Kontinuität Franken zur Antike

Was ist kein Automatismus? Ich hab doch überhaupt nichts über Römer oder Araber oder Spanier in der Neuen Welt geschrieben.
Nein, die habe ich ins Spiel gebracht, um zu zeigen, dass das Zahlenverhältnis von Invasoren und Invadierten nur bedingt eine Rolle spielt. Also ja, es spielt sicher eine Rolle, aber bei der Latinisierung, Arabisierung und Hispanisierung/Lusitanisierung spielte das Zahlenberhältnis keine. Mehr wollte ich gar nicht sagen.
 
Die Araber stießen sogar in Räume vor, wo das prestigeträchtige Griechische oder Lateinische Verkehrs- oder Alltagssprachen waren und trotzdem schimpfen Alvarus und Eulogius von Córdoba, dass die jungen Christen fluenter im Arabischen als im Lateinischen seien.

Hier ist doch der Islam der entscheidende Faktor, und damit die Arabische Sprache.

In Frankreich blieb eine romanisch sprechende Elite, und sie blieb Elite.
In Britannien bildeten die angelsächsischen Zuwanderer die neue Elite.

In Spanien blieb zwar ein Teil der Elite, aber sie musste aus religiösen Gründen zum Arabischen wechseln um Elite zu bleiben.
Dazu kam einen neue, schon arabisch sprechende Elite.
Der Großteil der Eroberer waren ohnehin keine Araber, sondern Berber, die allerdings auch schon zum arabischen "konvertiert" waren.
 
Der Großteil der Eroberer waren ohnehin keine Araber, sondern Berber, die allerdings auch schon zum arabischen "konvertiert" waren.
Die Berber waren islamisiert. Aber die Arabisierung des Maġrib (Arabisten sprechen bei der Arabisierung des Maġrib von der Hilalisierung, weil dies durch die Banū Hilāl vorangetrieben wurde) fand erst im 11. Jhdt. so richtig statt. Zuvor war der Maġrib arabischsprachig geblieben, es flossen arabische Worte ins Berberisch ein, die sich aber der berberischen Morphologie unterwarfen: madīna > tamdint - das Zirkumfix t-xxx-t im Berberischen ist ein Femininmarker. Alvaro und Eulogius klagen ja, dass die jungen christlichen Leute statt Latein, ihrer Muttersprache, fluenter in Arabisch seien. Man unterstellt, dass ungefähr um 900 die Anzahl der Muslime - hauptsächlich durch Konversion, weniger durch Zuwanderung - die der Christen überstieg. Bis ins 11. Jhdt. ist das Romance Andalusí auch noch nachweisbar. Danach verschwindet es, wohl auch, weil die Anzahl der Christen in a-Andalus rapide abnimmt.
So sind die Almoraviden (in al-Andalus 1090 - 1145) relativ rigide und die Almohaden (in al-Andalus 1145 - 1230) später noch mehr. Aber schon Alfonso VI. (Kastilien-León), und später sein Kurzzeit-Schwiegersohn Alfonso I. (Aragón) holten mozarabische Christen in den Norden (die Personen, die wir kennen, tragen oft zwei Namen, einen romanischen und einen arabischen). Bei seinem Zug durch die Umgebung von Granada, den Alfonso I. auf Ersuchen der Christen von Granada unternahm, ihnen gegen die Almoraviden zu helfen, war Alfonso zwar militärisch stark genug, um gefahrlos durch die Region zu ziehen, konnte aber auch keine Eroberungen vornehmen, aber 25.000 granadinische Christen kehrten mit ihm zurück nach Aragón. Es gab also einen Christian Drain* von Süden nach Norden und somit wohl einen Language Drain*.


*ie Begriffe Christian Drain und Language Drain sind von mir von Brain Drain abgeleitet, dem Abfließen der Intelligenz aus wirtschaftlich unattraktiven Ländern in wirtschaftlich attraktive Länder - also gut ausgebildete Personen verlassen i.d.R: als erste das Land ihrer Ausbildung und gehen in die Länder, wo sie mehr verdienen können, verschärfen dadurch die wirtschaftliche Lage im Ursprungsland und die Pushfaktoren.
 
(...) fand erst im 11. Jhdt. so richtig statt.
...da sind wir zeitlich nicht nur weit weg von der Merowingerzeit, sondern auch von den nachfolgenden Karolingern ;) und auch räumlich haben wir uns beim parlieren über al-Andalus etc vom merowingischen Kulturraum entfernt.

Mein Vorschlag: zurück zum Thema:
auf lokaler Ebene blieb die römische Funktionselite in Funktion
das dürfte, wenn auch mit Abstrichen infolge kriegerischer Zerstörungen durch Barbareneinfälle im 5.Jh., in den noch weströmisch kontrollierten/beherrschten Provinzen der Fall gewesen sein - aber in welchem Ausmaß? Was weiß man über die Wirkungsbereiche und Handlungsmöglichkeiten dieser spätantiken römischen Funktionselite? Wer finanzierte diese? Wie ausgeprägt war die weströmische Staatlichkeit in den linksrheinischen Provinzen überhaupt noch und wie handhabten zunächst Syagrius und danach Childerich I und Chlodwig das?

Wenn ich mich richtig erinnere (u.a. bei Demandt, Geschichte der Spätantike) muss man von einem wirtschaftlichen und kulturellen Niedergang im 5. Jh. ausgehen, was nicht nur die Kriegswirren mit ihren Zerstörungen betrifft, sondern auch die "inner-provinzialrömische" Misswirtschaft (Bagaudenaufstände). Möglicherweise reduzierte sich die geordnete "ex-römische" Staatlichkeit mit ihrer Funktionselite nur noch auf die Städte, die in der Spätantike erst infolge der verschwundenen Grenzsicherheit nun Stadtmauern erhielten - wer trieb da noch und wo (Wirkungsbereich) Steuern ein?

Und jetzt komme ich doch noch auf den sozusagen "römischsten" aller Völkerwanderungswarlords zu sprechen: Theoderich in Italien, wo es salopp gesagt im 5./6. Jh. noch am römischsten zuging - und ausgerechnet der benötigte parallel zur römischen Funktionselite eine zweite eigene, gotische, die Sajones (etwas vergleichbares gab es auch bei den spanischen Westgoten) - - die Verhältnisse im expandierenden Frankenreich Chlodwigs waren wahrscheinlich nicht mehr so "römisch" wie in Theoderichs Italien.
 
Zuletzt bearbeitet:
Theoderich hat mit seiner gotischen Kriegertruppe Italien erobert.
Andere Barbarenfürsten hatten sich einfach in die Spitze der römischen Administration gesetzt (zum Beispiel Ricimer).
Um nicht ebenfalls diesen Anschein zu erwecken und seine gotischen Gefolgsleute bei Laune zu halten, musste er deren Gotentum betonen, die Unterschiede zu den Römern künstlich aufrecht erhalten. Ansonsten wären seine Leute in der Masse der römischen Würdenträger untergegangen, dann hätte man aber auch keinen Gotischen König mehr benötigt.
Diese Trennung erwies sich später als fatal. Die italienische Elite wollte nicht byzantinisch werden, aber gotisch eben auch nicht, und unterstützte Totila und Teja & co kaum.

In Gallien verfuhr man auf militärischer Ebene zwar ähnlich, die Heerführer waren Franken.
Daneben blieb aber die Kirchenorganisation intakt. Die galloromanischen Bischöfe und Großgrundbesitzer einerseits und die Fränkischen Warlords andererseits arrangierten sich prächtig und profitierten beide.
Die Vermischung beider Eliten wurde nicht künstlich verhindert und es entstand der französische Adel des Frühmittelalters.
 
Die Vermischung beider Eliten wurde nicht künstlich verhindert und es entstand der französische Adel des Frühmittelalters.

Verständnisfragen:
- nur der französische?
Zumindest bei den Westgoten existierte ein Heiratsverbot zwischen gotischen und nichtgotischen Personen, das auch mit der Konversion des Rekkared zunächst nicht aufgehoben wurde. Noch im 10. Jhdt. gab es so etwas wie eine gotische Identität Muḥammad ibn ʿUmar ibn ʿAbd al-ʿAzīz ibn Ibrāhīm al-Qurṭubī, genannt Ibn al-Qūṭiyya 'Sohn der Gotin'.

Ich habe geschrieben "so etwas wie eine gotische Identität", weil Ibn al-Qūṭiyya seine Herkunft eben nicht auf irgendeine Gotin zurückführte, sondern auf die Enkelin des Königs Witiza, Sara. (Ich hatte noch mehr geschrieben, breche das aber hier ab, um das Thema nicht zu hijacken.)
 
Um nicht ebenfalls diesen Anschein zu erwecken und seine gotischen Gefolgsleute bei Laune zu halten, musste er deren Gotentum betonen, die Unterschiede zu den Römern künstlich aufrecht erhalten. Ansonsten wären seine Leute in der Masse der römischen Würdenträger untergegangen, dann hätte man aber auch keinen Gotischen König mehr benötigt.
das erscheint mir überspitzt - Theoderichs Truppen waren das Militär, der einzige Schutz gegen marodierende Barbarenverbände, so ohne weiteres wären die nicht einfach so untergegangen, denn wer hätte sich ihnen entgegenstellen sollen? Apropos "Gotentum": du meintest doch, die Ostgoten seien schon im 5.Jh. in Pannonien romanisiert gewesen - wozu benötigten diese Truppenverbände dann ein "Gotentum"?
 
das erscheint mir überspitzt - Theoderichs Truppen waren das Militär, der einzige Schutz gegen marodierende Barbarenverbände, so ohne weiteres wären die nicht einfach so untergegangen, denn wer hätte sich ihnen entgegenstellen sollen? Apropos "Gotentum": du meintest doch, die Ostgoten seien schon im 5.Jh. in Pannonien romanisiert gewesen - wozu benötigten diese Truppenverbände dann ein "Gotentum"?
Ich schrieb auch, dass sie ihre Traditionen zu bewahren suchten. Nicht nur Schwarz und Weiß.
Entgegenstellen musste sich keiner, es hätte genügt, wenn nach und nach die
römische Mehrheit in die Führung eingesickert wäre.
 
Wie Stilicho sagt, waren diese Strukturen in Britannien schon vor der angelsächsischen Landnahme stark geschwächt oder nicht mehr vorhanden. Kann man jetzt die Frage stellen, ob dieses weitgehende Fehlen einer Funktionselite die Voraussetzung war, dass eine so große Bevölkerungsverschiebung wie in Britannien überhaupt möglich oder von den Invasoren gewünscht war. Im Frankenreich, Spanien usw bildeten die germanischen Eroberer eine Militärelite, wenn man so will; die breite Masse der Bevölkerung war die gleiche wie vor der Eroberung. In Britannien wird ein anständiger Teil der einfachen Bevölkerung aus Angelsachsen bestanden haben, die die vorherige Population zumindest teilweise ersetzte.
Passt jetzt nicht unbedingt zum Fadenthema. Die Briten haben einiges an Geschichtdokus. In einer Sendung mit deutscher Übersetzung (lief irgendwo im örR) wurde eine genetische Studie vorgestellt. Dabei wurde die Bevölkerung Ostenglands genetisch mit jener der Niederlande und der von Wales verglichen. Zum einen mit DNA aus Skeletten aus der Spätantike und DNA-Proben der heutigen Zeit. Dabei kam heraus, dass in der Spätantike noch eine große Nähe zwischen Ostengland und Wales gab. Heute ist das DNA zwischen Ostengländern und Niederländern viel ähnlicher und beide sind weit von den Walisern entfernt.
Was war dann die These der Doku-Macher? Es wurde ein Heiratsverbot für die britische Bevölkerung während und nach der angelsächsischen Landnahme als Erklärung herangezogen. Die Angelsachsen hätten gezielt die Vermehrung der angestammten britischen Bevölkerung unterbunden.

Nur zur Erläuterung:
In der Studie hat man sicher keine marokkanischen Einwanderer in den Niederlanden oder Jamaikaner und Pakistani in Ostengland einbezogen. Aber darauf eingegangen wurde in der Doku jedoch nicht.
 
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