Israel: Monarchie vs. Stammesgesellschaft

Pope schrieb:
Die "Stammesgesellschaft" als ein loser Verband von Familien und Clans ist m.E. typisch für die Nomaden und Halbnomaden. Ihr Leben verläuft unabhängig von staatlichen Einflüssen. Die tradierten Gesetze regeln den Umgang miteinander, man findet sich zu religiösen Festen zusammen und ein "Rat der Ältesten" trifft sich zur Gefahrenabwehr oder bei Streitigkeiten.
Vom (halb)nomadischen Ursprung komme ich fast automatisch zum Problem, dass Politik in solchen Gesellschaften fast nur von Persönlichkeiten (also Individuen herausragenden Charakters) gestaltet werden kann. Um Staatlichkeit zu erzeugen, in der das Amt oder die Institution mehr bedeutet, als die Person darin, muss imho eine gewisse Sesshaftigkeit einsetzen mit Regierungszentrum und ähnlichem.
Die Eingliederung mehrerer Völker zu einer Organisation braucht wohl immer ein gemeinsames Ziel, am besten einen Feind, sei es ein traditioneller Gegner (China für die Reiter im Norden) oder eine aktuelle Bedrohung (Philister). Dieser Zwang kann auch die Ausdehung sesshafter und damit politischer Völker verschuldet sein. Wenn die eigenen Weidegründe zusammenschrumpfen und sich die Hirten auf weniger Fläche zusammendrüngen, kommt es entweder zu Krieg untereinander oder Zusammenschluss um sich Platz zu verschaffen oder beidem hintereinander. Natürlich unter der Vorraussetzung, man untersucht die Bildung von "Regierung" aus dem Volk heraus. Ein aufgesetztes System nach einer Eroberung ist die Alternative.
 
Problematisch sind die großen Grauzonen, wenn man das "Königtum" und den Übergang zur "Staatlichkeit" betrachtet. Oben wurde z.B. der Frankenkönig Chlodwig als exemplarisches Beispiel genannt, was aber nur bedingt zutrifft.

Es ist bekannt, dass es vor Chlodwig eine größere Zahl von Kleinkönigen gab, die er durch Mord und Verdrängung beiseite schaffte. Das bedeutet, dass bereits vor Chlodwig ein Königtum bestand und es nicht erst durch ihn aufgerichtet wurde. Fakt ist natürlich, dass Chlodwig nach Eliminierung seiner königlichen Konkurrenten zum ersten Alleinherrscher der Franken aufstieg und die neue Dynastie der Merowinger immerhin über 200 Jahre regierte.

Hier muss man auch die Frage stellen: Ab wann kann man einen Herrscher als "König" bezeichnen? Besonders in außereuropäischen Kulturen gibt es dafür ja nicht den Begriff "rex". So könnte man die oben genannten fränkischen "Kleinkönige" – in der Literatur nennt man sie gemeinhin so – vielleicht auch nur als "Häuptlinge" bezeichnen.

Man sieht also, dass der Übergang von der adligen Stammesherrschaft zum Königtum nicht immer leicht auszumachen ist.

Ein gutes Beispiel im Sinne dieses Threads sind aber für mich die Mongolen, die bereits oben genannt wurden. Hier fanden sich wirklich lose Kleinstämme zu einer mächtigen Stammesföderation zusammen, und das unter der neuen königsgleichen Herrschaft des Dschingis Khan. – Doch schon der zweite Begriff "Staatlichkeit" passt auf das so entstandene Gebilde nicht mehr ganz. Es ist gewiss ein "Reich", wie es auch in Afrika das Songhai-Reich und das Kanem-Rech gab. Aber ob man dem Reich der Mongolen Staatlichkeit inklusive Verschriftung und Verwaltung zusprechen kann, ist doch zweifelhaft.
 
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Dieter schrieb:
Doch schon der zweite Begriff "Staatlichkeit" passt auf das so entstandene Gebilde nicht mehr ganz. Es ist gewiss ein "Reich", wie es auch in Afrika das Songhai-Reich und das Kanem-Rech gab. Aber ob man dem Reich der Mongolen Staatlichkeit inklusive Verschriftung und Verwaltung zusprechen kann, ist doch zweifelhaft.
Der Khan führte die Jassah als eine Art Gurndgesetz ein und förderte die Verwendung der uighurischen Schrift um mongolisch aufschreiben zu können. Auf welche Art die Verwaltung funktionierte, weiß ich nicht. Aber die in den eroberten Gebieten bis dahin üblichen Strukturen spielten bestimmt eine Rolle.
 
Vielleicht ist Staatlichkeit das falsche Wort.

Verstetigte Herrschaft? Aus einer Notfallinstitution wird eine personalisierte. Und daraus entwickelt sich (je nach Geschick des Herrschers) ein beständiges, greifbares Gebilde. Die Primärfunktionen dieser Institution:

Aussenpolitik, Repräsentation, Schlichtung und Landesverteidigung

Diese Funktionen benötigen Ressourcen. Zudem kann man sich aussenpolitische "Nachbarschaftshilfe" bezahlen lassen und Kriegszüge zur Ressourcenbeschaffung ausschöpfen. Fast logisch kommen weitere Funktionen hinzu:

Steuererhebung und Güterverwaltung, Aussenhandel

Dass die Funktion der Aussenverteidigung auch auf die Innenverteidigung zur Sicherung der Herrschaft ausgeweitet wird, ist auch logisch.

Sicherung der Einheit und des inneren Friedens

Wenn - wie im Fall Davids - eine zentrale Residenz aufgebaut wird, ist die Aneignung (oder zumindest die Ansiedlung) weiterer Funktionen naheliegend:

Staatskult, Gerichtsbarkeit, Rechtsauslegung

Die Spirale ließe sich fortsetzen. M.E. ist mit dem ersten Schritt oben der Weg in die Staatlichkeit nahezu vorprogrammiert.
 
Wenn du das so weit fassen willst, Pope, haben wir natürlich mehrere exemplarische Beispiele. So z.B.:

– die Mongolen, die diesen Übergang unter Dschingis Khan vollzogen;

– Die Ungarn, die mit Stephan I. ihren ersten (christlichen) König wählten, und den Schritt vom nomadischen Reitervolk zur Sesshaftigkeit taten;

– Die Franken unter Chlodwig I., der den lockeren Stammesverband zusammenfügte und damit das Frankenreich schuf;

Es bleibt festzuhalten, dass es diese Phase bei allen staatenbildenden Völkern gab, wobei der Einigungsprozess nicht immer klar erkennbar ist.
 
Dieter schrieb:
Es bleibt festzuhalten, dass es diese Phase bei allen staatenbildenden Völkern gab, wobei der Einigungsprozess nicht immer klar erkennbar ist.

1. Den Prozess will ich aber haben! Wenn es uns gelingt ...

2. Ob der Prozess bei sesshaften Völkern ähnlich verlief? Ich denke nicht. Dort sehe ich eher die "innere Ordnung" als treibende Kraft. Die Entwicklungen, die in ein ortsbezogenes, arbeitsteilig-organisiertes Gemeinwesen führen, münden m.E. fast zwangsläufig in einer ordnenden Zentralgewalt. Die Vorteile - ja, Notwendigkeiten - liegen auf der Hand ...
 
Bei den Nomaden ist häufiger festzustellen, dass sich mehrere autonome Gruppen unter die Führung einer Person (oder Stammes) geben. Im Falle der Sesshaften ist pro Volk ein Herscher eher anzusehen.
Versteh ich dich richtig, dass die Stattlichkeit von Sesshaften, also Bauernkulturen der Weg weniger kriegerisch geprägt ist, sondern die Initiative von Arbeitsorganisatoren ausgeht? Das heiß eine Gruppe von Menschen ihre Rolle imer ernster nimmt und wir viele kleine Veränderungen, statt einer plötzlichen Umwälzung zu beobachten haben? Führe das mit der "inneren Ordnung" bitte weiter aus.
 
Themistokles schrieb:
Versteh ich dich richtig, dass die Stattlichkeit von Sesshaften, also Bauernkulturen der Weg weniger kriegerisch geprägt ist, sondern die Initiative von Arbeitsorganisatoren ausgeht?

Das "Kriegerische" ist mir nicht wichtig. Eher die Motivation der Menschen, sich unterzuordnen.

Nomaden - das unterstelle ich mal - sind nur sehr widerwillig einer staatlichen/menschlichen Ordnung zu unterwerfen. Ihr Equilibrium ist Freiheit in den Weiten des Raums: je größer die Entfernung zum Nachbarn, umso mehr Ressourcen haben sie zu Verfügung. Wenn die Ressourcen knapp werden, ziehen sie weiter. (sehr vereinfacht, ich weiss)

Bauern sind ortsgebunden. Wenn eine bestimmte Bevölkerungsdichte erreicht ist, ergeben sich die Vorteile der Arbeitsteilung. Wenn zudem der Raum ausgeschöpft ist, kann Wachstum z.B. durch Produktivitätssteigerung erzielt werden. Die Interaktion mit seinen "Nachbarn" rechnet sich. Nicht nur in Krisenzeiten. Zudem sind Bauern verletzbarer, weil sie stationär sind und mit der Ernte Haushalten müssen. Auf Kreta ist wohl aus genau diesem Grund die Palastwirtschaft eingeführt worden: Durch die Speicherung der Lebensmittel an einem zentralen Ort wird das Risiko für den Einzelnen minimiert. Ein Prinzip, wie bei einer Bank oder einer Genossenschaft.

Der Schritt zu einem staatlichen Verwaltungswesen, ist dort naheliegender. Eine Stadtmauer baut man irgendwann nicht mehr "partizipativ". Jemand muss die Arbeit leiten. Ebenso muss jemand die Getreideausgabe o.ä. regeln. Ob das nun der reichste Bauer im Ort tat oder ein skrupelloser Tyrann, DASS es jemanden geben muss, der die Gemeinschaft verwaltet, wird akzeptiert.

Und da sehe ich den Unterschied zu den Nomaden.
 
Da Bauern Organisation von Arbeit eher gewohnt sind, glaube ich dass Staatlichkeit sich leichter schrittweise herausbilden kann. Wenn jemand etwas mehr Verantwortung übernimmt/Macht ausübt, dann wird das fortgesetzt, man ist es irgendwie gewohnt. Popes Stadtmauerbeispiel finde ich gut, Bauern haben viel mehr AUfgaben oder besser Notwedigkeiten für Gemeinschaftsarbeit. Es gibt gewisssermaßen immer was zu tun. Die andere Kulturform hat einen konstanteren Alltag, ANsatzpunkte für Organisation ist nur bei Jagd oder Kriegszügen nötig, Bauprojekte finden keine statt und das meiste kann familien- oder stammintern geregelt werden. Die ganze Gesellschaft wird daheretwas konservativer. Lebenstandartsteigerung geschieht durch ausweitung der Herden mittels Überfällen. Das machen alle und damit hält sich die gesamtproduktion relativ stabil. Bauern müssen versuchen aus ihrem Land mehr herauszuholen und Arbeit umzuorganisieren. Ihre Basis (der Boden) ist särker begrenzt und lässt sich nicht einfach ausdehnen oder ergänzen (da unbeweglich).
Die Nomaden sind deutlich individualistischer und stolz auf die Egalität ihrer Gemeinschaft. Wenn dort jemand mehr Befugnisse erhält, dann revidiert man diese Maßnahmen schnell wieder und regierugnsähnliche Strukturen haben keine Möglichkeit sich zu festigen, so dass sie in der nächsten GEneration wieder zerfallen. Kleine Fortschritte bleiben also folgenlos und nur plötzliche komplette Umstülpungen haben die Möglichkeit beibehalten zu werden.

Inzwischen frage ich mich, ob wir (oder vielleicht nur ich) hier Monarchieentwicklung oder Herausbildung von Organisationsformen oderUnterschiede zwischen Nomaden und Sesshaten diskutieren.:grübel:
 
Themistokles schrieb:
Inzwischen frage ich mich, ob wir (oder vielleicht nur ich) hier Monarchieentwicklung oder Herausbildung von Organisationsformen oderUnterschiede zwischen Nomaden und Sesshaten diskutieren.:grübel:

Ist das verwunderlich?

Viele nomadische und halbnomadische Völker haben sich lange Zeit einer Unterordnung entzogen, haben sich über Jahrhunderte daran gewöhnen müssen oder sind an ihr kaputt gegangen. Staaten sind nun mal Ergebnisse einer urbanen Gesellschaft. Stadt und Staat sind nicht nur etymologisch verwandt.

Für die sesshaften Kulturen an Nil, Euphrat, Indus oder am Texcoco-See war die Ausbildung eines Staatswesens ein Entwicklungssprung. Kann man das selbe für jene Nomadenvölker sagen, die zur Staatlichkeit gefunden hatten?
 
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