Mittelalterliche Landwirtschaft mit Zahlen nachvollziehen

Danke für die ganzen Antworten.

Ich werde nicht auf alles eingehen, weil das sonst zu unübersichtlich wird.

Ich habe ein paar Änderungen gemacht:

- Es werden jetzt 29% der Ernte als Saatgut zurückgehalten. (@Ugh Valencia, @Ravenik)
- Ich habe die Energie von dem Getreide von 1400 kJ / 100 g auf 1300 kJ / 100 g gesenkt. (@Ugh Valencia)
- Die Erntedauer habe ich von 90 Tagen auf 75 gesenkt (grob Mitte Juni bis Ende August). (@Ugh Valencia)
- Der Ausmahlungsgrad (wie viel Mehl kann aus Getreide herstellt werden) wurde hinzugefügt und auf 70% gesetzt. (@Mittelalterlager)

Die Rechnung sagt jetzt, dass jeder Bauer 1,4 Menschen ernährt (Bauernanteil von 70%).

Die Erntegeschwindigkeit ist noch falsch (@J-M-K):

Zur Zeit erntet der Bauer 20 m² Getreide pro Stunde mit einer Sichel.
Gebe ich ihm eine Sense erntet er 250 m²/h und plötzlich kann er 18 Menschen ernähren (statt 1,4).

Ich habe hier bisher nur die Mähgeschwindigkeit berechnet (!) - nicht die ganze Erntegeschwindigkeit.
Das muss ich ändern.

Ein weiterer wichtiger Faktor ist vermutlich die Ernährung von Tieren (@muheijo, @Ugh Valencia):
Lässt sich schätzen wie viele und welche Tiere es im Durchschnitt pro Person gab?

@Mittelalterlager : Wie lange wurde Getreide geerntet?

Die aktualisierte Rechnung lässt sich hier finden:
Mittelalterliche Landwirtschaft
 
Ich bin mir über den Umfang eines solchen landwirtschaftlichen Gutes nicht im Klaren, aber Bachrach zufolge konnten die deutschen Könige im zehnten und elften Jahrhundert aus etwa 1.000 solchen Gütern landwirtschaftliche Erzeugnisse beziehen, um ihren Hof und ihr Heer zu unterhalten. Wenn allein 31 villae "mit Leichtigkeit" (15 + 30) × 30 = 1.350 Tonnen Nahrungsmittel bereitstellen konnten, ist daraus die Leistungsfähigkeit bereits der frühmittelalterlichen Landwirtschaft zu erahnen.

Da hat sich Bachrach eines der zwei oder drei Beispiele von Pfalzen herausgesucht, für die es Zahlen gibt, die Schätzungen erlauben. Villikationen waren unterschiedlich groß. Ebenso Pfalzbezirke. Magdeburg gehörte zu den reichen Pfalzen. Es gab Villikationen zu denen neben dem Salland ein Dutzend Höfe gehörten. Es gab aber auch Villikationen mit zwei Dutzend Vorwerken und dreistelligen Zahlen an Höfen. Hinzu kamen unterschiedliche mit der Villikation verbundenen Rechte wie Mühlen, Kirchen oder Burgbann, womit sie völlig unterschiedlich ausgestattet waren. Und dann sind da noch die unterschiedlichen Größen des Sallands und auch der einzelnen Höfe. Weder sind Hube und Hof trotz Homonyms gleichzusetzen, noch hatten alle Höfe denselben Status. Wo mehrere Tage auf dem Salland gearbeitet werden musste, waren die Betriebsgrößen kleiner als auf Höfen, die nur Abgaben leisteten.

Zu bedenken ist auch, dass zur Zeit Heinrichs der Fokus nach auf dem Vieh lag, nicht auf dem Getreide. (Und mitgetriebenes Vieh verändert wieder die Zahlen des Verbrauchs.)

Unbekannt ist auch, was dem Aufgebot gestellt wurde, was hinzuzukaufen war und was fouragiert wurde. Wir wissen nur, dass alles vorkam. (Meines Wissens war das zu allen Zeiten bis zur Einführung des Automobils so.)
 
Wieviel der Bauer behielt ist nicht egal. Ich meinte die freie Menge nach Abzug der notwendigen Getreidesaat für das nächste Jahr. Deshalb kann man nicht Brutto rechnen, sondern nur Netto.

Ah, ja, ich setzte voraus, dass das Saatgut in den Verbrauch eingerechnet wird. Aber du hast Recht, dass wurde nicht berücksichtigt.
 
Der Handel mit Getreide hat meines Wissens im feudal geprägten und nicht besonders effizienten Wirtschaftssystem des Mittelalters keine so große Rolle gespielt, sondern die Nahrungsmittelproduktion war vor allem auf Subsistenz ausgelegt. Der Feudalherr erhielt seine Zwangsabgabe von seinen Bauern zur Versorgung seiner selbst (inkl. Familie und unproduktivem Gefolge) und lagerte auch zentral Vorräte, aus denen er in Krisenzeiten seine Bauern zu versorgen hatte. Nur selten gelangten Überschüsse "auf den Markt", weil weder gezielt Überschüsse produziert wurden, noch ein "Markt" im heutigen Sinne dafür existierte. (Quelle: aus meinem Gedächtnis, Buch "Stadt und Handel im Mittelalter")

Offiziell war Gewinnstreben nicht nur verpönt, sondern sogar, ich meine seit Karl dem Großen, verboten.

Es gab keinen großen Austausch zwischen den Regionen. Es konnte in der einen Region eine Hungersnot geben, ohne dass andere Regionen Überschuss lieferten. Villikationsbesitzer lagerten ein und gaben in schlechten Jahren an die abhängigen Höfe heraus. Wohl nur in der Theorie kostenlos. Bischof Meinwerk von Paderborn nutzte seine Besitzungen in den Niederlanden und in Ostwestfalen, um Hungersnöte im anderen Gebiet auszugleichen. Das galt als bemerkenswert und war einer der Gründe für seine Seeligsprechung.

Da wurde der Handel mit Getreide aber schon wichtiger, was zur Umstellung der Landwirtschaft auf den Schwerpunkt Ackerbau, sowie meist den Umbau des Villikationssystems führte.

Es kommt also auf die genaue Zeit an.
 
Moin Wasser

Hast Du da jetzt eine Erntezeit von 75 Tagen vorausgesetzt? Wieso hast Du da schon Mitte Juni
angesetzt?
Halte ich immer noch für zu lang.

Ob sich der Tierbestand ( hier Pferde als Arbeitstiere) tatsächlich genau abschätzen läßt, das wage ich zu bezweifeln, zumal kleinere Bauern wahrscheinlich dieses Hilfsmittel kaum zur Verfügung hatten.

Aber eventuell hat hier im Forum jemand Zahlen darüber (regional).
 
Zuletzt bearbeitet:
Die aktualisierte Rechnung lässt sich hier finden:
Mittelalterliche Landwirtschaft
Mir gefällt dein Ansatz, weil ich vor Jahren ähnliches versucht habe, um zu schätzen, wie viele Jäger und Sammler das heutige Staatsgebiet von Österreich ernähren hätte können. Ergebnis war Größenordnung 50.000 Menschen.

Dabei stieß ich auf den Begriff "Tragfähigkeit". Vielleicht hilft dir das weiter, weil anzunehmen ist, dass es dazu wissenschaftliche Arbeiten im Internet gibt, die auf gut recherchierten Grundannahmen beruhen.
U.a. hier ausführlich https://www.spektrum.de/lexikon/geographie/tragfaehigkeit/8211

Dein Mengengerüst konzentriert sich vorerst auf Getreide. Auch diese Klasse von Lebensmitteln ist noch nicht ganz fertig beschrieben. Spontan fallen mir weitere Aspekte ein:
  • Die für die Feldwirtschaft benötigten Zugtiere (Pferde, Ochsen) brauchen auch was zu Fressen. Dafür kann schnell mal 5-10% der Anbaufläche angesetzt werden, allerdings Hafer (nicht Weizen)
  • Ein bedeutender Teil der Ernte wird von Mäusen und Ratten verspeist, oder geht bei der Lagerung auf die eine oder andere Weise unter (Schimmel, Wasserschaden, Ungeziefer). Das kann durchaus ein Drittel gewesen sein, denn anfänglich muss ja die gesamte Ernte irgendwie auch gelagert werden
  • Ein weiterer Teil der Getreideernte wird zu Bier verarbeitet (Gerste)
  • Fruchtfolge: du kannst nicht Jahr für Jahr das selbe Getreide am selben Feld anbauen
  • Missernten durch Hagel, Trockenheit, Überschwemmung
  • Wildschaden, andere Schädlinge, Pflanzenkrankheiten
  • Saatgutverschlechterung
  • Kriege (feindliche Heere verwüsten Felder, Requisition durch die Obrigkeit, Erntearbeiter fehlen, Zugtiere werden geschlachtet / eingezogen)
  • Fruchtbares Ackerland wird auch z.b. für Ölsaaten benötigt (Leindotter und Co.)

Wenn du all diese Aspekte einpreisen willst, hast du zu viele sehr unklare Parameter in deinem Modell, um mit dem Ergebnis zufrieden sein zu können.
 
Dann sehe ich nebn dem bisher Geannten noch ein paar weitere Probleme:

Zwei Anmerkungen:

Es waren in der Regel Tage pro Woche für die Fronarbeit festgelegt. Das mit dem Wetter dürfte sich zwischen beiden Seiten mit einem kleinen Vorteil für den Herrn ausgeglichen haben, der festlegte, wer ihm unter der Woche wann half. Aber, da das für den Arbeitsbedarf keine Rolle spielt, beeinflusst es die Rechnung nicht, wenn ein Durchschnittsernteertrag festgestellt ist.

Betrachte dir die Grundstücksgrößen vor der Separation. In der Regel sind sie groß genug für ein oder mehrere Tagwerke oder für ein halbes. Es musste also nicht andauernd umgezogen werden.
 
Lässt sich schätzen wie viele und welche Tiere es im Durchschnitt pro Person gab?

@Mittelalterlager : Wie lange wurde Getreide geerntet?

Die aktualisierte Rechnung lässt sich hier finden:
Mittelalterliche Landwirtschaft


Tiere können nach den archäologisch festgestellten Stellboxen der Grundrisse der Häuser geschätzt werden. Es kommt natürlich wieder auf die genaue Zeit an. Und auf die Breite achten: Ein oder zwei Rinder pro Box?

Probleme:
- War eine Box für ein paar Schweine reserviert?
- Was ist mit Geflügel, Schafen und anderem Kleinvieh?
- Wurde alles Vieh aufgestallt oder ein Teil zu Winterbeginn geschlachtet?

Ein Hof mit 30 Morgen braucht zur Ernte rechnerisch nur 15 Tage. Wenn die Hälfte der Arbeitszeit für den Herrn gerechnet wird, sind es 30 Arbeitstage für die Ernte.* Sagen wir großzügig 45 für falsches Wetter und andere Probleme. Der Hofbesitzer kann nicht mehr Land pflügen als er hat, der Fronherr nur die Arbeit fordern, die ihm zusteht.

Als Zugtiere sind meist wohl eher Ochsen zu betrachten als Pferde. Hier bis ins 19. Jahrhundert.

*Die Heuernten in Juni und August/September ("Grummeternte") brauchen auch ihre Zeit.
 
Oh Fehler, der Grundherr kann natürlich mehr Wochen Ernten lassen, wenn er genug Land hat. Bei gutem Wetter schon Mitte bis Ende Juni. Bei früher Ernte ist aber das Ende derselben früher. Zahlen hätte ich für die Zeit um 1900.

Kannst du ja selbst rechnen.

Insgesamt sind für deine Rechnung sicher Vorarbeiten nötig, um zumindest gute Schätzungen zu erhalten. Aber zu schauen, auf was jetzt nach kurzer Recherche zu kommen ist, ist kein schlechter Anfang.
 
Oh Fehler, der Grundherr kann natürlich mehr Wochen Ernten lassen, wenn er genug Land hat. Bei gutem Wetter schon Mitte bis Ende Juni. Bei früher Ernte ist aber das Ende derselben früher. Zahlen hätte ich für die Zeit um 1900.

Kannst du ja selbst rechnen.

Insgesamt sind für deine Rechnung sicher Vorarbeiten nötig, um zumindest gute Schätzungen zu erhalten. Aber zu schauen, auf was jetzt nach kurzer Recherche zu kommen ist, ist kein schlechter Anfang.

Was erntete der Grundherr denn schon Mitte bis Ende Juni im 14ten Jahrhundert?
 
Vielleicht sollten wir uns hier zuerst einmal auf die tatsächlichen durchschnittlichen Kulturzeiten der damaligen Getreidesorten einigen. Dreimonatssorten gab es damals noch nicht.
 
Ich gehe von ca. einem Monat für eine Getreidesorte aus. Wir müssen aber auch bedenken, dass der optimale Erntezeitpunkt und der Verlust bei zeitlicher Abweichung wohl erst im 18. oder 19. Jahrhundert ermittelt wurden.

Wir müssen bedenken, dass die Getreidesorten versetzt reifen und zumindest in schlechten Jahren ganz sicher nachgesucht wurde, wenn auch sonst dazu Geflügel auf die Äcker getrieben wurde.
 
Vor Mitte-Ende Juli konnte doch keine Getreidesorte geerntet werden, eher noch etwas später.

Anbaumäßig finden wir Rogen, Gerste, Hafer, Hirse, Dinkel, Emmer, Weizen.

In welchem Maße wurden damals Wintergetreide angebaut? Weiß das jemand?
 
Vor Mitte-Ende Juli konnte doch keine Getreidesorte geerntet werden, eher noch etwas später.

Anbaumäßig finden wir Rogen, Gerste, Hafer, Hirse, Dinkel, Emmer, Weizen.

In welchem Maße wurden damals Wintergetreide angebaut? Weiß das jemand?

Bin auch ein Stadtkind...

Nach Recherche auf Wikipedia meine ich:
Wintergetreide wird im Frühherbst (Sept. / Okt.) gesät und im Hochsommer geerntet
Sommergetreide im Frühling (März/April) gesät und im Sommer geerntet (< 1/2 Jahr)

Wintergetreide scheint die höhere wirtschaftliche Bedeutung zu haben.
Weizen laut Wiki wird erst ab dem 11. Jhdt. in DE populär (Weißbrot)

Der "Weizen" der Römer war eigentlich die Emmer
, die auch heute noch trotz ansonsten moderner Methoden einen viel geringeren Ertrag liefert, weshalb die von mir selbst weiter oben zitierten Flächenerträge von "Weizen" stark infrage zu stellen sind, denn moderner Weichweizen versus Emmer ist wie Äpfel und Birnen vergleichen.

Um auch nur für ein konkretes Jahrhundert und eine konkrete Region zu berechnen, wie viele Bauern es gebraucht hat, um die Gesamtbevölkerung mit Getreide (Fleisch, Öl etc. noch gar nicht berücksichtigt) zu versorgen, müsste man schon einiges mehr wissen und aufwändigere Recherche betreiben.
 
Zuerst brauchen wir die Kulturzeiten und durchschnittlichen Erträge auf entsprechenden Bodenverhältnissen des 14.
Jahrhunderts bei den angebauten Getreidesorten.
Die Unterschiede zwischen den modernen Züchtungen und den damaligen Sorten sind zwei verschiedene Welten.
 
Wir sollten uns auf eine Region in DE, 15. Jhdt. konzentrieren.

Es gab Flurzwang, weshalb ohnehin für Jahrzehnte festgelegt war, was wo in welcher Reihenfolge anzubauen war.
https://de.wikipedia.org/wiki/Flurzwang

Dreifelderwirtschaft war ebenfalls vorgeschrieben - siehe Bild. Über drei Jahre geschätzt könnte man nun schätzen, wie viel Arbeitsaufwand entstand und welche Erträge der verschiedenen Sorten zu erwarten waren.

Die Bodennutzung war viel stärker reguliert als ich angenommen habe.
Interessant zum Weiterschmökern z.b. eine Würzburger Polizeiordnung https://de.wikipedia.org/wiki/Vergetreidung


Dreijähriger_Zyklus_einer_Dreifelder-oder_Dreizelgenwirtschaft.jpg
 
Der Bauer konnte letztendlich nur in seinem Hausgarten anbauen was er wollte. Aber Obacht, das war auch regional sehr unterschiedlich, in Gegenden mit starker freier Bauernschaft gab es da mehr Möglichkeiten.
 
Und es gab auch nicht jeden Zwang überall. Auf Allod - das es durchaus gab - konnte sowieso keiner Vorschriften machen. Und nicht alle Gesetze wurden befolgt.

Hier vor Ort gab es mindestens 4 Typen von Arealen mit unterschiedlichen Regelungen. Dazu bäuerliches Allod. Und nur zwei, eher kleine Areale waren Esch mit entsprechendem Flurzwang. Zuständig war die Gemeinheit, in der der Besitzer eines örtlichen Ritterguts auch nur eine Stimme und einen Anteil hatte. In der Neuzeit konnte er 1,5 dazu erwerben, indem er Hofstellen kaufte. Aufsichtsbeamter war der örtliche Pfarrer, der ob des Pfarrhofs und des verliehenen und verpachteten Kirchenlandes dieselben Interessen wie die anderen hatte. In einem Esch waren sogar alle Grundstücke von Wegen zugänglich*. Wikipedia scheint auch nicht allgemein genug. Und dann bedeuteten Begriffe nicht überall dasselbe.

Dann die zeitlichen Änderungen...

Wie ich schon schrieb, wird viel bei Schätzungen bleiben. Schon Delbrück hat sich daran versucht. Er scheiterte schon an den Veränderungen im 19. Jahrhundert. Seine Einschätzung zum Antiken Germanien war noch vor 30 Jahren verbreitet, bevor sich durchsetzte, dass viele Regionen dichter bevölkert waren. Was ihm als Viehbestand eines ganzen frühmittelalterlichen Dorfes galt, gilt heute als derjenige eines Hofes.

Angesichts der besserer Datenlage und der schon ähnlich weit wie heute gediehenen Erschließung des Landes, ist vielleicht eine gute Idee, sich auf die alten Bundesländer im Spätmittelalter zu beschränken.**

Natürlich gibt es auch schon Arbeiten zum Thema.

* Wegen der örtlichen Geographie muss das schon im Frühmittelalter so gewesen sein.
** Auch später wurde z.B. Moor erschlossen, dafür gab es weniger Wald.
 
Ich habe mir jetzt ein Buch über Landwirtschaft bestellt.
Das wird hoffentlich dabei helfen die Spekulation zu reduzieren.
Es kann sein, dass es eine Weile dauert bis ich hier wieder schreibe.
 
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