Kleinodien am Hals (Reise des Baron Leo von Rožmital, Bericht von Gabriel Tetzel)

El Quijote

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Itdem von dannen auss reit wir auf Heidelberg. Hielt man auch auf uns an zweyen enden. Mein herr het nach des Pfaltzgrafen geleit geschickt, das kam zu uns unterwegen, und ritten gen Heidelberg, und mein herr, auch all sein erberg diener fürten all kleinet an helsen mit uns ein, und theten das dem Pfaltzgrafen zu eeren, wan wir die kleinet an seinem hof verstechen und verrennen wolten. Do wurd meinem herren gesagt, der Pfaltzgraf het grossen verdriess drob gehabt, und nam jms also für, das er meinet, mein herr hets darumb thun, das er nit leut het, die mit Behem rennten oder stächen. Also kam von Pfaltzgraf wegen herr Götz von Allentzheim, herr Conrad von Egloffstain und Lienhart Kemetter und enpfiengen meinen herrn. Mein herr bat sie fleiss zu thun domit er für den Pfaltzgrafen käm. Wir verharrten darauf etlich tag. Wir mochten für jn nit kumen. Darnach gieng mein herr für den bischof von Speyer und zu herrn Götzen von Allentzheim, bat sie meinen herrn Pfaltzgrafen zu bitten, jn zu verhorn; das sie annamen zu thun. Darnach uber etlich tag gab bischof von Speyer und herr Götz meinem herrn antwurt: der Pfaltzgraf ritt einem bern nach, den wolt er stechen, und so er das verbracht hätt, alsdann wollt er meinen herren horen. Was ein zugericht antwurt, Pfaltzgraf war stets zu Heideberg im schloss. Und mussten auch also abscheiden, das er uns für jn nit wolt lassen. Geschach alls darum, das mein herr mit seinen helfern die kleinet an helsen eingefüert hett.​
Von dort (Öhringen) aus ritten wir also nach Heidelberg. An zwei Stellen (an zweyen enden?) hielt man uns auf. Mein Herr hatte nach dem Geleit des Pfalzgrafen geschickt und dieses stieß auf dem Weg nach Heidelberg zu uns. Mein Herr und seine Hausdiener (erberg diener, früher ist zu erfahren, dass die Diener alle einheitlich rot gekleidet sind) führten alle Kleinodien an ihren Hälsen mit uns ein und wir/sie taten dies, dem Pfalzgrafen zu ehren, als wir die Kleinodien an des Pfalzgrafen Hof verrennen und verstechen* wollten. Da wurde meinem Herren gesagt, dass der Pfalzgraf einen großen Verdruss darüber gehabt hätte, weil er meinte, mein Herr hätte dies darum gemacht, weil [der Pfalzgraf] nicht ausreichend Leute hätte, die mit Böhmen ein Rennen und Stechen ausführen könnten. Also kamen vom Pfalzgrafen zu meinem Herren die Herren Gätze von Allensheim, Konrad von Egloffstein und Lienhart Kemetter, um ihn zu empfangen. Mein Herr bat sie, sich zu bemühen, eine Audienz beim Pfalzgrafen für ihn zu erwirken und wir warteten etliche Tage darauf, erhielten aber keine Audienz. Danach ging mein Herr zum Bischof von Speyer und zum Herrn Götz von Allensheim und bat sie den [warum Tetzel hier meinen schreibt, ist unklar] Herrn Pfalzgrafen um Audienz zu bitten, was sie zu tun versprachen. Viele Tage später gaben der Bischof von Speyer und Herr Götz meinem Herren Antwort: Der Pfalzgraf sei auf Bärenjagd, wenn er diesen erlegt habe, dann wolle er meinem Herrn Audienz gewähren. [Hier wird Tetzel emotional:] Was für eine erfundene Antwort! Der Pfalzgraf war die ganze Zeit im Heidelberger Schloss! Und wir mussten auch weiterreisen, da er uns keine Audienz gewähren wollte. Dies alles nur deshalb, dass mein Herr mit seinen Helfern die Kleinodien am Hals eingeführt hatte.​

Mir ist nicht ganz klar, ob Gabriel Tetzel hier Mutmaßungen anstellt oder ob dies tatsächlich der Grund war, warum der Pfalzgraf den Baron Leo von Rožmital nicht empfing, dass sich der Pfalzgraf von dem weit rangniedrigeren Baron durch die um den Hals gehängten Kleinodien gedemütigt gefühlt habe bzw. dass er nicht genug Leute für ein Turnier aufbringen konnte. Will sagen: Ich verstehe das diplomatische Fettnäpfchen, in das die Reisegruppe (52 (53?) + 2 Personen) getreten ist, nicht bzw unzureichend.
*Das mit dem wan wir die kleinet an seinem hof verstechen und verrennen wolten ist mir etwas rätselhaft geblieben. Die Gesandtschaft des Barons von Rožmital plant am Hof des Pfalzgrafen ein Turnier (Stechen und Rennen) abzuhalten, aber was die Geschmeide dabei sollen, habe ich nicht verstanden, waren sie als Trophäen für die Sieger bestimmt?
 
Es gibt zu der Reise des Barons von Rožmital noch einen anonym auf uns gekommenen lateinischen Reisebericht, der als genauer als der von Tetzel gilt (vermutlich auch, weil Tetzel im Abstand einiger Jahre schreibt), der aber erst in Brüssel einsetzt, die Reise bis dorthin also nicht erzählt. Der Bericht Tetzels setzt in Nürnberg ein, wo Leo von Rožmital einige Tage Halt macht und Tetzel bittet, mit ihm zu kommen, der sich daraufhin ausbedingt noch jemanden mitzunehmen.
In der Literatur wird der Verfasser des lateinischen Reiseberichts als Ssassek oder "Schaschek von Mezihorze" angegeben, letzteres soll ein Ort bei Pilsen sein. Dabei handelt es sich um Václav Šašek z Bířkova (was offensichtlich auch mehr der Name ist, auf den sich die Philologen und Historiker geeinigt haben und weniger der tatsächliche Name).
 
Erst einmal könnte die Erklärung mit den Ketten um den Hals nur ein vorgeschobener Vorwand sein, mit dem der Chronist erreichen wollte, dass der Pfalzgraf und nicht der Rosentaler sich in dieser Sache "daneben benommen" hatte. Wenn wir allerdings berücksichtigen, dass die Kette, die jemand um den Hals trägt, auch ein Symbol für den Rang einer Person sein konnte, wäre vorstellbar, dass hier eine Rangstreitigkeit eine Rolle spielte. Der Pfalzgraf, immerhin ein gefürsteter Graf und ein Kurfürst, könnte es durchaus als anmaßen gefunden haben, dass ein "kleiner" böhmischer Graf wie seinesgleichen aufzutreten wagte. Der Rosentaler wiederum reiste im Auftrag des böhmischen Königs, dessen Schwager er war. Als Schwager eines Königs könnte er sich selbst als dem Pfalzgrafen ebenbürtig angesehen haben, was er durch Kleidung und Schmuck (entsprechende Statussymbole) betonen wollte.
 
Vermutlich trug der Leo ein Halskleinod bzw. ein Abzeichen einer Turnier- oder Adelsgesellschaft um damit zu zeigen, dass er als Teilnehmer an einem Turnier in Frage käme und daran interessiert wäre. Adelsgesellschaften waren allgemein bei den Landesherren und möglicherweise beim Pfalzgrafen im Besonderen nicht mehr sehr beliebt.
 
Hier zeigt sich ein Kulturwandel. Feste und Traditionen des Hochmittelalters waren in der Neuzeit nicht mehr zeitgemäß, sozial nicht mehr verankert.

Traditionell ließ ja ein Herrscher ein Turnier ausrichten und Einladungen dazu versenden. Eine Selbsteinladung erscheint mir als ein grober Verstoß.
 
Könnte es sogar sein, dass der Pfalzgraf gerade wirklich nicht die nötigen Leute vor Ort hatte, um ein angemessenes Turnier auszurichten? Wenn die Geschmeide sozusagen als Preis gedacht waren, hätte er vermutlich etwas Gleichwertiges dagegensetzen müssen, das dann unter Umständen verloren gegangen wäre.
 
Hier zeigt sich ein Kulturwandel. Feste und Traditionen des Hochmittelalters waren in der Neuzeit nicht mehr zeitgemäß, sozial nicht mehr verankert.
Wir befinden uns 1465 jedenfalls im Niedergang des Rittertums. Aber noch vor der Herrschaft von Maximilian I., der ja als "letzter Ritter" gilt.
Traditionell ließ ja ein Herrscher ein Turnier ausrichten und Einladungen dazu versenden. Eine Selbsteinladung erscheint mir als ein grober Verstoß.
Das ist ein interessanter Punkt.
Erst einmal könnte die Erklärung mit den Ketten um den Hals nur ein vorgeschobener Vorwand sein, mit dem der Chronist erreichen wollte, dass der Pfalzgraf und nicht der Rosentaler sich in dieser Sache "daneben benommen" hatte. Wenn wir allerdings berücksichtigen, dass die Kette, die jemand um den Hals trägt, auch ein Symbol für den Rang einer Person sein konnte, wäre vorstellbar, dass hier eine Rangstreitigkeit eine Rolle spielte. Der Pfalzgraf, immerhin ein gefürsteter Graf und ein Kurfürst, könnte es durchaus als anmaßen gefunden haben, dass ein "kleiner" böhmischer Graf wie seinesgleichen aufzutreten wagte. Der Rosentaler wiederum reiste im Auftrag des böhmischen Königs, dessen Schwager er war. Als Schwager eines Königs könnte er sich selbst als dem Pfalzgrafen ebenbürtig angesehen haben, was er durch Kleidung und Schmuck (entsprechende Statussymbole) betonen wollte.
Auch ein interessanter Gedankengang. Aber würde der Baron - umgeben von 51/52+2 Dienern und Beratern + Vorauskontakten von Seiten des Kurfürsten (die namentlich erwähnten Herren) - wirklich so tief in ein Fettnäpchen treten?
 
Ja, würde er, und vor allem: er hat's.
  • Die Verägerung des Pfalzgrafen wurde ihm zum einen direkt kommuniziert (siehe Eingangszitat),
  • zum anderen zeigte ihm der Pfalzgraf unter dem allzu offensichtlichen Vorwand der Bärenjagd,
  • was er von böhmischen Bären hielt,
  • die er dann ja auch erfolgreich zur Strecke brachte.
 
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