Kleiner Versuch über Geschichtsrevisionismus

jschmidt

Aktives Mitglied
Zu nachtschlafener Stunde eine schwierige Frage: Gibt es eigentlich Konsens darüber (und wenn ja, seit wann), was "Geschichtsrevisionismus" ist?

Die Frage hat drei "Auslöser":
1. Auf der Seite eines Online-Buchhändler, wo ich zum Stichwort "2. Weltkrieg" recherchierte, kam mir eine Art von Vorschlagsliste entgegen mit Titeln, die sämtlich eine Mitschuld der Alliierten bzw. deren "ungesühnte Verbrechen" zum Inhalt hatten.
2. Ich sah, dass ein Forenmitglied wegen "geschichtsrevisionistischer" Beiträge gesperrt worden war.
3. Es gab in Frankreich vor kurzem eine heftige Diskussion wegen eines Gesetzes, das regeln soll, wie bestimmte historische Ereignisse zu interpretieren sind.

Um es von vornherein klarzustellen: Der Einzelfall zu 2 - es gibt vielleicht noch andere - interessiert mich als solcher nicht. Auch der medienrechtliche Aspekt spielt keine Rolle; die einschlägige Rechtsprechung zum "virtuellen Hausrecht" ist ja mittlerweile gefestigt (siehe insbesondere Hausrecht bei Internet-Foren Landgericht Muenchen_I Urteil v. 25.10.2006 - Az.: 30 O 11973/05, Kanzlei Joerg Heidrich - Forenrecht: Teilnehmer ausschließen, Lehrer-Online - "Scheiße" sagt man nicht!).

Das schwierigere Problem liegt ja auf der materialen Seite: Welche Meinungsäußerungen zu historischen Sachverhalten sind grenzwertig, welche liegen bereits jenseits der Grenze zum Geschichtsrevisionismus? Und was ist das eigentlich, was da revidiert wird?

Bestimmte, historisch bedingte Grenzen zieht unsere deutsche Rechtsordnung, indem sie etwa die Volksverhetzung (§ 130 StGB) unter Strafe stellt, und das typische Beispiel für Volksverhetzung - und zugleich der Hauptgrund, warum die Norm in dieser Form überhaupt geschaffen wurde - ist die Leugnung des Holocaust.

Aber meines Erachtens gibt es Fälle, bei denen die Frage, ob Geschichtsrevisionismus vorliegt, nur schwer oder vielleicht gar nicht beantwortet werden kann. Ich nenne mal wahllos Beispiele:

  • Die Alleinschuld Nazi-Deutschlands an der Entfesselung des 2. Weltkriegs wird bestritten (siehe oben).
  • Es wird behauptet, die DDR wäre ein ganz normaler Staat gewesen, halt mit kleinen menschenrechtswidrigen Fehlern.
  • Die Alleinschuld des kaiserlichen Deutschland an der Entfesselung des 1. Weltkriegs wird bestritten.
  • Es wird bestritten, dass in der Sowjetunion unter Stalin Untaten größten Ausmaßes begangen wurden.
  • Es wird behauptet, dass die Menschen in verschiedene Rassen eingeteilt werden können (unter Hinweis auf Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz, wo "Rasse" erwähnt ist).
Die Älteren unter uns werden sich auch noch an die Diskussion über die Walser-Rede erinnern (vgl. Umkämpftes Vergessen: Walser-Debatte ... - Google Buchsuche) - war da in irgendeiner Weise "Geschichtsrevisionismus" im Spiel? Und wie war es vor 20 Jahren beim großen Historikerstreit über die Thesen von Ernst Nolte?

Welche Maßstäbe gibt es, die man an diese oder andere Sachverhalte anlegen kann?

Ich habe mal versucht herauszufinden, wann der Begriff erstmals aufkam und in welchem Zusammenhang, kam aber nicht recht weiter. Auch insoweit wäre ich für Hinweise dankbar. Nochmal: Es geht mir um die Perspektive des Historikers, nicht des Juristen und schon gar nicht des Politikers.
 
Ich halte es für äusserst problematisch, wenn Politik und Gesetz vorschreiben, worüber Historiker nachdenken, sich eine Meinung bilden und schreiben dürfen und worüber nicht.

Der Meinungsstreit hat unter Wissenschaftlern zu erfolgen und nicht vor Gericht. Überspitzt gesagt, überlebt da ein System, daß schon Kopernikus oder Galileo ausgebremst hat.
 
Mal abgesehen davon, daß ich nicht genau weiß, warum dieses Thema im Forum "Historische Hilfswissenschaften" diskutiert wird, möchte ich kurz meine Sicht der Dinge darlegen.

Geschichtsrevisionismus als solchen (also nicht den Begriff) hat es prinzipiell schon immer gegeben. Zumindest immer dann, wenn Ereignisse der Vergangenheit nicht in das aktuelle Bild eine Gesellschaftsgruppe (Politik, Kirche, etc.) paßten:

„Die Geschichte ist eine Tapete, die der Mensch auf die Vergangenheit klebt.“ – Pierre Gaxotte (französischer Historiker)
 
Zu nachtschlafener Stunde eine schwierige Frage: Gibt es eigentlich Konsens darüber (und wenn ja, seit wann), was "Geschichtsrevisionismus" ist?

Ich möchte eine kleine Anleihe bei den angesprochen Hilfswissenschaften wagen und auf den Sachverhalt einer Mehrheitsmeinung (h.M./g.h.M/a.A. etc.) hinweisen. Das ist ja nun nichts Ungewöhnliches, zumal wenn es einen Erkenntnisfortschritt gibt. Für die Wirtschafts-, Sozial- und Politikgeschichte kann man hier eine Reihe von Beispielen bilden. Insofern könnte man jede von der herrschenden Auffassung abweichende Meinung als revisionistisch bezeichnen. Das halte ich aber für überzogen.

Strafrecht ist nun nicht ganz außen vor, da die politische Geschichte (inkl. Ökonomie+Sozialwissenschaft) eben auch häufig einer zeitgenössischen Instrumentalisierung unterliegt, also Präsenz in den aktuellen Auseinandersetzungen aufweist. Dazu sind Schutzlinien sinnvoll, die aber im Spannungsfeld mit feier Meinungsäußerung und wissenschaftlicher Forschung liegen.

Schwieriges Thema, finde ich.
 
Schwieriges Thema, finde ich.

Sonst hätte ich auch nicht gefragt... :friends:

Umso mehr Dank für Deine Hinweise, die ich ein wenig hin und her wenden möchte:

Ich möchte eine kleine Anleihe bei den angesprochen Hilfswissenschaften wagen und auf den Sachverhalt einer Mehrheitsmeinung (h.M./g.h.M/a.A. etc.) hinweisen....
Eine Minderheitsmeinung generell als "revisionistisch" zu qualifizieren, wäre tatsächlich fatal, vor allem dann, wenn das dazu führen würde, den/die Vertreter der Minderheitsmeinung aus der wissenschaftlichen Kommunikation auszuschließen. [1] Das wäre häufig schon empirisch schwierig, denn wie will man Mehrheitsverhältnisse etwa in der Historiographie ermitteln? Und dann die Konsequenzen: Darf man den Daumen senken, wenn eine Meinung nur auf 49,9 % Änhänger rechnen kann, oder gibt es eine Art von 5-%-Klausel, unterhalb derer man nicht mehr als seriöser Meinungsträger, sondern als Spinner (oder Schlimmeres) gilt?;)

Auch die (Geschichts-)Wissenschaft lebt ja von dem erzliberalen Grundsatz, nach dem (Zitat Hoffmann-Riem) "einerseits jedermann frei sagen kann, wer er denkt und nach dem andererseits durch den ungehinderten kommunikativen Austausch von Tatsacheninformationen und Wertungen die Möglichkeit eröffnet werden soll, das 'wahre' Geschehen zu erkennen bzw. 'richtige' Handlungsorientierungen zu gewinnen und Entscheidungen selbstbestimmt zu treffen." In diesem Austauschprozess muss wenigstens theoretisch die Möglichkeit eingeräumt bzw. sogar garantiert werden, dass eine Minderheit zur Mehrheit werden kann und umgekehrt.

... einer zeitgenössischen Instrumentalisierung unterliegt ... Schutzlinien sinnvoll, die aber im Spannungsfeld... liegen.
Genau diese Frage nach den "Schutzlinien" und dem Spannungsfeld, in das diese eingebettet sind, bringt mich ins Grübeln. Wer und/oder was wird geschützt, und vor wem oder was? Und wer ist legitimiert, die Linien festzulegen?

Man könnte auch hier, etwas untechnisch, einer Art von "Subsidiaritätsprinzip" das Wort reden: Entscheiden soll, wenn immer möglich, die wissenschaftliche Gemeinschaft (scientific community) selbst, und zwar nach anerkannten Beweis- und Argumentationsregeln. Erst wenn das nicht funktioniert und dieses Versagen zum Überschreiten besagter Schutzlinien führt, sollte eine "höhere" Instanz, der Staat mit seiner Rechtsordnung, eingreifen. [2]

Soviel meinerseits zur Theorie. Wie schon gesagt, wäre ich an praktischen Beispielen interessiert und würde gern den Versuch einer historiographisch-begriffsgeschichtlichen Rückblende machen. Wer hilft?


[1] Frei nach dem ketzerischen Satz, wonach die herrschende Meinung bisweilen "nur" die Meinung der Herrschenden ist.
[2] So verstehe ich auch Arnes Hinweis.
 
Zuletzt bearbeitet:
Vollkommen außerhalb der Jurispudenz:
Wilhelm Blos, der württ. Sozialdemokrat und 1. württ. Staatspräsident 1919, hat ca, 1889 eine Geschichte der 48er Revolution geschrieben, in der er sich darüber auslässt, dass Geschichtsschreibung "heute" (1889) fast ausschließlich Sache der "Leibhusaren" wäre und im Zeitalter des Reservelieutenants man sich lediglich über die "Dummheiten" lustig machen würde, die das Volk 1848/49 begangen hätte.

Auch das ist Geschichtsrevisionismus.
Mit Wirkung bis heute.

Das Blos-zitat ist aus dem Gedächnis, ich habe den Blos, aber weiß der Teufel wo:S
 
Der Begriff "Geschichtsrevisionismus" hat einen subjektiven Einschlag:

An sich ist die Überarbeitung (Revision) "der Geschichtsschreibung" eine ständige Aufgabe der Historiker. Neue Erkenntnisse sind zu berücksichtigen, überkommene Auffassungen zu verwerfen, etc. Geschichtsrevisionismus ist insoweit ein normaler Vorgang in der Geschichtswissenschaft, der freilich argumentativ auszutragen ist und über den naturgemäß unterschiedliche Auffassungen bestehen.

Beim "Gechichtsrevisionismus" geht es darum, ein bestimmtes Bild der Geschichte zu malen und zu diesem Zweck erwiesene historische Tatsachen (wie z.B. den Holocaust) zu leugnen, oder auf "neue Erkenntnisse" zurück zu greifen, die auf Fälschung und Manipulation beruhen. Hier handelt es sich eigentlich um Pseudo-Revisionismus, nicht um die Überarbeitung der Geschichtsschreibung anhand von Argumenten, etc. Freilich bezeichnen sich die Pseudo-Revisionisten euphemistisch als "Geschichtsrevisionisten" (das ist die subjektive Komponente dieses Begriffes).

Für Leugnung, Fälschung, Manipulation besteht weder ein Schutz durch Freiheitsrechte (warum auch?), noch ist "Geschichtsrevisionismus" per se strafbar, wenn nicht die Grenzen zur Urkundenfälschung, Verleumdung, Volksverhetzung etc. überschritten werden. Was Geschichtsrevisionismus ist und was nicht, ist damit ganz überwiegend nicht Gegenstand von Gerichtsverfahren sondern Gegenstand historischer Debatten. Allerdings dürften es dabei die klassischen revisionistischen Thesen wie z.B. die eines angeblichem polnischen Überfalls auf den Sender Gleiwitz als deutschen Kriegsgrund für den Angriff auf Polen 1939 schwer haben jemals Mehrheitsmeinung zu werden. Dafür ist die Beweislage einfach zu eindeutig.
 
Zuletzt bearbeitet:
Beim "Gechichtsrevisionismus" geht es darum, ein bestimmtes Bild der Geschichte zu malen und zu diesem Zweck erwiesene historische Tatsachen (wie z.B. den Holocaust) zu leugnen, oder auf "neue Erkenntnisse" zurück zu greifen, die auf Fälschung und Manipulation beruhen. Hier handelt es sich eigentlich um Pseudo-Revisionismus, nicht um die Überarbeitung der Geschichtsschreibung anhand von Argumenten, etc. Freilich bezeichnen sich die Pseudo-Revisionisten euphemistisch als "Geschichtsrevisionisten" (das ist die subjektive Komponente dieses Begriffes).

Dein erstes Beispiel macht ja klar, wo die Nadel im Nest steckt. Im Prinzip kann jede Geschichtsepoche neu gesehen und interpretiert werden. Wenn jemand ein Buch veröffentlicht, in dem er Atlantis als Stützpunkt von Ausserirdischen vor Peru vermutet oder Dschinghis Khan als Friedensfürst hinstellt, wird er vielleicht belächelt. Wer sich aber mit kruden Theorien an der Geschichte des Dritten Reiches versucht, muß Strafverfolgung befürchten. Da ist der Unterschied.

Ich kann auch nur den Kopf schütteln über die Holocaust-Leugner und ihre "Gasanalysen" in irgendwelchen Trümmern, aber ich bin bekanntlich der Meinung, daß auch diese Spinner ihren Senf veröffentlichen dürfen sollten. Die Entkräftung ihrer "Argumente" muß öffentlich und fachlich erfolgen, nicht per Verbot. In Ländern, die eine andere Ansicht von Freiheitsgeschichte und eine längere Tradition damit haben als wir Deutschen, funktioniert das auch - ohne, daß der Staat zusammenbricht oder ein Krieg ausbricht, siehe z.B. USA oder GB.
 
Dein erstes Beispiel macht ja klar, wo die Nadel im Nest steckt. Im Prinzip kann jede Geschichtsepoche neu gesehen und interpretiert werden. Wenn jemand ein Buch veröffentlicht, in dem er Atlantis als Stützpunkt von Ausserirdischen vor Peru vermutet oder Dschinghis Khan als Friedensfürst hinstellt, wird er vielleicht belächelt. Wer sich aber mit kruden Theorien an der Geschichte des Dritten Reiches versucht, muß Strafverfolgung befürchten. Da ist der Unterschied.
Eigentlich doch nicht. Es gibt viele Bücher mit kruden Theorien übder das Dritte Reich oder den Zweiten WK, ohne dass sich deren Autoren deshalb vor einem Srafgericht verantworten müssen. Die Schwelle zur Strafbarkeit wird nicht allein dadurch überschritten, dass eine bestimmte These falsch ist, sondern erst dann, wenn diese geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, vgl. § 130 StGB.
Ich kann auch nur den Kopf schütteln über die Holocaust-Leugner und ihre "Gasanalysen" in irgendwelchen Trümmern, aber ich bin bekanntlich der Meinung, daß auch diese Spinner ihren Senf veröffentlichen dürfen sollten. Die Entkräftung ihrer "Argumente" muß öffentlich und fachlich erfolgen, nicht per Verbot. In Ländern, die eine andere Ansicht von Freiheitsgeschichte und eine längere Tradition damit haben als wir Deutschen, funktioniert das auch - ohne, daß der Staat zusammenbricht oder ein Krieg ausbricht, siehe z.B. USA oder GB.
Die Entkräftung findet ja öffentlich und fachlich statt; z.B. mit dem Buch von Wolfgang Benz, "Legenden, Lügen, Vorurteile". Die Frage lautet eher, ob die Spinner ihren Senf veröffentlichen können sollten. Die Fachwelt selbst braucht diesen Senf wohl nicht, da er ja eh unwissenschaftlicher Natur (Lügen, Täuschung, Manipulation, etc.) ist.

Die Frage, ob solcher Senf veröffentlicht werden können sollte, ist in Zusammenhang mit der rechtspolitischen Einschätzung zu sehen, inwieweit Holocaustleugnungen den öffentlichen Frieden stören. Du verweist in diesem Zusammenhang auf andere Länder und deren Traditionen. In der Bundesrepublik wurde § 130 StGB Anfang der 60er Jahre gerade deshalb überarbeitet, weil es Ende der 50er Jahre eine ganze Reihe von Vorfällen gab, in denen Altnazis die Judenvernichtung priesen. Das gefährdete den inneren Frieden Westdeutschlands ganz massiv. In den 90er Jahren wurde § 130 StGB dann auf die Holocaustleugnung erstreckt, weil sich das Problem vom Preisen der Judenvernichtung auf das Leugnen und Kleinreden der Judenvernichtung verschoben hatte.

Aktuell gibt es in vielen Ländern Bestrebungen, "Hassprediger" wegen ihrem problematischen Einfluss auf die Gesellschaft zu sanktionieren. Das kann aber nicht nur für die Hassprediger einer bestimmten Religion gelten.

Ich selbst sehe es eher pragmatisch. Lügen, Manipulationen, Täuschungen sind wegen ihres angeblichen Sensationswertes schnell verbreitet; Entkräftigungen haben es wegen ihrer sachlichen Natur schon schwieriger Aufmerksamkeit zu finden. Da kann es schon Sinn machen, der Ausbreitung der schlimmsten Thesen einen gewissen Riegel vorschieben zu wollen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Wilhelm Blos... aus dem Gedächnis...
Hast ein beneidenswertes Gedächtnis! Weil's so schön ist, hier die ersten Zeilen des Zitats (S. 1 - Vorwort - der Ausgabe von 1893):
Die Geschichtsschreibung unserer Zeit, zum größten Theil in den Händen literarischer Leibhusaren, ist bemüht, die Weltgeschichte zur Verherrlichung des jeweils herrschenden Systems umzumodeln und sie einzelnen "großen Männern" auf den Leib zuzuschneiden.
Die Schwelle zur Strafbarkeit wird nicht allein dadurch überschritten, dass eine bestimmte These falsch ist, sondern erst dann, wenn diese geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, vgl. § 130 StGB. ... Da kann es schon Sinn machen, der Ausbreitung der schlimmsten Thesen einen gewissen Riegel vorschieben zu wollen.
Mal kurz zum französischen Beispiel: Da hat die Nationalversammlung 2006 ein - soweit ich weiss, noch nicht rechtskräftiges - Gesetz verabschiedet, welches die Leugnung des türkischen Genozids an den Armeniern unter Strafe stellen soll --> http://de.wikipedia.org/wiki/Armenier-Gesetz_(Frankreich). Interessant ist das auch deshalb, weil es keine unmittelbare Betroffenheit Frankreichs gibt. Dazu folgende Diskussionsbeiträge:
Eine breite Front vor allem aus Geschichtswissenschaftlern. angeführt von Pierre Nora, Vorsitzender der Initiative Liberte pour l'Histoire, verwahrt sich im so genannten Appel de Blois gegen diesen gesetzlich verordneten Umgang mit Geschichte und fordert den Senat auf, der Ratifizierung nicht zuzustimmen. Sein Hauptargument: Dieses Gesetz "terrorisiere" die Historiker und spanne sie in ein "politisch korrektes Joch", das "ihre Arbeit behindere".
Eine der interessantesten Gegenpositionen dazu nimmt Bernard-Henri Levi ein, der seinerseits argumentiert, die Leugnung eines Verbrechens wiederhole es. In seinen Bloc-notes schreibt er: "Nicht die Gesetze, sondern die Leugner des Verbrechens terrorisieren die Historiker. Diese Gesetze sind nicht dazu da, die Forscher zu behindern, sondern sie von dieser Wunde, dieser Pest von Verfälschern zu befreien. Nehmen wir nur das einzige dieser Gesetze, das derzeit funktioniert: das so genannte Gesetz Gayssot, das die Leugnung des Holocaust unter Strafe stellt. Das ist ein Anti-Le-Pen-Gesetz, ein Gesetz gegen antisemitische Verunglimpfung. Die Unterzeichner des Appells von Blois sollen mir einen einzigen Wissenschaftler nennen, der dadurch in seiner Forschungs- und Meinungsfreiheit beeinträchtigt worden wäre.
Danke für den Hinweis auf den "öffentlichen Frieden" - auch deswegen, weil es noch ein anderes "verwandtes" Delikt gibt, wo der Frieden eine wichtige Rolle spielt: § 166 StGB ("Gotteslästerung").
 
Gotteslästerung? § 166 StGB bestraft das "Beschimpfen von Bekenntnissen, Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsvereinigungen", das geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören. Mir scheint das ein Unterschied zu sein: Religionskritik darf man äussern. Beschimpfen darf man nicht.

Bleiben wir doch mal beim deutschen Beispiel des § 130 StGB. Wer in Deutschland öffentlich zum Haß gegen in Deutschland lebende Armenier oder Türken aufstachelt, läuft ebenfalls Gefahr bestraft zu werden. Aber warum sollten solche Hasstiraden erlaubt oder für die wissenschaftliche Forschung gar erforderlich sein?
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Frage, ob solcher Senf veröffentlicht werden können sollte, ist in Zusammenhang mit der rechtspolitischen Einschätzung zu sehen, inwieweit Holocaustleugnungen den öffentlichen Frieden stören. Du verweist in diesem Zusammenhang auf andere Länder und deren Traditionen. In der Bundesrepublik wurde § 130 StGB Anfang der 60er Jahre gerade deshalb überarbeitet, weil es Ende der 50er Jahre eine ganze Reihe von Vorfällen gab, in denen Altnazis die Judenvernichtung priesen. Das gefährdete den inneren Frieden Westdeutschlands ganz massiv. In den 90er Jahren wurde § 130 StGB dann auf die Holocaustleugnung erstreckt, weil sich das Problem vom Preisen der Judenvernichtung auf das Leugnen und Kleinreden der Judenvernichtung verschoben hatte.
Um diese Subsumtion unter einen Straftatbestand ging es mir in dem Spannungsverhältnis. Sie enthält eine Wertung, die sicher im Zeitablauf verändern kann und somit möglicherweise in einem gesellschaftlichen Rahmen steht: eine Art Empfindlichkeitsschwellea.

Im Fall von Lügen etc., wie oben angesprochen, ist das eher unproblematisch, kommt die entsprechende Störung des Rechtsfriedens hinzu. Allerdings ist bei den angesprochenen geschichtsrevisionistischen Tendenzen auch eine gewisse Wandlung feststellbar: hin zu einer Art Intellektualisierung, Pseudo-Wissenschaftlichkeit etc., auch eine Reaktion auf die Rechtsverfolgung. Daneben gibt es natürlich weiter die Mahler, Zündel, Stolz.

Bei dem Fall Stolz wird am Rande ein solcher, vielleicht grenzwertiger Aspekt angesprochen: die Fortexistenz des Deutschen Reiches. Das Thema ist für sich betrachtet harmlos, stammt aus einer ganz anderen Ecke, wird aber auch instrumentalisiert.
 
Mir scheint das ein Unterschied zu sein: Religionskritik darf man äussern. Beschimpfen darf man nicht.
Das löst das Dilemma leider nicht auf, wie Ron Steinke schreibt:
Als der Begriff des "öffentlichen Friedens" in § 166 eingeführt wurde, erhoffte man sich davon ein Ende der hanebüchenen Abgrenzungen zwischen zulässiger Religionskritik und "haltloser" Schmähung. Der breite Auslegungsspielraum, den der Paragraph den Strafgerichten eröffnete, wurde dadurch jedoch nur scheinbar eingegrenzt. Denn was das Schutzgut des "öffentlichen Friedens" konkret bedeutet, ist in der Praxis weitgehend der Weisheit der einzelnen Richterinnen und Richter überlassen. Eine abstrakte Definition existiert nicht, ausschlaggebend sind letztlich private Vorstellungen von der Rolle, welche den Religionen in einem "öffentlichen Frieden" zukommen sollte.
Letzteres ist ein Anknüpfungspunkt zum Geschichtsrevisionismus: Von einem ganz bestimmten Fall - Verherrlichung der NS-Gewalt- und Willkürherrschaft - abgesehen, gibt es keine abstrakte Definition, an der man sich als Historiker orientieren könnte. (Vielleicht gibt es ja eine am Ende dieser Diskussion...:winke:)

Bleiben wir doch mal beim deutschen Beispiel des § 130 StGB. Wer in Deutschland öffentlich zum Haß gegen in Deutschland lebende Armenier oder Türken aufstachelt, läuft ebenfalls Gefahr bestraft zu werden. Aber warum sollten solche Hasstiraden erlaubt oder für die wissenschaftliche Forschung gar erforderlich sein?
Das hast Du völlig recht, hier macht ja bereits der (Hass-) Ton die Musik. Aber stellen wir uns zur Abwechslung mal einen schlauen Revisionisten vor: Der wird es tunlichst vermeiden, Verbalinjurien zu gebrauchen, sondern er wird Tatsachen behaupten, die nicht ohne weiteres überprüfbar sind, für die es keine Zeitzeugen mehr gibt usw. Und dort, wo ihm Tatsachen fehlen, wird er Meinungen äußern, weil er weiß, dass Meinungsäußerungen weniger justiziabel sind.

Was Geschichtsrevisionismus ist und was nicht, ist damit ganz überwiegend nicht Gegenstand von Gerichtsverfahren sondern Gegenstand historischer Debatten.
Genau um diese historischen Debatten geht es mir eigentlich. (Ich bedaure, dass ich mit der §§-Reiterei davon abgelenkt habe.:rotwerd:)

Ich hatte mir das so vorgestellt: (1) Es werden Fälle zusammengetragen, in denen der Vorwurf des Geschichtsrevisionismus erhoben worden ist, und aus diesen Fällen werden (2) Argumentationsmuster extrahiert, die - sachlogisch geordnet - (3) die Umrisse einer Definition sichtbar machen. Vielleicht ist das aber zu naiv gedacht!?

EDIT: Hupps, sehe gerade erst Silesias neuen Beitrag. Zur "Empfindlichkeitsschwelle" gibt es sicher noch einiges zu sagen. (Die dürfte ja auch hier im Forum eine gewisse Rolle spielen.)
 
Zuletzt bearbeitet:
Das löst das Dilemma leider nicht auf, wie Ron Steinke schreibt:
Als der Begriff des "öffentlichen Friedens" in § 166 eingeführt wurde, erhoffte man sich davon ein Ende der hanebüchenen Abgrenzungen zwischen zulässiger Religionskritik und "haltloser" Schmähung. Der breite Auslegungsspielraum, den der Paragraph den Strafgerichten eröffnete, wurde dadurch jedoch nur scheinbar eingegrenzt. Denn was das Schutzgut des "öffentlichen Friedens" konkret bedeutet, ist in der Praxis weitgehend der Weisheit der einzelnen Richterinnen und Richter überlassen. Eine abstrakte Definition existiert nicht, ausschlaggebend sind letztlich private Vorstellungen von der Rolle, welche den Religionen in einem "öffentlichen Frieden" zukommen sollte.
Ich habe keine Ahnung wer Ron Steinke ist. Seine Aussage ist mir aber zu plakativ. Juristen haben selbstverständlich auch für das Schutzgut des öffentlichen Friedens eine umschreibende abstrakte Formel (wie übrigens für alles). Ob ein Richter einen bestimmten Sachverhalt für die Zuordnung zu dieser Formel passend findet, hängt wie in in den anderen Fällen auch u.a. von dessen Richterpersönlichkeit :)richter:) ab, zu der freilich auch seine privaten Vorstellungen gehören. Das ist eigentlich immer so.;)

Dann noch etwas §§-Reiterei: § 166 StGB schützt nicht Religionen, sondern allenfalls religiöse Bekenntnisse (also Glaubensinhalte). Diese sind ohnehin keinem Wahrheitsbeweis zugänglich. Tathandlung ist das „Beschimpfen“. Hierunter ist nicht schon jede herabsetzende Äußerung zu verstehen, mag sie auch geschmacklos oder schlicht dümmlich sein (so LG München im Fall „Popetown“), sondern nur nach Form und Inhalt besonders verletzende Äußerungen der Missachtung (so schon BGH, Urteil vom 7.1.1955 – Az. 6 StR 185/54 – in BGHSt 7, 110). Einfache missfallende Meinungsäusserungen werden also kaum unter § 166 StGB fallen.
Das hast Du völlig recht, hier macht ja bereits der (Hass-) Ton die Musik. Aber stellen wir uns zur Abwechslung mal einen schlauen Revisionisten vor: Der wird es tunlichst vermeiden, Verbalinjurien zu gebrauchen, sondern er wird Tatsachen behaupten, die nicht ohne weiteres überprüfbar sind, für die es keine Zeitzeugen mehr gibt usw. Und dort, wo ihm Tatsachen fehlen, wird er Meinungen äußern, weil er weiß, dass Meinungsäußerungen weniger justiziabel sind.
Hier stimme ich Dir (und damit indirekt auch mir) zu.=) - Mir ging es eigentlich nur um den Hinweis, dass vor den Strafgerichten nur bestimmte Ausschnitte des Geschichtsrevisionismus landen. Der große Rest (zu dem wird wohl auch der von Dir angesprochene strafrechtlich geschickt agierende Revisionismus gehören) bleibt der historischen Fachdebatte inklusive deren Empfindlichkeiten überlassen, soweit den dort jemand interessiert. Die Empfindlichkeiten machen diese Debatte (auch im Forum) übrigens so menschlich.
Genau um diese historischen Debatten geht es mir eigentlich. (Ich bedaure, dass ich mit der §§-Reiterei davon abgelenkt habe.:rotwerd:)

Ich hatte mir das so vorgestellt: (1) Es werden Fälle zusammengetragen, in denen der Vorwurf des Geschichtsrevisionismus erhoben worden ist, und aus diesen Fällen werden (2) Argumentationsmuster extrahiert, die - sachlogisch geordnet - (3) die Umrisse einer Definition sichtbar machen. Vielleicht ist das aber zu naiv gedacht!?
Meine Prognose: da wird – nach harter Arbeit - wohl kaum etwas anderes herauskommen können als eine abstrakte Formel mit der versucht wird, dem Begriff des „Geschichtsrevisionismus“ die Bedeutung des Pseudo-Revisionismus zu geben.:abtauch:
 
Meine Prognose: da wird – nach harter Arbeit - wohl kaum etwas anderes herauskommen können als eine abstrakte Formel mit der versucht wird, dem Begriff des „Geschichtsrevisionismus“ die Bedeutung des Pseudo-Revisionismus zu geben.

Du hast so eine nette Art, Mut zu machen...:winke:
Abstrakte Formeln findet man natürlich bereits im einschlägigen Wikipedia-Artikel. Da steht z. B., dass Geschichtsrevisionisten
  • "ihre Deutung der Geschichte meist mit bestimmten politischen und ideologischen Zielen" verbinden - sind alle anderen Historiker frei davon?
  • nicht an einer "ergebnisoffenen Bemühung um historische Objektivität" interessiert sind - aber wenn alles "ergebnisoffen" wäre, müssten wir tatsächlich mit Leuchter & Co. diskutieren.
Wenn man nach einem Leitmotiv für Geschichtsrevisionisten sucht, dann könnte man sagen: Es geht darum, Schuld wegzunehmen bzw. auf andere zu verlagern, zumal dann (und das ist das spezielle deutsche Problem), wenn diese Schuld übermächtig ist bzw. als übermächtig empfunden wird.

In seiner Friedenspreisrede 1998 hat Martin Walser eine andere Rede erwähnt, worin er - 20 Jahre vorher - gesagt hatte: "Ich halte es für unerträglich, die deutsche Geschichte - so schlimm sie zuletzt verlief - in einem Katastrophenprodukt enden zu lassen" (Hervorh.js.). War das noch Sensibilität oder schon Geschichtsrevisionismus?
 
Du hast so eine nette Art, Mut zu machen...:winke:



Abstrakte Formeln findet man natürlich bereits im einschlägigen Wikipedia-Artikel. Da steht z. B., dass Geschichtsrevisionisten
  • "ihre Deutung der Geschichte meist mit bestimmten politischen und ideologischen Zielen" verbinden - sind alle anderen Historiker frei davon?
  • nicht an einer "ergebnisoffenen Bemühung um historische Objektivität" interessiert sind - aber wenn alles "ergebnisoffen" wäre, müssten wir tatsächlich mit Leuchter & Co. diskutieren.
Kann man mit Menschen ergebnisoffen über die Existenz von Gaskammern diskutieren, die die hierfür sprechenden Beweise ignorieren? Wohl kaum!
Wenn man nach einem Leitmotiv für Geschichtsrevisionisten sucht, dann könnte man sagen: Es geht darum, Schuld wegzunehmen bzw. auf andere zu verlagern, zumal dann (und das ist das spezielle deutsche Problem), wenn diese Schuld übermächtig ist bzw. als übermächtig empfunden wird.
Es gibt viele Geschichtsrevisionismen: die einen wollen Schuld verlagern oder kleinreden, andere wollen z.B. die USA für alles verantwortlich machen, wiederum andere sehen im Streit ums Öl das Grundmotiv der Machtpolitik, etc. etc.
In seiner Friedenspreisrede 1998 hat Martin Walser eine andere Rede erwähnt, worin er - 20 Jahre vorher - gesagt hatte: "Ich halte es für unerträglich, die deutsche Geschichte - so schlimm sie zuletzt verlief - in einem Katastrophenprodukt enden zu lassen" (Hervorh.js.). War das noch Sensibilität oder schon Geschichtsrevisionismus?
Hatte 1978 jemand die Absicht die deutsche Geschichte enden zu lassen? Wer denn? Ging es Walser möglicherwese um das Vergessen von Geschichte? Warum denn? Was wäre von einer Persönlichkeit zu halten, die den Astrophysikern vorschlagen würde, die Astronomie zu vergessen, weil er diese für "unerträglich" hält? Kann man mit einem solchen Menschen ergebnisoffen über Sonne, Mond und Sterne diskutieren?
 
In den 90er Jahren wurde § 130 StGB dann auf die Holocaustleugnung erstreckt, weil sich das Problem vom Preisen der Judenvernichtung auf das Leugnen und Kleinreden der Judenvernichtung verschoben hatte.

Ich teile deine allgemeine Ansichten zum § 130. Die Verschärfung Anfang der 90er Jahre, insbesondere 130,4, fand ich aber schon problematisch. Er stellt diese Art der Volksverhetzung gegenüber anderen so stark heraus, dass es m.E. großen Einfluss auf die juristische Behandlung der ganzen Straftat hat. Irgendwie halte ich das für eine rechtliche Privilegierung der NS-Opfer - ich will nichts schönreden, was ihnen geschehen ist, aber andere Spannungsfelder werden unter den Teppich gekehrt. Ich erinnere mich dabei an eine Veranstaltung in der Gedenkstätte Hohenschönhausen, wo ehemalige Stasi-Offiziere ungestört dort anwesende politisch Verfolgte der ehemaligen DDR anpöbeln und verhöhnen konnten.
 
Ich erinnere mich dabei an eine Veranstaltung in der Gedenkstätte Hohenschönhausen, wo ehemalige Stasi-Offiziere ungestört dort anwesende politisch Verfolgte der ehemaligen DDR anpöbeln und verhöhnen konnten.

OT:
Das ist mir auch sehr aufgestoßen.
Dass die "Henkersknechte" noch die große Lippe riskiert haben. Die Freiheiten des Rechtsstaates an seine Gegner verschwendet....


TT:
Was mich immer mal wieder stört, was ich irgendwie auch für Geschichtsrevisionismus halte, dass im Nachhinein "unumstößliche, folgerichtige" Entwicklungslinien konstruiert werden.

Das "innerlich verfaulte" HRR "musste" einfach von Napoleon zertrümmert werden, aus dem "lächerlichen Konstrukt" Deutscher Bund "musste" Bismarck das 2. Kaiserreich bilden.
Das "marode" Kaiserreich ÖU musste man zerschlagen. Der "kranke Mann am Bosperus" Osmanische Reich musste zerteilt werden.
Aus dem preußischen Militarismus "musste" Hitler entstehen, mit der Machtübergabe an Hitler "musste" der Holocaust kommen.
 
Ich teile deine allgemeine Ansichten zum § 130. Die Verschärfung Anfang der 90er Jahre, insbesondere 130,4, fand ich aber schon problematisch. Er stellt diese Art der Volksverhetzung gegenüber anderen so stark heraus, dass es m.E. großen Einfluss auf die juristische Behandlung der ganzen Straftat hat. Irgendwie halte ich das für eine rechtliche Privilegierung der NS-Opfer - ich will nichts schönreden, was ihnen geschehen ist, aber andere Spannungsfelder werden unter den Teppich gekehrt. Ich erinnere mich dabei an eine Veranstaltung in der Gedenkstätte Hohenschönhausen, wo ehemalige Stasi-Offiziere ungestört dort anwesende politisch Verfolgte der ehemaligen DDR anpöbeln und verhöhnen konnten.


Wenn solche "Sondergesetze" unmittelbar in der Nachkriegszeit entstanden wären, im Zuge der "Umerziehung der Deutschen" Ende der 1940er-Jahre, würde sich glaube ich keiner wundern. Da dies aber 50 Jahre später in einem gefestigtem, demokratischen Staatswesen geschehen ist, halte ich das einfach für übertriebenen Aktionismus.
 
...Mal kurz zum französischen Beispiel: Da hat die Nationalversammlung 2006 ein - soweit ich weiss, noch nicht rechtskräftiges - Gesetz verabschiedet, welches die Leugnung des türkischen Genozids an den Armeniern unter Strafe stellen soll ....

Interessante Diskussion.

Zu deinem Beispiel hat der griechische Orientalist Prof. Stefanos (Stephane) Yerasimos, der einige Zeit mal in Istanbul lehrte, einen interessanten Artikel geschrieben, der das Spannungsfeld der Geschichte zwischen Recht und Historiographie/Forschung beschreibt:

Der Erste Weltkrieg und die Armenier-Frage

Zitat:
"Das Recht und die Geschichtsschreibung stehen sich gegenüber

Das Ziel des Rechts ist es, etwas zu beweisen. Die Geschichte jedoch hat das Ziel zu erklären. Das Recht urteilt; aber die Geschichte hält sich von einer Bewertung zurück. Der Zweck der Geschichtsschreibung ist es, Geschehnisse möglichst Realitätsnah im Zusammenhang der Gründe und Ergebnisse darzulegen und die Bewertung dem Leser zu überlassen.
..."

Interessant auch sein resignatives (?) Resumé, wobei er die Konsensmöglichkeit bei diesem Thema als sehr schwierig ansieht:

"Bevor ich mich dem Thema widme, möchte ich zwei Sachen unterstreichen: Ich bin nicht der Auffassung, dass ich ein Spezialist in der Armenier-Frage bin. Über dieses Thema habe ich auch kein Buch verfasst. Dennoch hatte ich in den 70er Jahren im Rahmen einer Arbeit über den Ersten Weltkrieges und den (türkischen) Befreiungskrieges Untersuchungen angestellt, um dieses Thema anzugehen. Am Ende habe ich dieses Vorhaben nicht weiter verfolgt. Der Grund dafür war meine Einsicht, dass in einer von tiefer Polemik beeinflussten Lage, durch den Beitrag eines Einzelnen kein Konsens gefunden werden kann."

Lest am besten den ganzen Artikel durch. :)

Übrigens wurde der berühmte Princeton-Orientalist Bernard Lewis schon 1993 von einem franz. Gericht zu einer symbolischen Geldstrafe von einem Franc verurteilt, weil er die armenische Sicht des Völkermordes nicht teilt, sondern es differenzierter sehen möchte. Er hatte zuvor vier gerichtliche Instanzen gewonnen:
Bernard Lewis - Wikipedia, Fined by court for not recognizing the Armenian Genocide

(Siehe auch hier für engl. Unkundige:
Daheim und in der Fremde: Beiträge ... - Google Buchsuche )

Er wurde auf Grundlage des Holocaus-Leugnungsgesetzes verurteilt.
:winke:
 
Zuletzt bearbeitet:
Zurück
Oben