Kalkriese als Ort der Varusschlacht zweifelhaft

Ist das nicht Wahrscheinlichkeit im Sinne einer subjektivistischen Wahrscheinlichkeitsauffassung, das heißt basierend auf persönlicher Intuition und Expertenwissen?

Die Frage ist in diesem Fall, ob bei der schlechten Quellenlage zum Thema Varusschlacht und den verschieden interpretierbaren archäologischen Funden bei solchen Aussagen das Expertenwissen oder die Intuition überwiegt, und ob ggfs. sogar nur Dogmen als Grundlage dienen.

Nichts gegen Dogmen im Allgemeinen, aber sie verhindern doch häufig eine offene Diskussion.
Eine Diskussion sollte natürlich offen sein. Aber auch nicht zu offen. Jedenfalls nicht so offen, dass sie von jeglichem Sinn befreit wird. Sinnbefreit ist eine Diskussion dann, wenn Argumente, für die keinerlei Belege vorgetragen werden oder die gar im Widerspruch zu vorhandenen Belegen stehen, als gleichrangig mit durch Belege begründeten Argumenten diskutiert werden. Dann dreht sich die Diskussion nämlich nicht um Thesen, sondern um Beliebigkeiten, die sich irgendwer vorstellen kann.

Ich teile auch nicht Deine Auffassung, dass die Befürworter der Varusschlacht-Theorie ihre Ansichten lediglich auf "Intuition" gründen würden. Streng genommen, grenzt so eine Auffassung sogar an Verleumdung, denn damit wird den Wissenschaftlern, die in Kalkriese Ausgrabungen vornehmen und Funde auswerten, die Wissenschaftlichkeit ihres Vorgehens abgesprochen.

Die Wahrheit sieht so aus, dass die Befürworter ihre These aus den Funden ableiten. Richtig ist natürlich Deine Haltung, dass diese Interpretation der Kalkriese-Wissenschaftler nicht als erwiesene Wahrheit anzusehen ist und dass selbst Laien wie wir auch hier in diesem Forum die Funde - soweit sie uns bekannt sind - anders interpretieren können. Nur: Solche Interpretationen sollten dann auch zur Fundsituation passen und ihr nicht Hohn sprechen.

MfG
 
Was glaubt man vom Zug des Varus zu wissen?
Varus marschiert wegen Unruhen im Osten "kurz " vor dem Abmarsch ins Winterquartier Richtung Osten. Wo könnte das gewesen sein? Und welche Gegend ist so wichtig, das ein "Aufstand" kurz vor dem Winter 3 römische Legionen mit anfangs ~10 000 Mann aus der Reserve lockt? Sicher nicht die Börde oder die Heide, eher doch die Bergbaugebiete am Nordrand der Mittelgebirge, kleinere Stämme gibts östlich der Elbe, die Furt dahin ist bei Magdeburg. Irgendwo auf dem Weg dahin entscheidet er sich zur Umkehr, weil ihm die germanischen Hilfstruppen "abhanden " kommen.
Wegen der Aufständischen will er nach Norden ausweichen, da ihm die jetzige B1 wegen der dichten Besiedelung und der Unruhen zu gefährlich erscheint. Er braucht für seine Legionen relativ ebenes Gelände, ohne viele Sümpfe, dünner besiedeltes Gebiet.

Nun grob erfüllt die heutige A2 diese Bedingungen bis kurz nördlich Hannover, dann gehts gerade weiter auf "unbekannten Nebenstrecken" ziemlich geradeaus nach Kalkriese. Von da aus weiter "geradeaus" geht der Weg zur Ems.

Hätte ich mit halbwegs Kenntnis der Geografie , die wir auch bei Varus vorraussetzen können, größere Truppenteile mit Nachschubeinheiten durch ein aufständisches Niedersachsen/Westfalen zu führen, wäre das meine Route.

Wäre ich Anführer der Rhein/Wesergermanen, ich würde diesen Zug am Südrand der Heide pieksen , wo´s nur geht und mir den Rest genau bei Kalkriese greifen.
Vorher macht es keinen Sinn, denn ich kann die benötigten Truppen wegen des Vormarschs des Varus , wahrscheinlich weiter südlich und somit "leergefressen", nicht versorgen und danach gibts wenig Möglichkeiten , die Römer an der Entfaltung ihrer Taktik zu hindern. Im Osnabrücker Land habe ich aber auch nördlich dieses Zuges fruchtbare Gegenden, so das meine Truppen auch ohne Troß /Nachschubeinheiten versorgt sind.
Ist übrigens keine totale Spintisiererei, sondern eins der Planspiele aus der Zeit des kalten Kriegs. Und was ist die Flucht, denn was anderes ist der Rückmarsch des Varus nicht, anderes als ein Angriff aus Osten mit Angriffsziel "Rhein"?

Nun zu den Dogmen:
1.Eine römische Legion besteht aus 4-6000 Mann , an der "Varusschlacht " sind ~12000 Römer beteiligt.
Nun, Varus ist "im Frieden" in Begleitung von "Freunden" losgezogen, also alle nicht ganz gesunden werden ins Winterlager geschickt, er marschiert mit ~ 5-10 000 Legionären, wobei die Truppenstärke eher in der Nähe von 5000 Mann liegt.
Ist ja nur ein kleinerer Aufstand und er hat Arminius mit seinen Hilfstruppen, und der will unterwegs noch Hilfstruppen mobilisieren.
2. Die Germanen sind den Römern an Taktik und Bewaffnung unterlegen.
Nein, die Römer kämpfen gegen die eigenen, gut ausgerüsteten Hilfstruppen, haben kaum Erfahrung im Guerillakampf und können ihre Kampfweise in der halboffenen "Hudelandschaft" nicht anwenden. Die Germanen kennen "ihre" Gegend aus der Westentasche.

Es kommen also am ersten Lager vor der Entscheidungsschlacht des Varus keine 10 000 sondern höchstens, von mir geschätzt , 3000 Soldaten an. Die dreifache Übermacht für einen erfolgreichen Angriff auf einen gleichwertigen Gegener angesetzt, braucht Arminius so ~ 9 000, um sicher Erfolg zu haben. Eine durchaus realistische Zahl, in der Gegend auch damals recht gut zu versorgen und zusammenzubringen.

Es stehen sich also um Kalkriese ~3-6000 erschöpfte Legionäre und 6-9 000 ausgeruhte Germanen gegenüber. An Varus Stelle hätte ich aufgegeben ...
 
Im Osten waren die Elbgermanen, und da wär er sicher nicht freiwillig hinmarschiert. Seine Winterquartiere lagen von den Sommerlagern bei den Cheruskern aus im Westen. Oder ich blick grad gar nix mehr.
 
nirgends, aber, egal wo das Sommerlager des Varus war, "ein kleinerer Aufstand" auf dem Weg zwischen Sommer und Winterlager hätte Varus nicht zu einem "Umweg" veranlasst. Im Gegenteil, Varus wäre vorsichtig in Bezug auf die Zuverlässigkeit der Cherusker geworden.
Es bleibt für einen Varus im Raum der Wesergermanen und für einen Hilfstruppen dagegen sammeln wollenden Cherusker nur ein "Aufstand" von Elbgermanen . Und die wohnen östlich.
Und nur so auch kann Arminius Truppen unter den Augen der Römer sammeln, glaubhaft. Und Arminius muß die Römer in für sie wenig bekanntes Gelände kriegen, damit er sie auf dem Rückweg entsprechend schwächen kann durch Beunruhigung, Nachschubmangel und Vernichtung, entschuldigt diese unmenschliche Wort, der Flankensicherung sowie der Fouragiertrupps.
Wenn sich Varus im Gebiet der Cherusker aufgehalten hat und die Winterlager im Westen gelegen haben. Außerdem wäre allein schon durch den regulären Botenverkehr zwischen Sommer und Winterlager die Gefahr zu groß, das die List des Arminius auffliegt
 
Warum sollte er nicht zu den Elbgermanen marschieren? Die waren genauso befriedet wie der Rest Germaniens. Und "Unruhen" bei denen gefährden die "Provinzierung" des ganzen "westlichen" Rests. Varus hatte also gute Gründe, begleitet von den treuen Cheruskern , bei den Elbgermanen für Ruhe zu sorgen.Eine Woche hin, römische Macht und Güte demonstrieren und ab ins Warme. Er wußte ja nicht, das er ganz gewaltig vorgeführt wurde. Und als er´s wußte, wars zu spät. Die Warnungen vor Arminius mußte er für eine Stammesinterne Intrige halten.

Ich habe eben n och einmal im Netzt gesurft.
Ein weiteres "Dogma" ist , Varus benutzte den Hellweg für seinen Rückmarsch.
Nein, denn diesen Weg kannten die Römer auch bis ins Detail, in dem bergigen Gelände wären sie zwar auch eingeengt, aber die Germanen hätten nicht so die Taktik der Nadelstiche anwenden können und die Legionen wären gut versorgt gewesen. Im flacheren Gelände am Rande der Südheide ist dieses grausame Spiel deutlich leichter zu spielen. Vorallem mit leichter Infantrie und Reiter/Panzerunterstützung gegen schwere Infantrie ohne Reiter , aber mit "Artillerie". Wenn jemand hangaufwärts flüchtet, machen die Scheibenschießen, im flachen verschießen die sich ohne große Wirkung. Das würde die relativ wenigen Geschosse in Kalkriese erklären.
Varus kam also nicht vom Hellweg nach Kalkriese, sondern wollte von Kalkriese zum Hellweg.
Ob das stimmt, was ich mir denke, werden die Grabungen zeigen. Stichwort: Sohlennägel, römischer Marschmüll. Der müßte dann östlich, eher nordöstlich als südöstlich zu finden sein.
 
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Warum sollte er nicht zu den Elbgermanen marschieren? Die waren genauso befriedet wie der Rest Germaniens.

Ich meine die Herrschaften östlich der Elbe. Auch wenn Flüsse keine klare Abgrenzung von Siedlungsgebieten darstellen, so reichte nach meinem Verständnis das Siedlungsgebiet der Cherusker seit der Eroberung Germaniens bis an die Elbe. Die Stämme östlich der Elbe waren Alles andere als befriedet. Einige sollen auch zur Koalition Marbods gehört haben. Da hatte der Herr Statthalter sicher nix verloren.
 
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nirgends, aber, egal wo das Sommerlager des Varus war, "ein kleinerer Aufstand" auf dem Weg zwischen Sommer und Winterlager hätte Varus nicht zu einem "Umweg" veranlasst. Im Gegenteil, Varus wäre vorsichtig in Bezug auf die Zuverlässigkeit der Cherusker geworden.

Wieso das denn? Nördlich der Cherusker gabs noch jede Menge Stämme mit Potential. Nur östlich war halt die Elbe :grübel:
 
Ist das nicht Wahrscheinlichkeit im Sinne einer subjektivistischen Wahrscheinlichkeitsauffassung, das heißt basierend auf persönlicher Intuition und Expertenwissen?

Wenn ich anhand der Beschreibungen der römischen Autoren den Ort des Geschehens auf wenige geographische Lagen eingrenze und nur eine davon entsprechende Archäologische Funde aufweist, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieses der tatsächliche Ort (bzw. ein Teil davon) ist, keine Feststellung "im Sinne einer subjektivistischen Wahrscheinlichkeitsauffassung" sondern eine objetive Schlussfolgerung.

Die Frage ist in diesem Fall, ob bei der schlechten Quellenlage zum Thema Varusschlacht und den verschieden interpretierbaren archäologischen Funden bei solchen Aussagen das Expertenwissen oder die Intuition überwiegt, und ob ggfs. sogar nur Dogmen als Grundlage dienen.

Ist es nicht so, dass die Schlacht über Jahrhunderte in den Teutoburger Wald verortet wurde und erst die Funde Kalkriese als das wahrscheinlichere Szenario den Vorzug gegeben haben?

Das Dogma wäre in diesem Fall die Überlieferung für den Teutoburger Wald und nicht die auf Grund der Funde entstandene Annahme für Kalkriese. Ein Punkt der offensichtlich noch einige Lokalpatrioten bewegt.

Nichts gegen Dogmen im Allgemeinen, aber sie verhindern doch häufig eine offene Diskussion.

Eine "offene" diskussion sollte nicht dazu führen, dass man sich permanent in irgendwelchen Annahmen und Hypothesen verliert, die durch keinerlei objektiven Belege gestützt werden und nur auf irgendwelchen willkürlichen Hypothesen basieren.

Und ich habe sehr wohl etwas gegen "Dogmen" auch im Allgemeinen, da sie eher in die Religion als in die Wissenschaft gehören.
 
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Bitte um Nachsicht für das OT im Sinne des Threadtitels - aber die Frage wird wohl in diesem Leben ohnehin nicht mehr gelöst werden. Vorweg: Ich bin in den Themen Rom und Kalkriese nicht mehr als ein interessierter Laie, der wegen völliger Lateinahnungslosigkeit keinen Zugang zu den noch erhaltenen Quellen hat. In erster Linie habe ich einige - weitgehend offene Fragen - sprich, ich habe einige Thesen, von denen ich aber nicht weiß, ob diese anhand des Forschungsstandes seriös diskutiert werden können.

Zunächst aber meine einzige nicht ganz offene Frage. Diese steht in dem Zusammenhang, was denn nun in Kalkriese gewesen sein kann:
Wenn ich nun annehme, dass der Wall in Kalkriese a) von Germanen und b) im Jahr 9 n. Chr. zielgerichtet angelegt worden ist, so dürfte es doch eher unwahrscheinlich sein, dass der damit verbundene Aufwand getrieben wurde, um einen kleinen Truppenteil oder eine nur mit schwacher Bedeckung dahintrödelnde Nachschubkolonne o. ä. zu überfallen. Das "Ziel" müsste demnach doch ein Verband gewesen sein, der a) eine gewisse Größe (die den Aufwand der Arbeiten rechtfertigte), b) einen entsprechenden materiellen, politischen oder moralischen Wert, sowie c) eine gewisse Wehrhaftigkeit besass, die eben jenen Aufwand zur Errichtung des Walls als notwendig und angemessen erscheinen lassen. Oder gab es andere Gründe/Beispiele, aus denen germanische Stämme solche oder ähnliche Wälle aufgeworfen haben?
Die Anwesenheit des Walls wäre demnach doch zumindest ein Indiz dafür, dass die Erbauer hier ein größeres Engagement planten. Das muss doch auch einen gewissen zeitlichen Vorlauf, damit einen Plan und schließlich eine entsprechende Geheimhaltung erfordert haben. Gleichzeitig musste dieser Wall außerhalb des Gebietes sein, das "regelmäßig" von loyalen Dienern Roms bereist bzw. bestreift oder aufgeklärt wurde. Das sind in meinen Augen gute Indizien für die Annahme, dass der Wall von Kalkriese Teil jener Falle war, die Arminius für Varus angelegt hatte.

Damit komme ich zu meinen offenen Fragen:
1. Allein die Planung eines laufenden Gefechtes über mindestens drei Tage Dauer und bummelig 20 - 50 km Strecke hätte ja in Bezug auf "Command and Control" mit Sicherheit ganz erhebliche Anforderungen an die Truppenorganisation und "Stabsarbeit" im "Heer" des Arminius gestellt: Kommunikation zwischen den einzelnen germanischen Kontingenten, Koordination von Angriffen, Deckung von Hinterhalten etc. . Wenn man (Anleihe vom Nachbarthread) sieht, dass eine einigermaßen geschlossene, organisierte Armee eines Staatenbundes wie die der Südstaaten bei Gettysburg mit ganz anderen technischen Mitteln und klarer Hierarchie sowie einem charismatischen Kommandeur es bei einer statischen Frontlinie von höchstens 15 km Länge nicht fertig gebracht hat, auch nur eine einzige einigermaßen konzertierte Aktion ihrer Korps hinzubekommen, so muss die entsprechende organisatorische Leistung der Germanen doch selbst im Falle des schnöden Überfalls auf einen auch nur 5 - 10 km langen Heerzug ein recht gut funktionierendes Stabs- und Kommunikationswesen erfordert haben. Und das auf einem Schlachtfeld, auf dem auch die meisten beteiligten Germanen nicht daheim gewesen sein dürften. Ist das mit dem damaligen Leistungsstand des Kriegswesens der beteiligten Stämme vereinbar? Gibt es einen Forschungsstand dazu, wie Germanen mit und ohne römische Schulung so etwas abgewickelt hätten?


Stichwort Operation: Wenn ich einen Gegner auf dem Marsch in "Ab-sofort-Feindesland" überraschen wollte, würde zumindest ich den Überraschungsschlag gegen den Tross richten. Hierzu meine Frage: Mir ist nach den mir vorliegenden Unterlagen nicht klar, ob die Legionäre auf dem Marsch im Frieden ihren Schild immer am Mann trugen, oder diesen ggf. auf ihre Tragtiere verluden. Falls zweiteres: Waren die den Contubernien zugeordneten Tragtiere in der Regal auf einem solchen Marsch in deren Nähe oder ggf. einige km weit weg in einem zentralen Tross? In diesem Falle hätte ein überraschender Angriff auf den Tross die Truppe ganz erheblich geschwächt, indem nicht nur Legionsartillerie, Proviant, Wasser und Schanzwerkzeug, sondern auch ein Großteil der Schilde verloren wäre, mit dem die Legionäre ein wesentliches Werkzeug ihres Formationskampfes verloren? Könnte das Paterculus' "Gleichgültigkeit des Führers" gewesen sein?
Wie "leicht" eine römische Truppe auf dem Marsch selbst unter Kriegsbedingungen zu verwirren und dann zu schlagen war, hat Arminius möglicherweise im Bello Gallico nachgelesen. Ambiorix ? Wikipedia


Zu Zahl und Qualität der römischen Truppen:
- Könnte ein Teil der laut Paterculus niedergemetzelten sechs Auxiliarkohorten gar nicht erschlagen worden sein, sondern den meuternden Kern der Truppen des Arminius gebildet haben?

- Wie stark waren Varus' Truppen in ihrer Zahl?

Wenn die Römer schon dabei waren, östlich des Rheins eine Provinz einzurichten: Gab es Besatzungstruppen, die in einzelnen Standorten über das Land verteilt waren? Wer stellte diese in augusteischer Zeit in der Regel? Lediglich Auxiliareinheiten oder kann es sein, dass beträchtliche Teile der drei Legionen des Varus auf einzelne kleinere Kastelle verteilt waren - entweder irgendwo oder im Sinne der Sicherung der Nachschub- und Verbindungsrouten zum Rhein auf der Strecke, über die Varus ursprünglich in die Winterlager zurückmarschieren wollte und damit abseits des tatsächlichen Weges in die Katastrophe der römischen Hauptmacht?

Wenn drei Legionen auf einen Feldzug ausrücken: Wer bleibt als Stallwache bzw. zur Aufrechterhaltung des Betriebs und Materials in den Standlagern zurück? Niemand? Andere Einheiten? Oder ein bis x Kohorten der entsprechenden Legionen? Stutzig hat mich gemacht, dass Paterculus in seinem Bericht ausdrücklich nur von zwei Lagerpräfekten spricht. (Ich beziehe mich hier und im folgenden auf die hier befindliche Übersetzung: Velleius Paterculus, Römische Geschichte 117-119 -)

Soweit ich weiß, hatte jede Legion einen Lagerpräfekten. Gem. Paterculus fehlt also bereits ein Lagerpräfekt. Wo mag dieser gewesen sein? Hat er den Heimatstandort verwaltet? Oder war es jener Lucius Caedicius, der ggf. ein Lagerpräfekt war und möglicherweise Aliso verteidigt hat? Lucius Caedicius ? Wikipedia Falls ja: War er schon vorher in Aliso, ggf. im Rahmen der Besatzungstruppen, oder nur während der aktuellen Feldzugssaison, um den Nachschub des Hauptverbandes auf dem Feldzug zu organisieren und zu sichern?

Ebenso nennt Paterculus nur "ein[en] Legat des Varus", der mit der Reiterei getürmt ist. Müsste Varus nicht auch drei Legaten dabeigehabt haben? Oder waren einer oder zwei von ihnen anderweitig beschäftigt, krank, auf Heimaturlaub, in einem anderen Besatzungsabschnitt? Kann die nur sehr eingeschränkte Auswahl an militärischem Spitzenpersonal in Paterculus' Bericht ein seriöser Hinweis auf ein römisches Heer sein, das in der "Varusschlacht" bestenfalls aus zwei bis drei halben Legionen bestanden hat?

Ich finde, hier hat unser o. a. aufgetretender römischer Wiedergänger L. CAELIVS durchaus einen Punkt. Sicherlich muss es zu Anfang einen Schlag gegen Varus' "Feldheer" gegeben haben. Aber wie wahrscheinlich ist es tatsächlich, dass Varus in seiner letzten Schlacht ggf. tatsächlich nur einige Kohorten (5 - 15) bei sich hatte und der Rest in der Folge en détail eliminiert wurde? Mit einzelnen oder zwei bis drei Kohorten dürften die bereits siegreichen Germanen keine größeren Probleme gehabt haben, solange sie selbst ihre Hauptmacht beisammenhielten - eine römische Hauptmacht, die Entsatz hätte leisten können, gab es östlich des Rheins nun ja nicht mehr. Ein ähnliches Aufrollen der Besatzung ist aus dem Aufstand der Iceni und Trinovantes in Britannien überliefert. Boudicca ? Wikipedia


Zur Qualität der drei bei Varus befindlichen Legionen, die m. W. noch gar nicht thematisiert worden ist:
Paterculus bezeichnet sie zwar als "Die tapferste Armee von allen, führend unter den römischen Truppen, was Disziplin, Tapferkeit und Kriegserfahrung angeht." Aber wo soll sie ihre Kriegserfahrung hergehabt haben? Nach Märtin (ich weiß, aber ich hab nichts besseres zur Hand) können Teile von ihr am Aufmarsch Tiberius' gegen Marbod im Jahre 6 n. Chr. beteiligt gewesen zu sein. Nennenswerte Kampfhandlungen sind m. W. aber nicht überliefert. Von 6 bis 9 tobte der pannonische Aufstand, der fünfzehn Legionen band und auch in Africa war es zu einer Rebellion gekommen. Dass nach der Varusniederlage Zwang ausgeübt werden musste, um in Italien wenigstens eine neue Legion aufzustellen (Märtin schreibt in diesem Zusammenhang selbst von der Notmaßnahme der Rekrutierung freigelassener Sklaven), weist m. E. auf ganz erheblichen Personalmangel hin. Kann ggf. in diesem Zusammenhang davon ausgegangen werden, dass die Rheinlegionen zugunsten derjenigen Legionen, die in Pannonien kämpften, bereits geschwächt worden waren? Entweder durch direkte Abstellung von einzelnen Einheiten, ggf. im Tausch gegen eher unerfahrene Rekruten, oder auch ersatzlos? Oder dass Verluste an Führungspersonal aus den motivierten Leuten der ruhmlos am Rhein stehenden Legionen aufgefüllt worden waren? Meine These ist, dass Qualität und Zahl der am Rhein stationierten Truppen zumindest indirekt vom pannonischen Aufstand betroffen gewesen sind. Wenn Arminius wirklich der schlaue Fuchs war, als der er dargestellt wird, ist doch nicht ausgeschlossen, dass sein Losschlagen gerade zu dem Zeitpunkt, als der größte und beste Teil der Legionen in Pannonien gebunden war, exzellent getimed war.

Gibt es zu all diesen Thesen/Spekulationen irgendwelche Hinweise in den Quellen ggf. auch zu anderen Legionen in anderen Feldzügen in anderen Provinzen?
 
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Damit komme ich zu meinen offenen Fragen:
1. Allein die Planung eines laufenden Gefechtes über mindestens drei Tage Dauer und bummelig 20 - 50 km Strecke hätte ja in Bezug auf "Command and Control" mit Sicherheit ganz erhebliche Anforderungen an die Truppenorganisation und "Stabsarbeit" im "Heer" des Arminius gestellt: Kommunikation zwischen den einzelnen germanischen Kontingenten, Koordination von Angriffen, Deckung von Hinterhalten etc. . Wenn man (Anleihe vom Nachbarthread) sieht, dass eine einigermaßen geschlossene, organisierte Armee eines Staatenbundes wie die der Südstaaten bei Gettysburg mit ganz anderen technischen Mitteln und klarer Hierarchie sowie einem charismatischen Kommandeur es bei einer statischen Frontlinie von höchstens 15 km Länge nicht fertig gebracht hat, auch nur eine einzige einigermaßen konzertierte Aktion ihrer Korps hinzubekommen, so muss die entsprechende organisatorische Leistung der Germanen doch selbst im Falle des schnöden Überfalls auf einen auch nur 5 - 10 km langen Heerzug ein recht gut funktionierendes Stabs- und Kommunikationswesen erfordert haben. Und das auf einem Schlachtfeld, auf dem auch die meisten beteiligten Germanen nicht daheim gewesen sein dürften. Ist das mit dem damaligen Leistungsstand des Kriegswesens der beteiligten Stämme vereinbar? Gibt es einen Forschungsstand dazu, wie Germanen mit und ohne römische Schulung so etwas abgewickelt hätten?

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Brauchte man für diese Operation wirklich eine solch komplizierte Koordination? Es gibt doch relativ moderne Beispiele bei denen "primitive" Heere moderneren Armeen ähnliche Schlappen zufügten. So die Schlacht am Wabash 1791, der Rückzug der Briten aus Kabul 1842, die italienische Niederlage bei Adua 1896, die Schlacht bei Isandlwana oder sogar die Verfolgung der Grand Armee durch Kosaken und Partisanen 1812.

Selbstverständlich gehört eine ordentliche Portion Koordinierung dazu, genügend Kämpfer für solch ein Unternehmen zusammenzubringen. Aber wenn die Schlacht erst einmal im Gange ist, kann ein dezentralisiertes Vorgehen auch von Vorteil sein, wenn auf Grund der geographischen und klimatischen Gegebenheiten, der Gegner nicht die Überlegenheit ins Spiel bringen kann, die ihm üblicherweise seine höhere Strukturierung und taktische Ausbildung bringen würden.

Ich finde jedoch deinen Hinweis schlüssig, dass der Wall auf eine sorgfältige Vorbereitung hinweist, die man nicht für jedes Geplänkel angesetzt hätte.

Auch ist es gut zu erinnern, dass bei anderen Gelegenheiten größere römische Kontingente von Barbaren vernichtet wurden. Ich weiss nicht mehr, wer weiter oben von der angeblich haushohen militärischen Überlegenheit der Römer geprochen hat. Das mag für ein komplettes Heer gelten, nicht jedoch mann gegen Mann. Der technische Vorsprung war nicht so groß wie zur Zeit der Feuerwaffen gegen Pfeil und Bogen, und zersplitterte Gruppen, vom marschieren müder und hungriger Legionäre, hatte keinen nennenswerten Vorteil mehr vor ausgeruhten Barbaren.
 
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Ich finde jedoch deinen Hinweis schlüssig, dass der Wall auf eine sorgfältige Vorbereitung hinweist, die man nicht für jedes Geplänkel angesetzt hätte.
das scheint mir auch ein relevantes Indiz für eine größere vorgeplante militär. Aktion (irgendwo zwischen Hinterhalt und vorbereitetem Schlachtfeld) zu sein

Auch ist es gut zu erinnern, dass bei anderen Gelegenheiten größere römische Kontingente von Barbaren vernichtet wurden.
trotz der antiken Barbarenideologie ist zu konstatieren, dass Rom eben nicht nur Opfer, sondern auch ernstzunehmende Gegner hatte - und zwar unter den so genannten Barbaren. Und es war gewiß nicht immer Unfähigkeit der röm. Generäle, wenn die Legionen nicht siegten.

@Neddy: klasse Beitrag!!
 
Nun, welche Germanen wo saßen, ist so glasklar, wie es scheint nicht. Die Elbgermanen saßen beidseits der Elbe, später ging dieses "Land der Nordschwaben" bis an die Oker. Angeblich ging das römische Reich bis an die Elbe.
 
nirgends, aber, egal wo das Sommerlager des Varus war, "ein kleinerer Aufstand" auf dem Weg zwischen Sommer und Winterlager hätte Varus nicht zu einem "Umweg" veranlasst. ...

Moin

Das ist für mich nicht schlüssig!

Wenn ich von Hannover nach Dortmund fahren will, dann auf der A2 über Bielefeld. Werde ich nun, warum auch immer, über Osnabrück oder Paderborn umgeleitet, so bewege ich mich immer noch gen Westen und dennoch fahre ich einen Umweg!
 
Xander, stimmt. Aber dieser Umweg hätte m.E. nicht die Verzögerung gebracht, die Arminius brauchte.
Aber egal wie, Varus mußtevom Hellweg runter in "römerfeindliches" Gebiet gelotst werden. Und er mußte , so Kalkriese Teil der Geschichte um Varus ist, an diesen Wall geleitet werden. Und die Marschstrecke sollte so lang sein, das eben für diesen Wall und das Aufgebot der Germanen genug Zeit blieb.

Von Hidesheim nach Duisburg sind ~300km, also 20 Tage Fußmarsch. Ein im Spätsommer ins Winterlager ziehender Varus kommt ~ im September in Kalkriese an, bei bestem Wetter sozusagen. Wenn das Wetter ähnlich war wie heute, kann Arminius den aber erst Anfang Oktober in Kalkriese gebrauchen, wegen des bei Germanens so beliebten Regens beim Kämpfen. Außerdem brauchen Arminius Milizionäre ja noch Zeit, einen Teil der Ernte zu verarbeiten, denn ohne Mampf kein Kampf.

Sicherlich ist auch ein anderes Szenario denkbar, das Varus Truppen an den Südrand der Heide lockte. Nur von ~ Hannover bis Kalkriese sind´s nur ~ 100km. Also nur 10 Tage Marsch. Arminius hätte dann recht ausgeruhte römische Kerntruppen als Gegner gehabt. Und in 10 Tagen sind die wohl auch nicht so zu verunsichern, das auf Flankensicherung und Vorauserkundung verzichtet wird. Und dann klappt die Sache mit dem Wall nicht.

Aber diese meine Ausführungen sind ja nun reine Spekulation, Gedankensplitter. Genaues wird der Spaten bringen. Es würde aber erklären, warum keine römischen Lager an der B1 , die ja nun archäologisch doch ziemlich "erschlossen" ist, gefunden wurden.
 
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Wenn ich nun annehme, dass der Wall in Kalkriese a) von Germanen und b) im Jahr 9 n. Chr. zielgerichtet angelegt worden ist, so dürfte es doch eher unwahrscheinlich sein, dass der damit verbundene Aufwand getrieben wurde, um einen kleinen Truppenteil oder eine nur mit schwacher Bedeckung dahintrödelnde Nachschubkolonne o. ä. zu überfallen. Das "Ziel" müsste demnach doch ein Verband gewesen sein, der a) eine gewisse Größe (die den Aufwand der Arbeiten rechtfertigte), b) einen entsprechenden materiellen, politischen oder moralischen Wert, sowie c) eine gewisse Wehrhaftigkeit besass, die eben jenen Aufwand zur Errichtung des Walls als notwendig und angemessen erscheinen lassen. Oder gab es andere Gründe/Beispiele, aus denen germanische Stämme solche oder ähnliche Wälle aufgeworfen haben?

Die Frage des Aufwandes war im Thema mal diskutiert worden. Grob geschätzt ein paar Tausend Kubikmeter bei einigen Tausend Germanen. Also ein paar Tage.

Das wiederum lässt den Schluss offen, ob der Wallbau erst begonnen worden ist, als die Marschroute (freiwillig oder durch "Stiche" provoziert) bereits bekannt war. Ein paar Tage Vorsprung, bei Bewegung des Varus nördlich des Wiehengebirges und gesperrter Pässe leicht vorstellbar), reichen da für den Bau aus.

Von daher ist die Vorstellung nicht zwingend, der Wall sei sehr weit "vorausschauend" errichtet worden, wodurch eine andere Bewertung des Aufwandes erfolgen könnte.

So eine "Bereitstellung" (allerdings ohne Wall, bei anderem Gelände) am Rand des grob absehbaren Rückweges der Römer könnte auch beim Harzhorn vorgelegen haben.
 
nirgends, aber, egal wo das Sommerlager des Varus war, "ein kleinerer Aufstand" auf dem Weg zwischen Sommer und Winterlager hätte Varus nicht zu einem "Umweg" veranlasst. Im Gegenteil, Varus wäre vorsichtig in Bezug auf die Zuverlässigkeit der Cherusker geworden.

Aber es waren doch gerade sie, die laut Überlieferung den Aufstand meldeten, damit er niedergeschlagen werden könnte.

Es bleibt für einen Varus im Raum der Wesergermanen und für einen Hilfstruppen dagegen sammeln wollenden Cherusker nur ein "Aufstand" von Elbgermanen . Und die wohnen östlich.

Können einen Aufstand nicht eigentlich nur die Völker unternehmen, die schon "beherrscht" (vermeintlich beherrscht!) werden? Sprich die Völker zwischen Rhein und Weser? Die Elbgermanen gehörten doch zum Einflussbereich des Marbod. Oder, wie Agricola es ausdrückt:

Die Stämme östlich der Elbe waren alles andere als befriedet. Einige sollen auch zur Koalition Marbods gehört haben. Da hatte der Herr Statthalter sicher nix verloren.

Und Arminius muß die Römer in für sie wenig bekanntes Gelände kriegen, damit er sie auf dem Rückweg entsprechend schwächen kann durch Beunruhigung, Nachschubmangel und Vernichtung, entschuldigt diese unmenschliche Wort, der Flankensicherung sowie der Fouragiertrupps.

Die Krux bleibt: Die eigentliche Aufmarschroute der Römer war die Lippe. Völker im südniedersächsischen Raum zwischen Ems und Weser können nach allem was heute bekannt ist, allenfalls formal Rom unterstellt, aber nicht wirklich beherrscht worden sein.

Insofern ist eine Marschroute nach Osten alles andere als alternativlos.

Warum sollte er nicht zu den Elbgermanen marschieren? Die waren genauso befriedet wie der Rest Germaniens.

Und das ist eben nicht korrekt.


Varus benutzte den Hellweg für seinen Rückmarsch.
Nein, denn diesen Weg kannten die Römer auch bis ins Detail, in dem bergigen Gelände wären sie zwar auch eingeengt, aber die Germanen hätten nicht so die Taktik der Nadelstiche anwenden können und die Legionen wären gut versorgt gewesen. Im flacheren Gelände am Rande der Südheide ist dieses grausame Spiel deutlich leichter zu spielen.

Das ist doch Unfug. Die Versorgung lief über die Flüsse. Die Garnisonen der kleinen Wachtürme, wie etwa dem auf der Sparrenberger Egge, der offenbar nie fertig gestellt wurde, waren leicht niederzumachen. Bei aller technischen Überlegenheit der Römer, dass sie eine echte und umfassende Geländekenntnis hatten, ist eher unwahrscheinlich. Allenfalls im direkten Umfeld der Aufmarschwege. Aber selbst dort war eine flächendeckende Kontrolle schlicht unmöglich.


Vorallem mit leichter Infantrie und Reiter/Panzerunterstützung gegen schwere Infantrie ohne Reiter , aber mit "Artillerie". Wenn jemand hangaufwärts flüchtet, machen die Scheibenschießen, im flachen verschießen die sich ohne große Wirkung. Das würde die relativ wenigen Geschosse in Kalkriese erklären.

Auch Hudewälder sind zunächst einmal eines: Wälder. Mit Bäumen und so. Zudem ist nicht ganz nachvollziehbar, weshalb dies "die relativ wenigen Geschosse in Kalkriese erklären soll.


Ist es nicht so, dass die Schlacht über Jahrhunderte in den Teutoburger Wald verortet wurde und erst die Funde Kalkriese als das wahrscheinlichere Szenario den Vorzug gegeben haben?

So ist es. Wobei der Teutoburger Wald den Namen im 17. Jahrhundert bekam, weil die Varusschlacht, insbesondere die Tacitus-Rezeption dieser, schon seit dem 16. Jhdt. eben dort verortet wurde.


Wenn ich nun annehme, dass der Wall in Kalkriese a) von Germanen und b) im Jahr 9 n. Chr. zielgerichtet angelegt worden ist, so dürfte es doch eher unwahrscheinlich sein, dass der damit verbundene Aufwand getrieben wurde, um einen kleinen Truppenteil oder eine nur mit schwacher Bedeckung dahintrödelnde Nachschubkolonne o. ä. zu überfallen. Das "Ziel" müsste demnach doch ein Verband gewesen sein, der a) eine gewisse Größe (die den Aufwand der Arbeiten rechtfertigte), b) einen entsprechenden materiellen, politischen oder moralischen Wert, sowie c) eine gewisse Wehrhaftigkeit besass, die eben jenen Aufwand zur Errichtung des Walls als notwendig und angemessen erscheinen lassen. Oder gab es andere Gründe/Beispiele, aus denen germanische Stämme solche oder ähnliche Wälle aufgeworfen haben?
Die Anwesenheit des Walls wäre demnach doch zumindest ein Indiz dafür, dass die Erbauer hier ein größeres Engagement planten. Das muss doch auch einen gewissen zeitlichen Vorlauf, damit einen Plan und schließlich eine entsprechende Geheimhaltung erfordert haben.
:yes:
Mein Reden seit Jahren!

Damit komme ich zu meinen offenen Fragen:
1. Allein die Planung eines laufenden Gefechtes über mindestens drei Tage Dauer und bummelig 20 - 50 km Strecke hätte ja in Bezug auf "Command and Control" mit Sicherheit ganz erhebliche Anforderungen an die Truppenorganisation und "Stabsarbeit" im "Heer" des Arminius gestellt: Kommunikation zwischen den einzelnen germanischen Kontingenten, Koordination von Angriffen, Deckung von Hinterhalten etc. . Wenn man (Anleihe vom Nachbarthread) sieht, dass eine einigermaßen geschlossene, organisierte Armee eines Staatenbundes wie die der Südstaaten bei Gettysburg mit ganz anderen technischen Mitteln und klarer Hierarchie sowie einem charismatischen Kommandeur es bei einer statischen Frontlinie von höchstens 15 km Länge nicht fertig gebracht hat, auch nur eine einzige einigermaßen konzertierte Aktion ihrer Korps hinzubekommen, so muss die entsprechende organisatorische Leistung der Germanen doch selbst im Falle des schnöden Überfalls auf einen auch nur 5 - 10 km langen Heerzug ein recht gut funktionierendes Stabs- und Kommunikationswesen erfordert haben. Und das auf einem Schlachtfeld, auf dem auch die meisten beteiligten Germanen nicht daheim gewesen sein dürften. Ist das mit dem damaligen Leistungsstand des Kriegswesens der beteiligten Stämme vereinbar? Gibt es einen Forschungsstand dazu, wie Germanen mit und ohne römische Schulung so etwas abgewickelt hätten?

Letztendlich mussten die Germanen sich ja nur einig sein, die Römer angreifen zu wollen und eine Hit and Run-Taktik veranstalten. Sprich, kleinere Angriffe und danach sofort wieder im Wald zu verschwinden, die Römer vor sich her treibend bzw. die Verfolgung aufnehmende Römer isolierend.
Wir wissen, dass Arminius auch in späteren Schlachten durchaus in der Lage war, größere Kontingente zu kontrollieren, was mal klappte, mal nicht (Angrivarierwall, Idistaviso, Schlacht gegen Marbod). Bei den pontes longi ging das daneben, als einige der Versuchung den Tross zu plündern nicht widerstehen konnte.
Es ist außerdem davon auszugehen, dass die Kommunikation per Pferd ablief.


Wie "leicht" eine römische Truppe auf dem Marsch selbst unter Kriegsbedingungen zu verwirren und dann zu schlagen war, hat Arminius möglicherweise im Bello Gallico nachgelesen. Ambiorix ? Wikipedia
Das ist zwar aufgrund der Quellenlage nicht auszuschließen, aber doch wohl eher unwahrscheinlich.

Zu Zahl und Qualität der römischen Truppen:
- Könnte ein Teil der laut Paterculus niedergemetzelten sechs Auxiliarkohorten gar nicht erschlagen worden sein, sondern den meuternden Kern der Truppen des Arminius gebildet haben?

Aus dem Quellentext ergibt sich nur, dass sie niedergemetzelt wurden. Aber viele Historiker gehen davon aus, dass die Cherusker, die den Überfall leiteten, als Hilfstruppen den Heereszug begleiteten.
Flavus, Arminius' Bruder, blieb den Römern ja treu.
Auf diese Frage also ein unklares "möglich".

- Wie stark waren Varus' Truppen in ihrer Zahl?
Das wissen wir nicht. Ich würde Zahlen um 15.000 Mann veranschlagen. Bei Sollstärke der Legionen wären es 18.000 Römer ohne Hilfstruppen gewesen. Sollstärke ist aber immer eine Illusion.

Wenn die Römer schon dabei waren, östlich des Rheins eine Provinz einzurichten: Gab es Besatzungstruppen, die in einzelnen Standorten über das Land verteilt waren?

Einige der Lippelager scheinen dauerhaft besetzt gewesen zu sein, andere nur zeitweilig. Der Oben angesprochene Turm auf der Sparrenberger Egge in Bielefeld dürfte im Kontext dieses Ausbaus stehen.


Ebenso nennt Paterculus nur "ein[en] Legat des Varus", der mit der Reiterei getürmt ist. Müsste Varus nicht auch drei Legaten dabeigehabt haben?

Bei Tacitus heißt es: "referebant hic cedisse legatos" (Tac. ann. I 61, 4): "...sie berichteten, hier fielen die Legaten..."

Ich finde, hier hat unser o. a. aufgetretender römischer Wiedergänger M. CAELIVS durchaus einen Punkt. Sicherlich muss es zu Anfang einen Schlag gegen Varus' "Feldheer" gegeben haben. Aber wie wahrscheinlich ist es tatsächlich, dass Varus in seiner letzten Schlacht ggf. tatsächlich nur einige Kohorten (5 - 15) bei sich hatte und der Rest in der Folge en détail eliminiert wurde? Mit einzelnen oder zwei bis drei Kohorten dürften die bereits siegreichen Germanen keine größeren Probleme gehabt haben, solange sie selbst ihre Hauptmacht beisammenhielten - eine römische Hauptmacht, die Entsatz hätte leisten können, gab es östlich des Rheins nun ja nicht mehr.

Dass Truppenteile nicht bei Varus waren, dass es Lager gab, in denen die Truppen von den Germanen niedergemacht wurden, ist eigentlich nicht zu bestreiten. MARCVS hat ja eher bestritten, dass es eine Schlacht gab.
Das Problem ist, dass die Quellen eindeutig von drei Legionen reden, ob das nun Manilius ist, der davon spricht dass Varus und drei Legionen von Germania geraubt wurden, oder Tacitus, der von einem Lager spricht, was angelegt war drei Legionen aufzunehmen. Auch Strabon spricht von drei Legionen, die in einem Hinterhalt vernichtet wurden, und der als unzuverlässig geltende Florus, auf dessen Bericht die Lagerschlachthypothese basiert, spricht von einem Überfall im Lager und auch er erwähnt, dass es drei Legionen waren, die in diesem Lager sich befanden.

Zur Qualität der drei bei Varus befindlichen Legionen, die m. W. noch gar nicht thematisiert worden ist:
Paterculus bezeichnet sie zwar als "Die tapferste Armee von allen, führend unter den römischen Truppen, was Disziplin, Tapferkeit und Kriegserfahrung angeht." Aber wo soll sie ihre Kriegserfahrung hergehabt haben? Nach Märtin (ich weiß, aber ich hab nichts besseres zur Hand) können Teile von ihr am Aufmarsch Tiberius' gegen Marbod im Jahre 6 n. Chr. beteiligt gewesen zu sein. Nennenswerte Kampfhandlungen sind m. W. aber nicht überliefert. Von 6 bis 9 tobte der pannonische Aufstand, der fünfzehn Legionen band und auch in Africa war es zu einer Rebellion gekommen. Dass nach der Varusniederlage Zwang ausgeübt werden musste, um in Italien wenigstens eine neue Legion aufzustellen (Märtin schreibt in diesem Zusammenhang selbst von der Notmaßnahme der Rekrutierung freigelassener Sklaven), weist m. E. auf ganz erheblichen Personalmangel hin. Kann ggf. in diesem Zusammenhang davon ausgegangen werden, dass die Rheinlegionen zugunsten derjenigen Legionen, die in Pannonien kämpften, bereits geschwächt worden waren? Entweder durch direkte Abstellung von einzelnen Einheiten, ggf. im Tausch gegen eher unerfahrene Rekruten, oder auch ersatzlos? Oder dass Verluste an Führungspersonal aus den motivierten Leuten der ruhmlos am Rhein stehenden Legionen aufgefüllt worden waren? Meine These ist, dass Qualität und Zahl der am Rhein stationierten Truppen zumindest indirekt vom pannonischen Aufstand betroffen gewesen sind. Wenn Arminius wirklich der schlaue Fuchs war, als der er dargestellt wird, ist doch nicht ausgeschlossen, dass sein Losschlagen gerade zu dem Zeitpunkt, als der größte und beste Teil der Legionen in Pannonien gebunden war, exzellent getimed war.

Zumindest, was das Timing angeht, ist dir hier zuzustimmen.


Angeblich ging das römische Reich bis an die Elbe.

Drusus war mal bis an die Elbe vorgestoßen. Augustus hat die Elbe in seinen Tatenbericht eingeführt. Aber er, der von Spanien nur noch Kantabrien und Asturien (also den Norden) erobern musste, hat ja auch behauptet, er hätte die Atlantikküste von Cádiz bis zur Elbe unter seine Kontrolle gebracht. Dabei war der Großteil Spaniens seit dem Ende des Zweiten Punischen Kriegs erobert worden und Gallien unter Caesar. So etwas nennt man "Wunschdenken" oder "Propaganda".


Von Hildesheim nach Duisburg sind ~300km, also 20 Tage Fußmarsch.

Wie, nur 15 km pro Tag? Das läuft ein untrainierter Mensch in drei Stunden.

Ein im Spätsommer ins Winterlager ziehender Varus kommt ~ im September in Kalkriese an, bei bestem Wetter sozusagen. Wenn das Wetter ähnlich war wie heute, kann Arminius den aber erst Anfang Oktober in Kalkriese gebrauchen, wegen des bei Germanens so beliebten Regens beim Kämpfen. Außerdem brauchen Arminius Milizionäre ja noch Zeit, einen Teil der Ernte zu verarbeiten, denn ohne Mampf kein Kampf.

Mal abgesehen davon, dass die einzige Quelle, die von Regenfällen während der Varusschlacht berichtet die 200 Jahre später entstandene Romaike Istoria ist und es sich wahrscheinlich um einen topos handelt, sind in unseren Breiten auch im Sommer Regenfälle völlig normal und nichts ungewöhnliches. Anhand der Regenfälle also die Jahreszeit bestimmen zu wollen (im Übrigen: Für die Schlacht an den pontes longi sind heftige Regenfälle bei Tacitus dokumentiert, und die fand wohl um den 23. September - "simul sidere aequinoctii" - statt), ist schlicht unmöglich.
 
15 k m im Schnitt am Tag, mit Lager abbau und Aufbau ...
jeden Tag, auf recht unbefestigten Wegen ist für eine Truppe schon ordentlich. Ein Mensch ohne viel Gepäck und oder einem Tragtier (Pferd/Maultier) schafft ~30 km am Tag über längere Zeit, stimmt. Die ganze Truppe aber, mit Platz erkundung, Flankensicherung und Voraussicherung ist eben deutlich langsamer.
Die Ruhetage für die Tiere müssen ja auch eingerechnet werden. Dazu die Zeiten, in denen Wege für die Massen eben geebnet werden müssen.
Da ist 15 km am Tag garnicht so bummelig. Die Truppe soll ja kamfbereit am Ziel ankommen und nicht Urlaubsreif
 
Die Frage des Aufwandes war im Thema mal diskutiert worden. Grob geschätzt ein paar Tausend Kubikmeter bei einigen Tausend Germanen. Also ein paar Tage.

Das wiederum lässt den Schluss offen, ob der Wallbau erst begonnen worden ist, als die Marschroute (freiwillig oder durch "Stiche" provoziert) bereits bekannt war. Ein paar Tage Vorsprung, bei Bewegung des Varus nördlich des Wiehengebirges und gesperrter Pässe leicht vorstellbar), reichen da für den Bau aus.

Von daher ist die Vorstellung nicht zwingend, der Wall sei sehr weit "vorausschauend" errichtet worden, wodurch eine andere Bewertung des Aufwandes erfolgen könnte.

So eine "Bereitstellung" (allerdings ohne Wall, bei anderem Gelände) am Rand des grob absehbaren Rückweges der Römer könnte auch beim Harzhorn vorgelegen haben.

Ganz so einfach ist es nicht. Immer vorausgesetzt, dass die Germanen den Wall gebaut haben und dass er sich gegen die Römer richtete, stellt allein die Tatsache, dass dieser Wall errichtet worden ist, das "Eingeständnis" der Erbauer dar, dass ihr erwarteter Feind mit starken Kräften eintreffen würde. Hindernisse oder Befestigungen auf einem Gefechtsfeld dienen ja dazu, vermutete oder tatsächliche eigene Schwächen möglichst auszugleichen. Wenn die Germanen also genug Personal hatten, um binnen zwei oder drei Tagen diesen Wall zu bauen, dann kann es sich bei dem erwarteten Feind nicht bloß um einen schutzlosen Tross oder eine versprengte Kohorte gehandelt haben. Der Wall belegt durch seine Existenz, dass die Erbauer mit einer größeren Auseinandersetzung gerechnet haben.

Das wirft die nächste Frage auf: Wenn der erwartete Gegner so stark war, dass die Germanen einen (für sie untypischen) Wall für nötig hielten - woher wussten sie dann zwei oder drei Tage im Voraus, dass der Gegner genau an dieser Stelle vorbeikommen würde? Es erscheint mir eher zweifelhaft, dass sie einen so stark eingeschätzten Feind mehrere Tage lang wie eine Hammelherde vor sich hertreiben und unausweichlich zu diesem Punkt dirigieren konnten. Es erscheint auch zweifelhaft, dass sie zudem noch in der Lage gewesen sein sollen, von dieser Treibjagd genug eigene Kräfte abzuziehen, um sie zum Wallbau vorauszuschicken. Zudem hätten sie die Wallbau-Abteilung so früh losschicken müssen, dass die auch noch zwei oder drei Tage Vorsprung vor dem getriebenen Feind herausarbeiten konnte. Den Germanen muss also in einer sehr frühen Phase klar gewesen sein, dass der Marsch nirgendwo sonst als an jenem Wall enden konnte. Fünf Tage vor der Schlacht?

Darüber hinaus müssen sie noch genug weitere Truppen zur Verfügung gehabt haben, um entlang des Marschwegs (bei den eben genannten möglichen fünf Tagen zu je 20 km = mindestens 100 km) sämtliche abzweigenden Marschrouten zu sperren, und zwar so nachhaltig zu sperren, dass selbst der als stark eingeschätzte Feind nicht durchbrechen konnte.

Hätten die Germanen genügend Truppen gehabt, um all diese Aufgaben zu bewältigen, dann hätten sie den Wall nicht gebraucht, um die Römer zu besiegen. Sie hätten sich auch die mehrtägige Treibjagd sparen können.

Deshalb halte ich es für plausibler, dass die Germanen genug Zeit zum Bau dieses Walls hatten, weil ihnen der römische Marschweg frühzeitig bekannt war - sei es, weil sie selbst auf dem Marsch als "Scouts" die Führung übernommen hatten oder sei es, weil sie bis zum Abmarsch der Römer als "Verbündete" galten und deshalb ganz vertrauensvoll über die geplante Route informiert wurden. Das ist zwar kein Beweis, würde aber zur Varusschlacht-Hypothese passen: Arminius war ein "Tischfreund" von Varus. Er hatte Varus über den angeblichen Aufstand unterrichtet und ihn zum Eingreifen überredet. Arminius kannte das Ziel des Marschs und konnte den Weg weisen. Und er sollte Hilfstruppen zur Unterstützung sammeln. Er MUSSTE wissen, welchen Weg Varus nehmen würde.

Aber egal ob Varus oder nicht: Das alles würde natürlich bedeuten, dass die Kämpfe erst in der Nähe von Kalkriese begonnen haben. Zu einem Zeitpunkt jedenfalls, als die Römer selbst keine sinnvolle alternative Marschroute mehr gesehen haben, auf die sie hätten abbiegen können.

MfG
 
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