Ortsnamenkunde

Die zweite Quellenstelle sagt denn auch eindeutig, dass die Kirche bei oder benachbart zu dem 'vollständigen Mulneheim' liegt. ("A Thitbaldo in Mulneheim integra cum adiacentiis suis Aecclesia.") 'adiacere' heißt soviel wie 'an etwas liegen' / 'neben etwas liegen' Im Mittelalter bedeutet es eher angrenzend. (Vgl. das Mittellateinische Glossar; auch zu 'integra' als 'vollständig').

Und damit ist Araride ein Ortsname.

Die zweite Quellenstelle sagt nach meinem Verständnis nicht, "neben was" die Kirche liegt, das wäre "(a)ecclesia adiacens".
Sondern dass die Kirche "cum adiacentiis" geschenkt wird: "Vollständig, mit allem Drumherum".
Wo die Kirche liegt, wird allerdings auch gesagt, nämlich: "in Mulneheim".
 
Beim ride ist das demnach klar. Aber mit dem Ara haben wir unsere Not. Auch bei Aratora.

Wer hat bei Aratora eine Not, und warum?
Das hatten wir doch schon geklärt, ich kopiere hier nochmal die ganzen Zitate und Belege zusammen:

Artern bei Sangerhausen, nach H. Walther: 9. Jahrhundert (Aratora, Latinisierung), 1136 de Artera, zu idg. *ar(m)- "pflügen", "vorgerm. *Artār-?"; da diese Sippe auch germ. belegt ist, wie ahd. art "das Pfügen", ae. earð "Ertrag, gepflügtes Land" zeigt, ist eine gut germanische Bildung *Art-er‑/*Art-ar- m.E. durchaus möglich, ja wahrscheinlich.

Namenkundliche Studien zum Germanenproblem", Jürgen Udolph, Berlin - New York, 1994, Seite 170

Zusammenfassung von Prof. Udolph: auszugehen ist von einer Grundform Ard-r-; altertümliche Bildung mit dem -r-Suffix (Element) wie bei Bachra. Die Grundlage ist ein germanisches Wort, das zum Beispiel in mittelhochdeutsch art "Ackerbau, Ackerland, Pflugland" fortlebt. Das angenommene Grundwort ist auch im Altengl. belegt: eard "a native place".

Grundbedeutung demnach: "Ort, Stelle, wo man pflügt, Ackerbau betreibt". Sehr alte, etwa 1.500 Jahre alte Ortsnamenbildung. Vergleichbare Bildungen wurden schon bei "Bachra" genannt.
Artern an der Unstrut | MDR.DE

Erstbeleg ist das Breviarium des Bischofs Lullus († 786, Kopie 12. Jh.), da stehen die Dörfer drin, in denen das Kloster landwirtschaftlichen Besitz (Hufe, lat. hubae, Akk. hubas):

"In Aratora et Edieslebo et Cazstat hubas VI..."

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Die Arterner meinen aber, dass ihr Artern germanisch, vielleicht sogar indogermanisch sei.

"Die Artener", das ist in diesem Fall Ewald Engelhardt mit seinem Aufsatz aus dem Jahr 1914.

Da hast Du etwas entweder gründlich missverstanden, oder Du gibst es missverständlich wieder. Ich lese da (Hervorhebung von mir):

"Bei Ar(a)tora handelt es sich um eine nicht nur deutsche, germanische, sondern sogar "indogermanische" Wortwurzel."

Nicht Artern als Ort oder Ortsname ist wäre demnach indogermanisch, sondern die Grundform des Wortes (das, was Engelhardt als "Wortwurzel" bezeichnet). Da hat er natürlich recht (siehe Zitat ganz oben).

Den Ortsnamen selber möchte er gern bis auf das 2. oder 1. nachchristliche Jahrhundert zurückführen, da ist man heute etwas vorsichtiger (um 500).

Interessant zu lesen, dass "der alte Merian bereits 1690" diejenige Etymologie vorgeschlagen hat, die auch heute noch als plausibelste gelten darf:

"... und wenn ja der Name dieser Stadt von fetten und fruchtbaren Ackerbau herkommen wäre, könte solcher anders nicht, als von dem teutschen Worte, Art, arten, hergenommen werden, weilen die Thüringischen Acker-Leute sich schwerlich mit Lateinischen Namen werden bemühet haben."
 
Und -by als "Bau". Zumindest bei Brumby. Wiki: brum als Brunnen und by als Platz. Also Platz des Brunnens. Barby hieß aber barbogi 961. Ort am Fluss-Bogen. Zu Steckby fand ich keine Informationen.

Brumby hat ebenfalls nichts mit "Bau" und nichts mit dem dänischen "-by" zu tun. Auch hier lauten die alten Bezeichnungen auf -boy oder -boie, auch ein -boge ist belegt.

Hab jetzt mal nachgeschlagen bei: Inge Bily, Ortsnamen des Mittelelbegebietes, Berlin 1996:

Barby: Ersterwähnung "ad Barbogi civitatem" 961, außerdem diverse Schreibweisen Bareboi/Barabogi/Barboge/Barbey/Barboye etc.
Brumby: Ersterwähung "de Brumboi(e)" 1194, außerdem Brumboge, Brumbeie, Brumboy etc. "Der Ort liegt an einer Krümmung des Schlötebaches."
Steckby: Ersterwähnungen "Sticboy" bzs. "Sticboie" (1196, 1197) "Der Ort liegt in der Steutzer Aue, einem Elbebogen."
 
Brumby hat ebenfalls nichts mit "Bau" und nichts mit dem dänischen "-by" zu tun. Auch hier lauten die alten Bezeichnungen auf -boy oder -boie, auch ein -boge ist belegt.

Hab jetzt mal nachgeschlagen bei: Inge Bily, Ortsnamen des Mittelelbegebietes, Berlin 1996:

Barby: Ersterwähnung "ad Barbogi civitatem" 961, außerdem diverse Schreibweisen Bareboi/Barabogi/Barboge/Barbey/Barboye etc.
Brumby: Ersterwähung "de Brumboi(e)" 1194, außerdem Brumboge, Brumbeie, Brumboy etc. "Der Ort liegt an einer Krümmung des Schlötebaches."
Steckby: Ersterwähnungen "Sticboy" bzs. "Sticboie" (1196, 1197) "Der Ort liegt in der Steutzer Aue, einem Elbebogen."
Welchem Volk wird denn in der Quelle das by zugeordnet? Cruchere, auch an der Biegung, soll ja im Gegensatz dazu hermundurisch sein.
 
Welchem Volk wird denn in der Quelle das by zugeordnet?
- bogi/boge ist altsächsisch/mittelniederdeutsch.

Cruchere, auch an der Biegung, soll ja im Gegensatz dazu hermundurisch sein.
Bei Cruchere/Krochere gibt es zwei Möglichkeiten:
- altsorbisch *Kruchary, vgl. den polnischen Ortsnamen Kruchowo und die tschechischen Ortsnamen auf -ary
- mittelniederdeutsch krōch + Suffix -are/-ere


"Hermundurisch" ist ein reines Fantasieprodukt.
Über die Sprache der Hermunduren weiß man so gut wie gar nichts.
Und quellenmäßig lassen sich die Hermunduren in der Gegend auch gar nicht belegen.
 
Boke an der Lippe in Nachbarschaft des Römerlagers bei Anreppen hat auch einen Namen, der auf einen Bogen zurückgeführt wird. Die Lippe verlief da bis ins 19. Jh. eigentlich immer kurvenreich.

Das Lager liegt nur aufgrund von Grenzänderungen des 19. Jh. in Anreppen. Das Barbruch, in dem es liegt, wurde, etwas vereinfacht gesagt, zur Burg, bzw. Amtshaus in Boke gezählt. Daher wird mitunter vermutet, dass es sich um das bei Ptolemaios genannte Bogadion handelt. (Mit -dion werden altgriechisch Ortsbezeichnungen gebildet wie lat. -tium. Danach soll nur 'Boga' für den germanischen Namen zu berücksichtigen sein.)
 
Zuletzt bearbeitet:
- bogi/boge ist altsächsisch/mittelniederdeutsch.


Bei Cruchere/Krochere gibt es zwei Möglichkeiten:
- altsorbisch *Kruchary, vgl. den polnischen Ortsnamen Kruchowo und die tschechischen Ortsnamen auf -ary
- mittelniederdeutsch krōch + Suffix -are/-ere


"Hermundurisch" ist ein reines Fantasieprodukt.
Über die Sprache der Hermunduren weiß man so gut wie gar nichts.
Und quellenmäßig lassen sich die Hermunduren in der Gegend auch gar nicht belegen.
Crüchern gehört zu Wohlsdorf. Hier sind slawische Wurzeln nachweisbar: Zitowe. In Crüchern selbst nicht. Auf dem Mühlberg wurde ein Friedhof gut bewaffneter Germanen ausgegraben. Und zumindest bis zur Wende galt der Kreis Köthen als Kernland der Hermunduren.
 
Die Argumentation verstehe ich nicht. Es gibt etliche Gegenden in Ostdeutschland und Polen, die in der Antike germanisch besiedelt waren, die dann aufgelassen wurden und Slawen einsickerten und die dann wieder deutsch besiedelt wurden.
 
Boke an der Lippe in Nachbarschaft des Römerlagers bei Anreppen hat auch einen Namen, der auf einen Bogen zurückgeführt wird.

Altsächsisch heißt boke aber nicht 'Bogen', sondern 'Buche'.
Wie wäre der unterstellte, sehr untypische Lautwandel von g nach k sprachlich zu erklären? Quellenmäßig scheint er sich nicht belegen zu lassen:
Boke – GenWiki

(Eine Erklärung müsste sich im jüngst erschienenen Band 11 (Die Ortsnamen des Kreises Paderborn von Birgit Meineke) des Westfälischen Ortsnamensbuchs finden lassen:
Westfälisches Ortsnamenbuch - Georg-August-Universität Göttingen )
 
Die Argumentation verstehe ich nicht. Es gibt etliche Gegenden in Ostdeutschland und Polen, die in der Antike germanisch besiedelt waren, die dann aufgelassen wurden und Slawen einsickerten und die dann wieder deutsch besiedelt wurden.

Die "gut bewaffneten Germanen" in Crüchern werden wohl während der ganzen Slawenzeit heroischen Widerstand geleistet haben.
 
Und zumindest bis zur Wende galt der Kreis Köthen als Kernland der Hermunduren.

"In der Eisenzeitforschung genauso wie in der gesamten Archäologie erscheinen ganze Jahrzehnte lang Behauptungen, deren Wahrheit nicht bezweifelt wird und deren Inhalt deshalb in der Regel weiter nicht untersucht wird. Nicht selten wurde aber schon vergessen, wann, unter welchen Umständen und vor allem mit welchen Methoden diese Urteile entstanden. Dabei dienen sie oft als Ausgangspunkte für weitere Hypothesen und Untersuchungen. Bei der Forschung kommt so ein bestimmtes Beharrungsvermögen zum Vorschein, das aber in manchen Fällen paradoxerweise den Fortgang nicht fördert, sondern ganz umgekehrt bremst."
http://www.arup.cas.cz/wp-content/uploads/2010/05/Beharrungsvermögen.pdf

Zu den Hermunduren in der Markomannis geht es hier weiter: L Domitius Ahenobarbus' Zug über die Elbe - noch von der Donau o. bereits vom Rhein?
 
Die "gut bewaffneten Germanen" in Crüchern werden wohl während der ganzen Slawenzeit heroischen Widerstand geleistet haben.
In hiesigen slawischen Bestattungen werden außer Messern und Sicheln keinerlei Waffen gefunden. Karl der Große hatte ja den Verkauf an Slawen streng verboten. Die seit der Latenezeit in Crüchern lebenden Bewohner haben aber über gute Waffen und Schilde verfügt, die auf dem Mühlberg ausgegraben wurden und seit dem die Zierde des Köthener Heimatmuseums sind. Die Bewohner von Chörau aus derselben Zeit waren bettelarm und waffenlos. Erst Kleinzerbst brachte wieder reichere Bewohner. Alle waren über Jahrhunderte sesshaft. Man hat nie daran gezweifelt, dass es Hermunduren waren.
 
Die seit der Latenezeit in Crüchern lebenden Bewohner ... Alle waren über Jahrhunderte sesshaft.
Die Frage ist, ob die Siedlungskontinuität auch über die Völkerwanderungszeit hinaus bestand. Und sogar Siedlungskontinuität schließt einen Namenswechsel nicht aus.

Man hat nie daran gezweifelt, dass es Hermunduren waren.
Die Frage ist doch, "unter welchen Umständen und vor allem mit welchen Methoden diese Urteile entstanden".

Der kursächsische Kanzler David Peifer (1530-1602) hat sich seinerzeit mit Hypothesen über den Ursprung der Leipziger ("Lipsia seu Originum Lipsinensium Libri IV") befasst, die 1689 erstmals im Druck erschienen sind:

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Peifer meint hier, die Duringi (Thüringer), die er aufgrund eines etymologischen Fehlschlusses mit den Hermunduri verbindet, seien ursprünglich in der Leipziger Gegend ansässig gewesen.
MDZ-Reader | Band | Davidis Peiferi Lipsia, Seu Originum Lipsiensium Libri IV. / Peifer, David | Davidis Peiferi Lipsia, Seu Originum Lipsiensium Libri IV. / Peifer, David

Die Gleichsetzung der Thüringer mit den Hermunduren zieht sich durch die Nachschlagewerke des 18. und 19. Jahrhunderts, so z. B. auch in der Allgemeinen Encyclopaedie der Wissenschaften und der Künste (2. Sektion, Teil 6, 1829):
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Hier wird eine (im Kontext eigentlich klare, in der Formulierung allerdings missverständliche) Stelle bei Velleius so gedeutet, als ob die Hermunduren "durch die Elbe von den im Brandenburgschen wohnenden Semnonen getrennt wurden".
Das Hermundurengebiet habe demnach "vom Ursprunge der March und Elbe bis in die Gegend des heutigen Fürstenthumes Anhalt, und westwärts von der Elbe bis an die fränkische Saale und den Main" gereicht.
 
In hiesigen slawischen Bestattungen werden außer Messern und Sicheln keinerlei Waffen gefunden. Karl der Große hatte ja den Verkauf an Slawen streng verboten.
slawische Relikte aus dem Frühmittelalter sowie Karl der Große sind weder Quellen zu den Hermunduren noch zu deren Sprachen...
Die seit der Latenezeit in Crüchern lebenden Bewohner haben aber über gute Waffen und Schilde verfügt, die auf dem Mühlberg ausgegraben wurden und seit dem die Zierde des Köthener Heimatmuseums sind. Die Bewohner von Chörau aus derselben Zeit waren bettelarm und waffenlos. Erst Kleinzerbst brachte wieder reichere Bewohner. Alle waren über Jahrhunderte sesshaft. Man hat nie daran gezweifelt, dass es Hermunduren waren.
wer ist man? was weiß dieser nie zweifelnde "man" über Hermunduren im Zusammenhang mit Latene??
 
wer ist man? was weiß dieser nie zweifelnde "man" über Hermunduren im Zusammenhang mit Latene??

Ein "man", der schon vor längerer Zeit an den Hermunduren nördlich des Thüringer Walds gezweifelt hat, war der Heimatforscher Adolf Werneburg, der "unzweifelhaft" zu bewiesen haben glaubte, die Hermunduren hätten zwischen Thüringer Wald und Donau gesiedelt:
https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/vi...091.tif?logicalDiv=jportal_jparticle_00288782

Ebenso wie die Anhänger der Hypothesen über Hermunduren links der Mittelelbe bzw. in Thüringen liefert Werneburg eine größere Anzahl völlig untauglicher Argumente, auch solche aus der Ortsnamenkunde, die damals noch in den Kinderschuhen steckte.
Recht hat er allerdings mit der Ablehnung des Zirkelschlusses, mit dem man Thüringer und Hermunduren gleichgesetzt hat, und richtig ist auch die Beobachtung, dass alle quellenmäßig lokalisierbaren "Unternehmungen der Hermunduren, ... insbesondere ... die Kriege, die sie geführt haben" sich im Donauraum abspielten bzw. allenfalls in Mainfranken (den "Salzfluss" identifiziert er durchaus nachvollziehbar mit der fränkischen Saale).
 
Die Frage ist, ob die Siedlungskontinuität auch über die Völkerwanderungszeit hinaus bestand. Und sogar Siedlungskontinuität schließt einen Namenswechsel nicht aus.
Die Gleichsetzung der Thüringer mit den Hermunduren zieht sich durch die Nachschlagewerke des 18. und 19. Jahrhunderts, so z. B. auch in der Allgemeinen Encyclopaedie der Wissenschaften und der Künste (2. Sektion, Teil 6, 1829):
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Hier wird eine (im Kontext eigentlich klare, in der Formulierung allerdings missverständliche) Stelle bei Velleius so gedeutet, als ob die Hermunduren "durch die Elbe von den im Brandenburgschen wohnenden Semnonen getrennt wurden".
Das Hermundurengebiet habe demnach "vom Ursprunge der March und Elbe bis in die Gegend des heutigen Fürstenthumes Anhalt, und westwärts von der Elbe bis an die fränkische Saale und den Main" gereicht.
Die Siedlungskontinuität beginnt mit dem Ende von Latene und endet ca 200 n.Chr. Dann wird eine Zuwanderung nachgewiesen.
Über die Siedlungsgrenzen hat sich Gerhard Voigt in seiner Dissertation ausgelassen. Halle 1940.
 
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