Machtergreifung 1933

Wie wäre es mit: "das Schicksal der deutschen Katholiken"?

Ich würde auch eher in diese Richtung tendieren. Als in den einzelnen Fraktionen über das Ermächtigungsgesetz diskutiert wurde, spielte das Schicksal der Parteimitglieder und der dezidierten Anhänger stets eine gewisse Rolle. Man merkte recht deutlich, dass Deutschland auf dem Weg in eine Diktatur war (sei sie nun von Hitler, Papen oder einer Gruppe dominiert) und überlegte unter anderem auch, wie es wohl den "eigenen Leuten" künftig ergehen werde. Reinhold Maier erklärte beispielsweise später, man habe nicht zuletzt zugestimmt, um Beamte und Freiberufler mit DDP/DStP-Parteibuch vor Repressalien zu schützen. Bei Kaas, Brüning und Wirth dürfte ein ähnlicher Gedankengang die Entscheidung zumindest in eine gewisse Richtung gelenkt haben. Übrigens gab es bis zum 1. Mai selbst in den Gewerkschaften Versuche, sich irgendwie mit dem neuen Regime zu arrangieren, um die eigenen Mitglieder zu schützen. Man mag das moralisch verurteilen, wird aber damit wohl kaum der Situation gerecht, mit der diese Verantwortlichen Anfang 1933 subjektiv und wohl auch objektiv konfrontiert waren.

Wie Shinigami neige ich übrigens auch eher der Vermutung zu, dass es für Pacelli und Orsenigo gar nicht von Vorteil war, wenn eine Partei wie die NSDAP die absolute Macht errang und dass sie sich dessen auch bewusst waren. Immerhin hatte der Kardinalsstaatssekretär als Nuntius selbst zwei wichtige Konkordate ausgehandelt und auch am badischen Abkommen noch regen Anteil genommen. Dabei war ihm die Eigenständigkeit der deutschen Länder und die starke politische Position der katholischen Parteien durchaus zugute gekommen. Wieso hätte man nun das alles bewusst und ohne Not opfern sollen?
 
Dem würde ich voll und ganz zustimmen. Daraus könnte man aber nun auch nicht direkt ableiten, dass Hindenburg die Sommerwahlen von 1932 ansetzte, um der NSDAP einen Erdrutschsieg zu ermöglichen.

Nein, das tat er ganz sicher nicht, Hiindenburg wollte das national-konservative Lager stärken, nicht Hitler zum übermächtigen Faktor machen.
Dennoch war dieser Schritt zwar theoretisch legal, allerdings äußerst fragwüdig, weil der Reichspräsident damit die Überparteilichkeit seines Amtes aufgab und begann im Sinne einer bestimmten politischen Strömung zu arbeiten.

Das heißt aber eben nicht im Umkehrschluss, dass alle Beteiligten es darauf anlegten, Hitler die absolute Macht zu übertragen.

Das habe ich auch nicht behauptet. Den Erdrutschsieg der Nazis 1932 wird Hindenburg eher als Betriebsunfall berachtet haben, mit dem man nun irgendwie leben musste, als als das, was er eigentlich wollte.
Man könnte allerdings behaupten, dass der Machttransfer zu den Nazis, wenn auch unbeabsichtigt mit den Wahlen von 1932 seinen Anfang nahm.

Zumal: Auch wenn eine Stärkung der Nazis nicht Hindenburgs orriginäre Absicht war, man aus der vorausgegangenen Reichspräsidentenwahl von 1932 bei der Hitler ja durchaus beachtlich abschnitt, den Schluss hätte ziehen können, dass von Neuwahlen wahrscheinlich die Nazis sehr profitieren würden.

Wie gesagt, ich würde in keiner Weise bestreiten, dass Papen und Hugenberg, aber auch Hindenburg und seine Entourage Hitler an die Regierung brachten, weil ihnen die Demokratie ohnehin nichts wert war und sie hofften, ein autoritäres System an deren Stelle setzen zu können. Ich bezweifle nur, dass sie dabei an eine Diktatur dachten, in der Hitler die unumschränkte Macht innehaben würde.

Wie gesagt, ich behaupte auch gar nicht, dass sie das explizit anstrebten.
 
Zum ersten ungelesenen Beitrag gehen
Wirth stimmte für das Ermächtigungsgesetz, emigrierte anschließend in die Schweiz. Marx spielte 1933 in der Politik keine Rolle mehr, und Fehrenbach war längst tot, als die Nazis anfingen, stark zu werden. Brüning wurde Kanzler, weil Hindenburg es so wollte, und stimmte für das Ermächtigungsgesetz, weil Kaas es so wollte.

Das ist eigentlich kein Beleg für Deine These, nach der "die Mehrheit anders [dachte]", sei es nun die Mehrheit der Parteimitglieder oder der Abgeordneten. Wenn die Zentrumspartei entgegen ihrer damaligen Einschätzung durch Verbündete und Gegner im Kern eine antirepublikanische Kraft gewesen wäre, die aufgrund der "gemeinsamen Gegnerschaft zu Kommunisten, Sozialdemokraten und Juden" zu Hugenberg und Hitler tendiert hätte, dann muss man doch fragen, weshalb die Zentrumspartei normalerweise Männer mit demokratischer Gesinnung zu Kanzlern machte, die dann in aller Regel sowohl mit den bürgerlichen Liberalen als auch mit den Sozialdemokraten recht gut zusammenarbeiteten?
 
Wie Shinigami neige ich übrigens auch eher der Vermutung zu, dass es für Pacelli und Orsenigo gar nicht von Vorteil war, wenn eine Partei wie die NSDAP die absolute Macht errang und dass sie sich dessen auch bewusst waren.

Zumal eine potentiell absolute Machtverschiebung zu Hitler.

Bei dem Mann mussten aus katholischer Sicht nämlich, auch wenn er auf dem Papier Katholik war, schon wegen seinem österreichischen Hintergrund die Alarmglocken gehen, da sich die Deutschnationalen in Österreich ja durchaus traditionell auch über Gegnerschaft zur Katholischen Kirche als eine der tragenden Säulen des Habsburger-Staates aus dem sie herauswollten, definiert hatten.
Um maßgeblich selbst vom Höhepunkt der "Los-von-Rom-Bewegung" ( Los-von-Rom-Bewegung – Wikipedia ) selbst beeinflusst zu sein, war Hitler zu jung, dass musste den Funktionsträgern der Kirche zwar klar sein, nichtsdestoweniger waren diese darüber, wie Teile der österreichsichen Deutschnationalen in ihrer Einstellung zur katholischen Kirche tickten ja durchaus orientiert.
Ein Blick in Hitlers Biographie musste verraten, dass er räumlich und zeitlich genug Gelegenheit hatte mit diesn Strömungen in Kontakt zu kommen und Teile von deren Gedankengut zu adaptieren, sein in "Mein Kampf" dargelegtes Verhätniss zur Habsburgermonarchie konnte in dieser Hinsicht sicherlich auch durchaus Befürchtungen wecken.

Ausgerechnet diesen Mann, mit diesem spezifischen Hintergrund als Diktator zu wünschen, hatte die katholische Kirch sicherlich keinen Grund.
 
Wie wäre es mit: "das Schicksal der deutschen Katholiken"?
Ich würde auch eher in diese Richtung tendieren.
Das klingt jetzt nicht viel anders als mein Postulat, Kaas sei vor allem ein Mann der katholischen Kirche gewesen. Danke für diese Anerkennung.

Man merkte recht deutlich, dass Deutschland auf dem Weg in eine Diktatur war (sei sie nun von Hitler, Papen oder einer Gruppe dominiert) und überlegte unter anderem auch, wie es wohl den "eigenen Leuten" künftig ergehen werde. Reinhold Maier erklärte beispielsweise später, man habe nicht zuletzt zugestimmt, um Beamte und Freiberufler mit DDP/DStP-Parteibuch vor Repressalien zu schützen. Bei Kaas, Brüning und Wirth dürfte ein ähnlicher Gedankengang die Entscheidung zumindest in eine gewisse Richtung gelenkt haben.
Das sind Egoismen und sonst nichts: Die Führer der Parteien, die dem Ermächtigungsgesetzt zugestimmt haben, haben nur das Schicksal der eigenen Klientel im Blick gehabt – das Schicksal Deutschlands war ihnen egal.

Aber im Nachhinein haben sie sich damit verteidigt, dass sie nur zugestimmt haben, weil die anderen es auch taten bzw. tun würden – Zitat:

Nachdem Kaas, der eine Annahme des Ermächtigungsgesetzes wollte, seine Position innerhalb der Fraktion gegen den Widerstand Brünings und Adam Stegerwalds durchgesetzt hatte, stimmte die gesamte Zentrumspartei wie auch Brüning am 23. März im Reichstag dem Gesetz zu. Nach den Angaben von Elfriede Kaiser-Nebgen und Theodor Heuss waren die Mitteilungen von Brüning über die nur teilweise schriftlich festgelegten Versprechungen Hitlers – z. B. zum Reichskonkordat mit Rom und zur Zusammenarbeit mit den christlichen Kirchen – der Grund dafür, dass auch die Deutsche Staatspartei geschlossen dem Ermächtigungsgesetz zustimmte.

Und diese anderen – also die Zentrumspartei – haben sie sich mit mündlichen Zusagen von Hitler und Göring verteidigt, dass man das Konkordat mit Vatikan schließen würde, denn ein solches sei so gut wie garantiert. Siehe dazu auch mein Posting #157.

Wirth stimmte für das Ermächtigungsgesetz, emigrierte anschließend in die Schweiz. Marx spielte 1933 in der Politik keine Rolle mehr, und Fehrenbach war längst tot, als die Nazis anfingen, stark zu werden. Brüning wurde Kanzler, weil Hindenburg es so wollte, und stimmte für das Ermächtigungsgesetz, weil Kaas es so wollte.
Das ist eigentlich kein Beleg für Deine These, nach der "die Mehrheit anders [dachte]", sei es nun die Mehrheit der Parteimitglieder oder der Abgeordneten.
Du hast doch diese 4 Namen genannt als Beweis, dass das Zentrum anders gewesen sei, als ich es darstellte. Aber das ist jetzt sowieso egal, weil Kaas die wenigen Andersdenkenden in der Zentrumsfraktion überzeugte, in seinem Sinn zu stimmen.
 
Das klingt jetzt nicht viel anders als mein Postulat, Kaas sei vor allem ein Mann der katholischen Kirche gewesen. Danke für diese Anerkennung.
Wir zwei hatten dieselbe Diskussion schon vor einigen Wochen. Du stellst es immer so dar, als sei die Katholische Kirche nur böse, nur egoistisch, nur negativ. Was kritisiert wird, ist die Brille, die du aufsetzt. Da kann man durchaus bei den Fakten ganz nah beieinander sein, die Bewertung ist es, die denm Unterschied ausmacht.
Du hast in einem frühen Beitrag in dieser Diskussion Kaas zuerst vorgeworfen Deutschland verraten zu haben, um für die Katholische Kirche Vorteile herauszuschlagen.
Dann hast du ihm vorgeworfen, "Diener zweier Herren" gewesen zu sein, um ihm dann vorzuwerfen, dass er sich für den Vatikan als "Herren" entschieden habe. Kaas habe mit letzterem Schritt "sein wahres Gesicht gezeigt", schreibst du.
Irgendwie hatte ich schon damals das Gefühl, dass du dich nicht ganz entscheiden konntest, was du ihm zum Vorwurf machen solltest, dass er "Diener zweier Herren" gewesen sei, oder dass er sich für einen "Herren" entschieden habe. (Kaas hätte vermutlich gesagt, dass er sich für DEN Herren entschieden habe, aber Spaß beiseite).
Man hat schon den Eindruck, dass du richtig danach Anlässen suchst, der katholischen Kirche ans Zeug zu flicken. Und doppelt gemoppelt hält offensichtlich selbst dann besser, wenn die Vorwürfe im Widerspruch zueinander stehen.


Hier der Altbeitrag vom Januar:
Ich würde sogar weitergehen und sagen, das katholische Zentrum hat zusammen mit der Bayerischen Volkspartei am 24. März 1933 Deutschland verraten, um für sich selbst bzw. die katholische Kirche ein paar Vergünstigungen zu bekommen. Der Zentrums-Vorsitzende Ludwig Kaas gab anschließend die Parteiführung ab und entschwand nach Rom, wo er, diesmal an der Seite des Vatikans!, die Verhandlungen über das Konkordat mit dem Reich führte und erfolgreich abschloss. Das Konkordat kann man als Belohnung für die Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz ansehen.

Obwohl der Prälat Kaas es besser wissen musste (Mt 6,24), war er doch ein Diener zweier Herren: Deutschland und Vatikan; allerdings hat er letzten Endes doch sein wahres Gesicht gezeigt und Vatikan zu seinem alleinigen Herren erkoren.
 
Obwohl der Prälat Kaas es besser wissen musste (Mt 6,24), war er doch ein Diener zweier Herren: Deutschland und Vatikan; allerdings hat er letzten Endes doch sein wahres Gesicht gezeigt und Vatikan zu seinem alleinigen Herren erkoren.
im Zusammenhang mit den Bemerkungen von @El Quijote zu deiner Argumentationsweise (salopp gesagt: egal worum es geht, Hauptsache auf die böse katholische Kirche hauen) stellt sich mir eine ganz andere Frage: was ist denn deiner Ansicht nach verwerflicher, den Nazis oder dem Vatikan dienen?
 
Du stellst es immer so dar, als sei die Katholische Kirche nur böse, nur egoistisch, nur negativ.
(…)
Du hast in einem frühen Beitrag in dieser Diskussion Kaas zuerst vorgeworfen Deutschland verraten zu haben, um für die Katholische Kirche Vorteile herauszuschlagen. Dann hast du ihm vorgeworfen, "Diener zweier Herren" gewesen zu sein, um ihm dann vorzuwerfen, dass er sich für den Vatikan als "Herren" entschieden habe. Kaas habe mit letzterem Schritt "sein wahres Gesicht gezeigt", schreibst du.
(…)
Und doppelt gemoppelt hält offensichtlich selbst dann besser, wenn die Vorwürfe im Widerspruch zueinander stehen.
Ich sehe keinen Widerspruch in meinen Ausführungen. In meinem letzten Satz habe gesagt: „Obwohl der Prälat Kaas es besser wissen musste (Mt 6,24), war er doch ein Diener zweier Herren: Deutschland und Vatikan; allerdings hat er letzten Endes doch sein wahres Gesicht gezeigt und Vatikan zu seinem alleinigen Herren erkoren.“

Als Parteivorsitzender der Zentrumspartei hat er natürlich 4 Jahre auch Deutschland gedient, aber als es (1933) darauf ankam, hörte er auf die katholische Kirche, oder, wie es -muck- vorschlägt, sorgte er sich nur um seine Klientel, die Katholiken, die zu diesem Zeitpunkt ca. ein Drittel der Bevölkerung ausmachten. Das war egoistisch und damit auch ein Verrat an Gesamtdeutschland.

Diese historische Wahrheit kann man nicht wegdiskutieren.
 
Nein, das tat er ganz sicher nicht, Hiindenburg wollte das national-konservative Lager stärken, nicht Hitler zum übermächtigen Faktor machen.
Dennoch war dieser Schritt zwar theoretisch legal, allerdings äußerst fragwüdig, weil der Reichspräsident damit die Überparteilichkeit seines Amtes aufgab und begann im Sinne einer bestimmten politischen Strömung zu arbeiten.



Das habe ich auch nicht behauptet. Den Erdrutschsieg der Nazis 1932 wird Hindenburg eher als Betriebsunfall berachtet haben, mit dem man nun irgendwie leben musste, als als das, was er eigentlich wollte.

Das Erstarken der Nazis bei der vorgezogenen Reichstagswahl war absehbar und wurde sehenden Auges in Kauf genommen.

Schleicher, der hier die Strippen zog, hatte folgenden Plan: Die Nazis sollten eine rechtskonservative Regierung unterstützen oder zumindest tolerieren. (Die Regierung Brüning war bisher auf die Tolerierung durch die SPD angewiesen gewesen.) Hitler muss Schleicher eine solche Mitarbeit versprochen haben, stellte aber zwei Bedingungen: 1. Aufhebung des Verbots der SA/SS, 2. Auflösung des Reichstags und Neuwahlen.
Papen als Zentrums-Rechtsaußen schien aus Schleichers Sicht der richtige Mann, um eine Kooperation zustande zu bringen, die vom Zentrum bis zur NSDAP reichte. Damit hätte die Papen-Regierung eine breite parlamentarische Mehrheit gehabt.
Doch der Plan schlug fehl. Nach dem Wahlerfolg pfiff Hitler auf seine Versprechungen und forderte die ganze Macht für sich und seine Partei. Und auch das Zentrum spielte nicht mit. Kaas machte Papen unmissverständlich klar, dass das Zentrum eine Nazi-tolerierte Papen-Regierung nicht unterstützen würde. Dennoch setzte Hindenburg auf die Karte Papen. Kurz nach der Ernennung zum Reichskanzler trat Papen aus dem Zentrum aus, nach allgemeiner Lesart, um einem Parteiausschlussverfahren zuvorzukommen.
 
Du hast doch diese 4 Namen genannt als Beweis, dass das Zentrum anders gewesen sei, als ich es darstellte. Aber das ist jetzt sowieso egal, weil Kaas die wenigen Andersdenkenden in der Zentrumsfraktion überzeugte, in seinem Sinn zu stimmen.

Genau, ich habe die vier Kanzler der Zentrumspartei genannt und gefragt, weshalb keiner von ihnen der NS-Bewegung oder den nationalkonservativen Republikgegnern nahestand, wenn doch angeblich die Mehrheit der Zentrumsabgeordneten (oder der Wähler?) so eingestellt war? Das wäre ja schon zu begründen, wenn man dieser These folgen will. Man kann sie natürlich auch verwerfen und behaupten, Kaas habe die gesamte Partei dominiert und alle Andersdenkenden aus prinzipiellen Erwägungen heraus überzeugt, aber dann müsste man wiederum belegen, dass er ein dezidierter Gegner der Republik war und zugleich über den nötigen Einfluss verfügte. Für all diese starken Thesen habe ich bislang keine echten Belege gesehen, und auch der "Handel" von Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz gegen Konkordat wird in der Forschung eher verneint.
 
Ich sehe keinen Widerspruch in meinen Ausführungen. In meinem letzten Satz habe gesagt: „Obwohl der Prälat Kaas es besser wissen musste (Mt 6,24), war er doch ein Diener zweier Herren: Deutschland und Vatikan; allerdings hat er letzten Endes doch sein wahres Gesicht gezeigt und Vatikan zu seinem alleinigen Herren erkoren.“

Als Parteivorsitzender der Zentrumspartei hat er natürlich 4 Jahre auch Deutschland gedient, aber als es (1933) darauf ankam, hörte er auf die katholische Kirche, oder, wie es -muck- vorschlägt, sorgte er sich nur um seine Klientel, die Katholiken, die zu diesem Zeitpunkt ca. ein Drittel der Bevölkerung ausmachten. Das war egoistisch und damit auch ein Verrat an Gesamtdeutschland.

Diese historische Wahrheit kann man nicht wegdiskutieren.

Haben Theodor Heuss und Reinhold Maier stets zwei Herren - nämlich Deutschland und der Schicht der Freiberufler, Beamten und Unternehmer - gedient und 1933 schließlich ihr wahres Gesicht gezeigt? Oder ist es nicht vielmehr so, dass Katholiken, Beamte und andere Anhänger und Mitglieder von politischen Parteien ein Teil Deutschlands waren?
 
Ach, Stradivari, wir wissen doch beide, wie die Politik funktioniert: Es wird auf die eigene Wählerschaft geschaut; wenn die zufrieden ist, dann werde sie die Partei wiederwählen, alles andere interessiert weniger.

Aber die Tatsache, dass die anderen – mit Ausnahme der SPD – nicht besser waren, entschuldigt das Zentrum nicht, denn das Zentrum war die drittstärkste Partei im Reichstag, was sie tat, war beispielgebend für andere bürgerliche Parteien. Will sagen: Zentrum kann sich nicht auf Handlungen anderer Parteien (siehe Heuss und Maier) ausreden.
 
Vielleicht noch ein Wort zu "historischer Wahrheit": Es ist sicherlich weitgehend unstrittig, dass es eine solche gibt, auch wenn wir sie nicht immer kennen oder uns irren. Wäre Pompeius nicht 106, sondern 104 geboren, wüssten wir das nicht und würden es vielleicht nie erfahren, aber es wäre dennoch die Wahrheit. Schwieriger wird es offenkundig bei Fragen nach der Motivation, nach Handlungsoptionen oder möglichen Alternativen von historischen Persönlichkeiten.

Das gilt ja schon für unsere Zeitgenossen. Oder würde jemand behaupten wollen, er wüsste genau (im Sinne der von Dion beschworenen "historischen Wahrheit"), aus welchen Gründen Helmut Kohl, Gerhard Schröder, Angela Merkel oder Olaf Scholz bestimmte Entscheidungen trafen? Nehmen wir einmal Helmut Kohl. Seine Entscheidung, 1998 noch einmal als Kanzlerkandidat anzutreten, ist zweifellos eine historische Tatsache, ebenso wie die Niederlage der Union bei dieser Wahl. Wenn nun ein Gegner des Kanzlers schrieben würde, seine Entscheidung sei ein "Verrat an der CDU und an Wolfgang Schäuble" gewesen, wäre das eine persönliche Bewertung dieser Tatsache, aber nicht im Entferntesten selbst eine historische Tatsache.

Was Du, Dion, in Deinem Beitrag über Kaas geschrieben hast, ist keine "historische Wahrheit", sondern zunächst einmal Deine höchstpersönliche, moralische Wertung. Diese sei Dir unbenommen, aber eben nur als solche, nicht als Aussage, die für uns alle gilt. Die historische Tatsache ist, dass die bürgerlichen Mittelparteien - darunter auch das Zentrum - dem Ermächtigungsgesetz nach teils heftigen Diskussionen in den jeweiligen Fraktionen zustimmten. Deine Bewertung von Kaas als "Diener zweier Herren", "egoistisch" und als einem Mann, der "Verrat an Gesamtdeutschland" begangen habe, sind mitnichten "historische Wahrheiten", sondern Deine persönliche Interpretation der Geschehnisse.

Wenn wir sinnvoll miteinander über das Thema diskutieren möchten, können persönliche Wertungen nicht den Rang einer Wahrheit beanspruchen.

Edit: Das bezog sich nicht auf den letzten Beitrag Dions, diesen habe ich beim Abfassen noch nicht gesehen. Die Antwort darauf ist der folgende Beitrag.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ach, Stradivari, wir wissen doch beide, wie die Politik funktioniert: Es wird auf die eigene Wählerschaft geschaut; wenn die zufrieden ist, dann werde sie die Partei wiederwählen, alles andere interessiert weniger.

Aber die Tatsache, dass die anderen – mit Ausnahme der SPD – nicht besser waren, entschuldigt das Zentrum nicht, denn das Zentrum war die drittstärkste Partei im Reichstag, was sie tat, war beispielgebend für andere bürgerliche Parteien. Will sagen: Zentrum kann sich nicht auf Handlungen anderer Parteien (siehe Heuss und Maier) ausreden.

Die Zentrumspartei diskutiert hier ja nicht mit, ich hatte Dich nach Deiner persönlichen Wertung gefragt. Du hattest eine Unterscheidung zwischen "Gesamtdeutschland" und dem katholischen Bevölkerungsteil getroffen und die Sorge des Zentrums für Letzteren als "Verrat" gewertet. Daher meine Frage, ob das dann konsequenterweise auch für die DStP-Politiker Theodor Heuss und Reinhold Maier gilt - oder auch für Gewerkschafter, die Ende April 1933 dazu aufriefen, den "Tag der Arbeit" zu unterstützen, den das Regime ausgerufen hatte? Im Grunde könnte man ja jede definierbare Bevölkerungsgruppe gegen die Gesamtbevölkerung eines Landes aufrechnen und die politische Unterstützung für sie als Verrat qualifizieren.

Welche Gründe Brüning, Kaas, Wirth, Maier oder Heuss - oder auch Theodor Leipart - für ihr Handeln hatten und wie man diese Gründe moralisch werten möchte, ist nochmals eine andere Frage. Ich bin generell etwas vorsichtiger, historische Persönlichkeiten moralisch zu verurteilen, aber das ist natürlich Ansichtssache.
 
Dachau wurde im März 1933 als erstes offizielles KL (heute sagt man KZ) eingerichtet. Bereits vorher gab es durch die SA eingerichtete ‚wilde‘ KZs. Himmler gab zwei Tage vorm Ermächtigungsgesetz eine Pressekonferenz zur Einrichtung von Dachau und es war am Tag vorm Ermächtigungsgesetz in der Presse zu lesen, dass in Dachau Platz für 5000 Gefangene sei (die ‚wilden‘ KZs auf irgendwelchen Privatgrundstücken konnten ja allenfalls ein paar Dutzend Gefangene „aufnehmen“). Primäres Ziel waren Kommunisten, Gewerkschafter und Sozialdemokraten.
Im Reichstag (also physisch in der Krolloper), mussten die Abgeodneten, deren Reihen bereits - hauptsächlich um die Kommunisten - gelichtet waren, durch Spaliere uniformierter Nazis gehen, mussten Beleidigungen und Stöße erdulden, was ihnen in Aussicht stellte, was bei Nichtzustimmung zu erwarten war.
Insofern ist die Entscheidung der Sozialdemokraten, gegen das Ermächtigungsgesetz zu stimmen, sehr mutig gewesen, auch angesichts dessen, dass bereits etliche Sozialdemokraten, die nicht Reichstagsangehörige waren, bereits in irgendwelchen Folterkellern verschwunden waren.
Anderen, vom Computerbildschirm im geheizten Arbeitszimmer vorzuwerfen, dass sie diesen Mut angesichts der offensichtlichen Bedrohungslage nicht aufbrachten, heißt gleichzeitig auch, die Nazis zu verharmlosen (auch ungewollt!) und den Mut den die Sozialdemokraten in dieser Situation aufbrachten, kleinzureden.

Edit: Rechtschreibung: Beleihungen > Beleidigungen; Grammatikfehler.
 
Zuletzt bearbeitet:
Dachau wurde im März 1933 als erstes offizielles KL (heute sagt man KZ) eingerichtet. Bereits vorher gab es durch die SA eingerichtete ‚wilde‘ KZs. Himmler gab zwei Tage vorm Ermächtigungsgesetz eine Pressekonferenz zur Einrichtung von Dachau und es war am Tag vorm Ermächtigungsgesetz in der Presse zu lesen, dass in Dachau Platz für 5000 Gefangene sei (die ‚wilden‘ KZs auf irgendwelchen Privatgrundstücken konnten ja allenfalls ein paar Dutzend Gefangene „aufnehmen“). Primäres Ziel waren Kommunisten, Gewerkschafter und Sozialdemokraten.

Um dies noch zu ergänzen: Seit dem Februar 1933 war bereits die Trennung zwischen Staat und Partei dergestalt aufgehoben, dass SA-Leute der Ordnungspolizei (also der uniformierten Polizei), als Hilfspolizisten zugeordnet waren, Parteiangehörige übernahmen also hoheitliche Aufgaben. Die SA-Männer bekamen als einziges erkennungsdienstliches Zeichen eine Armbinde, auf der Hilfspolizei stand, ansonsten traten sie in ihrer Eigenschaft als Hilfspolizisten in der SA-Uniform auf. D.h. dieselben Leute, welche die Abgeordneten in der Krolloper schikanierten, gingen auch in den Polizeiwachen ein und aus.
 
Daher meine Frage, ob das dann konsequenterweise auch für die DStP-Politiker Theodor Heuss und Reinhold Maier gilt - oder auch für Gewerkschafter, die Ende April 1933 dazu aufriefen, den "Tag der Arbeit" zu unterstützen, den das Regime ausgerufen hatte?
Theodor Heuss und Reinhold Maier haben ausgesagt, dass sie sich nach dem Zentrum richteten. Und die Gewerkschaften haben erst im April, also nachdem die Sache gelaufen ist, den 1. Mai als Tag der Arbeit unterstützt, schließlich haben sie zuvor schon jahrelang dafür gekämpft. Oder: Sie wollten retten, was noch zu retten war. Und man darf nicht vergessen: NSDAP heißt National-Sozialistische-Arbeiter-Partei.

Im Übrigen gehen mir deine Versuche der Relativierung auf die Nerven – ich gehe auf Solches nicht mehr ein.

Und was die Wertungen angeht: Wir alle werten, denn wir alle? sind der Meinung, die Nazis waren und sind Verbrecher – und zwar alle, also auch diejenigen, die nur Mitläufer waren, denn ohne diese Mitläufer und Sympathisanten, der Stützen des Regimes, wären die wirklichen Verbrechen nicht möglich gewesen.

Das gilt übrigens für alle Organisationen, die Verbrechen begehen, denn diese können das nur tun, wenn genügend Leute/Anhänger es stillschweigend billigen – siehe „wer schweigt, scheint zuzustimmen“.
 
Zurück
Oben