excideuil
unvergessen
Als Napoleon nach der Niederlage in Rußland wieder in Paris war, berief er sofort den Kronrat zur Beratung ein.
Talleyrand riet ihm: „Verhandeln Sie! Sie haben jetzt Pfänder in der Hand, die Sie aufgeben können; morgen können Sie sie verloren haben, und dann ist die Möglichkeit zu verhandeln, ebenfalls verloren.“ [1] Talleyrand schwebten bei seinem Vorschlag die Grenzen des Vertrages von Lunéville vor.
Napoleon hielt ihn zurück und bot ihm anschließend das Außenministerium an:
„Das kann ich nicht“, antwortete Talleyrand. „Ich bin mit Ihren Angelegenheiten nicht vertraut.“
„Sie kennen sie gut genug!“, schrie Napoleon wütend, „aber Sie versuchen, mich zu hintergehen.“
„Nein, Sire. Aber ich will dieses Amt nicht annehmen, weil ich glaube, dass Ihre Ansichten allem zuwiderlaufen, was nach meiner Überzeugung dem Ruhm und dem Glück meines Vaterlands dient.“ [2]
Das letzte Zitat entstammt den Memoiren einer Freundin Talleyrands, Aimée de Coigny, wir dürfen daher am Wortlaut zweifeln; zweifellos hingegen ist, dass T. abgelehnt hat und er zwischen den Interessen Frankreichs und denen des Kaisers unterschieden hat.
Betrachtet man vor allem die die Kriegsziele Russlands, Österreichs und Englands, dann wird deutlich, dass die „natürlichen Grenzen“ Frankreichs realistisch waren. In den Augen Talleyrands für Frankreich auch völlig ausreichend.
Aber konnte Napoleon diesen Frieden schließen?
Ich meine: nein.
In den Schilderungen zu den Kriegen 1813 und 14 wird Napoleon als uneinsichtig geschildert. Nach dem Gewinn einer Schlacht war er weniger bereit, zu verhandeln etc.
Es gibt die Argumentation, dass er keinen Frieden mit weniger Staatsgebiet wollte, als er 1799 übernommen hat.
Aber ist ein uneinsichtiger Napoleon wirklich der Weisheit letzter Schluss?
Bei Metternich findet sich folgendes:
„Nun gut, was will man denn von mir?“ fuhr mich Napoleon an, „dass ich mich entehre? Nimmermehr! Ich werde zu sterben wissen, aber ich trete keine Hand breit Bodens ab. Eure Herrscher, geboren auf dem Throne, können sich zwanzig Mal schlagen lassen, und doch immer wieder in ihre Residenzen zurückkehren; das kann ich nicht, ich, der Sohn des Glückes. Meine Herrschaft überdauert den Tag nicht, an dem ich aufgehört habe, stark und folglich gefürchtet zu sein.“ [3]
Ich denke, die Gefahr von den europäischen Fürsten abgesetzt zu werden, bestand nicht, außer Alexander I. hatte keiner diese Absicht. Mit dem Ausland wäre ein Frieden wohl möglich gewesen, zumal davon ausgegangen werden kann, dass es unter den Verbündeten dann ähnliche Interessenkonflikte gegeben hätte, wie auf dem Wiener Kongress offenbar wurden. Die Legitimität als Argument greift meiner Ansicht nach nicht.
Im letzten Satz des Zitates liegt wohl die Wahrheit.
Eine Begründung habe ich bei Eynard in einem Gespräch vom 9. November 1814 beim Wiener Kongress zwischen dem Genfer Bevollmächtigten von Pictet, Eynard selbst und Talleyrand gefunden:
„Wie kommt es aber, Durchlaucht, dass man Frieden mit ihm schließen wollte?“
„… Es hing jedoch nur von ihm ab, ihn zu schließen, und ich kann Ihnen sogar sagen, dass Herr von Metternich ihm zwei Tage nach dem Abbruch der Verhandlungen in Chatillon nochmals einen Kurier sandte, um noch zu vorteilhaften Bedingungen abzuschließen.“
„Wie können Ew. Exzellenz sich erklären, dass er das abgeschlagen hat?“ fragte Herr von Pictet.
„In seiner Lage konnte er nicht anders handeln“, antwortete Talleyrand, „und darin hat er ein ausgezeichnetes Urteil bewiesen. Der Friede war vorteilhaft für die Verbündeten, aber nicht für ihn. Bonaparte hatte die Gunst des Volkes verloren. Nur große Erfolge und ein mächtiges Reich hätten ihn stützen können. Er konnte sich nach seiner Rückkehr in Frankreich nicht halten mit einem König von Rom ohne einen Zollbreit Landes in Italien, mit Brüdern ohne Königreich, mit erschöpften Finanzen.“
„Und ohne die Dotationen seiner Marschälle“, fügte ich hinzu.
Herr von Talleyrand erwiderte:
„Ja, die Marschälle, dotiert mit sieben- bis achthundert Tausend Franken, waren ihm ergeben, solange sie bezahlt wurde; aber sobald sie sich ihrer Einkünfte beraubt gesehen hätten, würden sie in ihm nur noch den Kameraden gesehen haben. Bonaparte konnte also keinen Frieden schließen zu Bedingungen, die ihm nur Frankreich ließen.“ [4]
Die natürlichen Grenzen als Friedensergebnis wären für Frankreich vorteilhaft gewesen. Nicht aber für Napoleon. Das Staatsgebiet wäre begrenzt gewesen und damit auch die finanziellen Möglichkeiten durch den Wegfall der Ausplünderung ehemals abhängiger Staaten. Eine Art „Empire auf Sparflamme“ wäre die Folge. Wäre das vorstellbar? Ich glaube nicht. Viel mehr müsste davon ausgegangen werden, dass in Friedenszeiten eine große Armee nicht gebraucht, ja, nicht finanziert werden hätte können. Damit wäre Napoleon das spätere Problem der Bourbonen, große Teile der Armee auf Halbsoll zu setzen, auf die Füße gefallen. Ist das vorstellbar? Hätte er das politisch überlebt? Nach der Affäre Malet und der Opposition, die spätestens seit 1808 bestand und den nicht zu unterschätzenden royalistischen Kräften wohl eher nicht!
Und so kann es nicht wirklich wundern, dass Napoleon sogar einen Bürgerkrieg in Frankreich in Erwägung zog und erst aufgab, als die Marschälle ihm den Gehorsam verweigerten.
Grüße
excideuil
[1] Orieux, Jean: „Talleyrand – Die unverstandene Sphinx“, Societäts-Verlag, Frankfurt, 1972, Seite 480
[2] Bernard, Jack F.: „Talleyrand – Diplomat, Staatsmann, Opportunist“, Wilhelm Heyne Verlag, München, 1989, Seite 322
[3] Metternich: „Aus Metternich’s nachgelassenen Papieren“ Erster Teil, 1773-1815, Wilhelm Braumüller, Wien 1880, Bd. 1, Seite 151
[4] Eynard, Jean Gabriel: „Der tanzende Kongreß“, Tagebuch, berecht. Übersetzung von Dr. Karl Soll, Hafen Verlag, Berlin, 1923, Seite 89
Talleyrand riet ihm: „Verhandeln Sie! Sie haben jetzt Pfänder in der Hand, die Sie aufgeben können; morgen können Sie sie verloren haben, und dann ist die Möglichkeit zu verhandeln, ebenfalls verloren.“ [1] Talleyrand schwebten bei seinem Vorschlag die Grenzen des Vertrages von Lunéville vor.
Napoleon hielt ihn zurück und bot ihm anschließend das Außenministerium an:
„Das kann ich nicht“, antwortete Talleyrand. „Ich bin mit Ihren Angelegenheiten nicht vertraut.“
„Sie kennen sie gut genug!“, schrie Napoleon wütend, „aber Sie versuchen, mich zu hintergehen.“
„Nein, Sire. Aber ich will dieses Amt nicht annehmen, weil ich glaube, dass Ihre Ansichten allem zuwiderlaufen, was nach meiner Überzeugung dem Ruhm und dem Glück meines Vaterlands dient.“ [2]
Das letzte Zitat entstammt den Memoiren einer Freundin Talleyrands, Aimée de Coigny, wir dürfen daher am Wortlaut zweifeln; zweifellos hingegen ist, dass T. abgelehnt hat und er zwischen den Interessen Frankreichs und denen des Kaisers unterschieden hat.
Betrachtet man vor allem die die Kriegsziele Russlands, Österreichs und Englands, dann wird deutlich, dass die „natürlichen Grenzen“ Frankreichs realistisch waren. In den Augen Talleyrands für Frankreich auch völlig ausreichend.
Aber konnte Napoleon diesen Frieden schließen?
Ich meine: nein.
In den Schilderungen zu den Kriegen 1813 und 14 wird Napoleon als uneinsichtig geschildert. Nach dem Gewinn einer Schlacht war er weniger bereit, zu verhandeln etc.
Es gibt die Argumentation, dass er keinen Frieden mit weniger Staatsgebiet wollte, als er 1799 übernommen hat.
Aber ist ein uneinsichtiger Napoleon wirklich der Weisheit letzter Schluss?
Bei Metternich findet sich folgendes:
„Nun gut, was will man denn von mir?“ fuhr mich Napoleon an, „dass ich mich entehre? Nimmermehr! Ich werde zu sterben wissen, aber ich trete keine Hand breit Bodens ab. Eure Herrscher, geboren auf dem Throne, können sich zwanzig Mal schlagen lassen, und doch immer wieder in ihre Residenzen zurückkehren; das kann ich nicht, ich, der Sohn des Glückes. Meine Herrschaft überdauert den Tag nicht, an dem ich aufgehört habe, stark und folglich gefürchtet zu sein.“ [3]
Ich denke, die Gefahr von den europäischen Fürsten abgesetzt zu werden, bestand nicht, außer Alexander I. hatte keiner diese Absicht. Mit dem Ausland wäre ein Frieden wohl möglich gewesen, zumal davon ausgegangen werden kann, dass es unter den Verbündeten dann ähnliche Interessenkonflikte gegeben hätte, wie auf dem Wiener Kongress offenbar wurden. Die Legitimität als Argument greift meiner Ansicht nach nicht.
Im letzten Satz des Zitates liegt wohl die Wahrheit.
Eine Begründung habe ich bei Eynard in einem Gespräch vom 9. November 1814 beim Wiener Kongress zwischen dem Genfer Bevollmächtigten von Pictet, Eynard selbst und Talleyrand gefunden:
„Wie kommt es aber, Durchlaucht, dass man Frieden mit ihm schließen wollte?“
„… Es hing jedoch nur von ihm ab, ihn zu schließen, und ich kann Ihnen sogar sagen, dass Herr von Metternich ihm zwei Tage nach dem Abbruch der Verhandlungen in Chatillon nochmals einen Kurier sandte, um noch zu vorteilhaften Bedingungen abzuschließen.“
„Wie können Ew. Exzellenz sich erklären, dass er das abgeschlagen hat?“ fragte Herr von Pictet.
„In seiner Lage konnte er nicht anders handeln“, antwortete Talleyrand, „und darin hat er ein ausgezeichnetes Urteil bewiesen. Der Friede war vorteilhaft für die Verbündeten, aber nicht für ihn. Bonaparte hatte die Gunst des Volkes verloren. Nur große Erfolge und ein mächtiges Reich hätten ihn stützen können. Er konnte sich nach seiner Rückkehr in Frankreich nicht halten mit einem König von Rom ohne einen Zollbreit Landes in Italien, mit Brüdern ohne Königreich, mit erschöpften Finanzen.“
„Und ohne die Dotationen seiner Marschälle“, fügte ich hinzu.
Herr von Talleyrand erwiderte:
„Ja, die Marschälle, dotiert mit sieben- bis achthundert Tausend Franken, waren ihm ergeben, solange sie bezahlt wurde; aber sobald sie sich ihrer Einkünfte beraubt gesehen hätten, würden sie in ihm nur noch den Kameraden gesehen haben. Bonaparte konnte also keinen Frieden schließen zu Bedingungen, die ihm nur Frankreich ließen.“ [4]
Die natürlichen Grenzen als Friedensergebnis wären für Frankreich vorteilhaft gewesen. Nicht aber für Napoleon. Das Staatsgebiet wäre begrenzt gewesen und damit auch die finanziellen Möglichkeiten durch den Wegfall der Ausplünderung ehemals abhängiger Staaten. Eine Art „Empire auf Sparflamme“ wäre die Folge. Wäre das vorstellbar? Ich glaube nicht. Viel mehr müsste davon ausgegangen werden, dass in Friedenszeiten eine große Armee nicht gebraucht, ja, nicht finanziert werden hätte können. Damit wäre Napoleon das spätere Problem der Bourbonen, große Teile der Armee auf Halbsoll zu setzen, auf die Füße gefallen. Ist das vorstellbar? Hätte er das politisch überlebt? Nach der Affäre Malet und der Opposition, die spätestens seit 1808 bestand und den nicht zu unterschätzenden royalistischen Kräften wohl eher nicht!
Und so kann es nicht wirklich wundern, dass Napoleon sogar einen Bürgerkrieg in Frankreich in Erwägung zog und erst aufgab, als die Marschälle ihm den Gehorsam verweigerten.
Grüße
excideuil
[1] Orieux, Jean: „Talleyrand – Die unverstandene Sphinx“, Societäts-Verlag, Frankfurt, 1972, Seite 480
[2] Bernard, Jack F.: „Talleyrand – Diplomat, Staatsmann, Opportunist“, Wilhelm Heyne Verlag, München, 1989, Seite 322
[3] Metternich: „Aus Metternich’s nachgelassenen Papieren“ Erster Teil, 1773-1815, Wilhelm Braumüller, Wien 1880, Bd. 1, Seite 151
[4] Eynard, Jean Gabriel: „Der tanzende Kongreß“, Tagebuch, berecht. Übersetzung von Dr. Karl Soll, Hafen Verlag, Berlin, 1923, Seite 89