Diese Angriffe auf Wohnviertel, auf Städte waren nach damaligem Völkerrecht überwiegend Kriegsverbrechen.
Ein großer Teil der allierten Luftangriffe Ende 1944 bis Mai 1945 waren aus der militärischen Sicht überflüssig, und es ging auch anders, wie die anderen wirksamen Schwerpunktsetzungen im gleichen Zeitraum zeigen. Vom der moralischen Wertung her ist die Sache klar, und die Allierten haben sich damit die Problematik der heutigen Diskussionen angehängt.
Die Auswirkungen dieses Angriffszeitraumes bestimmen auch einen Großteil der Diskussionen, wie Dresden und Chemnit zeigen. ElQ hat schon darauf hingewiesen, dass Diskussionen über die Völkerrechtslage einem Gang auf der Rasierklinge gleichkommen, trotzdem einige Gedanken dazu.
Ich möchte mich dabei zunächst auf die Vorkriegsliteratur beziehen, die von 1907 bis 1923, dann bis 1939 keine klare Linie entwickelt hat. Das in Aussicht genommene Luftkriegsrecht (Haager Luftkriegsordnung) wurde von allen wesentlichen Mächten torpediert, bereits der Versuch zeigt aber, dass man definitiv nicht von Grundsätzen der Landkriegsordnung ausgehen konnte bzw. diese einfach übertragbar waren.
Nimmt man die beiden hervorragenden Studien von Richard Overy (in: Firestorm, The bombing of Dresden) und Heinz Marcus Hanke (Luftkrieg und Zivilbevölkerung), so ist das Ergebnis ernüchternd: mit Hängen und Würgen, teilweise schon konstruiert leiten beide Autoren folgendes ab:
Letztlich aus einem behaupteten, zwischen 1923 und 1939 angeblich entstandenen Völker
gewohnheitsrecht sei der Schluß zu ziehen, dass Städte in ihrer Gesamtheit nicht bombardiert werden durften. Hanke konstatiert in aller Klarheit, weswegen die Recherche nach Indizien des sich entwickelnden Gewohnheitsrechts unternommen werden muss: es habe kein Völker
vertragsrecht gegeben. Hanke übersieht dabei mE, dass gerade die vereinzelten Appelle (wie derjenige Roosevelts) weder auf gebildetes Völkergewohnheitsrecht wirksam Bezug nehmen konnten, noch das
tatsächliche Verhalten speziell der europäischen Staaten auch ein Indiz für ein "vermutetes" Verbot bis 1939 abgegeben hat. Die Luftschutzrüstung in Großbritannien, Deutschland und Frankreich belegen vielmehr das genaue Gegenteil zur These von Hanke, wie auch die Vorfälle um die Tschecheslowakei 1938 (Diskussion Bombardierung von Prag, "Flugzeugträger" Tschecheslowakei).
Alle europäischen Staaten haben sich - im Gegensatz zum behaupteten Völkergewohnheitsrecht - nachweislich auf den Luftkrieg gegen Städte eingerichtet, dieses war fester Bestandteil der Vorkriegs-Militärdoktrinen - aktiv (wie GB) oder passiv (wie D). Großbritannien führte schon in den 20ern Studien über frz. Luftschläge gegen London (allerdings mit weit übertriebenen Ergebnissen) aus, und rüstete in den 30ern für den Luftkrieg. Deutschland hielt ihn selbst vor dem 1.9.1939 für führbar und ggf. für
notwendig, wenn die Lage Vorteile verspricht, wie das bei Hanke abgedruckte Quellen belegen.
Fakt ist, dass die Städte in ihrer Gesamtheit ab dem Ersten Weltkrieg als Bestandteil des jeweiligen militärischen Rüstungs- und Industriekomplex des Gegners begriffen wurden. Die Abgrenzung einzelner zu schützender Objekte wurde zwar versucht, erwies sich aber sowohl in den Seekriegsrechtlichen Verträgen (Bombardierung von Hafenstädten) als auch im Landkrieg (Belagerung und verbundene Bombardements) als überholt, der Schutz von Städten wurde langsam ausgehöhlt und durchlöchert. Man kann sich auch fragen, ob er jemals bestanden hat. Ebenso überholt war der Begriff der "Verteidigung" oder Befestigung, worunter man sich eben nicht länger mittelalterliche Mauern und Gräben, sondern Flakstellungen, Jagdabwehr, Garnisonen, etc. vorstellen mußte. Ein Beispiel: Die Verteidigung mit Flak endete so auch nicht an der "Stadtgrenze", sondern es bestanden Luftverteidigungs
zonen. Dieser Aspekt führte nicht mehr weiter: wie soll ein Angriff auf ein theoretisch unverteidigtes Dortmund gewertet werden, wenn das Ruhrgebiet in Flakzonen aufteilt war usw.
1923 war klar, das theoretisch die Industriekomplexe, und damit eben ganze Städte, die Ziele des nächsten großen Krieges werden
können, Das eben deshalb, weil die längeren Kriege letztlich industriell entschieden werden. Der Rest war eine Frage der Eskalation und der Kriegsdauer, jede anfängliche Zurückhaltung durch gegenseitige stetig intensivierte Bombariderungen aufzugeben. Die Anfänge sind am Luftkrieg 1939/40 ablesbar, auch wenn zunächst die Bedenken über gegenseitige Repressalien überwogen haben.
Die gesamte rechtliche Diskussion über die Zulässigkeit oder negativ das Verbot ist letztlich fruchtlos. Eine klare völkerrechtliche Beweisführung gegen den Städteluftkrieg (Städte heißt hier in ihrer "Gesamtheit", in ihrer Fläche) kann nicht nachträglich gelingen, wie sich bereits an der Studie von Spaight (war rights and air war) in den 20ern ergab. Darauf hatten sich dann auch alle Staaten bereits fest eingerichtet. Die moralische Beurteilung gegen militärisch nur noch sinnlose Bombardierungen 1945 steht dagegen wohl ebenso fest.
Den Menschen konnte das nicht helfen, vielleicht wird aber beim zukünftigen Gedenken an die Opfer und an diese Abschnitte des Zweiten Weltkriegs besser differenziert. Dazu gehört auch die nüchterne Erkenntnis, dass der Bombenkrieg 1941/1944 gewaltige personelle sowie industrielle (kapazitative) Ressourcen Deutschlands band, von den Rohstoffverbräuchen in Engpaßbereichen mal ganz abgesehen. Die Diversionswirkung für die Rüstung und das militärische Potential des Deutschen Reiches trat mindestens bereits in 1942 ein (siehe entsprechende Darstellungen in DRZW), da die Rüstungsplanungen sich nach dem Kriegseintritt der USA auf die deutsche Luftunterlegenheit im Westen einzustellen begannen.
Noch ein Nachsatz zu Berlin: die Massenangriffe hingen im wesentlichen von dem Fortschritt der Navigationsssteme ab, Berlin lag außerhalb der Reichweite des OBOE (das reichte nicht bis Kassel, ein Top-Ten-Ziel 1942) und kam erst mit der H2S-Navigation in Reichweite für große geleitete Bombergruppen und Massenangriffe. Mit den verfügbaren Flugzeugen hatte das weniger zu tun.