Partisanenkrieg im Ersten Weltkrieg?

Ich zitiere mal aus Naresuans Link von Larissa Wegners "Occupatio Bellica", S. 126:
"Alle diese Dokumente haben als Vernehmungsprotokolle natürlich ihre ganz eigene Problematik und sind keinesfalls die verläßliche Quelle, als die Keller sie darstellt. So sagen zwar die Militärangehörigen unter Eid aus - ein Punkt der Keller besonders stark macht und der sicherlich dazu beigetragen hat, dass sich die Soldaten sehr genau überlegten, was sie berichteten. (...) Dies bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass ein Soldat, der erklärte, er habe kämpfende Zivilisten oder auch grausam verstümmelte Soldaten mit eigenen Augen gesehen einen wahren Sachverhalt beschreibt. (...) Auch wenn Hunderte solcher Zeugnisse vorliegen, sind das zwar beachtenswerte Quellen, die es zu berücksichtigen gilt, aber es sind keine Beweise.
Es ist eine der größten Schwächen von Kellers Buch, dass er die bereits im Ersten Weltkrieg ins Spiel gebrachte Möglichkeit von (kollektiven) Wahnvorstellungen als eine Absurdität zurückweist."
 
War der belgische Partisanenkrieg nur Anfangs stark?
Gibt es da so etwas wie eine zeitliche Kurve?
 
Es ist doch gar nicht sicher erwiesen, ob es so etwas wie einen "belgischen Partisanenkrieg" im 1.Weltkrieg überhaupt gab.
 
Aber es gab doch Tötungen deutscher Soldaten durch Irreguläre.
Gibt es dazu eine Abschätzung des zeitlichen Verlaufs der Häufigkeit?
 
Es gibt deutsche Soldaten, die das aussagten.

Auch wenn Hunderte solcher Zeugnisse vorliegen, sind das zwar beachtenswerte Quellen, die es zu berücksichtigen gilt, aber es sind keine Beweise.
Es ist eine der größten Schwächen von Kellers Buch, dass er die bereits im Ersten Weltkrieg ins Spiel gebrachte Möglichkeit von (kollektiven) Wahnvorstellungen als eine Absurdität zurückweist."
 
Die Garde civique war in zwei Gruppen eingeteilt, die sich nach dem Alter richtete, wenn ich das richtig verstanden habe. Die 2. Gruppe (ban) waren demnach die 33-50jährigen. Es scheint noch eine dritte Gruppe (ban) gegeben zu haben. Was es mit denen auf sich hat, verstehe ich aber nicht so ganz.
Garde Civique - Wikipedia

Aus dem Link: "A third class was composed of older volunteers, who were not equipped, uniformed or armed and were expected only to provide support functions in their local regions."

Die durften heiße Suppen austeilen und Uniformen flicken, und vielleicht als Ausbilder helfen, weitab vom Feind. Als Kombattanten waren sie offensichtlich nicht mehr vorgesehen.
 
Fast immer wenn ich was frag, krieg ich keine Antwort.
Kannst du es nicht für möglich halten, dass Berichte deutscher Soldaten über "irreguläre belgische Truppen", über Heckenschützen in Zivil, über Franc-Tireurs, auf einer kollektiven Wahnvorstellung beruhen, die in der deutschen Armee seit dem 1870/71-Krieg tradiert wurde. Genau das deutet die zitierte Larissa Wegner an und sie ist nicht die erste und einzige, die das für eine Erklärung hält.
Man weiß nicht woher ein Schuß kam, also war es ein Franc-Tireur. Es gab auch Todesfälle durch friendly fire.
Bislang überzeugt mich das alles nicht, dass es einen geplanten belgischen Partisanenkrieg gab. Warum sollten sich Belgier auf so eine Kamikazemission begeben?
 
Kannst du es nicht für möglich halten, dass Berichte deutscher Soldaten über "irreguläre belgische Truppen", über Heckenschützen in Zivil, über Franc-Tireurs, auf einer kollektiven Wahnvorstellung beruhen,
Ich kann mit viel vorstellen und für möglich halten. (Auch, dass im Garten ein Meteorit eine Spitzmaus erschlägt.)

Gab es also keine Partisanen, und deren vermeintliche Bekämpfung einer Wahnvorstellung geschuldet?
Ich versteh echt nur Bahnhof.
 
Gab es also keine Partisanen, und deren vermeintliche Bekämpfung einer Wahnvorstellung geschuldet?
Das ist die Erklärung, die ich bevorzuge, warum die deutsche Armee 5000-6000 belgische Zivilisten als "Strafmaßnahme" tötete. Turgot und Keller werden sagen, na klar gab es Partisanen.
wiki formuliert es so: "Ob eine größere Partisanentätigkeit in Belgien damals überhaupt vorhanden war, wird von Historikern heute kontrovers diskutiert." Franc-tireurs – Wikipedia
 
und das waren dann die über 50jährigen?

So steht es da. Und es waren nur noch Freiwillige, im Gegensatz zu den Jüngeren, für die es verpflichtend war, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt waren.

"Membership in infantry units located in urban areas was in principle obligatory for adult men who could afford their own uniforms and had not served in the regular army."
 
Was ist ein 2. ban?
"Ban" ist ein mittelalterlicher französischer militärischer Ausdruck und entsprach in etwa dem deutschen Heerbann – Wikipedia .
Für die moderne Zeit übersetze ich das mit "Aufgebot".

Man muss bei der Betrachtung der garde civique und ihrer Rolle 1914 im Hinterkopf behalten, dass sie urprünglich 1831 das einzige war, was Belgien hatte. Später gab es daneben eine kleine Armee mit selektiver Wehrpflicht. Erst 1909 wurde die allgemeine Wehrpflicht eingeführt und ab 1911 wurde die reguläre Armee massiv ausgebaut.
1914 konnte die garde civique mMn nur noch aus einem Rest von Dienstuntauglichen bestehen und war in den meisten Gemeinden vielleicht theoretisch in Bans aufgeteilt, wenn überhaupt noch vorhanden. In den Städten konnte man sicher noch etwas mehr organisieren.
 
"König Albert I., der während des gesamten Krieges an der Front blieb, weigerte sich bis zum Herbst 1918, an den alliierten Offensiven teilzunehmen; diese waren in seinen Augen nutzlos. Die Todesrate in der belgischen Armee war daher eine der niedrigsten: Einer von 50 belgischen Soldaten starb im Krieg, bei der französischen Armee war es dagegen jeder sechste."
Zitiert aus deinem bpb Link. Diese relativ geringe Sterberate ist für mich ein weiterer Hinweis darauf, dass es in der belgischen Armee keine Bestrebungen gab, in kamikazemäßigen Partisanenaktionen hinter der feindliche Linie eigene Leute aufs Spiel zu setzen.
 
Man weiß nicht woher ein Schuß kam, also war es ein Franc-Tireur. Es gab auch Todesfälle durch friendly fire.
Bislang überzeugt mich das alles nicht, dass es einen geplanten belgischen Partisanenkrieg gab. Warum sollten sich Belgier auf so eine Kamikazemission begeben?

Naja, warum begaben sich andere Gruppen in der Geschichte auf die Kamikaze-Mission eins Partisanenkrieges?

Die mögen in Teilen den Grund gehabt haben es mit einer Besatzungsmacht wie dem NS-Regime (im Besonderen im Osten) zu tun gehabt zu haben, von der ohnehin keine korrekte Behandlung zu erwarten war und die ohnehin relativ ungeniert zu Terrormaßnahmen gegen die Bevölkerung griff, was bedeutete, dass sich die Bevölkerung durch eigenes Wohlverhalten nicht vor Verbrechen durch die Besatzer schützen konnten.

Aber was ist mit anderen historischen Beispielen? Warum riskierten es französischen "Franctireurs" 1870/1871, die ja nun erwiesenermaßen kein reins Hirngespinst (wenn auch im Quantität und Auswirkung stark übertrieben rezipiert) waren, obwohl wohl die damaligen Deutschen Staaten sicherlich keine expansiven Terroregimes waren, von denen sie blutrünstige Gewaltaten zu erwarten gehabt hätten?
Warum riskirten es Teile der spanischen Bevölkerung in der napoleonischen Zeit Guerrillieros zu spielen und sich mit der französischen Armee anzulegen, obwohl von französischer Seite eigentlich kein Krieg gegen die Zivilbevölkerung geführt wurde und mit schlimmerem, als Einquartierungen und Kontributionen eigentlich nicht zu rechnen war, sofern man davon absieht, dass natürlich bei jeder Besatzung vereinzelte Übergriffe von Soldaten, die meinen, dass sie sich alles erlauben können, auf die Zivilbevölkerung vorkommen?



Natürlich gab es Todesfälle durch friendly fire, bestreitet ja niemand.

Die interessante Frage in diesem Zusammenhang wäre, ob sich im Nachhinein zwecks Aufklärung der entsprechenden Fälle irgendjemand die Mühe gemacht hat, sich die Leichen oder auch überlebende von Ereignissen, bei denen man nicht so genau zuordnen kann ob friendly fire oder Partisanenaktivität mal näher angeschaut hat.

Im Fall von friendly fire müsste der Tod oder die Verletzung (sofern Steckschuss und das Projektil entfernt werden muste) ja von Munition verursacht worden sein, die bei den deutschen Truppen in Verwendung war, wohingegen es eher unwahrscheinlich sein dürfte, das potentielle Irreguläre belgische Truppen identische Projektile verwendeten.

In den späteren Abschnitten und an anderen Schauplätzen wird man sich nicht mehr die Mühe gemacht haben, sich um solche Details zu kümmern, in den ersten Wochen in Belgien allerdings waren die Verluste auf der deutschen Seite ja relativ niedrig, so dass es möglicherweise noch keine Veranlassung gab die Toten einfach anonym in ein Massengrab zu werfen und in den Lazarettenn über solch Spitzfindigkeiten wegen vollständiger Überlastung hinweg zu gehen.
Die relativ niedrigen Verluste, dürften auch dazu beigetragen haben, dass man wenn tatsächlich Soldaten zu Tode gekommen waren, sicherlich an Hand der Bereichte und Kriegstagebücher der einzelnen Einheiten Namen von Gefallenen ermitteln hätte können, die als Fälle für potentielle Partisaneneinwirkung infrage kämen.

Weiß jemand ob im Hinblick auf die Klärung der Umstände im Kontext der Nachkriegszeit mal versucht worden ist, die entsprechenden Toten zu exhumieren oder die Krankenakten aus den deutschen Lazaretten auszuwerten, um die Provenienz der jeweiligen Projektile zu bestimmen?
Gerade die deutsche Seite, hätte mit dem Bedürfniss den Partisanenkrieg zu beweisen ja allen Grund gehabt das zu tun, wärend das medizinische Personal in den Lazaretten keinen Grund für Beschönigungen oder zurechtbiegen von Berichten gehabt hätte, zumal dieses den Kontext der Verwundung einzelner Soldaten sicherlich nicht kannnte.
Ähnliches bei den Leichen gefallener Soldaten, zumal wenn sie zunächst provisorisch begraben und später umgebettet oder am Anfang des Krieges möglicherweise auch tatsächlich noch nach Deutschland überführt wurden (bin mir nicht sicher ob so etwas stattgfunden hat).
 
Im Fall von friendly fire müsste der Tod oder die Verletzung (sofern Steckschuss und das Projektil entfernt werden muste) ja von Munition verursacht worden sein, die bei den deutschen Truppen in Verwendung war, wohingegen es eher unwahrscheinlich sein dürfte, das potentielle Irreguläre belgische Truppen identische Projektile verwendeten.
Du glaubst doch nicht wirklich, dass Gefallene im August 1914 obduziert wurden, um herauszufinden woher die Kugel kam, die den Soldaten tötete. Im Zweifel werden deutsche Kommandierende später einfach gesagt haben es waren "Franc-Tireurs".
Außerdem ist fraglich, ob die Munition potentieller belgischer "Irregulärer" überhaupt von deutscher Muntion unterscheidbar war.
 
Du glaubst doch nicht wirklich, dass Gefallene im August 1914 obduziert wurden, um herauszufinden woher die Kugel kam, die den Soldaten tötete. Im Zweifel werden deutsche Kommandierende später einfach gesagt haben es waren "Franc-Tireurs".

Im August 1914 vielleicht nicht, allerdings im August 1919 hätte die Möglichkeit zur Exhumierung bestanden, sofern die Toten nicht unidentifizierbar im Massengrab gelandet sind.

Und da wären dann auch immer noch die Verwundeten, denen möglicherweise Projektile aus dem Körper entfernt werden mussten, bei denen sich sicherlich zumindest theoretisch festhalten ließ ob die tendenziell aus deutschen Armeebeständen kamen oder ob es sich um Munition handelte, die bei den deutschen Truppen regulär keine Verwendung fand.

Das der Typ oder mindestens größe und Kaliber von entfernten Projektilen in Krankenblätter oder Lazarettakten eingang gfunden haben, wäre ja durchaus denkbar, weniger aus Gründen politischer Aufarbeitung, als viel mehr aus Gründen der genauen Beschreibung der Verletzung.


Unabhängig davon, ob das tatsächlich passiert ist, wäre es interessant zu wissen, ob von seiten deutscher Militärangehöriger nach dem Weltkrieg mal versucht wurde so etwas anzustrengen, was ein Licht darauf werfen könnte, ob sie diese Geschichten glaubten oder nicht.
Denn wenn sie daran glaubten, hätte der Versuch es auf diesem Weg zu bewisen nahegelegen.
 
Entschuldigung, ich habe nicht spekuliert ob dieses oder jenes zutreffend ist, ich habe gefragt, ob mal Schritte zu einer solchen Art von Klärung unternommen worden sind.
 
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