Auch archäologische Beweise für eine plötzliche Ausbreitung des Mithras-Kultes unter den Flaviern gibt es anscheinend nicht.
Auch hier stellt sich freilich wieder die Frage, ob es sich bereits um den typischen Mithraskult handelte.
Ich kann deine Skepsis gut verstehen. Das Quellenmaterial ist natürlich sehr dünn.
Es gibt eine Anspielung in der Thebais des 96 verstorbenen Dichters Statius ("seu Persei sub rupibus antri indignata sequi torquentum cornua Mithram"). Der Mithras, der den Stier bei den Hörnern packt, ist ein ganz typisch römisches Motiv, das beim persischen Mithra nicht zu finden ist.
In Rom gibt es eine frühe Weiheinschrift an Mithras von einem "T. Flavius Hyginus Ephebianus, Aug(usti) lib(ertus)", wer sollte das anders sein als ein Freigelassener der Flavier? In der Inschrift ist von einem "pater" namens Lollius Rufus die Rede, das war wohl kaum der leibliche Vater (obwohl Vermaseren das so sehen wollte). Wahrscheinlich haben wir es hier mit einem der sieben Weihegrade zu tun. Das wäre auch ein typisches Merkmal des römischen Mithras-Kults.
Das wohl älteste Mithräum in Nida (Frankfurt-Heddernheim) "könnte um 85 erbaut worden sein" (Clauss). Die Datierung ergibt sich aus den Namensinschriften mit militärischen Rangbezeichnungen: C. Lollius Crispus, (centurio) coh(ortis) bzw. Tacitus, eques alae - die cohors XXXII voluntariorum civium Romanorum war bis 90, die ala I Flavia milliaria bis 110 stationiert. Clauss schreibt: "Es dürften die aus Italien stammenden Truppenkommandeure dieser Auxiliareinheiten, wie C. Lollius Priscus, gewesen sein, die den Mithras-Kult nach Nida brachten."
Meiner Ansicht nach spricht einiges dafür, dass der römische Mithras-Kult, als reine Männerreligion, mit festen Ordnungen und Weihegraden und seinen typischen Symbolen und Inhalten, nicht allzu lange vor 90 n. Chr. in relativ kurzer Zeit in oder um Rom entstanden ist oder vielleicht doch besser: gestiftet wurde (Jacobs: "Die Mysterien insgesamt, ihre Weihegrade, ihre Regeln und das komplexe Geflecht von Zeichen und Sinnbezügen sind ein intellektueller Entwurf, viel zu künstlich, um zu
entstehen." Durch Soldaten kam es dann innerhalb weniger Jahre zu Ablegern in den mit Legionen gut bestückten Rhein- und Donauprovinzen (Germania Superior, Pannonia Superior, Moesia Inferior). Die frühen sicher datierbaren Mithräen kann man allerdings fast an einer Hand abzählen, der ganz große Mithras-Boom begann erst ein halbes Jahrhundert später.