Das Thema der Ausreiseanträge in der DDR ist ja schon hinreichend besprochen worden. Doch möchte ich mal beleuchten, ob es ähnliche Möglichkeiten auch für die Menschen in anderen Ländern des Ostblocks bzw. der Sowjetunion gab?
Es dürfte ja sicherlich etliche Menschen in der Sowjetunion gegeben haben, die eine solche Möglichkeit gerne genutzt hätten.
Es ist schon eine Besonderheit, dass solche Anträge in der DDR überhaupt gestellt werden konnten.
Freue mich auf viele Beiträge.
Ralf M. liegt schon richtig damit, dass es auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges zwar auch in der Sowjetunion die Möglichkeit gab, Ausreiseanträge zu stellen-dass aber die Wahrscheinlichkeit, dass ein Ausreiseantrag auch genehmigt wird, recht gering war.
Wer einen Ausreiseantrag stellte, der wendete sich nach der Ideologie von orthodoxen Kommunisten von der Sowjetunion ab und kündigte ihr die Loyalität auf. So jemand macht sich natürlich verdächtig, Familienangehörige, Freunde usw. sind natürlich auch verdächtig. Es waren ganz erhebliche Schwierigkeiten und Repressalien zu befürchten. Eigentlich hatten nur namhafte Intellektuelle und Wissenschaftler wie Lew Kopelew, Andrej Sacharow oder Alexander Solschenizyn oder Schachgroßmeister wie Victor Kortschnoi eine Chance, auszureisen. Solche Renegaten wurden auch meist eher "ausgebürgert" wie Wolf Biermann. Bis es dann tatsächlich auch soweit war, dass man ausreisen durfte, waren Dissidenten oft gezwungen, jahrelang Verhöre, Hausarrest oder Haftaufenthalte über sich ergehen zu lassen.
In der DDR hatten oft nur ältere Menschen eine Chance, dass ein Ausreiseantrag bewilligt wurde. In meiner Jugend kursierte ein Kalauer: Im Jahre 2009 kommt die Wiedervereinigung! Wie dass? Dann ist die DDR Sechzig, und mit 60 Jahren darf man ja rüber."
Ich bin in Baden-Württemberg zur Schule gegangen. 1975 waren in meiner Klasse eine Reihe von Aussiedlerkindern mit deutschen Nachnamen aus der Tschechoslowakei. Die Eltern waren nach dem Prager Frühling nach Deutschland gekommen. Die Kinder sprachen perfekt Deutsch und fühlten sich als Deutsche. Bei der Fußball-EM 1976, als Deutschland im Finale der CSSR-Equipe unterlag, drückten sie Deutschland, nicht der Tschechoslowakei die Daumen.
Im Zarenreich und in der Sowjetunion gab es eine recht große Zahl an Russland-Deutschen. Es gibt im Russischen sehr viele deutsche Fremdwörter. Im Baltikum war Deutsch sehr verbreitet. Kurzzeitig gab es sogar mal eine Wolgadeutsche Sowjetrepublik. Deutsch war zeitweise auch eine Amtssprache. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion wurden die Wolgadeutschen und andere Deutschstämmige meist nach Kasachstan deportiert. Nach dem 2. Weltkrieg und im Kalten Krieg setzte eine starke Russifizierung ein. Größere Zahlen von Russland-Deutschen wanderten erst Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre in die Bundesrepublik ein. Die meisten stammen aus Kasachstan. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion wurden die Wolgadeutschen nach Kasachstan (zwangsweise) deportiert. Ein Freund von mir wurde in einem Dorf in Kasachstan geboren, das erst nach dem Krieg gegründet wurde. Die eine Hälfte der Bewohner waren Russland-Deutsche, bzw. deren Nachkommen, die andere Hälfte Polen, die aus den von der SU nach dem Hitler-Stalin-Pakt annektierten polnischen Gebieten stammten.
Es gab aber in den ersten drei Jahrzehnten nach dem 2. Weltkrieg nur wenige Auswanderer aus der Sowjetunion. Es gab Intellektuelle wie Lew Kopelew
https://wikipedia.de.org/wiki/Lew_Kopelew, die schließlich ausreisen durften, bzw. die ausgebürgert wurden. Hin und wieder gab es Schachgroßmeister, die wie Anatoli Karpow frei reisen durften, die es aber wie Viktor Kortschnoi vorzogen, im Westen zu bleiben. Es gab es hin und wieder mal eine Aussiedlerfamilie, die es geschafft hatte, schließlich eine Ausreisegenehmigung zu bekommen und in die Bundesrepublik einwandern zu dürfen. Das waren aber nur sehr wenige, eine fast verschwindende Minderheit. Die meisten hatten wegen des Ausreiseantrags enorme bürokratische Hürden und Repressalien ertragen müssen. Ein Grund auch, weshalb viele Ausreise-Anträge gar nicht erst gestellt wurden, da man um die geringe Erfolgsaussicht wusste.
Die meisten Russland-Deutschen, die heute in der Bundesrepublik leben, bzw. deren Eltern und Großeltern, kamen erst kurz vor dem Ende der Sowjetunion oder danach in die Bundesrepublik. Die Eltern oder Großeltern dieser Aussiedler hatten Deutsch noch als Muttersprache gelernt, die meisten, die nach dem Krieg geboren waren, mussten Deutsch als Fremdsprache erst wieder lernen.