Bestattung durch Germanicus und Tumulus
Zunächst: ich möchte mit diesem Beitrag weder primär die Knochengruben von Kalkriese bewerten, noch mich dazu äußern, wer sie warum angelegt haben könnte, sondern einige allgemeine Anregungen bieten:
Was wissen wir über den "Bestattungsvorgang" der Toten der Varusschlacht bzw. deren Überreste durch Caesar Germanicus, über den evt. errichteten Tumulus, seine Gestalt und seine Verortung? Was ist wahrscheinlich?
1. Quellen
1.1 Pub. Cornelius Tacitus
"Da ergriff den Caesar (Germanicus) das Verlangen, den Soldaten und ihrem Feldherrn die letzte Ehre zu erweisen...
...Mitten auf dem Felde lagen bleichende Knochen, zerstreut oder in Haufen, je nachdem sie von Flüchtigen oder einer noch Widerstand leistenden Truppe stammten. Daneben lagen zerbrochene Waffen und Pferdegerippe...
...So bestattete das Römische Heer...6 Jahre nach der Niederlage die Gebeine der drei Legionen. Da wußte niemand, ob er die Reste Fremder oder die seiner Angehörigen mit Erde bedeckte, begruben sie sie alle as Freunde und Blutsverwandte...Das erste Rasenstück zur Errichtung des Grabhügels legte der Caesar hin. so erwies er den Toten den größte Liebesdienst..."
1.2 C. Suetonius Tranquillus:
"...Wo er (Germanicus) Grabmäler berühmter Männer fand, pflegte er ihrem Andenken Totenopfer darzubringen. Als er die verwitterten und verstreuten Überreste der bei der Niederlage des Varus Erschlagenen unter einem gemeinsamen Grabhügel zu bestatten beschloß, ging er als erster daran, diese mit eigener Hand aufzulesen und zusammenzutragen..."
1.3. Cassius Dio:
"Germanidus drang auf seinem Feldzug gegen die Kelten (Keltoi=Germanen in diesem Falle) erfolgreich bis an den Ozean vor, errang über die Barbaren einen überwältigenden Sieg, ließ die Gebeine der unter Varus Gefallenen sammeln und bestatten..."
2. Was ist unter dem Begriff "Bestattung, bestatten" zu verstehen?
2.1 Einleitung: Die "klassische" Bestattungsart der frühen Kaiserzeit ist bekanntermaßen -neben der selteneren Körperbestattung* - die Brandbestattung. Dazu wird der Körper des Verstorbenen auf eine Totenliege gebahrt und auf den familieneigenen oder öffentlichen Verbrennungsplatz (Ustrina) gebracht. Zusammen mit der Liege wird der Tote dort auf einem Scheiterhaufen verbrannt. Danach wird der Leichenbrand (d.h. die Asche des Toten) und eventuell unverbrannte Knochenreste (z.B. Zähne) eingesammelt.
2.2 Varianten der Brandbestattung:
2.2.1 Bestattungen unter Verwendung von Urnen
a) Urnenbestattung: Der ausgelesene Leichenbrand in eine Urne verbracht und ggf. mit Beigaben in einer Grabkammer niedergelegt.
b) Bei der Brandschüttungsbestattung werden Brandasche und -schutt vom Scheiterhaufen in eine vorbereitete Grube eingebracht. Der ausgelesene Leichenbrand ruht in einer Urne darüber. Diese Urne kann auch aus vergänglichem Material sein.
2.2.2 Bestattungen ohne Urne
Nicht immer wird der Leichenbrand von der Asche der Kleidung des Toten und den Scheiterhaufenresten ausgelesen und gesondert in einem Gefäß niedergelegt.
a) Für die Brandgrubenbestattung gilt das selbe wie für 2.2.1 b), wobei bei der Leichenbrand innerhalb der gesamten Grubenverfüllung verteilt liegt.
b) Bei einer Bustumbestattung wird der Tote auf einem über oder in einer Grube (Bustum) errichteten Scheiterhaufen verbrannt. Durch die starke Hitzeeinwirkung beim Verbrennungsvorgang werden Grubenwände und -boden gerötet, bisweilen sogar verziegelt.
2.3 Zwischen-Bemerkung: Die unter 2.1 beschriebenen Vorgänge und unter 2.2 genannten Varianten beziehen sich auf Einzelbestattungen. Was geschieht "klassischerweise" bei einer Massenbeisetzung von Toten etwa nach einer Schlacht? Vielleicht hat jemand noch mehr Quellen
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3. Massenbestattungen im Gefolge von Schlachten
3.1 Quellen
3.1.1 Homer:
"(Die Troianer) legten gehäuft auf die Scheiter die Leichname, traurigen Herzens, zündeten an das Feuer und kehrten zum heiligen Troia. Also auch dort entgegen die hellumschienten Achaier (=Griechen), legten gehäuft auf die Scheiter die Leichname, traurigen Herzens, zündeten an das Feuer... Jetzo erhob um den Brand sich erlesenes Volk der Achaier. Einen Hügel umher erhoben sie draußen versammelt, allen zugleich im Gefild."
3.1.2 T. Livius:
"Er (Hannibal) ließ die Gefallenen (der Schlacht von Cannae) verbrennen"
3.1.3 R. Pirling:
"...der Pferdekadaver lag zusammen mit viel Holzkohle, verstreuten Brandknochen und einzelnen Scherben in einer relativ sorgfältig ausgeschachteten rechteckigen Grube mit teilweise verziegelter Wandung. Möglicherweise handelt es sich ganz konkret um den Überrest eines großen Scheiterhaufens zur Verbrennung von Gefallenen. Der Scheiterhaufen war ... nicht auf dem Grund der Grube (Bustum) sondern über der Grube aufgeschichtet, so daß die Anlage der Grube vielleicht nur einen technischen Zweck (Kamin) verfolgt hat"
zit. aus "Die Funde aus den Röm. Gräbern von Krefeld-Gellep"
3.2. Bemerkung:
Bei Cannae wurden – meiner trüben Erinnerung nach – unlängst verziegelte Grubenreste gefunden, die auf eine karthagische Bustum-Verbrennung von gefallenen Römern deuten. Daß dieser Brauch bis mindestens zum 3. Jhd gepflegt wurde beweisen die Ausgrabungen in Krefeld-Gellep fort.
Wiewohl eine Verbrennung menschlicher Überreste nach so langer Lagerzeit aus hygienischen Gründen nicht mehr vonnöten gewesen wäre, ist m. E. nach davon auszugehen, daß auch die teilweise vergangenen Knochen von der Varusniederlage verbrannt worden sind. Die Tatsache, daß weder Tacitus, noch Sueton oder Dio von einer "Verbrennung" berichten, widerspricht dieser Annahme nicht, da es sich doch für Zeitgenossen um das Vorauszusetzende gehandelt haben kann*
4. Wie könnte der Tumulus ausgesehen haben.
Germanicus war der ranghöcht-mögliche Vertreter seines Adoptivvaters und Kaisers Tiberius. Daher erscheint mir eine italische Form des Tumulus als die wahrscheinlichste. Mitten im Feindesland und unter (zumindest latenter) Bedrohung durch Feindangriffe kann eine architektonische Ausgestaltung m. E. ausgeschlossen werden. Tacitus erwähnt, daß er mit von Legionären gestochenen Grassoden bedeckt war.
Es dürfte sich daher also um eine stumpfkegelförmige Erdanschüttung mit nicht allzu starkem Neigungswinkel gehandelt haben, da sonst ein Abrutschen der Grassoden zu erwarten gewesen wäre; im Speziellen, da ja im inneren Germaniens mit ständig starken Regengüssen zu rechnen war.
5. Lozierung des Tumulus.
5.1 Möglichkeiten in Anbetracht von dessen Funktion:
5.1.1 als Grabmal auf dem Schlachtfeld oder in dessen unmittelbarer Nähe über einer zentralen Knochengrube, bzw. über dem zentralen Bustum, falls die sterblichen Überreste verbrannt worden sind (siehe 3.2),
5.1.2 als tumulus honorarius, d. h. als Kenotaph auf dem Schlachtfeld oder in dessen unmittelbarer Nähe bei vorausgesetzter Verlochung der sterblichen Überreste mit/ohne Verbrennung.
5.2 Möglichkeiten unter Berücksichtigung von Schlachtverlaufs-Varianten:
5.2.1 im Falle des Schlachtverlaufs laut C.Dio
a) am Ort des Schlachtbeginns d.h. in schluchtenreichem, unebenem Gelände unter dicht und überhoch gewachsenen Bäumen (Dio 56: 20,1)
b) am Ort der Verbrennung des Trosses (Dio 56: 21,1)
c) am Ort der Vernichtungsschlacht, d.h. 4. Tag "Tod von Varus und Officieren" (Dio 56: 21,5; 22,1-2)
d) auf der Strecke zwischen diesen Orten oder unmittelbar daneben.
5.2.2 im Falle des Schlachtverlaufs laut Florus**
a) im Sommerlager des Varus
b) in unmittelbarer Nähe dazu.
6. Schlußbemerkungen:
6.1 Zur Wahrscheinlichkeit der Existenz eines Tumulus: Mit einem Grabhügel am Schlachtort konnte sich Germanicus sowohl in die Tradition der Hellenen (Tumuli f. die gefallenen Griechen bei Marathon und Plataiai) als auch der Troianer stellen und wie sein Vater Drusus seine claudische Frömmigkeit unter beweisen. Wiewohl Sueton bei seiner Überlieferung von Germanici Schlachtfeldbesuch einen allgemeinen Pietäts-Topos aufgreift ("Wo er Grabmäler berühmter Männer fand, pflegte er ihrem Andenken Totenopfer darzubringen") läßt sich damit nicht herleiten, daß der bei Tacitus und Sueton erwähnte Grabhügel nur eine fromme Mär ist.
Es läßt sich nicht ausschließen, doch ist dies m. E. nach unwahrscheinlich.
6.2 Aufgrund meiner oben dargelegten Überlegungen ist es für mich so gut wie ausgeschlossen, daß es sich bei dem nur lit. überlieferten Grabhügel um einen Kenotaph handelte, wie beim Drusus-Stein in Mainz, dessen noch heute sichtbare Reste wohl nicht die ursprüngliche Gestalt des Tumulus widerspiegeln, sondern als spätere, flavierzeitliche(?) Rekonstruktion in monumentalen Formen interpretiert werden, die vermutlich aufgrund von Zerstörungen 69/70 notwendig wurde.
Dagegen, daß die mühsam zusammengesammelten Überreste in Einzel-Gruben verlocht wurden, spricht auch – selbst wenn keine Verbrennung in Art der Bustum-Bestattung erfolgt sein sollte – spricht auch Suetons Überlieferung, Germanicus habe "...die verwitterten und verstreuten Überreste...unter einem GEMEINSAMEN Grabhügel" bestatten lassen.***
7. Fußnoten:
* Von Blitzen getötete Römer werden traditionell ohne Verbrennung bestattet. Und die soll es ja lt. Dios Schlachtbericht massenhaft gegeben haben
Aber dazu kann ich nur mit catonischer Beharrlichkeit auf den Florus-Thread verweisen
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** dem weder Velleius Paterculus noch Tacitus widersprechen. Ceterum censeo...
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***abgesehen davon, daß das Schlachtfeld dadurch wie ein Maulwurfsacker ausgesehen hätte.