen der Lebensgrundlage der Bauern, wie z.B. Auslaugung der Böden.

"In der Zeitspanne zwischen 4300 und 4100 v.Chr. wurden Hunderte kleinerer und größerer Siedlungen im Tal der unteren Donau und in Ostbulgarien aufgegeben. Dies waren Tell-Siedlungen, hauptsächlich solche der Karanovo-Regionalkultur. Die Menschen zogen von den Hügeln ins flache Land. Aber der Ortswechsel hatte auch eine Veränderung der Lebensgewohnheiten zur Folge. Die Haupterwerbsquelle war nicht mehr der Ackerbau, sondern die Viehhaltung. Die Zahl der Schafe und Rinder nahm zu, und die Pollenanalyse des Ackerlands zeigt einen Rückgang der Anbauaktivität (Marinova 2003: 279 ff.)."

aus: Haarmann, Das Rätsel der Donauzivilisation, S. 233.

Das ist ein sehr interessanter Hinweis, von einem ähnlichen Wechsel zu einer mehr hirtennomadischen Lebensweise habe ich vom syrischen Korridor im frühen 3. Jtsd. gelesen. Die Schwemmlandflächen für den frühen Ackerbau waren begrenzt, waren diese Tellsiedlungen die Dörfer und der Ackerbau wurde im Schwemmland rundum/darunter betrieben?

Die Attraktivität der Lebensweise der Hirtennomaden könnte ein winziger Aspekt in der Diskussion sein oder wollen wir nur die Alternativmodelle diskutieren?

Diskutieren können wir alles.
Es ist bes. für geschichtsinteressierte Laien unbefriedigend, immer wieder von 1. Sprachwissenschaftlern über Verwandtschaft und rekonstruierte Urformen der IE-Sprachen zu hören, wogegen 2. Archäologen mit der Siedlungskontinuität ihrer Scherben und nicht durchgehender Brandhorizonte argumentieren.


Ich bin zwar nicht Dieter, habe aber mit der europäischen Urheimat auch ein Logikproblem.
1. Ist diese Auswertung und Herleitung von Gewässernamen ziemlich theoretisch, dadurch ergibt sich ein etwas willkürlicher Anklang.
2. Erklärt Sie logisch nachvollziehbar die Sprachverwandtschaft bis Indien über Anatolien und iranischem Bergland?
Diese Einwände beziehen sich aber nur auf Udolph und seine uralten Wasserworte.
Häusler argumentiert mW anders.
 
Ich habe mal nachgelesen, was David W. Anthony zur Aufgabe der Tell-Siedlungen im unteren Donautal schreibt (Anthony, The Horse, the Wheel, and Language, S. 258 ff.).

Nach Anthony waren neben Klimaabkühlung und Missernten auch gewaltsame Auseinandersetzungen Grund für die Aufgabe der o.g. Tell-Siedlungen. Diese führte zu einer mobileren Gesellschaft. Der Vorteil lag bei den Hirtennomaden aus der Steppe mit ihren Herden. Ihre Wirtschaftsweise diente als Beispiel für den Wechsel zur Hirtenwirtschaft im Donautal. Der Jugend versprach die Alternative, einem Häuptling der Hirtennomaden für Schutz und Belohnung ihren Dienst anzubieten, vertikale soziale Mobilität. So wie die Tell-Bewohner die Hirtenwirtschaft annahmen, konnten sie auch in die Dienste der Steppenhirten treten und deren Sprache annehmen.
 
Ich bin zwar nicht Dieter, habe aber mit der europäischen Urheimat auch ein Logikproblem.
1. Ist diese Auswertung und Herleitung von Gewässernamen ziemlich theoretisch, dadurch ergibt sich ein etwas willkürlicher Anklang.
Du meinst, wenn Udolph irgendwelche anderen Weltgegenden auf ihre Gewässernamen untersuchen würde, würde er auch auf IE-Anklänge stoßen?
Kann sein, keine Ahnung.
Der Ansatz ist aber zumindest nicht ganz blöd. Wie kann man versuchen, etwas über die Sprache einer Gegend in vorschriftlicher Zeit herauszufinden? Knochen und Tonscherben verraten darüber leider gar nichts. Gewässernamen können sich Jahrtausende lang halten, da könnte sich immerhin eine vage Spur ergeben.

2. Erklärt Sie logisch nachvollziehbar die Sprachverwandtschaft bis Indien über Anatolien und iranischem Bergland?
Nein, das Logikproblem bleibt dasselbe, egal wo man die Urheimat ansetzt. Mich interessiert nur, ob es Argumente gibt, weshalb Mitteleuropa nun weniger logisch sein soll als der Balkan, die südrussische Steppe, das iranische Bergland, Indien oder Anatolien.
 
Das Problem ist im Grunde neben dem Mangel an Schrift, dass es nicht klar ist wie sich Sprachen verbreitern.

Egal ob das slawische am Balkan, Ungarisch, Türkisch in Anatolien e.t.c.

Im Osmanischen Reich war nicht mal das heutige türkisch Amtssprache sondern Osmanisch trotzdem hat sich das volkstümlich türkisch durchgesetzt.

Bei den Slawen am Balkan gibt es nur Stämme keine Staaten, trotzdem wird die vorslawische Bevölkerung assimiliert. Warum setzte sich das bulgarische dann nicht durch oder das nordisch-germanische in der Kiewer Rus.

Eine einheitliche Erklärung dafür gibt es nicht.
 
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