Ich meine es besteht kein Zweifel daran, das der Russlandfeldzug ein Fehler war
Nicht unbedingt. Findeisen betont eher, dass sich General Lewenhaupt mit seiner Nachschubkolonne zu zögerlich fortbewegte, um sich mit Karls Hauptstreitmacht rechtzeitig zu vereinigen. Das gab dem russischen Zaren genügend Zeit, um diesen nachrückenden Tross abzufangen und zu vernichten, ehe er noch Karl erreichte. Letzterer wartete vor Smolensk auf die angeordnete Verpflegung bis die Versorgungslage kritisch wurde. Ein weiterer direkter Vormarsch in Richtung Moskau war ohne Lewenhaupts Bagagewagen kaum zu bewältigen, war der Weg dorthin durch das russische Militär vorsorglich zur "verbrannten Erde" gemacht worden. Also änderte der schwedische König die Marschrichtung nach Süden in der Hoffnung, dass sich dort noch ausreichend unversehrte Dörfer für die hungernden schwedischen Soldaten zum Ausplündern befinden.
Diese Änderung der Marschrichtung durch Karl geschah einerseits zu früh, um Lewenhaupts Nachschubeinheiten zu empfangen, aber sie erfolgte andererseits zu spät, um einen echten Überraschungseffekt für den russischen Kriegsgegner zu erzielen.
Findeisen schließt also nicht aus, dass Karl XII. auch hätte Russland erobern können. Die mittelalterlichen mongolischen Heere haben es auch geschafft und auch in der frühen Neuzeit, etwa hundert Jahre vor Karls Russlandfeldzug haben polnische Steitmächte Moskau eingenommen.
Auch um das Jahr 1700 herum, war die Herrschaft des russischen Zarentums über das offiziell annktierte (schon damals riesige) Territorium wahrscheinlich noch nicht so gefestigt, wie zu Napoleons Zeiten. Zar Peter war während des großen nordischen Krieges gleichzeitig mit gewaltigen Aufständen im Inneren konfrontiert und auch das osmanische Reich war damals ein starker Rivale, wie es sich mit seinem kurzen, militärisch sehr erfolgreichen aber diplomatisch aus machtpolitischer Sicht zum großen Teil wieder vermasselten Kriegseintritt wenig später nach Karls Niederlage bei Poltawa zeigte.
Scorpio schrieb:
Sein größter Kontrahent, Peter I. bemühte sich mehrfach um einen Seperatfrieden, und er war bereit, dafür alle Gebietsgewinne in Livland, Ingermanland und Estland an Schweden zurückzugeben, wenn Karl XII. ihm nur St. Petersburg gelassen hätte.
Ein russischer Zugang zur Ostsee (und sei es nur ein schmaler Landstreifen) hat aus strategischer Sicht so etwas wie den Charakter eines trojanischen Pferdes. Es war leicht vorherzusehen, dass ein materiell derart überlegenes Land sich früher oder später eine Flotte baut, welche die Schwedische in ihren heimischen Gewässern zumindest zahlenmäßig überflügelt.
Brissotin schrieb:
Wenn man Friedrichs Staat als schwer zu verteidigen bezeichnete, dann frage ich mich, was dann das Territorium Schwedens um 1700 war? Das Meer war ja auch zum Verlegen von Verstärkungen in die entlegenen Teile des Reiches nur eingeschränkt geeignet. Es musste prompt zu extremen Problemen kommen, wenn die Herrschaft der Schweden in der Ostsee gebrochen war (man denke an die Invasion der Verbündeten auf Rügen).
Da bin ich anderer Ansicht. Schweden hatte eine vorteilhaftere geographische Lage als Preußen. Die Ostsee stellt eine wichtige Barriere dar und ist wohl auch eines der Hauptgründe dafür, dass es Karl XII. so lange gelang, das zentral- südskandinavische Kernland Schwedens vor jeglicher direkter Invasion zu bewahren und die Kämpfe (und die damit verbundenen ausgesprochen brutalen Plünderungen der Zivilbevölkerung) weitgehend ins Land seiner Kriegsgegner zu tragen. Nur die schwedischen Besitzungen jenseits der Ostsee waren von Anfang an sehr gefährdet. Livland, Estland und Ingermanland konnten (trotz einiger brillianter schwedischer Siege auch hier, insbesondere bei Narva 1700, bei Rauge 1701 usw.) nicht so lange verteidigt werden und wurden zum größten Teil von den russischen Angreifern noch vor Karls Niederlage im Russlandfeldzug ausgeplündert, wenngleich die wichtigsten schwedischen Küstenstädte des Baltikums (Riga, Reval, Pernau,...) erst im Jahre 1710 fielen.
Und für eine Eroberung Rügens brauchte man damals im Grunde genommen gar keine maritime Überlegenheit zu haben, da die Meerenge welche Rügen vom Festland trennte, im Winter einfach zugefroren war. Das Klima war anders als heute. Es war erheblich kälter im Durchschnitt. Daher spricht man auch von der "kleinen Eiszeit".