Hallo Geschichtsfreunde
An dieser Stelle möchte ich mich mal wieder in die derzeitige Diskussion einklinken und aufzeigen wie sehr die Aufzeichnungen des Tacitus für die Schlacht am Angrivarierwall bei Kalkriese sprechen.
Tacitus Annalen II/6:
„Während der Cäsar ein Lager abstecken ließ, wurde in seinem Rücken der Aufstand der Angrivarier gemeldet: er schickte Stertinius mit Reiterei und einer leichtbewaffneten Truppe sofort dahin und bestrafte mit Feuer und Schwert die Treulosigkeit.“
Zu dem Siedlungsgebiet der Angrivarier: Unmittelbar nachdem in Jahr 16 Germanicus mit seinem Heer die Ems überquert hatte und in östliche Richtung zur Weser zog, gab es einen Aufstand der Angrivarier im Rücken des Heeres, also demnach westlich von dem derzeitigen Standort der Römer. Ergo muss nach dieser Aussage das Siedlungsgebiet der Angrivarier zwischen Ems und Weser gelegen haben. Keinesfalls östlich der Weser, da Germanicus zu diesem Zeitpunkt, nach der Aufzeichnung des Tacitus, die Weser noch nicht überschritten hatte. Da sich die Angrivarier treulos zeigten, muss es gleichfalls vordem eine Abmachung der Römer mit diesem Stamm gegeben haben. Dieses Abkommen wurde sicherlich kurz vorher getroffen und bestand vermutlich darin, sich loyal zu zeigen und freien ungehinderten Durchzug der Römer durch deren Territorium zu gewähren. Unmittelbar nach der Schlacht am Angrivarierwall, im Zusammenhang mit dem Rückmarsch des römischen Heeres zur Ems, werden die Angrivarier erneut von Germanicus reglementiert. Hier ist durchaus zusätzlich die Vermutung berechtigt, dass sich die Angrivarier an der Schlacht am Angrivarierwall auf Seiten des Arminius beteiligt hatten, da diese auf- oder in der Nähe ihres Stammesgebietes geschlagen wurde. Demzufolge muss die Schlacht am Angrivarierwall zwischen Ems und Weser geschlagen worden sein. Kalkriese befindet sich zwischen Ems und Weser.
Tacitus Annalen II/19:
„Volk und Adel, alte und junge Leute stürzten sich plötzlich auf die römische Marschkolonne und brachte sie in Verwirrung.“
Germanicus befand sich laut dieser Aussage nach der Schlacht bei Idistaviso nicht mehr mit seinem Heer an einem festen Standort an der Weser sondern auf einem Marsch. In welche Richtung sich dieser Marsch bewegte scheint auf der Hand zu liegen. Denn da Germanicus die nach seiner Ansicht alles entscheidende Schlacht gegen die Germanen bei Idistaviso an der Weser siegreich für sich gestalten konnte, zog er sicherlich nicht noch weiter nach Osten in Richtung Elbe. Was hätte er dort auch noch machen sollen, zudem nun auch die vieldiskutierten Proviantprobleme des römischen Heeres eine Rolle spielten. Er machte sich zweifellos auf den Rückweg zu seinen Schiffen an der Ems. Germanicus befand sich also wieder zwischen Weser und Ems, und Kalkriese befindet sich auch zwischen Weser und Ems, an einem alten und für die Römer durchaus bekanntem Verkehrsweg. Hier konnten die Römer nicht nur vorbeikommen wenn sie zurück zur Ems wollten, sondern sie mussten sogar diesen Weg nehmen, wenn sie nicht eine beschwerliche Route über die Berge des Osnings oder das an vielen Stellen versumpfte Terrain nördlich des Wiehengebirges in Kauf nehmen wollten. Hier ist wieder ein Umstand der für Kalkriese als Schlachtort am Angrivarierwall spricht.
Und weiter bei Tacitus:
„Zuletzt suchten sie sich einen Kampfplatz aus,“
Zuletzt suchten sich die Germanen den Kampfplatz aus. Das bedeutet einerseits, dass der Marsch der Römer schon einige Weile gedauert hatte, also die Römer schon einen ganzen Weg von der Weser in Richtung Ems hinter sich gelassen hatten, wobei auch hier der Ort Kalkriese in die nähere Betrachtung gezogen werden muss und andererseits darauf hindeutet, dass sich die Germanen den Kampfplatz aussuchten, diese also wussten wo die Römer entlang ziehen mussten. Dieses Wissen gab ihnen die Gelegenheit am Marschweg der Römer eine Stellung vorzubereiten um dort die Römer zu erwarten. In Kalkriese wurde eine Stellung gegen die Römer von den Germanen vorbereitet.
„…der vom Fluss und Wald umschlossen war und in dem sich eine schmale sumpfige Fläche befand.“
Diese Geländebeschreibung trifft auf Kalkriese zu. Als Fluss wäre die Hunte zu nennen, die in einem Abstand von etwa 10 Kilometern an Kalkriese vorbeifließt. Das mag auf den ersten Blick für den unmittelbaren Bereich der Niewedder Senke etwas weiträumig entfernt erscheinen, aber diese Schlacht hat sich sicherlich nicht auf einer Fläche von ein Paar Fußballfeldern zugetragen. Die Niewedder Senke selbst war zur Zeitwende teilweise bewaldet und hatte an ihrem Hangfuß eine schmale sumpfige Fläche.
„Auch um das Waldgebiet zog sich ein tiefer Sumpf,..“
Der tiefe Sumpf des Tacitus kann mit dem Großen Moor gleichgesetzt werden, welches sich nördlich des Hangfußes an die Niewedder Senke anschließt.
„..nur eine Seite hatten die Angrivarier durch einen breiten Damm erhöht, der die Grenzlinie zu den Cheruskern bilden sollte.“
Dieser eine Halbsatz errichtet aus bisheriger Leseart heraus ein germanisches Grenzbauwerk welches in ganz Germanien, und weit darüber hinaus, seinesgleichen sucht. Im Klartext: Es ist sehr unwahrscheinlich, dass sich der Stamm der Angrivarier, oder irgend ein anderer Germanenstamm jemals mit einem Grenzwall, der das Stammesterritorium umschloss oder nur an partiellen Stellen gebaut wurde, gegen seine Nachbarn geschützt hätte. Es gibt nirgendwo in Germanien einen Beweis oder gar nur ein Indiz für eine derartige Territorialgrenze zu dieser Zeit.
Dieser eine Halbsatz kann aber auch in einem ganz anderem Sinne zu gedeutet werden. In Kalkriese gab es einen Wall der innerhalb der Kampfhandlungen eine Rolle spielte. Dieser Wall könnte demnach eine Abgrenzung der Angrivarier zu den Cheruskern innerhalb der Strategie des Arminius gewesen sein, und bezeichnete die Stellung der Angrivarier während des Schlachtgeschehens. Eine Seite der Niewedder Senke, die Hangseite, hatten demnach die Angrivarier mit einem Damm erhöht und gingen dort in Stellung. Der Wall von Kalkriese wurde am Hang des Kalkrieser Berges errichtet.
„Hier ging das Fußvolk in Stellung. Die Reiterei nahm in den nahe gelegenen Lichtungen Deckung, um den Legionen, sobald sie in den Wald einmarschiert seien, in den Rücken zu fallen.“
Dem gegenüber, nördlich des Walles, bezogen die Cherusker Stellung in den Lichtungen des Waldes. Zwischen diesen beiden Positionen der Germanen sollten nach der Taktik des Arminius die Römer durchziehen, um sie dann zwischen den beiden Stellungen in die Zange zu nehmen.
„Dem Caesar blieb von diesen Maßnahmen nichts verborgen. Er kannte die Absichten und die Stellungen der Feinde, ob sie nun offen vor Augen lagen oder verborgen waren, und ihre schlauen Berechnungen suchte er in ihr Verderben zu verwandeln.“
Die offensichtliche Stellung der Germanen war der deutlich sichtbare Wall auf dem die Angrivarier Position bezogen haben. Dieser sollte nach der offensichtlichen Strategie des Arminius die Römer zu einem Angriff verleiten. Die verborgene Stellung war diejenige der Reitereinheiten des Arminius, die in den Lichtungen des Waldes nördlich des Walles positioniert waren. Aus dieser für die Römer verborgen gehaltenen, aber doch von ihnen entdeckten Stellung heraus wären die Germanen den auf den Wall anstürmenden Römern in den Rücken gefallen, wenn die Strategie des Arminius aufgegangen wäre. Aber Germanicus durchschaute den Plan und stimmte seine Strategie auf diese Ausgangslage ab.
„Dem Legaten Seius Tubero übergab er die Reiterei und wies ihm das ebene Feld zu.“
Demnach wurde Tubero mit seinen Reitern auf der ebenen Fläche am Fuß des Kalkrieser Berges postiert.
„Das Fußvolk stellte er so zum Kampf auf, dass ein Teil auf ebenen Gelände an den Wald heranrücken und in ihn einmarschieren,…“
Ein Teil des Fußvolkes zog gegen die im Wald postierten Cherusker,
„… der andere den vor ihnen liegenden Erdwall erklimmen sollte.“
und der andere zog gegen die Stellung der Angrivarier auf und an dem Wall.
„Diese schwierige Aufgabe behielt er sich persönlich vor, alles übrige überließ er den Legaten. Diejenigen, denen das ebene Gelände zugewiesen war, brachen mühelos in den Wald ein; diejenigen jedoch, die den Erdwall zu erstürmen hatten, hatten, wie wenn sie an eine Mauer vorrückten, unter einer schweren Beschießung von der Mauer herab zu leiden. Der Heerführer erkannte, wie ungleich dieser Nahkampf war. Er zog dagegen die Legionen ein wenig zurück und befahl den Schleuderern und Wurfschützen, ihre Geschosse zu werfen und den Feind vom Wall zu vertreiben. Von den Geschützen wurden Speere abgeschossen, und je sichtbarer die Verteidiger waren, mit um so größeren Verlusten wurden sie heruntergeworfen.“
Der Wall in Kalkriese eignete sich nicht als Angriffsstellung gegen ein durchziehendes römisches Heer, denn die Palisaden auf der Wallkrone hinderten die Germanen daran sich massiv auf eine durchziehende Marschkolonne zu stürzen, was der Theorie einer Varusschlacht in Kalkriese massiv widerspricht. Dieser Wall kann nach seiner Anlage her ausschließlich ein Verteidigungsbauwerk gewesen sein. Die Darstellung des Angriffes der Legionen auf den Wall beschreibt ausdrücklich ein Verteidigungsbauwerk im Zusammenhang mit der Schlacht am Angrivarierwall, von dem herab sich die Germanen der Angriffe erwehrten. Erst nach einem massiven Beschuss der Germanen auf dem Wall änderte sich die Situation und der Wall war bereit erstürmt zu werden.
„An der Spitze seiner Prätorianerkohorten eroberte der Caesar den Wall und trat zum Sturmangriff auf den Wald an, wo man Mann gegen Mann rang.“
Nach dem Ausgrabungsergebnis in Kalkriese ist ein Teil des Walles schon während der Kampfhandlungen eingestürzt. Unter dem Wallmaterial unmittelbar vor dem Wall lag das Skelett eines Maultieres und unmittelbar hinter dem Wall unter dem Wallmaterial lag auch ein Skelett eines Maultieres. Das kann eigentlich nur bedeuten, dass die Römer den Wall eingerissen und erobert hatten, und sich auch hinter dem Wall befunden haben müssen.
„Den Feind riegelte im Rücken der Sumpf, die Römer der Fluss oder die Berge ab. Beide Teile mussten unbedingt ihre Stellung behaupten, sie konnten nur auf ihren Mannesmut sich verlassen und nur von einem Sieg Rettung erhoffen.“
Nachdem die Römer den Wall erstürmt hatten und die linke Front, die vordem von den Angrivariern gehalten wurde, erobert hatten, blieb nur der Gegner im Wald am Rande des Großen Moores. Jetzt hatten die Römer den Kalkrieser Berg und die Hunte als Fluss im Rücken und die Germanen den Sumpf. Kalkriese liegt am Rand des Wiehengebirges und hier gibt es die beschriebenen Berge im Rücken der Römer, und gleichfalls den Sumpf des Großen Moores im Rücken der Germanen.
„Nicht geringer Mut beseelte die Germanen. Aber durch ihre Kampfweise und durch die Art ihrer Waffen waren sie unterlegen. Die große Menschenmasse konnte in dem engen Raum ihre überlangen Lanzen weder vorstrecken noch zurückziehen und ihre körperliche Behändigkeit auch nicht zum Anrennen auf den Feind ausnützen, da sie zum Kampf auf einen festen Standort gezwungen war. Dagegen stachen die römischen Soldaten, ihre Schilde fest an die Brust gepresst und mit den Hand fest den Schwergriff umfassend, auf die breiten Gliedmaßen der Barbaren und ihre ungeschützten Gesichter ein und bahnten sich über die Leichen der Feinde den Weg, während es Arminius infolge der andauernden Kämpfe an Tatkraft fehlen ließ; vielleicht war er auch durch seine frische Verwundung gehemmt. Ja, auch dem Inguiomerus, der auf dem ganzen Schlachtfeld umherflog, verließ weniger der Mannesmut als vielmehr das Glück. Germanicus hatte, um besser erkannt zu werden, seine Kopfbedeckung abgenommen und bat seine Leute, mit dem Morden nicht einzuhalten. Man brauche keine Gefangenen zu machen, nur die Vernichtung des Stammes werde dem Krieg ein Ende setzen. Es war schon spät am Tage, als er eine Legion von dem Kampfplatz abrücken ließ, um ein Lager zu schlagen. Die übrigen sättigten sich bis zum Eintritt der Nacht an dem Blut der Feinde.“
Der Kampf auf einem begrenztem Terrain spricht auch für die Geländesituation in der Niewedder Senke.
„ Der Kampf der Reiterei brachte keine Entscheidung.“
Dass bei Kalkriese auch germanische Reitereinheiten kämpften, erhält durch zwei Ausgrabungsbefunde ihre Bestätigung. Zum eine besagt der Fund eines germanischen Reitersporns die Anwesenheit germanischer Reiter nördlich des Walles an dem eigentlich nach der Aussage der Kalkrieseausgräber die Römer untergegangen sein sollten, und andererseits deutet das Skelett eines germanischen Pferdes am Fuße des Walles, gleichfalls auf der „Römerseite“ darauf, dass hier germanische Reitereinheiten gekämpft haben müssen. Für ein Varusschlachtsszenario, bei Kalkriese scheinen germanische Reitereinheiten an der nördlichen Seite des Walles deplaziert zu sein.
Es bieten sich ausgesprochen viele eindeutige Parallelen zwischen dem Bericht des Tacitus über die Schlacht am Angrivarierwall, den topographischen Gegebenheiten bei Kalkriese sowie den Ausgrabungsergebnissen an. Diese zu negieren und einfach beiseite zu wischen, und gleichzeitig ein Varusschlachtfeld in der Niewedder Senke auf weit größeren Ungereimtheiten zu postulieren, grenzt an Ignoranz gegenüber einer gebotenen ergebnisoffenen Forschung an diesem Ort.
Gruß
maelo