Liman-von-Sanders-Krise und die Dardanellen. (..Ein Versuch)

Für McMeekin ist eine Neuerscheinung angekündigt, die das Spektrum des älteren Buches "The Berlin-Baghdad Express: The Ottoman Empire and Germany's Bid for World Power, 1898-1918" offenbar erweitert:

Neuerscheinung Oktober 2015:

The Ottoman Endgame: War, Revolution and the Making of the Modern Middle East, 1908-1923
 
Vielleicht wurde der Punkt hier schon angesprochen:

Canis, Abgrund, referiert, dass die Militär-Mission Sanders allein in die Zuständigkeit des Militärs bzw. des Militärkabinettes und damit letztlich von Wilhelm II. fiel. Was ja sein "Königs-Recht" gewesen war, welches er verfassungsrechtlich ohne jeden Einspruch - und Informationspflicht - ausüben konnte und ggf. auch tat.

Die Sanders-Mission als Militär-Entscheidung ging daher gänzlich am Kabinett und am AA vorbei, eine Information möglicherweise davon "berührter" Ministerien fand vorab offenkundig nicht statt.
Ohne ein Kenner Wilhelms II. zu sein, meine ich schon, dass seine meist wenig ausgeprägten diplomatischen und konzeptionell-abstrakten Fähigkeiten in der Einfädelung der Sanders-Mission wieder mal zum Vorschein kamen.

Noch ein Punkt, der evt. hier ebenfalls bereits angeführt wurde: Mögliche Hintergründe für Wilhelm II. Entscheidung zu dieser Mission.

Tatsächlich war Südost-Europa mächtig in Bewegung gekommen in den Jahren direkt vor der Sanders-Mission, was hier bereits mehrfach referiert wurde. Im Allgemeinen geschah dies direkt vor allem zu Lasten des Osmanischen Reiches, mit dem das DR in näherer Beziehungen stand. Und zu Lasten der Stellung und politischen Bedeutung von Ö-U. in Südost-Europa.
Beide Reiche oder Staaten wurden dadurch weiter geschwächt und damit indirekt auch die Stellung des DR, was man in der Berliner Reichs-Regierung, was Wilhelm II und sein Umfeld wohl durchaus deutlich wahrgenommen hat.

Dass es die jungtürkische Regierung gewesen war, die von sich aus die Mission nachgefragt hatte, wurde bereits erwähnt, eingebettet in eine längere, nähere Beziehung DR zum Osmanischen Reich. Vielleicht noch eine Anmerkung dahin gehend, dass sich die dt. Reichsregierung in den unmittelbaren Jahren davor in den Balkan-Konflikten relativ neutral verhalten hatte, obwohl das befreundete Osmanische Reich der Leidtragende der Entwicklung gewesen war. Durchaus vielleicht auch ein Gesichtspunkt für die politische Führung in Berlin, für Wilhelm II., wenn es möglicherweise darum ging, jungtürkische Wünsche zu erfüllen und die Beziehungen zu vertiefen/stabilisieren.
 
Das sind alles Aspekte der Krise, ohne Frage.

Bzgl. der deutschen Motive sollte allerdings der deutsche (wie auch zeitgenössische der übrigen Großmächte in Bezug auf die "Orientalische Frage") Imperialismus berücksichtigt werden.

Das Engagement an den Dardanellen und der "Straße" folgte dem Ziel, mittels weichem Imperialismus, militärischer und ökonomische Penetration der Region und Durchsetzung gegen die anderen Großmächte Kontrolle oder gar Hegemonie zu erlangen. Selbstverständlich war das keine selbstlose Hilfe für die Jungtürken oder Osmanen gegen die übrigen Imperialisten.
 
Das sind alles Aspekte der Krise, ohne Frage.

Bzgl. der deutschen Motive sollte allerdings der deutsche (wie auch zeitgenössische der übrigen Großmächte in Bezug auf die "Orientalische Frage") Imperialismus berücksichtigt werden.

Das Engagement an den Dardanellen und der "Straße" folgte dem Ziel, mittels weichem Imperialismus, militärischer und ökonomische Penetration der Region und Durchsetzung gegen die anderen Großmächte Kontrolle oder gar Hegemonie zu erlangen. Selbstverständlich war das keine selbstlose Hilfe für die Jungtürken oder Osmanen gegen die übrigen Imperialisten.

Was mich in dieser Hinsicht interessiert, was genau war die Absicht des Deutschen Reiches? Wenn ich das richtig jetzt mehrmals gelesen habe, war es Absicht, durch die Zusammenarbeit mit dem Osmanischen Reich einen Keil zwischen diesem und Großbritannien zu erreichen. Letzteres unterstützte das Osmanische Reich or allem deswegen, um u.a. den Seeweg nach Indien zu schützen bzw. generell gesagt, die britischen Interessen bzgl. des Empires zu sichern.

Kann man das so sagen?

Ich habe bei der Recherche folgendes Buch gefunden:
The Berlin-Baghdad express : the Ottoman Empire and Germany's bid for world power on McMeekin.

Kennt man das? Ist das gut? Das gibt es bei uns in der Bibliothek.
 
Das sind alles Aspekte der Krise, ohne Frage.

Bzgl. der deutschen Motive sollte allerdings der deutsche (wie auch zeitgenössische der übrigen Großmächte in Bezug auf die "Orientalische Frage") Imperialismus berücksichtigt werden.

Das Engagement an den Dardanellen und der "Straße" folgte dem Ziel, mittels weichem Imperialismus, militärischer und ökonomische Penetration der Region und Durchsetzung gegen die anderen Großmächte Kontrolle oder gar Hegemonie zu erlangen. Selbstverständlich war das keine selbstlose Hilfe für die Jungtürken oder Osmanen gegen die übrigen Imperialisten.

Ja, vielen Dank. Widerspricht Deine Bemerkung meinen Ausführungen grundsätzlich? Eher nicht, es sei denn, "Imperialismus" wäre ein klar definiertes, völlig abgrenzbares Bündel von aussergewöhnlichen, eben "imperialistischen" Verhaltensweisen und Wahrnehmungen, die sich klar erkennbar von allen "anderen", "normalen" Verhaltensweisen auf der Ebene der Nationalstaaten unterscheiden würden.

Wenn man den weichen "Imperialismus" durch den Begriff "Hegemonie" ersetzt, scheint mir das angemessener zu sein.

Mehrheitlich halte ich für sinnvoll, im Detail primär nach Motiven und Anlässen von Handlungen und Entscheidungen zu suchen. Der weite wie unscharfe Oberbegriff "Imperialismus" mag als Schlagwort zur allgemeinen, vereinfachenden Charakterisierung für Einsteiger zum Einstieg nützlich sein, eine detailierte Betrachtung der Motivlage und möglicher Auslöser/Interdependenzen in der qualifizierten Diskussion kann er nicht ersetzten, scheint mir, in der vertieften Erörterung nicht mal ergänzen, überspitz formuliert.

Abschließen möchte ich mit dem weiteren Hinweis, dass das Russische Reich seit Ende 1912 in der Wahrnehmung der europäischen Staatenwelt eine scheinbar auffallend erfolgreiche, starke militärische Aufrüstung startete. Das haben sowohl die französische, die deutsche und die britische Regierung wahrgenommen, selbst das scheint mir noch als Hintergrund für die Liman-Sanders-Krise eine Notiz wert zu sein.
 
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Der weite wie unscharfe Oberbegriff "Imperialismus" mag als Schlagwort zur allgemeinen, vereinfachenden Charakterisierung für Einsteiger zum Einstieg nützlich sein, eine detailierte Betrachtung der Motivlage und möglicher Auslöser/Interdependenzen in der qualifizierten Diskussion kann er nicht ersetzten, scheint mir, in der vertieften Erörterung nicht mal ergänzen, überspitz formuliert.

Als "Einsteiger" für den "Einstieg" halte ich den Begriff bzw. die unterschiedlichen theoretischen Aufladungen des Begriffs "Imperialismus" für die Beschreibung der Epoche zwingend notwendig.

Versucht man sich oberflächlich einen Eindruck zu verschaffen, dann ist das Konstrukt "Hegemonie" ein epochenübergreifendes Konstrukt, das im Sinne der Beschreibung der Beziehungen von "Staaten" ein „Machtgefälle“ symbolisiert bzw. in der Logik von M. Weber, die Fähigkeit, andere Staaten in ihrer Politikformulierung zu beeinflussen. Es ist aber für sich kein historischer Begriff, der eine Epoche benennt.

Anders der „Imperialismus“, der in unterschiedlicher Form durch Lenin, Hobson, Hilferding, Schumpeter oder durch Arendt konkrete historische Bezüge erhalten hat und theoretisch ausformuliert wurde. Für die historische Diskussion wird aktuell am ehesten auf Hobson verwiesen.

Ein Überbordwerfen des „Imperialismus“ für die Beschreibung der Außen- und Wirtchaftspolitik der damaligen Epoche bzw. für das DR wäre aus zwei weiteren Gründen fragwürdig. Zum einen hat Wehler in „Bismarck und der Imperialismus“ den Zusammenhang dargestellt zwischen der innenpolitischen Integration vor allem der Mittel- und Arbeiterschicht und dem außenpolitischen Programm im Rahmen der Flottenrüstung. Diese Strategie hatte er als „Sozial-Imperialismus“ bezeichnet, M. Weber folgend.

Der zweite Punkt, der wesentlich gravierender ist, ist die Entwicklung der Außenpolitik von ca. 1900 bis 1914. Diese Veränderung beschreibt eine Entwicklung, bei der die „imperialistischen Konflikte“ der westlichen Großmächte, inklusive der USA Und Japan, in Fernost, Süd- und Mittelamerika und Afrika verstärkt nach dem russisch-japanischen Krieg 1905 sich zurück nach Europa verlagern.

In der Zwischenzeit lief ein vielschichtiges Szenario der Aufrüstung im DR und in anderen Ländern ab. Das Instrument, der Aufbau der kaiserlichen Flotte durch Tirpitz [1], konstituierte in Anlehnung an Mahan eine für die Periode zwischen 1890 bis 1914 einzigartige Epoche, die dem Denken in Kategorien der Seemacht einen einzigartigen Stellenwert gab und den „Imperialismus“ auch als „Navalismus“ kennzeichnete. [6]. Verbunden ist diese Sichtweise mit dem außenpolitischen Konzept von Bülows und der Subsumierung unter die Zielsetzung der „Weltpolitik“. [10]

In dieser Periode der „Weltpolitik“ kam es zwischen dem wirtschaftlich sehr dynamischen DR und den anderen Mächten zu nicht unerheblichen Spannungen, die sich wirtschaftspolitisch vor allem Im Dreieck zwischen der wirtschaftlich führenden USA, GB und dem DR abspielten [4 und 7]. Und im Rahmen der imperialistischen Konflikte, vor allem auch zwischen den USA und dem DR, im Pazifik und in Mittelamerika, zu einer vorentscheidenden Entfremdung der beiden Großmächte führte [5]. Im Rahmen dieser Konflikt ging es um Absatz- und Beschaffungsmärkte, die als Regulativ für zyklische kapitalistische Wirtschaftskrisen dienen sollten. Und insofern ist die Begriffsbezeichnung als "Imperialismus" durchaus zutreffend und wird weltweit auch so verwendet!

Diese imperialistischen Konflikte verlagerten sich vor 1914 zunehmend zurück nach Europa und erhöhten den direkten Konflikt an der Peripherie in Europa, auch teilweise als strategische Option, da die Gefahr einer direkten Konfrontation beispielsweise durch Bethmann durchaus erkannt worden ist. Zusätzlich verschärften diese imperialistischen Interessengegensätze die ethnischen und nationalen Spannungen vor allem auf dem Balkan in SO-Europa und boten sich gleichzeitig als „Theater“ an für eine „Lokalisierung“ von Großmachtkonflikten (vgl. Riezler).

Das Absurde an diesen nach Europa zurück gekehrten Konflikten war, dass die imperialen Rivalen gleichzeitig bei ihren Wirtschaftsbeziehungen zwar auch antagonistische Ziele verfolgten, aber noch vielmehr waren sie Handelspartner., die sehr profitabel miteinander kooperierten bzw. Direktinvestitionen vornahmen.

Vor diesem Hintergrund erscheint mir der Begriff des „Imperialismus“ bzw. auch des „Navalismus“ auch weiterhin ein zentrales Konstrukt zu sein, die Dynamik vor 1914 angemessen zu verstehen.

1.Berghahn (1991): Des Kaisers Flotte und die Revolutionierung des Mächtesystems vor 1914. In: John C. G. Röhl und Elisabeth Müller-Luckner (Hg.): Der Ort Kaiser Wilhelms II. in der deutschen Geschichte. München: R. Oldenbourg, S. 173–188.
4.Brechtken, Magnus (2006): Scharnierzeit 1895 - 1907. Persönlichkeitsnetze und internationale Politik in den deutsch-britisch-amerikanischen Beziehungen vor dem Ersten Weltkrieg. Mainz: von Zabern
5.Herwig, Holger H. (1976): Politics of frustration. The United States in German naval planning, 1889-1941. 1st ed. Boston: Little, Brown.
6.Hobson, Rolf (2004): Maritimer Imperialismus. Seemachtideologie, seestrategisches Denken und der Tirpitzplan, 1875-1914. München: R. Oldenbourg
7.Mehnert, Ute (1995): Deutschland, Amerika und die "gelbe Gefahr". Zur Karriere eines Schlagworts in der grossen Politik, 1905-1917. Stuttgart: Steiner
10. Winzen, Peter (1991): Zur Genese von Weltmachtkonzept und Weltpolitik. In: John C. G. Röhl und Elisabeth Müller-Luckner (Hg.): Der Ort Kaiser Wilhelms II. in der deutschen Geschichte. München: R. Oldenbourg, S. 189–222.
 
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In dieser Periode der „Weltpolitik“ kam es zwischen dem wirtschaftlich sehr dynamischen DR und den anderen Mächten zu nicht unerheblichen Spannungen, die sich wirtschaftspolitisch vor allem Im Dreieck zwischen der wirtschaftlich führenden USA, GB und dem DR abspielten [4 und 7]. Und im Rahmen der imperialistischen Konflikte, vor allem auch zwischen den USA und dem DR, im Pazifik und in Mittelamerika, zu einer vorentscheidenden Entfremdung der beiden Großmächte führte [5]. Im Rahmen dieser Konflikt ging es um Absatz- und Beschaffungsmärkte, die als Regulativ für zyklische kapitalistische Wirtschaftskrisen dienen sollten. Und insofern ist die Begriffsbezeichnung als "Imperialismus" durchaus zutreffend und wird weltweit auch so verwendet!

Nur zum Verständnis, das kann man das als "Wirtschaftsimperialismus" bezeichnen?
 
Nur zum Verständnis, das kann man das als "Wirtschaftsimperialismus" bezeichnen?

Ich hätte auch eine Frage zum Verständnis.
Ich stelle mir das so vor,
Imperialismus ist das Streben nach Kolonialismus.
Kolonialismus bedeutet das tatsächliche Erzwingen des eigenen Willens gegenüber einem anderen Volk unter Ausnutzung von Entwicklungsunterschieden.
Sozialimperialismus ist Imperialismus dessen Motiv darin begründet ist, innere Probleme damit zu lösen.
Wirtschaftsimperialismus ist Imperialismus mit dem Mittel der Schaffung wirtschaftlicher Abhängigkeiten.
Kann man das so sagen?
 
Puh. Für mich ist Imperialismus immer mehr gewesen als reiner Kolonialismus, nämlich mehr ein Streben nach Einfluss, Macht und Herrschaft. Diese konnte auch indirekt und nicht immer direkt durch die Schaffung von Kolonien erfolgen (Siehe China). Kolonialismus ist ein essentieller Bestandteil davon.

Ich würde Sozial- und Wirtschaftsimperialismus davon trennen, da diese meiner Meinung nach mehr die Beweggründe für imperialistisches Verhalten bzw. die Gründung von Kolonien beinhalten.

Sozialimperialismus definiere ich als imperialistisches Streben, um innenpolitische Aspekte bzw. Themen - nicht zwangsläufig nur Probleme - zu lösen, in dem z.B. Kolonien gegründet werden, um bevölkerungsbezogene Thematiken wie Überbevölkerung, religiöse Auseinandersetzungen, innere Unruhen aufgrund von Unzufriedenheit anzugehen.

Wirtschaftsimperialismus in wirtschaftlichen Motiven begründet wie Schaffungneuer Absatzmärkte durch die Gründung von Kolonien bzw. Schaffung von Interessenszonen/Protekoriaten oder die Einflussnahme in gewissen Ländern zur Rohstoffsicherung.
 
Um die Sanders-Mission bzw. die daraus resultierende Krise noch etwas differenzierter betrachten zu können, macht ein kurzer Blick auf die Reaktionen der britischen Administration zur Sanders-Mission bzw. zu Sasonows (AA-Chef in Petersburg) vehementer Abwehr Sinn. Ebenso ein kurzer Sprung in die türkische Situation/Reaktion.

Direkt auf die Liman-Sanders-Krise bezieht sich:

Stephen Schröder, Die englisch-russische Marine-Konvention, 2006:
- II. Abschnitt: Die Genese der anglo-russischen Marinegespräche des Jahres 1914, 1. Kapitel: Der „entscheidende Augenblick": Die Liman von Sanders-Krise als Auslöser der russischen Bündnisinitiative. S. 94 – 117.

British Documents on the Origins of the War (BD), Band X, Part 1, Chapter LXXXVII — Liman von Sanders' Mission, 1913-14 (S. 338 – 423).

Ein kurzer Durchgang lohnt sich hier allemal, besonders am Anfang der Krise, wenn russ. Regierungsvertreter nachhaltig bis vehement oder fast verzweifelt versuchen, britische Regierungsvertreter als die Entente-Partner Russlands von der vorgeblich dramatischen Lage/Bedeutung der Situation zu überzeugen bzw. auf "Linie zu bringen", diese aber nicht so wollen und ausweichen. Das wirkt gelegentlich tragikomisch, wenn sich z.B. ausgerechnet der dem Dt. Reich deutlich abgeneigte AA-Unterstaatssektretärs-Assistent Eyre Crowe Ende Dezember 1913 den nachhaltigen russ. Wünschen /Ansichten des Gegenübers so nicht anschließen kann/will (BD, X, 1, S. 400f.) .

Meine Formulierungen hier haben keine Anspruch auf Vollständigkeit, Fehlerfreiheit und Irrtumsfreiheit.


Der britische AA-Unterstaatssekretär und frühere Botschafter in Petersburg, Nicolson, spricht in British Documents on the Origins of the War (BD), Band X, Part 1, S. 352, am 2.12.1913 einerseits von der sehr ersten Angelegenheit, sofern die Informationen zur Aufgabe der Sanders-Mission zuträfen [zu diesem Zeitpunkt lagen der britischen Seite noch keine exakten, offiziellen Angaben zur Sanders-Mission vor, Anm. von mir].
Andererseits von
"still we should look rather foolish if we took the question up warmly and then found that Sazonof more or less deserted us." […] It is clear that as the question is one in which the German Emperor is personally interested, and as we understand it was really settled on his own initiative without consultation either with the Chancellor or the German Minister for Foreign Affairs, it makes it all the more difficult for Germany to recede."

Der GB-Außenminister Grey schreibt am 11.12.1913, BD, X,1, S. 370f. (Nr. 417) an den GB-Botschafter in Istanbul u.a., dass er die Bedeutung der Sanders-Mission für übertrieben hält. Diese Sichtweise Greys lag zudem nahe, weil er inzwischen darüber informiert worden war, dass die osmanische Flotte unter dem Kommando einen britischen Admirals stand…..
"I am also hampered by discovering that Admiral Limpus has actual command of Turkish fleet in peace time as his two predecessors before him an arrangement that has existed now for several years though I was not aware of it."


Der britische Außenminister war vorher nicht darüber informiert worden, dass der britische Admiral Limpus die türkische Flotte kommandierte. Das ist eine auffallende Ähnlichkeit mit dem Umstand, dass auch die dt. Regierung bzw. das AA in Berlin nicht von den Militärbehörden bzw. Wilhelm II. als Oberbefehlshaber über den Einsatz von General Liman von Sanders informiert worden war.


Der GB-Außenminister Grey meint weiterhin am 7.1.1904 (BD, X, 1, S. 411) u.a.:

"I told German Ambassador to-day that question of German command at Constantinople was causing me more anxiety than all other questions together. I believed that German Gov[ernmen]t really wished to find some way out of the difficulty and as long as this was so I had urged that there should be no ostentatious demonstration that would make it difficult for German Gov[ernmen]t to come to an arrangement with Russia. German Ambassador confirmed impression that German Gov[ernmen]t want to find a way of satisfying Russia, but said it would take time and meanwhile any demonstration such as a demarche by the Triple Entente at Constantinople would make everything impossible. He indicated some anxiety as to whether a step of this kind was in contemplation."


Genau diese Zeit und Diskretion, um zu einer für Berlin Prestige und Gesicht wahrenden Lösung zu kommen - Prestige, Ehre, Ansehen oder Gesichtswahrung waren politische Größen, die ebenso für kleine, nichtimperialistische Staaten von großer Bedeutung waren, daran kann man also nicht echte oder vorgebliche imperialistische Qualitäten eines Staates festmachen-, gab es von Seiten Sasonows viele Tage keinen Augenblick. Sasonow, der Moskauer AA-Chef, überspitzt und salopp formuliert bzw. betrachtet, setzte viele Wochen unbeirrbar auf eine "Skandalisierung" der Sanders-Mission gegenüber GB. Im AA GB hatte man bereits ab ca. Mitte Dezember 1913 deutlich den Eindruck, dass die Berliner Führung zu einem Kompromiss bereit war, dessen geräuschlose Einfädelung der Moskauer AA-Chef Sasanow mitsamt seinen Spitzendiplomaten viele Wochen verhindert bzw. erschwert hat durch eine Art Krisen-Aktivierung. Zumindest kann man das ausschnittsweise so sehen.

Schröder, Die englisch-russische Marinekonvention, 2006, S. 105, notiert, es wäre für die britischen Außenpolitiker in der Liman-Sanders-Krise schwer erkennbar gewesen, was der sehr erregbare russ. AA-Chef Sasonow eigentlich wirklich wollte.

Zur Türkei:
Soweit ich sehe, wurde im Faden hier im Zusammenhang mit der Sanders-Krise nirgends die Haltung, Position oder Rolle der jungtürkisch geprägten Regierung in Istanbul einbezogen bzw. ihre vorhandene Eigenständigkeit wahrgenommen oder reflektiert.

Der Großwesir in Istanbul wies jedenfalls die Auskunftswünsche der Triple-Entente-Staaten zur Sanders-Mission im Dezember 1913 als Einmischung in die inneren Angelegenheiten zurück.


Die Sanders-Mission gehört m.E. in die Bemühungen der Istanbuler Regierung, nach den erneuten militärischen Niederlagen und Verlusten des Osmanischen Reiches im Krieg mit Italien 1911 – 1912 sowie im 1. Balkankrieg 1912 mit Reorganisationen und Reformen die Funktionsfähigkeit, Militärkraft und Infrastruktur des Osmanischen Restreiches zu verbessern, zu erhalten.

In Nutzung der Rivalität der Großmächte durch die jungtürkisch geprägte Regierung in Istanbul lies diese durch GB die Flotte und z.B. die Justiz sowie eben das Heer mit Hilfe des Deutschen Reiches reorganisieren/reformieren.
Der GB-Botschafter in Wien schreibt etwa sinngemäß dazu am 5.12.1913, BD X, 1, S. 359, Nr. 404, an AA-Chef Grey in London, der Grund für die Sanders-Mission hätte darin gelegen, die beste europäische Methode der Herstellung von Disziplin wie Effizienz für die Osmanische Armee anzuwenden.
- Für die osmanische Marine/Flotte hat Istanbul deswegen die britische Regierung bemüht.


Wobei sowohl die Regierungen in Paris und London am Erhalt des Status Quo des Osmanischen Restreiches interessiert waren, soweit ich sehe. Das Dt. Reich ebenso mit der Tendenz, Istanbul nach dem völligen Zusammenbruch der osmanischen Herrschaft auf dem Balkan ab 1912 zu stützen. Vielleicht auch, um die ebenfalls geschwundene Vormacht von Ö-U auf dem Balkan damit zu kompensieren und zugleich mit dem osmanischen Rest-Reich einen Gegenpart zum Russ. Reich und dessen scheinbar ausgreifenden Einfluss auf dem Balkan im Fahrwasser des Pan-Slawismus zu erhalten.


Das Argument des möglichen Einflusses von Liman von Sanders auf eine mögliche Sperrung der türkischen Meeresenge für russische Schiffe übersieht ohnehin, dass während der Balkan-Kriege 1912/1913 wohl auch ohne Einfluss von dt. Seite der Schiffsverkehr durch den Bosporus gesperrt gewesen war.

Und mir fehlt bisher bei der Erörterung dieses Punktes, dass das Osmanische Reich bzw. die Türkei schon zuvor seit vielen Jahren in Spannung zum russ. Reich gestanden und diverse militärische Konflikte ausgetragen hatte. Die Schiffsdurchfahrt für russ. Schiffe war ein alter und bedeutsamer Konflikt zwischen russ. Reich und der Istanbuler Regierung, so dass das Argument, die Sanders-Mission hätte im Konfliktfall die Schließung der Durchfahrt beabsichtigt, zu kurz greift und so nicht stimmt. Vor allem die alten und bestehenden Gegensätze, ausgetragen in einer langen Reihe von Kriegen zwischen dem Osmanischen und dem russ. Reich waren es, die die Durchfahrtsmöglichkeit zu einem Streitpunkt gemacht hatten bzw. diese war mit ein Konflikt-Punkt gewesen.

Die Sperrung der Durchfahrt im 1. Weltkrieg ist nicht Ergebnis der Sanders-Mission, die ja schließlich stark entschärft worden war, sondern mehr die Folge des Krieges sowie des alten Gegensatzes mit Russland und der Verbindungen der Jungtürken ins DR, der die Istanbuler Regierung schließlich auf die Seite des "Zweibundes" führte. Immerhin konnten Russ. Reich und Osmanisches Reich auf anscheinend 11 Kriege gegeneinander zurück schauen.
 
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Puh. Für mich ist Imperialismus immer mehr gewesen als reiner Kolonialismus, nämlich mehr ein Streben nach Einfluss, Macht und Herrschaft. Diese konnte auch indirekt und nicht immer direkt durch die Schaffung von Kolonien erfolgen (Siehe China). Kolonialismus ist ein essentieller Bestandteil davon.

Ich würde Sozial- und Wirtschaftsimperialismus davon trennen, da diese meiner Meinung nach mehr die Beweggründe für imperialistisches Verhalten bzw. die Gründung von Kolonien beinhalten.

Bei Osterhammel & Jansen (S. 26) gibt es eine kurze und sinnvolle Darstellung. Zunächst ist festzuhalten, dass es viele Formen des Kolonialismus gab und ebenso unterschiedliche Formen des Imperialismus.

Dennoch, Imperialismus für die Epoche zwischen 1890 und 1914 bedeutete pauschal eine ideologische Sichtweise, die unterschiedliche Formen des Kolonialbesitzes in ein systematisches politisches und wirtschaftliches Gesamtkonzept eingebunden hatte.

Im Falle der USA verzichtet man beispielsweise überwiegend auf Kolonialbesitz und setzte auf informelle "Imperien". Im Fall der Niederlanden, die umfangreiche Kolonialbesitz aufwies, kann man andererseits keine imperialistische politische Strategie erkennen, die man für die USA eindeutig erkennen kann.

Beim klassischen Imperialismus / Navalismus ging es um die Wechselwirkung von nationalen Interessen mit den Interessen einer "Weltpolitik" und deren Rückwirkungen auch auf die Nation.

Von den politischen Interessen lassen sich die wirtschaftlichen nicht trennen, wenngleich die Wirtschaft beispielsweise im DR nicht das AA instrumentalisieren konnte und andersherum, wie im Fall der Venezuela Krise 1907 deutlich ersichtlich wurde.

Osterhammel, Jürgen; Jansen, Jan C. (2012): Kolonialismus. Geschichte, Formen, Folgen. 7., vollst. überarb. und aktualisierte Aufl., Orig.-Ausg. München: Beck. Online verfügbar unter http://sub-hh.ciando.com/book/?bok_id=1002724.
 
Der Wunsch nach einer größeren Militär-Mission zur Reform des Osmanischen Heeres rührt von Anfang 1913 und stammt von der Istanbuler Regierung.

Dt. Botschafter in Istanbul, Hans von Wangenheim, am 5.1.1913 u.a.:
"sie [die Pforte] erwägt, deutschen General als Oberkommandierenden im Frieden zu erbitten, hauptsächlich um die Armee außerhalb der Politik zu stellen"
(Quelle: "Die Große Politik der Europäischen Kabinette 1871 -1914. 38. Band. Neue Gefahrenzonen im Orient 1913 – 1914. S. 193f).



Wangenheim am 21.1.1913 (Große Politik, Bd. 38., S. 193f.)

"Glücklicherweise bricht sich neuerdings überall unter den Türken selbst die Überzeugung Bahn, daß die Türkei sich nicht aus eigenen Mitteln zu erheben und zu reorganisieren vermag. In allen Verwaltungsbranchen, ebenso wie in der Armee und der Marine erschallt jetzt der Ruf nach fremden Reorganisatoren und zwar nicht mehr nach solchen, die den türkischen Stellen als Ratgeber zur Seite stehen, sondern solchen, die mit den weitgehendsten Befugnissen ausgestattet an die Spitze der einzelnen Ressorts gestellt werden sollen. Einer der einsichtsvollsten Leute der heutigen Türkei, der jetzige Scheich-ul-Islam Dschemaleddin Bey, ein Alttürke besten Gepräges, der früher ein ausgesprochener Fremdenhasser war, hat sich seinen Freunden gegenüber kürzlich bereit erklärt, das Großwesirat unter der Bedingung zu übernehmen, daß Verwaltung und Heer unter die Leitung von Ausländern gestellt werden. […] Dem Bedürfnis nach fremder Hilfe bei dem Werke der Aufrichtung könnte nun vielleicht der Dreibund entgegenkommen. […]

An erster Stelle in den türkischen Sympathien steht heute ohne Zweifel Deutschland, das einzige Land, welches bei der Abwicklung mit den Balkanstaaten eine Initiative zugunsten des türkischen Standpunktes ergriffen hat. […]

Man hofft, daß Seine Majestät der Kaiser sich bereit finden lassen werde, der Türkei einen besonders befähigten General zur Verfügung zu stellen, damit dieser, von jeder Verantwortlichkeit gegenüber dem Ministerium entbunden, als Oberkommandierender an die Spitze der Armee trete und dieselbe mit Hilfe von deutschen Offizieren von Grund aus reorganisiere und namentlich auch das Offizierkorps den politischen Einflüssen entziehe. Die Flotte möchte man am liebsten auch einem deutschen Admiral unterstellen. Hier könnte es aber zu einem Konflikte mit England kommen, der absolut zu vermeiden wäre."



Wangenheim am 22.5.1913 ans AA in Berlin (Große Politik, Bd. 38, S. 201f.):

"Aus der Überzeugung, daß Deutschlands Politik aufrichtig und ernst auf die Konsolidierung der asiatischen Türkei gerichtet ist, daß aber nur durch eine gründliche Reorganisation der türkischen Armee dieses Ziel sichergestellt werden kann, ersucht mich der Großwesir, Seiner Majestät dem Kaiser die Bitte um einen leitenden deutschen General für die türkische Armee zu unterbreiten.
[…] Meines Erachtens würde die Berufung eines deutschen Generals alle Stimmen, welche die deutschen Reformer für die türkischen Niederlagen verantwortlich machen, zum Schweigen bringen. — Außerdem würde sie das beste Gegengewicht gegen den durch Berufung englischer Verwaltungsreformer vordringenden englischen Einfluß bilden. Im Falle einer Ablehnung ist zu befürchten, daß die Pforte, welche mit dem bisherigen ungenügenden Militärreformsystem zu brechen entschlossen ist, sich an andere Mächte wenden würde."



Wilhelm II. notierte am Ende eines Berichtes des Berliner AA-Staatssekretär Jagow v. 23.11.1913 (Gr. Politik, Bd. 38, S. 217 – 219) an ihn über die Einwände des russ. Außenministers:

"Russland fürchtet Stärkung der Türkei durch uns und Erhöhung ihrer Milit[arischen] Widerstandskraft bez. Verwendbarkeit für uns gegen es, wenn Russland uns seinerzeit angreifen wird! Es will die Türkei sterbend erhalten und Stambul als jederzeit leichte Beute behalten! Das will England bestimmt nicht! Rußland in seiner Landgier steckt Mandschurei, Mongolei Nordpersien ein ohne, daß wir mit der Wimper zucken. Wenn wir aber Offiziere nach der Türkei senden dann ist die Russische] „öffentliche Meinung" erregt!! Gingen wir auf Russische] Wünsche ein, wäre es mit unserem Prestige in der Mohammed [anischen] Welt einfach aus! Wilhelm I. R."


Zu einem wird meiner Meinung nach deutlich, dass Umfang und Anstoß zu Sanders-Mission von Seiten der Osmanischen Regierung gekommen war und in den Rahmen von allgemeinen Reformbemühungen von Seiten der Istanbuler Regierung eingebettet gewesen war. Mit Hilfe der italienischen, dann französischen Regierung wurde anscheinend z. B. die Gendarmerie reformiert, mit Hilfe Londons die Flotte und Justiz.
Der Draht ins Deutsche Reich war aber offenkundig am stärksten, Wangenheim nennt einen möglichen Grund, eben der Einsatz der Berliner Regierung für das Osmanische Reich bei der Abwicklung mit den Balkanstaaten nach dem Balkan-Kriegen. Und Militärmissionen von Seiten Berlins hatte es schon einige zuvor gegeben, zudem galt die Organisation des Deutschen Heeres als vorbildlich.



Der dt. Botschafter von Pourtales in Petersburg kabelt am 6.12.1913 (Große Politik, Bd. 38, S. 239) nach einer Unterredung mit Sasonow u.a. Folgendes über den Inhalt nach Berlin:

"Minister ist nicht davon abzubringen, daß Ausübung der Kommandogewalt durch deutschen General in der türkischen Hauptstadt einen für Rußland unerträglichen Zustand schaffe, und daß er, falls es bei der Ernennung bleibe, genötigt sein werde, eventuell mit Frankreich und England, in Konstantinopel sehr ernsten Ton anzuschlagen. Herr Sasonow behauptet, die „deutsche Garnison" werde den Hochmut und Größenwahn der Jungtürken derart steigern, daß sie ganz „intraitables" werden würden. Schon jetzt sei eine deutliche Änderung in ihrer Haltung wahrzunehmen. Offenbar infolge des bei uns erhofften Rückhalts fange ihre Sprache an, geradezu herausfordernd gegen Rußland zu werden."



Hier fällt nun auch noch auf, dass gar nicht mehr von den Dardanellen-Forts die Rede ist, die die Meeresenge durch ihre weitreichenden Kanonen blockieren konnten, und von denen anfangs behauptet wurde, sie unterständen dann auch General Liman von Sanders als Chef des 1. Armeekorps. Warum? Weil die Behauptung von Petersburger Seite aus falsch gewesen war, wie schließlich auch der Istanbuler dt. Botschafter von Wangenheim herausgefunden hatte und Ende November nach Berlin gekabelt hatte. Sasonow insistiert bei von Pourtales entsprechend nur auf den Gefahren, die durch die dt. Militär-Mission dadurch entstände, dass der Größenwahn der Jungtürken dadurch gesteigert werden, aus Sasonows Sicht wohl gerade gegenüber der russ. Regierung, dem russ. Reich.
Sasonows Vorstellungen beim britischen AA unterscheiden sich inhaltlich davon doch deutlich…


Vereinfacht lässt sich m.E. sagen, dass Sasonows Kritik an der Sanders-Mission gegenüber reichsdeutschen Regierungsvertretern/Diplomaten zunächst auch/vor allem stark gegen die jungtürkisch geprägte Regierung, mithin gegen die Stärkung der militärischen Möglichkeiten der Türkei/des Osmanischen Reiches gerichtet war. Die deutsche Seite sah das erst recht so, das scheint mir glaubwürdig, und sah in der Sanders-Mission wie in ihrer Kompetenz natürlich kein mögliches Einfalls-Tor für eine zukünftige Blockade der Meeresenge gegen russische Schiffe, zumal von Sanders gar nicht die Dardanellen-Forts befehligte, wie sich dann herausstellt, soweit ich sehe. Kurzum, keiner der Berliner Regierungsvertreter verstand die Petersburger Befürchtungen /Unterstellungen innerlich.

Soweit ich sehe, unterschieden sich die Interventionen des russ. AA bei der britischen Regierung gegen die Sanders-Mission argumentativ teilweise deutlich. Da wird von Anfang an nur die große Gefahr durch den möglichen Einfluss der dt. Regierung via Sanders-Mission gegen Russland bzw. die russische Schifffahrt eindringlich thematisiert.

Etwas merkwürdig ist auch, dass im vertraulichen diplomatischen Verkehr von Petersburger Seite bereits Ende November 1913 Abänderungen der Mission vorgeschlagen werden, die man von Berliner Seite aus ab Anfang /Mitte Dezember zumindest gegenüber dem russ. AA zu prüfen versicherte. Kompromiss-Bereitschaft sah ja auch GB-Außenminister Grey bereits Mitte Dezember, doch die "Skandalisierung" von Seiten Sasonows, der allerdings schon sehr erregt und besorgt wirkte, ging weiter, zudem sickerten Inhalte vertraulicher Gespräche zufälligerweise an die ausländische Presse der Triple Entente durch…Sasonow stand andererseits anscheinend selber innenpolitisch, auch durch die russ. Presse, massiv unter Druck.
 
Zuletzt bearbeitet:
Der Wunsch nach einer größeren Militär-Mission zur Reform des Osmanischen Heeres rührt von Anfang 1913 und stammt von der Istanbuler Regierung.

Mir ist nicht ganz verständlich, warum Du das zu belegen suchst, weil es a) eigentlich in - konsensual - allen wichtigen Publikationen zu dem Thema so herausgestellt wird, und b) für den Kontext der Krise in der Verschärfung der Beziehungen zwischen den Großmächten und ihrem imperialistischen Gehabe wenig Bedeutung hat.

Das deutsche brinkmanship in dieser Angelegenheit - völlig unnötig und strategisch sogar kontraproduktiv (wenn man die unverändert bestehenden britisch-russischen Konfliktpotenziale im Mittleren Osten berücksichtigt, und das politisch dämliche deutsche "sich-zwischen-die Stühle-setzen- in dieser geostrategischen Lage).

Bzgl. der militärischen Tragweite der Mission solltest Du bei Interesse auf Erickson zurückgreifen, Ordered to Die - History of the Ottoman Army in the First World War, und in dem Kontext entstandene Publikationen.

Wenn man die militärische Bedeutung weiter einschätzen will, sollte man retrograd auch Limans Rolle im Verlauf der Dardanellen-Landung berücksichtigen. Dazu kommen die Details aus osmanischer Sicht.

Das ergänzt und kontextualisiert auch die selektiven Dokumente aus den Aktenpublikationen zum Kriegsausbruch, durch weiteres nicht publiziertes Archivmaterial. Empfehlenswert auch
Aksakal, the Ottoman Road to War in 1914
Reynolds, Shattering Empires - The Clash and Collapse of the Ottoman and Russian Empires 1908–1918
Kent, The Great Powers and the End of the Ottoman Empire
Erickson, Ottoman Army Effectiveness in World War I
Erickson, Defeat in Detail: The Ottoman Army in the Balkans, 1912–1913
Erickson, Gallipoli & The Middle East 1914–1918
Özdemir, The Ottoman Army 1914-1917 Dusease and Death on the Battlefield
Rogan, The Fall of the Ottomans
Nezir, Aspects of the Social and Political Thought of the Ottoman Military 1908-1914
Townshend, When God makes Hell, The British Invasion of Mesopotamia 1914-1921
Broadbent, Defending Gallipoli - the Turkish Story (zu Limans Wirken bei Gallipoli)
McMurray, Distant Ties - Germany, the Ottoman Empire and the Construction of the Baghdad Railway
und natürlich deutsche Darstellungen, wie insbesondere
Schöllgen, Imperialismus und Gleichgewicht: Deutschland, England und die orientalische Frage 1871-1914
 
Das Absurde an diesen nach Europa zurück gekehrten Konflikten war, dass die imperialen Rivalen gleichzeitig bei ihren Wirtschaftsbeziehungen zwar auch antagonistische Ziele verfolgten, aber noch vielmehr waren sie Handelspartner., die sehr profitabel miteinander kooperierten bzw. Direktinvestitionen vornahmen.

Vor diesem Hintergrund erscheint mir der Begriff des „Imperialismus“ bzw. auch des „Navalismus“ auch weiterhin ein zentrales Konstrukt zu sein, die Dynamik vor 1914 angemessen zu verstehen.

Vielen Dank, thanepower. D'accord. Nur hatte ich keinen grundsätzlichen Vorbehalt gegen "Imperialismus-Theorien" formuliert, die ich ja nun auch noch ein wenig kenne. Doch sah und sehe ich keinen Widerspruch zur Beschäftigung mit den konkreten Hintergründen der Sanders-Mission und des Osmanischen Reiches.
Der Faden hier widmet sich der Sanders-Mission und mein Ansatzpunkt liegt und lag in der konkreten Betrachtung der Dynamik und Interdependenz der Sanders-Mission, den Hintergründen.

Typischerweise fehlte mir in diesem Faden z. B. die Beleuchtung der Rolle und unmittelbaren Vorgeschichte des Osmanischen Reiches als ein Akteur in der Sanders-Mission.
Soweit ich sehe, wurde die Türkei in diesem Faden weitgehend zu gunsten einer "imperialistischen" und einer Berlin fixierten Betrachtung übergangen, in der die Türkei offenbar nur als willfährige, amorphe und praktisch unsichtbare Folie gegenüber "Mächten" wahrgenommen wird.

Ich übertreibe mal:
Wichtige Interdependenzen wurden im Faden hier so einfach übergangen, ebenso die konkrete Vorgeschichte der Mission und des jungtürkisch geprägten, reformorientieren Osmanischen Reiches. Das dt. Reich und andere Mächte erscheinen so zu sehr als unilateralistische Akteure, die Türkei als blose Folie, womöglich wegen einer zu starken Fixierung auf "imperialistische Qualitäten" der Mächte und des dt. Reiches.

Entsprechend zu mager für ein Faden in einem qualitativ ansprechenden Geschichtsforum zu Sanders-Mission-Krise fiel bisher aus meiner Sicht die Beschäftigung mit den konkreten Interdependenz, der konkreten Vorgeschichte der Sanders-Mission aus.

Danke nochmals für die ausführliche Antwort, einen Dank auch an Silesia. Es waren u.a. eure Beträge, die mich animierten, sich hier anzumelden.
 
Ein unterhaltsames Detail zur Sanders-Aufgabe in Istanbul.

Der dt. Botschafter in Istanbul, von Wangenheim, kabelte am 13.12.1913 u. a. nach Berlin (Quelle: Große Politik, Bd. 38, S. 249):

Großwesir erzählte mir streng vertraulich, Admiral Limpus habe sich als türkischer Offizier verpfichtet gefühlt, ihn über eine Unterhaltung mit Herrn Mallet [britischer Botschafter in Istanbul, Anm. von mir] zu unterrichten. — Der Admiral sei vom Botschafter gefragt worden, wie er seine Stellung zur türkischen Marine auffasse. Der Admiral habe erwidert, er sei der Oberstkommandierende der türkischen Flotte und als solcher mit Gerechtsamen ausgestattet, die weitergingen, als diejenigen des deutschen Generals [Liman von Sanders, Anm. von mir]. — Er verstehe deshalb nicht, wie gerade England an der deutschen Mission Anstoß nehmen könne. Der Botschafter habe zu dieser Erklärung geschwiegen.
 
Der Wunsch nach einer größeren Militär-Mission zur Reform des Osmanischen Heeres rührt von Anfang 1913 und stammt von der Istanbuler Regierung.
Dt. Botschafter in Istanbul, Hans von Wangenheim, am 5.1.1913 u.a.:
Wangenheim am 21.1.1913 (Große Politik, Bd. 38., S. 193f.)
Wangenheim am 22.5.1913 ans AA in Berlin (Große Politik, Bd. 38, S. 201f.):.

Um das beispielhaft mal in den Kontext zu stellen, und die Hintergründe von Wangenheims "Initiative" darzustellen:

Wangenheim hatte Kontakte zu den deutschfreundlichen Kreisen im CUP, das wiederum mit der liberalen Regierung nicht einverstanden war und im Kontext
a) der osmanischen Niederlagen 1912/13
b) dem internationalen Druck (Flottenaufmarsch)
c) der Aufforderung der Großmächte, den Krieg einzustellen (17.1.1913), dessen Annahme der Großwesir Kamil Pasha erwog,

einen Staatsstreich plante. Der wurde realisiert, dabei wurde Kriegsminister Nasim erschossen:
https://en.wikipedia.org/wiki/1913_Ottoman_coup_d'état

Die deutsche Mission wurde von Wangenheim und dem Außenminister Noradonkyan Efendi an der osmanischen Regierung vorbei vor dem Putsch bereits konspirativ verhandelt (ab 14.1.1913). Die Geheimgespräche wurden dann vom osmanischen Botschafter in Berlin, Mahmud Muhtar Pasha, weiter geführt. Wangenheim begleitete das mit entsprechenden Vermerken aus Istanbul, um die deutsche Bereitschaft zu befördern, darauf einzugehen.

Was Wangenheim zu Großbritannien schreibt, ist eine Fehleinschätzung vor Ort, da hier überhaupt nicht die größten Probleme lagen. Wangenheim marginalisierte die Risiken, indem er vorwiegend die Rüstungsgeschäfte und die dortige Konkurrenz zu GB im Blick hatte, den russischen Part überhaupt nicht überblickte bzw. die Reaktion antizipierte.

Dazu zusammengefasst Aksakal, s.o., S. 79:
"Outraged by Grand Vezir Kâmil Pasha’s willingness to engage the powers’ proposal, the CUP staged a bloody coup d’état the next week. Led by Enver and Talat, and armed with pistols, a small group of ten stormed the grand vezir’s chambers and forced the veteran politician to resign at gunpoint, shooting and killing War Minister Nazım Pasha in the process. The new government would be led by Mahmud Pasha, a brilliant general who had been war minister until July 1912. The bab-ı âli baskını (the Raid on the Sublime Porte), as the coup became known, was a clear signal that no liberal government could survive under the weight of such diplomatic and military defeats. Thus the Raid marked a major change in the political direction of the Ottoman Empire, one in which resolute military action, not diplomatic wavering, would dominate. Mahmud Sevket assumed the offices of both grand vezir and war minister and devoted his energies to modernizing the army and police corps begun by previous governments. Just prior to the “Raid on the Sublime Porte,” Foreign Minister Noradonkyan Efendi had raised with Wangenheim the possibility of a German military mission headed by a senior officer. Throughout the first half of 1913, Mahmud Muhtar Pasha, the Ottoman ambassador in Berlin, secretly negotiated the terms of the mission. Once the Second Balkan War drew to a close, Kaiser Wilhelm II selected General Otto Liman von Sanders in June 1913 as the mission’s head. Almost a year after Noradonkyan’s initial request, General Liman von Sanders arrived in Istanbul as the freshly minted President of the Reform Commission (Heyet-i Islahiye Reisi) on December 14, 1913."

Die offizielle Anfrage für die Militärmission vom Mai 1913 wurde von Wangenheim durch die Gespräche vorbereitet.

Interessant ist hier die Konspiration von Wangenheim mit Akteuren des Staatsstreichs, und die inoffizielle Einleitung der Verhandlungen an der noch bestehenden Regierung vorbei. Wangenheim hatte dabei die deutschen imperialistischen Interessen (natürlich nebst Rüstungsgeschäften) im Blick, von der Zusage versprach man sich einen dominierenden Einfluss gegenüber den anderen "Lieferanten"/Großmächten.

Noch der reduzierte Umfang sorgte für einen weitgreifenden deutschen Einfluss auf die osmanische Armee. Neben drei Divisionskommandos in Schlüsselstellungen (3.,5.,10.) brachte man die Stabführung des I., VI. und X. Armeekorps unter Kontrolle, damit gleichzeitig Einfluss auf die 1., 2. und 3. osmanische Armee. Wie das ablaufen sollte, zeigt Liman Kommandoübernahme bei der 1. Armee am Bosporus August 1914, von wo aus er mit dem Kriegsverlauf das Kommando über die Schlüsselstellung der 5. Armee (Dardanellen/Gallipoli) antrat (die Liman-Mission und die Durchdringung der Schlüsselpositionen in der osmanischen Armee hatte sich in der oben dargestellten Weise im Krisenfall (August 1914) rasant vervielfacht).

Schellendorf, zunächst für die 3. Division vorgesehen, wechselte bereits von Beginn an in den Generalstab der Osmanischen Armee, wo er ab 7.4.1914 zentral und direkt unter Enver Pasha die osmanischen Kriegs- und Aufmarschplanungen leitete (noch mit einem sofortigen griechischen und bulgarischen "Szenario"). Schellendorf eliminierte dann ab 3.8.1914 Bulgarien als Opponent, und bereitete die Kriegsplanungen gegen die Entente vor, mit einem Primären Kampagnen-Plan vom 20.8.1914, der noch mehrfach geändert wurde (Syrien, Ägypten, Mesopotamien, Persien-Flanke).

Diese Entwicklung lag auf der Hand. Wangenheim ging mit seinen Anekdoten und Vermerken hier zweifelsohne sehr schlau und umsichtig vor, die Gesamtlage überblickte er aber kaum. Das zeigt auch die Limpus-Anekdote, die im Kontext nur insoweit eine Rolle spielte, als man damit intern Grey gegenüber der russischen Seite in Schwierigkeiten zu bringen glaubte. Auf der Schiene ritt - s.o. - auch schon Wilhelm II. Die beiden lagen insofern richtig, als GB durch die eigenen imperialistischen Umtriebe und Rüstungsgeschäfte quasi die Hände gebunden waren. Darauf spekulierte man auch geradezu, Friktionen GB/RUS waren ja nun nicht unangenehm oder unerwünscht.
 
Eine Dissertation, die der Frage nach der Art der deutschen Imperialimus nachgeht und eine Form des "kulturellen Imperialismus" konstatiert. Und in der Argumentation sich dabei auf die entsprechenden Paragraphen aus dem VV bezieht.

Eine Form, die letztlich sehr an das Konzept der "informellen Imperiums" angelehnt ist.

http://oaktrust.library.tamu.edu/bitstream/handle/1969.1/ETD-TAMU-2078/ILLICH-DISSERTATION.pdf?sequence=1&isAllowed=y

und noch etwas zur Rolle der Großen Mächte

https://docs.google.com/viewerng/viewer?url=http://gendocs.ru/docs/10/9309/conv_1/file1.pdf
 
Zuletzt bearbeitet:
Besten Dank für die beiden Links.

Kents "The Great Powers and the the end of the Ottoman Empire", wobei die einzelnen Aufsätze zu den Ländern jeweils von ausgewiesenen Experten für diese Länder geschrieben worden sind, ist ein Standardwerk zum Thema.
 
Bei meinen Formulierungen stützte ich mich wesentlich auf Wallach, Anatomie einer Militärhilfe, sowie auf den Dokumenten-Band "Die Grosse Politik der europäischen Kabinette 1871 – 1914", Bd. 38, "Neue Gefahrenzonen im Orient 1913 – 1914", für die eigentliche Missions-Krise ebenfalls auf Wallach, zudem auf "Die Grosse Politik", Bd. 38, auf "British Documents of the Origins of the War 1898 – 1914", Volume X, Part I, "THE NEAR AND MIDDLE EAST ON THE EVE OF THE WAR", Chapter LXXXVIL—Liman von Sanders' Mission, 1913-14.

Sekundär vertiefte ich mich in Canis, Abgrund, dort entsprechende Kapitel (das mich aufgrund doch eher wenig konkreter Angaben zur Mission und zum "Vorlauf'" nicht überzeugte), Schröder, englisch-russ. Militärkonvention, entsprechendes Kapitel ( ebenfalls nicht sonderlich ertragreich, wie ich finde), "Österreich-Ungarns Aussenpolitik. Von der Bosnischen Krise 1908 bis zum Kriegsausbruch 1914.", 7. Band, 1. August bis 30.4.1914 (leider ohne ganz Index/Inhaltsangabe nur rein chronologisch sortiert), "Documents Diplomatiques Francais 1871 – 1914", 3. Serie 1911 – 1914, Band 8 und 9, Schmidt, "Frankreichs Außenpolitik in der Julikrise 1914", und weils in den British Documents von 1936 neben "Die Grosse Politik…" ebenfalls als Quelle zu Liman-Krise angegeben war: Hans Herzfeld, "Die Limankrise und die Politik der Großmächte in der Jahreswende 1913/14", Berliner Monatshefte 1933, S. 837 – 858 und S. 973 – 993 (überraschend).

Die Vorläufer zu Aufgaben und Umfang der Liman von Sanders-Mission finden sich in der Denkschrift des deutschen Offiziers von Lossow in türkischen Diensten als Oberstleutnant. Er hatte unter anderem den Rückzug der türkischen Truppen nach der verlorenen Schlacht von Lüleburgaz im Spätherbst 1912, 1. Balkankrieg, mitorganisiert.
Von Lossows interne Denkschrift vom Mai 1913 aus Anlass der Niederlage des osmanische-türkischen Truppen, die teilweise wie öffentlich den deutschen Militär-Instrukturen angehängt wurde, wirkt vielfach wie eine Blaupause für den Missionsauftrag Liman von Sanders.

Der dt. Botschafter von Wangenheim in Istanbul unterstützte wohl die Vorschläge. Vor allem der ehemalige osmanische Militär-Attaché in Berlin (1909 – 1911), Enver Pascha - nach einem weiteren Putsch der Jungtürken Anfang 1913 in einflussreiche Position innerhalb der neuen Istanbuler Regierung gerückt und ab 3.1.1914 Kriegsminister in Istanbul - und andere "Jungtürken" in Istanbul sahen einen ähnlichen Reformbedarf unter weitreichenden Kompetenzen angesichts des katastrophalen Ausgangs nicht nur des Balkankrieges.



Als eigentlichen Anlass für Aufgabe und Umfang der Liman-Mission darf man also die militärischen Geschehnisse im und nach dem 1. Balkankrieg 1912 betrachten, die sowohl Militär-Instrukteuren aus dem dt. Reich wie Angehörigen der einflussreichen Jungtürken die Notwendigkeit noch weitgefasster Reformbemühungen deutlich gemacht hatten.



Für die Krise selber kamen, neben politischen Fehlern in Berlin, besonders prägend hinzu, dass zu dieser Zeit der frühere russ. Außenminister Iswolski in Paris russ. Botschafter gewesen war. Iswolski musste u.a. in Folge der für die russ. Regierung demütigend ausgegangenen bosnischen Annexions-Krise zurücktreten.
Zeitgleich mit Mission-Krise residierte in St. Petersburg als franz. Botschafter Théophile Delcassé, der u.a. wegen politischen Druckes aus Berlin im Rahmen der II. Marokko-Krise als franz. Außenminister zugetreten ist.



Weitere Einflussfaktoren waren die nationalen Presseorgane, besonders mit einer Veröffentlichung vertraulichen diplomatischen Inhaltes zur Liman-Mission Anfang November 1913 im "Temps" (Paris) und später einer dem russ. Außenministerium etwas nahestehenden Zeitung in St. Petersburg. Nachfolgend wurde die "öffentliche" und "veröffentliche" gedruckte Meinung ein bedeutsamer Faktor, der eine geräuschlose Lösung weiter erschwerte.

Und der russ. Außenminister Sassonow? Selbst in den britischen Dokumenten wird deutlich, dass er ungewöhnlich "engagiert", nervös, leicht "instabil" und fast getrieben wirkte, dass die russ. Außenpolitik massiv drängte und vehement eine sehr schnelle Lösung forderte – die so eben nicht wahrscheinlich war, auch aus Sicht verschiedener Angehöriger des britischen Foreign Office, bis hin zu Grey, dem Amtschef, scheint mir. Der dt. Botschafter in Petersburg versucht, etwas tendenziös, aber doch nachvollziehbar, die Hintergründe (einflussreiche Kreise um den Zar, innenpolitischer Druck, öffentliche Meinung via einflussreicher Zeitungen, Sassonows "angeschlagener" Ruf als bisher angeblich zu wenig offensiver, durchsetzungsfähiger AA-Chef etc.) zu beleuchten.




Das britische Engagement wurde nicht nur dadurch gebremst
, dass Admiral Limpus die türkische Flotte kommandiert, ebenso wirkte sich aus, dass am 3.12.1913 ein umfassender Vertrag zwischen Istanbuler Regierung und einem britischen Werftverbund (mit Einverständnis des Foreign Office ) geschlossen worden war, der den Bau, die Modernisierung von Werften, Docks und Marine-Arsenalen vorsah. Damit wäre durchaus möglich gewesen, weiterer Kapitalzufluss vorausgesetzt, dass die türkische Flotte hätte modernisiert und ausgebaut wie moderne Kriegsschiffe hätten gebaut werden können.

Irgendwo hatte ich gelesen, bevor ich von diesem Deal erfuhr, dass die russ. Marine 1914 davon ausging, die türkische Flotte könne mit der von der aktuellen jungtürkischen Regierung anvisierten Modernisierung und Erweiterung eine ernsthafte Gefahr für die russ. Schwarzmeer-Flotte werden. Zunächst ging ich von einer üblichen Perzeption-Übertreibung ohne jede Grundlage aus, nachdem ich von diesem Vertrag gelesen hatte, war das anders.


Die Liman-Sanders-Mission und die Meeresengen: Selbst in der Überschrift dieses Faden wird ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Mission und den Meeresengen hergestellt, doch auch in anderen, seriösen Veröffentlichungen ebenso.

Derweil hatte ab Mitte Dezember auch die russ. Diplomatie nicht mehr behauptet, die Mission umfasse auch die Dardanellen und den Bosporus, die für die Durchfahrt ziviler wie militärischer Wasserfahrzeuge Russland absolut entscheidend gewesen waren.
Warum? In allen Dokumenten-Bänden wird berichtet, dass die Triple Entente-Staaten am 13.12.1913 mündlich eine Anfrage über Art und Umfang an die Istanbuler Regierung bzw. an den Großwesir stellten. Dieser erläuterte zwei Tage später "offiziös" u.a., dass weder der Bosporus noch die Dardanellen unter dem I. Armeekommando und damit unter den Befehl von Liman ständen.


Was dann noch in der Missions-Krise geschah….
 
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